Frank J. Müller: Verteilung von Armut im Primarbereich in Berlin

Abstract: Ausgehend von Daten der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung soll die derzeitige Situation an Schulen im Primarbereich dargestellt werden. Der Beitrag bildet die regionalen Unterschiede dabei ebenso ab wie die zwischen den Schulformen. Neben der Befreiung von der Zuzahlung für Lernmittel, die hier als Armutsindikator Verwendung findet, werden die Interdependenzen zu den Kategorien nichtdeutsche Herkunftssprache und sonderpädagogischer Förderbedarf aufgezeigt. Darüber hinaus werden die Ergebnisse von anderen Daten aus dem Sozialstrukturatlas und dem Einschulungsbericht gegenübergestellt. Ausgehend von unterschiedlichen Verteilungen zwischen den Schulen werden auch die Schwierigkeiten angesprochen, die sich für eine Ressourcenverteilung über Pauschalzuweisungen ergeben.

Stichworte: Armut, Kapital, kultureller Hintergrund, Berlin, Schüler/-innen, Primarstufe

Ausgabe: 4/2010

Inhaltsverzeichnis
  1. Verständnis von Armut und kulturellem Hintergrund
  2. Bisher bekannte Daten aus Berlin
  3. Neue Daten
  4. Unterschiede an den Grundschulen zwischen aber auch innerhalb der Bezirke
  5. Sozialindex I als Indikator für Armut.
  6. Überschneidung der Kategorien Lernmittelzuzahlungsbefreiung, nichtdeutsche Herkunftssprache sowie sonderpädagogischer Förderbedarf
  7. Ergänzende Daten zur familiären Situation
  8. Fazit und weitergehende Fragen
  9. Literatur und Datenquellen

In der gegenwärtigen Diskussion um Inklusion ist eine Fokussierung auf die Dimension Behinderung zu beobachten (Hinz, Boban 2009). Daher ist es Aufgabe derer, die einen weiteren Begriff von Inklusion vertreten, sich auch den anderen Dimensionen von Vielfalt zu widmen und die Interdependenz der verschiedenen Dimensionen im Blick zu behalten.
Die folgende Analyse soll an Hand von Daten der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung zu „Lernmittelzuzahlungsbefreiung“, „nichtdeutscher Herkunftssprache“ und „sonderpädagogischem Förderbedarf“ darstellen, wie sich Armut in Berlin im Bereich der sechsjährigen Primarstufe verteilt. Die Beschränkung auf den Primarbereich erfolgt, da Berlin sich derzeit in einem Schulstrukturreformprozess befindet, der durch die Zusammenlegung der Haupt-, Real- und Gesamtschulen zu Sekundarschulen gekennzeichnet ist. Ein Vergleich der Oberschulen wird daher erst in einigen Jahren sinnvoll.
Neben der Darstellung der gegenwärtigen Armutsproblematik kann eine Gegenüberstellung mit den Dimensionen „kultureller Hintergrund“ und „sonderpädagogischem Förderbedarf“ vollzogen werden.

1. Verständnis von Armut und kulturellem Hintergrund

Anstatt Armut nur defizitär als die Abwesenheit von Geld zu betrachten und damit zwischen arm per Definition und nicht arm zu unterscheiden, bietet es sich an ein Kontinuum von Kapital zu berücksichtigen. Dies entspricht eher den Vorstellungen eines inklusiven Modells ohne klar abgegrenzte Gruppen. Außerdem bezieht dies neben der Analyse von Unterstützungsbedarfen auch die vorhandenen Ressourcen ein.
Ausgehend von einem umfassenderen Kapitalbegriff, wie ihn Bourdieu (1983) etabliert hat, würde sich eine fünfgeteilte Betrachtung des Kapitals anbieten. Im Sinne eines Dimensionenkonzepts entstehen nebeneinander fünf Dimensionen, auf denen sich Individuen zu einem bestimmten Zeitpunkt verorten können.
Zwischen den Positionen auf den Dimensionen bestehen hohe Korrelationen und die Kapitalformen lassen sich in andere transformieren. Gleichwohl ist eine unterschiedliche Positionierung auf den verschiedenen Dimensionen möglich (vgl. Abbildung 1).
So gibt es beispielsweise Eltern, die zwar ein hohes soziales und institutionalisiertes kulturelles Kapital aufweisen, aber über wenig ökonomisches Kapital verfügen. Beispielhaft angeführt sei eine Familie mit vier Kindern, deren Vater als Referendar an einer Grundschule arbeitet und deren Mutter auf Grund von Elternzeit nicht erwerbstätig ist. Ökonomische Armut bei Eltern ist dementsprechend nicht immer verbunden mit einer Abwesenheit von sozialem und kulturellem Kapital.

