Barbara Thiessen: Verletzte Körper: Intersektionelle Anmerkungen zu Geschlecht und Behinderung

Abstract: Der Körper scheint ein ebenso zentrales wie diskursiv unzugängliches Gelände zu sein, auf dem Kämpfe um soziale Teilhabe bestritten werden. Die intersektionelle Perspektive eröffnet dabei neue Einblicke, welche Interdependenzen zwischen „Behinderung“ und „Geschlecht“ bestehen. Im Beitrag werden sowohl Überschneidungen als auch fundamentale Differenzen formuliert. Bilanzierend zeigt sich jenseits hierarchisierender Kategorisierungen Leben in seiner grundlegenden aber unterschiedlichen Verletzbarkeit. Diese verweist mithin auf Angewiesenheit als menschliche Bedingtheit. Autonomie im Sinne der westlichen Moderne wird als Fetisch entlarvt und bleibt doch als Sehnsucht sichtbar.

Stichworte: Gender, Disability, Verletzbarkeit, Inklusion

Ausgabe: 1/2011

Inhaltsverzeichnis
  1. Benachteiligung im Doppelpack? Empirische Einblicke zum Zusammenhang von Geschlecht und Behinderung
  2. Klassifikationen: Gender – Sex, Disability – Impairment
  3. Prekäres Leben: Umgang mit Angewiesenheit
  4. Fazit: Inklusion befreit nicht von Widersprüchen
  5. Literatur

Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung benennt im Art. 6 explizit „multiple discrimination“ von Frauen mit Behinderung. Ebenso werden in weiteren Bestimmungen wie etwa denen zur Gesundheit (Art. 25) sowie zur Freiheit von Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch (Art. 16) genderbezogene Aspekte benannt. Gleichzeitig wird Gender Mainstreaming als grundlegendes Prinzip aufgenommen. Entscheidend ist zunächst die Definition von Menschen mit Behinderung, die in der UN-Konvention im Art. 1 in einer doppelten Perspektive vorgenommen wird: „Persons with disabilities include those who have long-term physical, mental, intellectual or sensory impairments which in interaction with various barriers may hinder their full and effective participation in society on an equal basis with others.“ Behinderung entsteht demnach durch das Zusammenspiel von individueller Beeinträchtigung und sozialen Hindernissen. Wie ist in dieses Interagieren Gender eingewoben? Lassen sich Gender-Aspekte bei den individuellen Beeinträchtigungen oder eher bei den sozialen Hindernissen finden? Oder sind sie mehrfach verstrickt, wie dies die These der „multiple discrimination“ nahelegt? Ein Blick in empirische Rekonstruktionen soll hier erste Klärung schaffen. Im zweiten Schritt wird auf der Ebene zentraler Kategorien der Gender und Disability Studies nach intersektionellen Schnittmengen gesucht. Es zeigen sich dabei neben bemerkenswerten Parallelen der Naturalisierung und Hierarchisierung von Differenz auch signifikante Unterschiede. Diese werden im dritten Teil unter dem Stichwort der prekären Angewiesenheit weiter ausgeführt. Die abschließende Frage ist, ob der Inklusionsdiskurs nicht einer möglichen Erweiterung bedarf.