Abbildung 1 Unterschiedliche Positionierung auf den  unterschiedlichen Kapital-Dimensionen

Abbildung 1 Unterschiedliche Positionierung auf den unterschiedlichen Kapital-Dimensionen

Ähnlich gelagerte mehrdimensionale Ansätze von Tschümperlin und Nahnsen stellt Lindmeier (2004) vor, macht aber auch deutlich, dass diese selten in empirischen Untersuchungen zum Einsatz kommen. Sie verweist gleichzeitig auf eindimensionale Definitionen von Armut als gewichtetes Pro-Kopf-Einkommen von weniger als 50 % des Durchschnitts der Bevölkerung oder Hilfe zum Lebensunterhalt.
Festzuhalten bleibt, auch wenn eine differenzierte Betrachtung der Positionierung hinsichtlich der verschiedenen Kapitalsorten wichtig wäre, beschränkt sich die Diskussion häufig auf eine Definition von Armut als Mangel an ökonomischem Kapital.
Dies trifft auch auf die für diese Analyse vorliegenden Daten zu. Die Befreiung von der Zuzahlung für Lernmittel ist eine defizitär ausgerichtete Kategorie, die sich ausschließlich am Einkommen der Eltern orientiert. Wer Hilfe zum Lebensunterhalt, Arbeitslosengeld II, Wohngeld, BAföG-Leistungen oder Leistungen für Asylbewerber bezieht, muss keinen Eigenanteil für Lernmittel bezahlen (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport 2003).
Eine Berücksichtigung der anderen Kapital-Dimensionen kann daher auch in diesem Beitrag mangels verfügbarer Daten nicht geleistet werden.
Bei der Definition von Armut als Mangel an ökonomischem Kapital stellt sich zusätzlich auch die Frage nach der Position einer Armutsgrenze und der Gerechtigkeit einer solchen starren Grenze. Benötigen Eltern mit einem Einkommen, das einige Euro über der relevanten Grenze liegt, keine Unterstützung? Damit stellt sich auch hier die Frage von Grenzen des Normalitätsfeldes im Sinne der Normalismusdiskussion, wie sie auch im Zusammenhang mit sonderpädagogischem Förderbedarf geführt wurde (Lingenauber 2004).  Gleichwohl erscheint eine flexible Unterstützung und damit eine Aufhebung der Grenze hier einfacher als bei anderen Dimensionen.
Eine solche breiter angelegte Betrachtung von Vielfalt bietet sich auch im Hinblick auf den „kulturellen Hintergrund“ an. Bereits Auernheimer (1995, S.107) verweist auf das soziale Konstrukt, das Ethnizität darstellt. Er bezieht sich dabei auf Thernstrom (1980), der vierzehn Charakteristika vorschlägt, die in variierender Zusammenstellung für ethnische Gruppen relevant sein können:

Analog zu den Kapitalformen wäre für einige diese Charakteristika eine selbstvorgenommene Positionierung möglich, wobei diese auch innerhalb unterschiedlichen Situationen und zu unterschiedlichen Zeitpunkten wechseln kann.
Ebenso wie für die weiter angelegte Kapital-Definition liegen aber auch zum kulturellen Hintergrund nur sehr eingeschränkt Daten vor. So werden deutsche und nichtdeutsche Herkunftssprache als zwei Gruppen unterschieden, wobei nichtdeutsche Herkunftssprache als Abweichung von der Norm erfasst wird.
Im schulischen Kontext wird Armut und kultureller Hintergrund definiert über die Lebenssituation der Eltern. Zur Kritik dieses Ansatzes sei ebenfalls auf Lindmeier (2004 S.113) verwiesen, die deutlich macht, dass eine formale Unterversorgung der Eltern mit ökonomischem Kapital nicht zwangsläufig eine Unterversorgung des Kindes zur Folge haben muss, genauso wie es umgekehrt zu einer Unterversorgung von Kindern in finanziell gutgestellten Haushalten kommen kann.
Für die Analyse der gegenwärtigen Berliner Situation kann auf Daten der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung zurückgegriffen werden. Dabei stehen administrative Kategorien zur Verfügung: Befreiung von der Zuzahlung für Lernmittel, nichtdeutsche Herkunftssprache sowie sonderpädagogischer Förderbedarf.

2. Bisher bekannte Daten aus Berlin

Zu unterscheiden ist zwischen Untersuchungen die sich mit der Verteilung befassen und solchen die sich der Lebenssituation der Kinder widmen. Über letztere bieten die Beiträge von Miller (2008) und Lindmeier (2004) einen Überblick.
Bisher veröffentlichte Daten zum Thema Verteilung von Armut und kultureller Hintergrund liegen durch die Einschulungsuntersuchungen (Oberwöhrmann, Bettge 2008) und durch den Sozialstrukturatlas (Meinlschmidt 2009) vor. Beide Veröffentlichungen beziehen sich jedoch nicht auf die Ebene der Einzelschulen sondern auf das Modell der lebensweltlich orientierten Räume (LOR-Modell[1]) und aggregieren teilweise die Daten sogar auf Bezirksebene. Die folgende Analyse wird zeigen, inwieweit durch eine solche Aggregierung ein falsches Bild entstehen kann.
Im Sozialstrukturatlas wurden für die einzelnen Räume verschiedene Indizes berechnet. Interessant für die vorliegende Analyse sind dabei der Statusindex und der Sozialindex I.
Der Statusindex umfasst vor allem Schul- und Ausbildungsabschlüsse der Bevölkerung sowie den Anteil alleinerziehender Haushalte. Da diese Daten aus dem Mikrozensus entnommen wurden, liegen sie nicht auf Ebene der 447 Planungsräume vor sondern nur auf Bezirksebene.