1. Benachteiligung im Doppelpack? Empirische Einblicke zum Zusammenhang von Geschlecht und Behinderung

Laut einer aktuellen Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu „Lebenslagen behinderter Frauen“ (BMFSFJ 2009) leben in Deutschland 1,685 Millionen Frauen im Alter zwischen 18 und 65 Jahren mit einer amtlich anerkannten Behinderung. Dies entspricht einem Anteil von 7,4% der weiblichen Bevölkerung in dieser Altersspanne (bei Männern: 9,7%, BMFSFJ 2009: 7). Der geringere Frauenanteil wird darin vermutet, dass weniger Frauen ihre Behinderung von öffentlichen Stellen anerkannt haben. Bemerkenswert ist ein Ergebnis aus den Mikrozensus-Daten, wonach der Anteil von Menschen mit Behinderung bei zunehmendem Alter ansteigt. So liegt er bei Frauen und Männern unter 30 Jahren bei unter 5%, während bei den 60jährigen Frauen jede fünfte eine Behinderung hat und den Männern ab 60 sogar knapp ein Drittel behindert sind. Für eine Inklusionsperspektive ist es nicht unerheblich sich vor Auge zu halten, dass das Risiko einer Behinderung für alle im Lebenslauf zunimmt – trotz (oder gerade wegen [!]) aller medizinischen Fortschritte.
Untersucht wurde auf der Basis des Lebenslagenansatzes (Enders-Dragässer/Sellach 2002) wie sich gesellschaftliche Teilhabe in den drei Bereichen Einkommen und Versorgung, Soziales sowie Bildung von Frauen mit Behinderung in Relation zu Frauen ohne Behinderung sowie Männern mit und ohne Behinderung darstellen lässt. Unberücksichtigt bleiben hierbei Differenzierungen innerhalb der Gruppe der Frauen mit Behinderung, etwa Frauen, die seit Geburt behindert sind, oder eine Behinderung erst im späteren Lebenslauf bekommen haben. Letztere konnten in Lebensphasen ohne Behinderung entscheidende Handlungsoptionen nutzen, wie etwa die Absolvierung einer Berufsausbildung.
Im ökonomischen Bereich von Versorgung und Einkommen zeigt sich, dass sich die geschlechtshierarchischen Strukturen des Erwerbsarbeitsmarktes auch im Vergleich von Frauen und Männern mit Behinderung abzeichnen. Nur 43% der Frauen mit Behinderung sind erwerbstätig, gegenüber 50% der Männer mit Behinderung sowie 70% der Frauen und 86% der Männer ohne Behinderung (BMFSFJ 2009, 25). Obwohl Frauen mit Behinderung eine etwas höhere Vollzeitquote wie Frauen ohne Behinderung aufweisen, haben mehr mit 56% der Frauen mit Behinderung ein Nettoeinkommen bis zu 900 EUR, das unterhalb der Armutsgrenze liegt. Wenn aber auch 52% der Frauen ohne Behinderung in dieser unteren Einkommensklasse auszumachen sind, in der nur 31% der Männer mit und 22% der Männer ohne Behinderung zu finden sind, lassen sich hier deutliche Geschlechterdifferenzen belegen Die Mehrheit der Männer (51% behinderte; 48% nicht behinderte Männer) verfügt dagegen über ein persönliches Nettoeinkommen zwischen 901 und 2.000 €. 17% der behinderten und 27% der nicht behinderten Männer haben ein persönliches Nettoeinkommen zwischen 2.001 und 6.000 €. Dagegen erzielen nur 5% der Frauen mit Behinderung und 7% der Frauen ohne Behinderung dieses Einkommen (ebd.: 41). Frauen mit Behinderung haben in ihrer Teilhabe am Erwerbsarbeitsmarkt im Vergleich zu allen Männern sowie Frauen ohne Behinderung die schlechteste Position, die sich auch in der mangelnden Altersabsicherung verlängert. Die differenzierte Analyse zeigt jedoch, dass Geschlecht und Behinderung in verschiedenen Lebensphasen unterschiedlich wirken. Dabei ist entscheidend, wann die Behinderung im Lebenslauf eingetreten ist und ob Frauen sich bereits über Ausbildung, Erwerbsarbeit eine eigene Absicherung aufbauen konnten. Für alle Frauen zeigt sich hier, dass Familiengründung zu einer Einschränkung des eigenständigen ökonomischen Handlungsspielraums führt (ebd.: 49f).
Soziale Handlungsdimensionen rekurrieren auf Bindungen und Beziehungen, wie Mutterschaft oder Vaterschaft, Ehe und Partnerschaft sowie dem Leben mit anderen in einem gemeinsamen Haushalt. Diese sozialen Bindungen sind entscheidend für den Zugang zu Ressourcen, gegenseitige Versorgung und die Befriedigung von Bindungswünschen. Im Mikrozensus lassen sich hierüber nur begrenzt Angaben finden: Die häufigste Lebensform von Frauen und Männern mit Behinderung ist die des Ehepaares ohne ledige Kinder (Frauen: 40%, Männer 40,3%). Menschen ohne Behinderung leben dagegen am häufigsten als Ehepaar mit ledigen Kindern (Frauen: 46%, Männer: 43%). Alleinstehend sind am häufigsten Frauen mit Behinderung (26%), gefolgt von nicht behinderten Männern (22%). Alleinerziehend sind am häufigsten Frauen und zwar 9% der Frauen ohne und 8% der Frauen mit Behinderung (BMFSF 2009: 52f.). Nicht rekonstruieren lassen sich aus diesen Daten soziale Netzwerke in Nachbarschaft und durch Freundschaften. Offen bleibt, ob der Grund für die höchste Anzahl Alleinlebender bei behinderten Frauen in der Behinderung oder eine Folge der Behinderung ist, etwa bei höherem Lebensalter und Verwitwung. Eine Folge ist jedoch, dass Frauen mit Behinderung hinsichtlich vielfältiger Lebensformen und den damit verbundenen Kontakt- und Unterstützungsmöglichkeiten eingeschränkt sind.
Im Zusammenhang sozialer Handlungsdimensionen stehen auch Fragen zufriedenstellender Sexualität bei Frauen mit Behinderung. Zwar lässt sich hier in den letzten Jahrzehnten eine deutliche Enttabuisierung feststellen, die insbesondere auf das Engagement von Frauen mit Behinderung selbst zurückzuführen ist (vgl. etwa erotische Fotoausstellungen oder Modelcontests von körperbehinderten Frauen, Mielke/Hauch 2004, Faber/Puschke 2007). Allerdings zeigen die Daten einer höheren Rate Alleinlebender bei Frauen mit Behinderung, dass die Umsetzung im Alltag häufig noch aussteht. Männer mit Behinderung und nichtbehinderter Frau scheinen in der Öffentlichkeit eher auszuhalten zu sein als der umgekehrte Fall. Darüber hinaus unterliegt die Kombination von lesbisch und behindert einer weitgehenden öffentlichen Nicht-Thematisierung (Puschke 2010).
Bildung kann als ein entscheidender Bereich bezeichnet werden, um Teilhabe- und Verwirklichungschancen zu eröffnen. Geringe Bildung geht überdies eingeschränkten Erwerbsmöglichkeiten voraus. Im Durchschnitt ist das schulische Bildungsniveau von Männern und Frauen mit Behinderung niedriger als das nicht behinderter Menschen. Frauen und Männer mit Behinderung haben überwiegend einen Hauptschulabschluss (Männer: 61 %, Frauen: 54 %), nicht behinderte Menschen nur knapp über ein Drittel (Männer: 37 %; Frauen: 35 %) (BMFSFJ 2009: 61). Bemerkenswert ist jedoch, dass bei den 18- bis 27-jährigen Frauen mit Behinderung deutlich vor den Männern mit Behinderung liegen und damit einem allgemeinen Trend folgen. Hier kann die These der „doppelten Diskriminierung“ nicht bestätigt werden. Im Hinblick auf berufliche Ausbildung zeigt sich, dass fast ebenso viele Frauen mit Behinderung wie Männer (29%, 30%) keine berufliche Ausbildung abgeschlossen haben. Von den nicht behinderten Menschen ist der Anteil der Frauen, die keine Ausbildung abgeschlossen haben, etwas höher als der der Männer (16%, 13%) (ebd.: 63f.).
Zusammenfassend zeigen die empirischen Daten im Kontext einer Lebenslagenanalyse signifikante Überlagerungen von Behinderung und Geschlecht, auch wenn in den einzelnen Dimensionen von Einkommen/Erwerbsarbeit, sozialer Handlungsspielraum und Bildung zwischen den Geschlechtern und im Hinblick auf die unterschiedlichen Kohorten durchaus gegenteilige Effekte zu verzeichnen sind (etwa der weibliche Bildungsvorsprung). Gleichwohl wird in der Studie im Gesamtergebnis der Signifikanzanalyse das Ergebnis einer „doppelten Diskriminierung“ belegt (BMFSFJ 2009: 11ff. vgl. Abb. 1).