Im Gegensatz dazu liefert der Sozialindex I die Angaben auf Bezirksebene und für die 441 Planungsräume. Der Sozialindex I umfasst auf Bezirksebene unter anderem:

Auch wenn diese Daten nicht alle auf der Planungsraumebene vorliegen, so wurde aus den vorliegenden Angaben ein Index auf Planungsraumebene berechnet, der bevölkerungsgewichtet mit den Daten auf Bezirksebene mit r=0,99 korreliert (Meinlschmidt 2009, S.271). Die 441 Planungsräume wurden gleichverteilt einer von sieben Schichten(Schicht 1: günstigste Schicht, Schicht 7: ungünstigste Schicht) zugeordnet, so dass jede Schicht 59 oder 60 Planungsräume umfasst.
Auch die Daten der Einschulungsuntersuchungen, in denen die Angaben zu den gesundheitlichen und sozialen Hintergründen der 24957 Erstklässler/-innen zusammengefasst sind, liegen nicht auf der Ebene der Einzelschulen oder der kleinteiligen Planungsräume vor, sondern sind auf der Ebene der Prognoseräume aggregiert. Dennoch sind die Einschulungsuntersuchungsdaten interessant, da sie mehr über Bildungshintergründe der Eltern und Familienzusammensetzungen in den Regionen verraten und damit ein breiteres Bild ermöglichen als die einseitige Fokussierung auf das ökonomische Kapital.

3. Neue Daten

Für diese Veröffentlichung wurden durch die Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung folgende Daten zum ökonomischen Kapital und zum kulturellen Hintergrund zur Verfügung gestellt:

Dadurch werden auch Aussagen zur Überschneidung zwischen Lernmittelbefreiung und nichtdeutscher Herkunftssprache möglich.
Darüber hinaus liegen aus der Statistik der Senatsverwaltung die Zahlen zur Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf getrennt nach Förderschwerpunkten vor. Bei diesen Daten handelt es sich um Angaben die jeweils auf der Schul- bzw. Klassenebene aggregiert sind. Individuelle Zuordnungen der Merkmale sind daher nicht möglich.
Seitens des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg (Abteilung Regionales Bezugssystem) wurden die GIS-Daten[3] für die Einzugsbereiche der Grundschulen des Schuljahres 2009/2010, die Grenzen der Prognose- und Planungsräume sowie Wald- und Wasserflächen bereitgestellt. Damit wurde es möglich die Daten zur Lernmittelzuzahlungsbefreiung, zu den Anteilen nichtdeutscher Herkunftssprache sowie zum sonderpädagogischen Förderbedarf auf die gesamte Stadt abzubilden.

3.1 Lernmittelzuzahlungsbefreiung an verschiedenen Schulformen

Die Bereitstellung der Daten zur Lernmittelzuzahlungsbefreiung durch die Senatsverwaltung ermöglicht eine Gegenüberstellung der Berliner Grundschulen mit den Sonderschulen (Lernen, Geistige Entwicklung) und den grundständigen Gymnasien. Gleichzeitig können die Anteile zwischen Schulen in öffentlicher und privater Trägerschaft verglichen werden.
Berlinweit stammen 36% (n=58.819)  der Kinder in der Primarstufe aus Haushalten die von der Zuzahlung befreit sind.
An den Berliner Grundschulen liegt der Anteil der zuzahlungsbefreiten Kinder bei 38%. Die Hälfte der Schulen weist einen Anteil von 35% und mehr auf. Bei einem Viertel der Schulen liegt der Anteil sogar bei 53% und mehr. An zehn Grundschulen stammen mehr als 90% der Kinder aus zuzahlungsbefreiten Haushalten.
Hier gibt es also zwischen den Grundschulen extreme Unterschiede, die in ihrer regionalen Verteilung im Folgenden noch beleuchtet werden.

3.1.1 Unterschiede zwischen Grundschulen und Sonderschulen

Während an den Grundschulen in öffentlicher Trägerschaft der Anteil der zuzahlungsbefreiten Kinder also bei 38% liegt, ist er an den Sonderschulen mit Förderschwerpunkt Lernen mit 78% mehr als doppelt so hoch. Nur an 2 der 38 Sonderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen liegt der Anteil unter 50%.
Auch an den Sonderschulen mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung liegt er mit 64% sehr hoch. Ebenso findet sich an den Sonderschulen mit den übrigen Förderschwerpunkten mit 59% ein deutlich höherer Wert als an den Grundschulen.
Damit bestätigt sich erneut der Zusammenhang zwischen ökonomischer Armut und sonderpädagogischem Förderbedarf (insbesondere beim Förderschwerpunkt "Lernen").