Abbildung 1: Empirisch unterlegtes Diskriminierungsmodell zu Geschlecht und Behinderung

Quelle: BMFSFJ 2009: 11ff.

Im Falle von Frauen mit Migrationshintergrund und Behinderung zeigt sich, dass sie zu einem noch geringeren Teil eine amtliche Anerkennung ihrer Behinderung haben und damit statistisch geringer erfasst sind. Dies kann sowohl an Informationsdefiziten als auch an familialer Scham im Umgang mit Behinderung liegen. Im Hinblick auf Einkommen und Erwerbsstatus bilden behinderte Frauen mit Migrationshintergrund das Schlusslicht. Dagegen zeigt sich, dass Migrationshintergrund im Falle sozialer Handlungsspielräume eher zu einem gemeinschaftlichen Leben in Mehrpersonenhaushalten und mit Kindern führt. Aussagen zum Bildungsstand sind kaum zu treffen aufgrund der geringen Fallzahlen und der überraschend hohen Anzahl an ungeklärtem Bildungsabschluss (BMFSFJ 2009: 109).
Insgesamt zeigt die Analyse der Mikrozensusdaten, dass besonders benachteiligte Gruppen von Frauen mit Behinderung schwerbehinderte Frauen darstellen und zwar quer durch alle Altersklassen. Die Weichen für eine besondere Vulnerabilität werden da gestellt, wo Behinderung bereits in Kindheit und Jugend auftaucht, da die durch eine Behinderung bedingten Bildungs- und Ausbildungsdefizite im weiteren Lebensverlauf kaum noch auszugleichen sind. Hierin wird eine deutliche Einschränkung der Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben festgestellt, pointiert formuliert: „Je früher im Lebensverlauf eine Behinderung eintritt, desto einschneidender sind die Folgen für das weitere Leben“ (BMFSFJ 2009: 123). Frauen mit Behinderung sind daher stärker als bislang als eigene Risikogruppe in Bezug auf Armut und soziale Ausgrenzung wahrzunehmen.
Ein zwar jüngst verstärkt diskutiertes Thema zu dem bislang jedoch kaum Daten vorliegen, bezieht sich auf sexualisierte Gewalt. Vermutet wird, dass hiervon weit mehr Frauen als Männer mit Behinderung und mehr Frauen mit Behinderung als ohne betroffen sind. Eine österreichische Studie belegt, dass 60% der Frauen, die in Einrichtungen leben, Gewalterfahrungen haben (Zemp/Pircher 1996, zitiert in Puschke 2010). In Deutschland werden Zahlen in diesem Jahr erwartet. Vermutet werden kann, dass ähnlich Erschreckendes zutage tritt. Dies deutet sich zumindest in bereits vorhandenen Studien an (Wolff 2005). Vulnerabilität heißt für behinderte Frauen neben dem Umgang mit der Beeinträchtigung auch das erhöhte Risiko sexualisierter Gewalt.