Abbildung 2 Unterschiedliche  Anteile an Schüler/-innen mit Lernmittelzuzahlungsbefreiung an den Schulformen  (in Prozent)

Abbildung 2 Unterschiedliche Anteile an Schüler/-innen mit Lernmittelzuzahlungsbefreiung an den Schulformen (in Prozent)

3.1.2 Unterschiede private vs. öffentliche Trägerschaft

Auch zwischen den Grundschulen in öffentlicher und privater Trägerschaft bestehen gravierende Unterschiede. So beträgt der Anteil der zuzahlungsbefreiten Schüler/-innen an Schulen in privater Trägerschaft nur 9%. An der Hälfte der privaten Grundschulen sind nur 3% der Kinder oder weniger von der Zuzahlung befreit. Die privaten Grundschulen beteiligen sich also nur in sehr geringem Umfang an der Bildung und Erziehung von Kindern aus Armutsverhältnissen.

3.1.3 Unterschiede Grundschule 5-6 vs. grundständige Gymnasien

Die Berliner Grundschule ist als Regelangebot für die Jahrgänge 1-6 konzipiert. Zusätzlich gibt es jedoch sowohl öffentliche als auch private grundständige Gymnasien, die ab Klassenstufe 5 beginnen.
Dabei handelt es sich es sich häufig um Schulen mit einer altsprachlichen Ausrichtung oder einem anderen besonderen Profil. Eltern, die unzufrieden mit dem Angebot der Grundschule sind, sehen in einem Wechsel auf ein grundständiges Gymnasium eine Möglichkeit dieser Unzufriedenheit zu entfliehen. Inwieweit das Gymnasium den Erwartungen dann gerecht wird, bleibt offen.
Aus den Daten der Senatsverwaltung wird deutlich, dass Eltern, die von der Zuzahlung für Lernmittel befreit sind, deutlich seltener von einem Wechsel Gebrauch machen. Dabei kann nicht festgestellt werden, ob sie einen Schulwechsel anstreben und ihnen dieser ggf. verwehrt wird oder nicht.
Insgesamt haben also sowohl die öffentlichen als auch die privaten grundständigen Gymnasien in ihren 5. und 6. Klassen mit 9% einen deutlich niedrigeren Anteil an Kindern, deren Eltern von der Zuzahlung befreit sind, als die öffentlichen Grundschulen (38% in den Jahrgängen 5 und 6).
Auch für die grundständigen Gymnasien gilt also, dass sie sich nur in sehr geringem Umfang der Armutsproblematik annehmen.

4. Unterschiede an den Grundschulen zwischen aber auch innerhalb der Bezirke

Mit der Bezirksreform 2001 wurde die Zahl der Berliner Bezirke von 23 auf 12 reduziert. Dabei wurden auch sehr unterschiedliche Bezirke wie Friedrichshain und Kreuzberg sowie Tiergarten, Wedding und Mitte zusammengelegt. Für die vorliegende Analyse erscheint es sinnvoll, die Bezirke getrennt zu betrachten, da sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede nur so analysieren lassen.
Die folgende Boxplot-Grafik gibt einen Überblick über die Unterschiede hinsichtlich der Lernmittelzuzahlungsbefreiung zwischen den Bezirken aber auch innerhalb der Bezirke. Der dicke Strich in der Mitte der Box kennzeichnet dabei den Median, 50% aller Schulen in dem Bezirk liegen mit ihren Anteilen an zuzahlungsbefreiten Kindern unterhalb bzw. oberhalb des Medians. Das untere Ende des grünen Balkens markiert 25% aller Schulen, das obere 75%. Die darüber und darunter liegenden Werte werden mit dem Strich dargestellt. Werte die extrem von den übrigen abweichen werden durch Kreise bzw. Sternchen hervorgehoben.
Aus der Grafik lässt sich ablesen, dass insgesamt sieben Bezirke keine einzige Schule mit mehr als 50% zuzahlungsbefreiten Kindern aufweisen. Dabei handelt es sich neben Prenzlauer Berg um die Außenbezirke Zehlendorf, Weißensee, Pankow, Wilmersdorf, Treptow und Köpenick.
Die höchsten Anteile von Kindern in Armutslagen finden sich an Schulen in den westlichen Innenstadtbezirken Tiergarten, Neukölln, Kreuzberg und Wedding. Aber auch in Marzahn, Hellersdorf, Hohenschönhausen und Lichtenberg sind an mehr als der Hälfte der Schulen über 40% der Kinder von der Zuzahlung befreit.

Abbildung 3 Boxplot der Anteil an Schüler/-innen mit  Lernmittelzuzahlungsbefreiung an den Grundschulen in den verschiedenen Bezirken

Abbildung 3 Boxplot der Anteil an Schüler/-innen mit Lernmittelzuzahlungsbefreiung an den Grundschulen in den verschiedenen Bezirken

Gleichzeitig wird deutlich, dass es sehr homogene Bezirke gibt wie Zehlendorf oder Wedding, aber auch Bezirke wie Reinickendorf, Spandau und Kreuzberg, deren Schulen sehr unterschiedliche Anteile an zuzahlungsbefreiten Kindern aufweisen.
Die folgende Karte zeigt die Anteile an Lernmittelbefreiung nach Grundschuleinzugsgebieten. Auch hier wird die Konzentration hoher Anteile in den West-Innenstadtbezirken offensichtlich. Auch die Zweiteilung Neukölln(4) in Innenstadtlagen mit hohen Anteilen und weniger von Armut betroffene Einzugsgebiete am Stadtrand wird sichtbar. Hier bildet sich also eine stark unterschiedliche Sozialstruktur des Bezirks ab. Solche Unterschiede lassen sich an Hand der Einschulungsuntersuchungsdaten auch in den verschiedenen Teilen Kreuzbergs(3) feststellen.
Dennoch gibt es beispielsweise innerhalb von Kreuzberg-Süd und Ost auch Unterschiede zwischen den Schulen mit vergleichbaren Umfeldern. Bei diesen Schulen handelt es sich um Schulen, die auf Grund ihres pädagogischen Profils (Integration, jahrgangsübergreifendes Lernen, offener Unterricht) einen guten Ruf in der Elternschaft genießen. Aus Elternbefragungen ist bekannt (Müller 2006), dass sich an den Schulen besonders viele Eltern bewusst für diese Schule entschieden haben. Dies gilt insbesondere für Eltern mit einem hohen Bildungsgrad aus integrationsnahen Milieus (Sasse 2004 S.85).

Abbildung 4  Anteile an Schüler/-innen mit Lernmittelzuzahlungsbefreiung auf die  Grundschuleinzugsgebiete projiziert

Abbildung 4 Anteile an Schüler/-innen mit Lernmittelzuzahlungsbefreiung auf die Grundschuleinzugsgebiete projiziert

In einzelnen anderen Bezirken wie Spandau(5), Reinickendorf(6), Marzahn (7) sowie Hellersdorf(8) fallen einzelne Schulen durch deutlich höhere Anteile zuzahlungsbefreiter Kinder auf während andere Schulen fast gar nicht von der Armutsproblematik betroffen sind.

5. Sozialindex I als Indikator für Armut

Im folgenden Abschnitt soll der Frage nachgegangen werden, ob und inwieweit der Sozialindex I aus dem Berliner Sozialstrukturatlas ein Instrument darstellen kann, das eine etikettierungsfreie Erfassung von Armutslagen an Berliner Grundschulen ermöglicht.
Die folgende Grafik bildet die sieben Schichten des Sozialindex I auf die 441 Planungsräume ab. Darüber wurden die Grenzen der Schuleinzugsbereiche eingezeichnet. Überblickshaft ergibt sich ein ähnliches Bild wie bei der Karte der Zuzahlungsbefreiungsanteile. Die westlichen Innenstadtbezirke Wedding(1), Tiergarten(2), Kreuzberg(3) und Neukölln(4) sind besonders von Armut betroffen, wobei es in Kreuzberg und Neukölln jeweils ein Nord-Süd-Gefälle gibt. Ebenso sind die Armutsbereiche in Spandau(5), Reinickendorf(6), Marzahn-Nord(7) und Hellersdorf-Nord(8) erkennbar.

 Abbildung 5  Sozialindex I Schichten der Planungsräume mit den Schuleinzugsgebietsgrenzen

Abbildung 5 Sozialindex I Schichten der Planungsräume mit den Schuleinzugsgebietsgrenzen

An Hand der Daten des Sozialstrukturatlas sind also einzelne Armutsregionen identifizierbar. Sie zeigen deutlich Belastungen der verschiedenen Regionen.

Neben den 7 Schichten liegen auch die direkten Werte für den Sozialindex I für die 441 Planungsräume vor. Ausgehend von den Anteilen der Planungsräume an den Einzugsgebieten lässt sich für jede Grundschule ein Wert für den Sozialindex I bestimmen[4]. Dieser korreliert hochsignifikant, sehr stark negativ (r=-.829) mit dem Anteil der zuzahlungsbefreiten Kinder. Eine Vorhersage von Lernmittelzuzahlungsanteilen nur ausgehend von diesen „Sozialindex I“-Werten führt jedoch bei 19 Schulen zu einer Überschätzung des Anteils um 20 Prozent und mehr. Gravierender ist jedoch die Unterschätzung des Anteils an 26 Schulen um 20 Prozent und mehr.
Diese deutlichen Unterschiede zwischen Schulen mit ähnlichen Sozialindexwerten lassen sich beispielsweise in Kreuzberg-Nord und -Ost beobachten. Dort weist der Sozialstrukturatlas für die Region Schicht 6 bzw. Schicht 7 des Sozialindex I aus (siehe Abbildung 6). Die Anteile der lernmittelbefreiten Kinder an den Grundschulen variieren aber deutlich von 47% bis 95% (siehe Abbildung 7).