2. Klassifikationen: Gender – Sex, Disability – Impairment

Gender Studies und Disability Studies haben eine hohe Affinität. Zentrale Auseinandersetzungen betreffen in beiden Fällen sowohl den Körper als auch die Frage von Ausschlüssen und Diskriminierung. Im Kontext konstruktivistischer Perspektiven, die in beiden wissenschaftlichen Feldern wesentliche Weiterentwicklungen gebracht haben, sind neue produktive Schnittstellen auszumachen. Demnach ist sowohl der vergeschlechtlichte Körper kein Naturschicksal als auch Behinderung keine individuelle, krankhafte Störung, sondern beides sind Folgen sozialer Herstellungsprozesse und gesellschaftlicher Konstruktionen (Degener 2003). Wenn allerdings radikal infrage gestellt wird, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Vorliegen einer Beeinträchtigung und dem Behindert-Werden gibt und Behinderung ausschließlich als Resultat gesellschaftlicher Prozesse vorgestellt wird, scheint hierin auch eine Verkennung zu liegen, die im weiteren erörtert wird. Hier soll der Gedanke verfolgt werden, dass ohne eine Wahrnehmung und Klärung der Bedeutung der individuellen Beeinträchtigung (impairment) keine tatsächliche Inklusion erfolgen kann. Demnach scheint dann das Beharren darauf, dass sich nicht der einzelne Mensch sondern die Gesellschaft ändern müsste, damit behinderten Menschen eine uneingeschränkte gesellschaftliche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben möglich wäre (Waldschmidt 2003), auch verkürzt. Um diese These plausibel zu machen, soll zunächst mit Blick auf produktive Verknüpfungen ein Verständnis von doing difference in Bezug auf Geschlecht und Behinderung versucht werden.
Sowohl Geschlecht als auch Dis/Ability können als Effekte machtvoller Körperpolitiken gelesen werden (Wollrad/Jacob/Köbsell 2010: 8). Dabei sind weder Geschlecht noch Dis/Ability abgrenzbare Kategorien, sondern stets als interdependente zu verstehen (Walgenbach 2007). Der Intersectionality-Ansatz (Crenshaw 1998) verweist sowohl auf sich überschneidende Kategorien und damit einhergehende Strukturen (structural intersectionality), als auch sich überlappende Systeme, die soziale Positionen markieren (overlapping systems). Eine dritte Dimension charakterisiert intersectionality als Identitätsposition (multiple identities) (ebd.). Intersektionalität lässt sich mit anderen Worten auf der Makro-, Meso- und Mikroebene rekonstruieren. Walgenbach macht darauf aufmerksam, dass Geschlecht, respektive Behinderung, keinen „genuinen Kern“ habe, sondern jede Kategorie stets heterogen strukturiert sei (Walgenbach 2007: 61). Die Interdependenzen sind daher in den Kategorien und nicht nur zwischen ihnen zu denken. Behinderte Menschen sind immer auch vergeschlechtlicht und ethnisiert, Menschen, die der weiblichen Genusgruppe zugeordnet werden, haben immer auch eine spezifische körperliche Verfasstheit und ethnische sowie milieubezogene Herkunft.
Bemerkenswert sind nun Parallelitäten in der Frage, wie die Hervorbringung von Differenz im Falle des Geschlechterverhältnisses sowie im Falle des Umgangs mit Behinderung funktioniert. In den Disability Studies wird darauf hingewiesen, dass Beeinträchtigung (impairment), also die funktionale, dauerhafte Einschränkung aufgrund einer körperlichen, psychischen oder geistigen Schädigung erst durch die Beschränkung sozialer Teilhabe (aufgrund räumlicher, struktureller Barrieren) zu Behinderung (disability) wird (Köbsell 2010: 19). Kurz gefasst: Behindert ist man nicht – behindert wird man. Das erinnert an die provokante These Simone Beauvoirs: „On ne naît pas femme, on le devient“ (Man wird nicht als Frau geboren, man wird es.) Entsprechend würde folgendes Modell der Kategorien denkbar sein (Abb. 2):