Abbildung  6  Sozialindex I Schicht in Kreuzberg Ost/Nord

Abbildung 6 Sozialindex I Schicht in Kreuzberg Ost/Nord    

Abbildung  7  Anteile an Schüler/-innen mit Lernmittelzuzahlungsbefreiung

Abbildung 7 Anteile an Schüler/-innen mit Lernmittelzuzahlungsbefreiung mit den Grenzen der Grundschuleinzugsgebiete auf die Grundschuleinzugsgebiete in Kreuzberg Ost/Nord projiziert

Diese Unterschiede machen deutlich, dass der Sozialindex I auf Planungsraumebene zumindest nicht berlinweit als Indikator für Armutsprobleme an Grundschulen geeignet ist. Das Raster der Planungsräume ist zu groß und die  Konzentration einzelner Elterngruppen durch bewusste Entscheidungen für Schulen mit einem guten Ruf kann nicht ausreichend berücksichtigt werden. Dies spielt insbesondere in Innenstadtbezirken mit vielen Schulen eine größere Rolle als in den bevölkerungsärmeren Außenbezirken mit wenigen Schulwahlmöglichkeiten.
Inwieweit der Sozialindex als Indikator für die Anteile von Kindern mit den Förderbedarfen „Lernen“, „Emotionale-soziale Entwicklung“ und „Sprache“ innerhalb eines Einzugsgebietes geeignet ist kann mit den derzeit vorliegenden Daten nicht bestimmt werden. Dies liegt vor allem daran, dass nicht bekannt ist wie viele Kinder aus dem Einzugsgebiet einer Grundschule auf Sonderschulen überwiesen wurden.

6. Überschneidung der Kategorien Lernmittelzuzahlungsbefreiung, nichtdeutsche Herkunftssprache sowie sonderpädagogischer Förderbedarf

Analog zur Darstellung der Lernmittelzuzahlungsbefreiung zeigt die folgende Grafik die Anteile der Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache nach Grundschulen. Auch hier gibt es starke Unterschiede zwischen den Bezirken aber auch innerhalb der Bezirke. Analog zu den Befunden für die Lernmittelzuzahlungsbefreiung sind auch hier die höchsten Anteile in Wedding(1), Tiergarten(2), Kreuzberg(3) und Neukölln(4) zu finden. Insgesamt wird hier aber auch das historisch bedingte starke Gefälle zwischen dem ehemaligen Ostteil (17% aller Schüler/-innen) und Westteil (46% aller Schüler/-innen) der Stadt sichtbar.

Abbildung 8  Anteile Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache auf die Grundschuleinzugsgebiete  projiziert

Abbildung 8 Anteile Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache auf die Grundschuleinzugsgebiete projiziert

Der Anteil der lernmittelbefreiten Kinder an den Grundschulen liegt bei den Kindern nichtdeutscher Herkunftssprache bei 63% und damit deutlich über dem Anteil von 20% bei den Kindern mit Deutsch als Herkunftssprache.
Dabei gilt je höher der Anteil an Kindern nichtdeutscher Herkunftssprache umso höher ist auch der Anteil der lernmittelzuzahlungsbefreiten Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache (stark signifikante Korrelation r=.588).

Abbildung 9 Streudiagramm Anteil Lernmittelbefreiung vs Anteil nichtdeutsche Herkunftssprache im ehemaligen West- und Ostteil der Stadt

Abbildung 9 Streudiagramm Anteil Lernmittelbefreiung vs Anteil nichtdeutsche Herkunftssprache im ehemaligen West- und Ostteil der Stadt

Das ähnliche Verteilungsmuster von Zuzahlungsbefreiung und Anteil an Kindern nichtdeutscher Herkunftssprache welches bereits beim Vergleich der Karten auffällt, bestätigt sich bei einer Korrelationsanalyse. Mit einem hochsignifikanten Ergebnis mit r=.820 kann man von einer sehr starken Korrelation sprechen. Gebiete, in denen viele Kinder von ökonomischer Armut betroffen sind, weisen also auch hohe Anteile an Kindern nichtdeutscher Herkunftssprache aus.
Im Gegenzug haben viele Schulen, die nicht von Armutsproblemen betroffen sind, auch geringere Anteile an Kindern nichtdeutscher Herkunftssprache.
Das Streudiagramm weist bereits darauf hin, dass sich dieser Effekt bei einer ausschließlichen Betrachtung der Schulen im ehemaligen Westteil noch stärker zeigen dürfte. Tatsächlich liegt diese Korrelation bei r=.896 und ist damit noch stärker.
Im Zusammenhang mit der Finanzierbarkeit vollständigen Gemeinsamen Unterrichts wurden mehrfach Verteilungsmodelle mit Pauschalzuweisungen an die Schulen diskutiert. Meist wurden dafür die Förderschwerpunkte „Lernen“, „Emotionale-soziale Entwicklung“ und „Sprache“ gemeinsam und von den übrigen getrennt betrachtet (Klemm, Preuss-Lausitz 2008 S.76ff). Auch für Berlin wurden solche Berechnungen angestellt. Diese gehen von den Schüler/-innenzahlen und der Personalsituation an den Sonderschulen aus und zeigen, dass ein solches Vorgehen rechnerisch aufgehen würde(Preuss-Lausitz, Müller 2009). Dabei wurde jedoch von einer relativ ähnlichen Verteilung an den Schulen ausgegangen.
Die doch recht unterschiedliche Situation an den Schulen im Hinblick auf Armut und Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache wurde zum Anlass genommen, auch die Anteile der Kinder mit Förderbedarfen „Lernen“, „Emotionale-soziale Entwicklung“ und „Sprache“ an der Gesamtzahl der Grundschüler/-innen darzustellen und auf Unterschiede zwischen den Schulen zu untersuchen. Der Berliner Durchschnitt für die Klassenstufen 3-6 an Grundschulen liegt bei 4,5%. Die Schulanfangsphase(SAPh) wurde nicht mitgezählt, da in diesen ersten beiden Schuljahren keine Feststellungsverfahren für diese Förderschwerpunkte durchgeführt werden sollten.
In die Berechnung konnte nicht die Zahl der Schüler/-innen einbezogen werden, die bereits Sonderschulen besuchen, da es keine Möglichkeit der Zuordnung zur ursprünglichen Grundschule bzw. zum Wohnumfeld gibt.
Dass es in Hinblick auf die Berliner Bezirke insgesamt deutliche Unterschiede bezogen auf die Integrations- und Etikettierungsquoten[5] gibt, ist auch aus früheren Berechnungen bekannt. Dabei wurden insbesondere ein Ost-Westgefälle hinsichtlich der Etikettierungsquote und ein West-Ost-Gefälle bezogen auf die Integrationsquote festgestellt (Müller 2005).
Für die folgende Darstellung wurden daher nur die Anteile der Kinder mit Förderbedarf „Lernen“, „Emotionale-soziale Entwicklung“ und „Sprache“ an der Grundschule verwendet. In der Grafik wurden die Einzugsgebiete der Grundschulen die unter dem Berliner Durchschnitt liegen, dunkelgrün gefärbt. Einfärbungen in lila deuten auf Werte über dem Berliner Durchschnitt hin.


Abbildung 10  Anteile mit Förderbedarf „Lernen“, „Emotionale-soziale Entwicklung“ und  „Sprache“ auf die Grundschuleinzugsgebiete projiziert

Abbildung 10 Anteile mit Förderbedarf „Lernen“, „Emotionale-soziale Entwicklung“ und „Sprache“ auf die Grundschuleinzugsgebiete projiziert

Insgesamt ergibt sich ein heterogeneres Bild als bei den Anteilen nichtdeutscher Herkunftssprache und der Befreiung von der Lernmittelzuzahlung. Dennoch können auch hier überdurchschnittliche Anteile vor allem in den West-Innenstadtbezirken ausgemacht werden. Insgesamt dominieren bei den Schulen mit sehr hohen Anteilen(≥9,0%) die Schulen aus dem ehemaligen Westteil Berlins (34 von 43 Schulen).
Zwischen den Anteilen an Kindern mit Förderbedarf „Lernen“, „Emotionale-soziale Entwicklung“ und „Sprache“ und dem Anteil der lernmittelzuzahlungsbefreiten Kinder besteht ebenfalls eine signifikante mittlere Korrelation (r=.451).

7. Ergänzende Daten zur familiären Situation

Die Daten der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung lassen also Aussagen zu über die Verteilung von ökonomischer Armut, nichtdeutscher Herkunftssprache sowie sonderpädagogischen Förderbedarf. Sie zeichnen ein Bild, das vor allem die Herausforderungen aufzeigt, vor denen die Schulen in den westlichen Innenstadtbezirken stehen: wenig ökonomisches Kapital in Kombination mit hohen Anteilen an Kindern nichtdeutscher Herkunftssprache und sonderpädagogischem Förderbedarf.
Sie geben jedoch keine Auskunft über das soziale oder kulturelle Kapital oder über die Verteilung von ökonomischem Kapital. Welche Ressourcen stehen Familien zur Verfügung um ihre Kinder beim Lernen zu unterstützen? Auf welche Ressourcen können Schulen zurückgreifen um sich Unterstützung zu organisieren? Welche anderen Herausforderungen stellen sich den Schulen?

Abbildung 11 Anteil alleinerziehender      Mütter nach den Einschulungsuntersuchungsdaten

Abbildung 11 Anteil alleinerziehender Mütter nach den Einschulungsuntersuchungsdaten

Die Einschulungsberichtsdaten geben darüber hinaus Einblick in die familiäre Situation der Kinder, die auf Schulebene nicht verfügbar sind. So können beispielsweise die Angaben zum Anteil alleinerziehender Mütter auf die Prognoseräume abgebildet werden.
Dabei wird deutlich, dass anders als bei den vorherigen Verteilungen die westlichen Innenstadtbezirke fast gar nicht betroffen sind und sich die höchsten Anteile vor allem in den ärmeren Ostbezirken Marzahn, Hohenschönhausen, Lichtenberg und Hellersdorf wiederfinden. Dort gibt es Schulen deren Schüler/-innen zur Hälfte bei der alleinerziehenden Mutter leben.
Abbildung 12 Index für      Bildungsabschlüsse und Berufstätigkeit nach Einschulungsuntersuchungsdaten