Abbildung 2: Kategoriale Ordnung in den Gender und Disability Studies

Quelle: eigene Darstellung nach Waldschmidt 2010

Diese dichotome Anordnung der Kategorien wird jedoch sowohl in den Gender als auch in den Disability Studies längst einer konstruktivistischen Kritik unterzogen. Die in die Körperlichkeit eingeschriebenen Machtverhältnisse bestimmen Körpererleben, Schmerzempfindlichkeit, Sensitivität, Körperformen. Aus vermeintlich natürlichen Tatsachen werden in den diskurstheoretischen Perspektiven Effekte historischer Machtverhältnisse. Erst die Naturalisierung lässt die zuvor wirksamen Machtprozesse unsichtbar werden. Im Falle von Sex und Gender sind die vielfachen Körperpolitiken bereits belegt, die die soziale Hervorbringung körperlicher Inszenierungen und Empfindungen bedingen. Als konsequente Weiterentwicklung können die Manipulationen am Körper als Selbstoptimierungstechniken des Selbst in Zeiten des Neoliberalismus gelten (Villa 2008). Aber auch im Falle von Impairment und Disability lässt sich ein Regime der Normalität erkennen, das die Regulierung von Impairment entscheidend beeinflusst. Die Klassifizierung aufmerksamkeitsgestörter Kinder etwa orientiert sich an Vorstellungen normierter Gesundheit ohne Bezug zu familialen oder umweltbedingten Rahmungen. Konsequent ist daher, die Dichotome Natur und Gesellschaft aus der Matrix zu streichen und die gegenseitige Bezogenheit zu unterstreichen (Abb. 3):

Abbildung 3: Kategoriale Neu-Ordnung
 

Quelle: eigene Darstellung

Waldschmidt verweist darauf, dass im Hinblick auf Intersektionalität die vier Ebenen der Matrix aufeinander verweisen und sich überschneiden. Die „Macht der Normalität“ bestimme dabei die Logik der Wechselwirkungen (Waldschmidt 2010: 58). Dabei gehe die flexible Normalisierung einher mit einer Normierung, die zum Preis der Körperdisziplinierung zu zahlen sei. So verweisen etwa Schönheitsoperationen samt ihren Risiken als Bezugnahme von Gender und Impairment. Die Pathologisierung von Geburt inklusive ihrer Vereinbarkeitsfolgen könnte auch als Wechselwirkung von Sex und Disability gelesen werden. Diese durchaus reizvollen und produktiven Überkreuzungen der Kategorien der Gender und Disability Studies haben jedoch Grenzen, wie im Folgenden näher ausgeführt werden wird.

3. Prekäres Leben: Umgang mit Angewiesenheit

Mit dem Begriff der „Natalität“ hat Hanna Arendt darauf aufmerksam gemacht, dass Menschen zuallererst aufeinander angewiesen sind und in ein Netz bestehender Beziehungen geboren werden. Sie haben aber auch die Fähigkeit, einen neuen Anfang zu setzen (Arendt 1981: 18). Die ambivalente Positionierung zwischen Angewiesenheit und Autonomie ist eine grundlegende menschliche Bedingtheit. Zu Beginn des Lebens, meist auch am Ende und immer wieder auch im Erwachsenenalter gilt für alle: Ohne die Fürsorge anderer können Menschen nicht überleben. Hierzu wird in der Debatte um den Begriff Care – verstanden als fürsorgliche Praxis und kritische Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Verortung von „care recievers“ und „care givers“ – seit 30 Jahren das Verhältnis von Arbeit und Liebe, Anerkennung und Teilhabe diskutiert (Brückner 2010). Wesentlich ist dabei, in den fürsorglichen Praxen die wechselseitige Angewiesenheit von Menschen zu verbinden mit Fragen von Gender-Gerechtigkeit, dem Streben nach Eigenständigkeit, Autonomie und Gestaltungsmöglichkeiten.
Demgegenüber ist im vorherrschenden Denken der westlichen Moderne das bürgerliche Subjekt ein im Kern autonomes, authentisches Selbst, das zwar von außen eingeschränkt und unterdrückt werden kann, aber im Innersten als kohärent und unabhängig gedacht wird. Die Vorstellung von Selbständigkeit, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung wird der Angewiesenheit vorangestellt. Zugespitzt: Autonomie wird zum Fetisch der westlichen Moderne. In Folge der cartesianischen Spaltung von Körper und Geist wird die Vernunft dem Emotionalen und dem Körper vorgezogen. Die Priorisierung des Geistigen, der Vernunft und der Autonomie braucht die Abspaltung und Geringschätzung der Angewiesenheit, des Körpers und des Emotionalen. „Der Körper impliziert Sterblichkeit, Verwundbarkeit“ (Butler 2005: 43), die Fragilität des Lebens muss daher verdrängt werden. Mehr noch, Butler verweist darauf, dass der Körper, „der von Anfang an der Welt der andern anvertraut ist“, „ihren Abdruck“ trägt, „im Schmelztiegel des sozialen Lebens geformt“ wurde (ebd.). Also auch der gesunde, erwachsene Mensch trägt noch die Spuren der Angewiesenheit, ist von ihnen geformt. Die Eigenständigkeit ist permanent bedroht durch Krankheit, Behinderung, aber auch durch Beziehungswünsche, Verliebtsein, Verantwortung für Kinder. Die Leugnung der sozialen Voraussetzungen des individuellen Gewordenseins im Namen der Autonomie schließt auch die Leugnung der „verschiedenen Formen des Entzückens und der Unterwerfung“ ein, „die die Voraussetzung meiner Entstehung als individuiertes Wesen bildeten und mein Selbstgefühl als Erwachsener weiter heimsuchen, welche Angst und Sehnsucht auch immer ich nun empfinden mag“ (ebd., 44). Butler pointiert: „Die Individuation ist eine Errungenschaft, keine Voraussetzung, und ganz gewiss keine Garantie“ (ebd.).[1]
Die existenzielle Verletzbarkeit als conditio humana gilt in der westlichen Moderne als Gefahr und Grund für Gegenstrategien: Gesundheit wird zur BürgerInnenpflicht. Krankheit ist angesichts des medizinischen Fortschritts nicht mehr Teil des Lebens, sondern gilt als vermeidbar. Pränataldiagnostik, Vorsorgeuntersuchungen, Vollwertkost und Anti-Aging – die Körperpraktiken verweisen auf Selbstoptimierung im Zeichen des Neoliberalismus (Villa 2008). Dass Krankheit aber Teil des (gesunden) Lebens ist (Keil 2011), muss verdrängt werden. Dass das Risiko einer Behinderung mit zunehmendem Alter bis auf 30% steigt, also knapp jeden dritten Erwachsenen ereilen kann, lässt hingegen die Trennung von behindert und nicht-behindert als hauchdünn und porös erscheinen. Umso mehr scheint es notwendig zu sein, die Trennung von behindert und nicht-behindert zu errichten und fest zu zurren. Shildrick verweist darauf, dass die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung der Aufrechterhaltung einer spezifischen Vorstellung des modernen, entkörperten Subjekts dient: “Where autonomy is the most valued attribute of subjectivity, any compromise of bodily control, indication of connectivity, or of corporeal instability, mobilizes a deep-seated anxiety in the normative majority that is most acute in relation to disability and sexuality.” (Shildrick 2009: 5) Oder anders gesagt: Der behinderte Körper fordert die modernistische Angst vor Abhängigkeit heraus (Binswanger 2011). Gleichzeitig offenbaren behinderte Körper möglicherweise auch eigene Wünsche nach regressivem versorgt werden.
Die Fetischisierung von Autonomie produziert ebenso die binäre hierarchische Geschlechterordnung mit der Zuweisung von Angewiesenheit und Care-Verantwortung an die weibliche Genusgruppe wie die Abwertung und Distanzierung von Menschen mit Behinderung. Der Begriff der „Doppeldiskriminierung“ kann m.E. diese komplexe Formierung nicht fassen. Denn die zugrundeliegende Abwehr und Abwertung von Angewiesenheit wird damit keineswegs erfasst. Autonomie bleibt auch für die politische Bewegung behinderter Menschen zentraler Bezugspunkt. Ebenso geraten durch die Kategorie der „Doppeldiskriminierung“ Positionen der Privilegierung (etwa gegenüber behinderten Frauen mit Migrationshintergrund) aus dem Blick (Walgenbach 2007: 45f.). Die Herstellung von Binarität – der versehrte und der ursprüngliche/gesunde Körper, Angewiesenheit und Autonomie, weiblich und männlich – lässt Interdependenzen und Widersprüche verborgen bleiben.
Ein weiterer wesentlicher Aspekt bleibt m.E. ebenso unsichtbar. Die Parallelisierung von Sex und Impairment, Gender und Disability birgt neben der durchaus plausiblen Aufdeckung von Machteffekten und Konstruktionsprozessen von Geschlechterpositionen und Behinderungen auch einen Effekt der Verdeckung. Impairment hat m.E. einen bedeutenden Unterschied zu Sex: Körperliche, psychische oder mentale, dauerhafte Beeinträchtigung bedeutet Schmerz, Verlust, Schädigung. Das kann von Sex nicht behauptet werden. Dies verweist auf eine Asymmetrie, die nicht durch Gleichsetzung vertuscht werden sollte. Disability kann zu Recht als sozial hergestellter Prozess gesehen werden, aber Impairment kann durch Antidiskriminierungspolitiken nicht aufgehoben werden. Trotz und mit allen Empowerment-Strategien bedeutet Impairment – im Unterschied zu Sex – ein auf Dauer bezogener Umgang mit Beschädigung und Beeinträchtigung. Das Aushalten von Angewiesenheit und Ausgeliefertsein wird einem im Falle von Impairment in radikal anderer Weise abgenötigt, als  sich dies im Falle von Sex stellt. Es bleibt die biografische und gemeinschaftliche Aufgabe des Umgangs damit. Dass dieser Aspekt häufig ausgeblendet wird, liegt meines Erachtens an der Beschämung, die er sowohl bei Betroffenen wie gerade auch (Noch-)Nicht-Betroffenen auslöst. Das Konzept der Inklusion sollte in dieser Hinsicht erweitert werden.

4. Fazit: Inklusion befreit nicht von Widersprüchen!

Die Empörung darüber, dass die offizielle deutsche Übersetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung an zentraler Stelle den Begriff der Inklusion durch den der Integration ersetzt hat (Art. 24 Abs. 2e), macht deutlich, dass damit zwei unterschiedliche Konzepte gemeint sind, die auf unterschiedliche Konzepte von Normalisierung verweisen und entweder Anpassungsdruck an bestehende Normalitäten bedeuten oder neue Räume differenter Normalitäten öffnen (Dannenbeck 2008). Inklusion als Ermöglichung von Heterogenität wäre gewissermaßen ein „dritter Raum“, den alle gleichermaßen betreten, gestalten, bestimmen können. M.E. bleibt diese anstrebenswerte Perspektive unvollständig, wenn der Umgang mit Einschränkungen und Vulnerabilität ungeklärt bleibt.
Inklusion braucht mehr als das „willkommen heißen der Heterogenität von Gruppen und der Vielfalt aller Menschen unabhängig von irgendwelchen Eigenschaften und Zuschreibungen“ (Hinz 2008:1). Unabhängig von der Frage, wer wen willkommen heißt, mithin wer in der Position des/der Sprechenden ist, scheint mir ein buntes, vielfältiges Nebeneinander zu wenig zu sein. Ziel einer inklusiven Gemeinschaft ist m.E. nicht nur, dass alle ein selbstbestimmtes Leben gestalten können, sondern dass sich Beziehungen entwickeln, wo mir der/die andere unersetzlich wird – mit ihrer je eigenen körperlichen Beschaffenheit. Mit Butler könnte formuliert werden: „Bestimmte Gesichter müssen dem Blick der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, müssen gesehen und gehört werden, wenn ein geschärfter Sinn für den Wert des Lebens, allen Lebens, Verbreitung finden soll“ (Butler 2005: 14).
Die Öffnung gegenüber den Anderen setzt aber auch die Exponierung der eigenen Verletzbarkeit voraus. Die Postulierung inklusiver Paradigmen greift dann zu kurz, wenn die Gründe für die Einführung der Hierarchie und Trennung nicht geklärt sind: Die Verdrängung der eigenen Verletzlichkeit und Angewiesenheit. Erst die eigene Auseinandersetzung mit der Verletzlichkeit jenseits von Betroffenheitsgestik schafft eine Basis für Anerkennung auf Augenhöhe. Es bedeutet, die eigene Autonomie als grundsätzlich eingeschränkt zu sehen. Diese Enthüllung macht dann zwei Verschiebungspraktiken überflüssig: Die Delegation von Abhängigkeit an Menschen mit Behinderung und der Verweis der Zuständigkeit für Care an Frauen. Sichtbar wird dann die menschliche Existenz als „gefährdetes Leben“ („precarious life“, Butler 2005/2004), ausgestattet mit verletzungsanfälligen Körpern. Der inklusive Raum wäre dann nicht angefüllt mit Monaden, sondern mit Individuen und ihren biografisch unterschiedlichen Bedarfen an Unterstützung und Fürsorge.

5. Literatur

Arendt, Hannah (1981): Vita activa oder vom tätigen Leben. München, Zürich: Pieper

Binswanger, Christa (2011): Zur Verstrickungsbeziehung von Verletzbarkeit und Intimität, Vortrag am 21. Januar 2011 auf der Jahrestagung der Fachgesellschaft Geschlechterstudien, München

Brückner, Margit (2010): Entwicklungen der Care-Debatte. Wurzeln und Begrifflichkeiten. In: Apitzsch, Ursula; Schmidbaur, Marianne (Hg.), Care und Migration….43-….

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2009): Lebenslagen behinderter Frauen in Deutschland. Auswertung des Mikrozensus 2005, erstellt von Astrid Libuda-Köster, Brigitte Sellach unter Mitarbeit von Brigitte Faber, Martina Puschke, Berlin (http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/lebenslagen-behinderter-frauen-deutschland-langfassung,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf)

Butler, Judith (2005): Gefährdetes Leben. Politische Essays, Frankfurt a.M.: Suhrkamp

Dannenbeck, Clemens (2008): Vom Integrations- zum Inklusionsparadigma. Konsequenzen einer anderen Sicht auf Behinderung. In: Gemeinsam leben. Zeitschrift für integrative Erziehung. 16. Jg., Heft 4, 195-202

Degener, Theresia (2003): „Behinderung neu denken“. Disability Studies als wissenschaftliche Disziplin in Deutschland. In: Hermes, Gisela; Köbsell, Swantje (Hg.), Disability Studies in Deutschland – Behinderung neu denken! Dokumentation der Sommeruni 2003. Kassel, 23 – 26

Enders-Dragässer, Uta/Sellach, Brigitte: Weibliche Lebenslagen und Armut am Beispiel von allein erziehenden Frauen. In: Hammer, Veronika; Lutz, Ronald (Hrsg.), Weibliche Lebenslagen und soziale Benachteiligung. Theoretische Ansätze und empirische Beispiele. Frankfurt 2002, 18-44

Faber, Brigitte; Puschke, Martina (Hg.) (2007): 25 Jahre Bewegung behinderte Frauen. Erfahrungen, Anekdoten und Blitzlichter, Kassel

Hinz, Andreas (2008): Inklusive Pädagogik und Disability Studies – Gemeinsamkeiten und Spannungsfelder. Überlegungen in neun Thesen. Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung im Zentrum für Disability Studies der Universität Hamburg im Sommersemester 2008 (http://www.zedis.uni-hamburg.de/wp-content/uploads/2008/05/hinz_thesen_inkled_disabstud.pdf, Zugriff am 29.1.2011)

Kağıtçıbaşı, Cigdem (2005): Autonomy and Relatedness in Cultural Context: Implications for Self and Family. In: Journal of Cross-Cultural Psychology, Vol. 36, 403-422

Keil, Annelie (2011): Biografie und Krankheit, München: Kösel (im Druck)

Kösell, Swantje (2010): Gendering Disability: Behinderung, Geschlecht und Körper. In: Eske Wollrad / Jutta Jacob / Swantje Köbsell (Hg.): Gendering Disability. Intersektionale Aspekte von Behinderung und Geschlecht. Bielefeld: transcript, 17-34

Mielke, Andrea; Hauch Andreas (2004): Ein Hauch von Gefühl. Weiblich Behindert Sinnlich, Salzburg

Puschke, Martina (2010): Gelebte und behinderte Sexualität. Aktuelle Diskussionen und Projekte aus Sicht von Frauen mit Behinderung. In: Forum Sexualaufklärung und Familienplanung, BZgA, H.1, 19-23

Shildrick, Margrit (2009): Dangerous Discourses: Subjectivity, Sexuality and Disability: Palgrave Macmillan

Villa, Paula-Irene (Hg.) (2008): schön normal. Manipulationen am Körper als Technologien des Selbst. Bielefeld: transcript

Waldschmidt, Anne (2003): „Behinderung“ neu denken: Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Disability Studies. In: Waldschmidt, Anne (Hg.): Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Disability Studies. Tagungsdokumentation. Kassel, 11 s-22

Waldschmidt, Anne (2010): Das Mädchen Ashley oder: Intersektionen von Behinderung, Normalität und Geschlecht. In: Eske Wollrad, Jutta Jacob, Swantje Köbsell (Hg.): Gendering Disability. Intersektionale Aspekte von Behinderung und Geschlecht. Bielefeld: transcript, 35-60

Walgenbach, Katharina (2007): Gender als interdependente Kategorie. In: Katharina Walgenbach, Gabriele Dietze, Antje Hornscheidt, Kerstin Palm (Hg.): Gender als interdependente Kategorie. Neue Perspektiven auf Intersektionalität, Diversität und Heterogenität. Opladen: Budrich, 23-64

Wolff, Mechthild (2005): Sexueller Missbrauch durch Professionelle in Institutionen. In: Beck, Christoph, Th. / Krause, Dieter (Hg.): Sexueller Missbrauch. Lengerich, Berlin, Bremen, u.a., 50-63

Wollrad, Eske; Jacob, Jutta; Köbsell, Swantje (Hg.) (2010): Gendering Disability. Intersektionale Aspekte von Behinderung und Geschlecht. Bielefeld: transcript

[1] Demgegenüber bringt Kağıtçıbaşı (2005) durch ihre Studien zu Autonomie und Verbundenheit im kulturellen Kontext neue Perspektiven in diese Debatte, die sie am Beispiel von Familienformationen führt. Sie sieht neben einem Familienmodell der Abhängigkeit (dependency), das für ländlich-bäuerliche Subsistenzgesellschaften typisch ist und dem Modell der Unabhängigkeit (independency), das v.a. im Globalen Norden vorherrschend ist, ein zukünftiges Familienmodell, das eine nicht-westliche Modernität impliziert, nämlich eine Verbindung von materieller Unabhängigkeit und emotionaler Verbundenheit (interdependency), das die beiden menschlichen Bedürfnisse von Autonomie und Bindung in ein neues Verhältnis setzt. Dies könnte auch eine anregende Perspektive für inklusive Gesellschaften sein.