Abbildung 12 Index für Bildungsabschlüsse und Berufstätigkeit nach Einschulungsuntersuchungsdaten

Auch zum Bildungsniveau und Beschäftigungsstatus der Eltern haben Oberwöhrmann und Bettge (2008) mit ihrem Schichtmodell Daten auf Prognoseraumebene zur Verfügung gestellt. Dort werden die Angaben der Eltern zu ihrem Bildungsabschluss und zu ihrem Beschäftigungsstatus, die bei der Einschulungsuntersuchung erhoben wurden, jeweils mit Punkten codiert, der Bildungsabschluss doppelt gewichtet und addiert. Die nebenstehende Grafik bildet jeweils die Mediane der Prognoseräume ab. Hier spiegelt sich ebenfalls die schwierige Situation der westlichen Innenstadtregionen wieder. Aber auch Lichtenberg, Hohenschönhausen, sowie die nördlichen Teile von Marzahn und Hellersdorf haben geringere Punktzahlen. Die Darstellung der Mediane macht jedoch die unterschiedlichen Verteilungen innerhalb der Prognoseräume am unteren/oberen Ende nicht deutlich.

8. Fazit und weitergehende Fragen

Wie gezeigt weist Berlin hinsichtlich der Verteilung von ökonomischem Kapital, unterschiedliche kultureller Hintergründe aber auch an sozialem und institutionalisiertem kulturellem Kapital große Unterschiede auf. Diese existieren sowohl zwischen den Verwaltungseinheiten als auch innerhalb dieser.
Im Hinblick auf Armut und nichtdeutscher Herkunftssprache zeigt sich eine extrem starke Korrelation vor allem im ehemaligen Westteil der Stadt. Die in großem Umfang von Armut betroffenen westlichen Innenstadtbezirke Wedding, Tiergarten, Kreuzberg und Neukölln sind also doppelt gefordert, da sie gleichzeitig auch sehr hohe Anteile an Kindern nichtdeutscher Herkunft haben. Auch wenn die Innenstadtbezirke durch diese Konzentration oft in den Fokus rücken gibt es auch in anderen Bezirken einzelne Schulen die verstärkt betroffen sind. Auch bei den Schulen mit hohen Anteilen an Armut und Kindern nichtdeutscher Herkunftssprache gibt es einige, die eine Mischung aufweisen sodass noch von einer Heterogenität gesprochen werden kann. An anderen Schulen fehlen Kinder, die nicht aus Armutsverhältnissen kommen und die Deutsch als Familiensprache haben, fast völlig.
Bisher nicht zu beantworten ist, inwieweit in den Einzugsbereichen dieser Schulen schlichtweg keine Kinder aus ökonomisch besser gestellten Familien wohnen oder ob diese nur an andere Schulen außerhalb ihres Einzugsgebietes abwandern bzw. Schulen in privater Trägerschaft besuchen. Solche Daten könnten beispielsweise über die Einschulungsuntersuchungen erfasst werden, durch eine Zuordnung zum Einzugsgebiet der Grundschule.
Wenn innerhalb des Einzugsbereichs Kinder aus ökonomisch besser gestellten Haushalten und solchen mit Deutsch als Familiensprache wohnen und diese auf andere Schule ausweichen, dann ist die Frage wie man die Schule im Einzugsbereich so attraktiv gestalten kann, das tatsächlich wieder eine Vielfalt an der Schule vorzufinden ist.
Wenn jedoch innerhalb des Einzugsbereichs keine Kinder aus solchen Haushalten mehr anzutreffen sind, dann ist es vielmehr eine Frage der Stadtentwicklung, wie solche Gebiete attraktiv für Familien mit Kindern gestaltet werden können und wie in Zusammenarbeit mit den Schulen es zu einer Mischung kommen kann, die für ein gemeinsames Lernen erforderlich ist.
Eine Problematik, die sich an Schulen mit heterogener Elternschaft besonders stellt, ist die Frage wie innerschulisch damit umgegangen wird. So gibt es Ansätze wie die „Deutsch-Garantie-Klasse“ an einer Weddinger Grundschule (Gustav-Falke-Grundschule 2010), die letztlich zu einer innerschulischen Separation führen. Auch an anderen Schulen lassen sich soziale Entmischungen innerhalb einer Jahrgangsstufe feststellen. An einer Pankower Grundschule gehen diese auf Elternwünsche nach offenen Unterrichtsformen zurück. Da jene stärker von bildungsorientierten Eltern nachgefragt wurde, sind deren Kinder in den entsprechenden Klassen eingeschult worden. Die verbleibenden Kinder besuchen die c-Klasse in der kein Wochenplanunterricht stattfindet. Unter ihnen gibt es deutlich höhere Anteile an Kindern aus zuzahlungsbefreiten Haushalten.
Insgesamt bestehen Herausforderungen auf unterschiedlichen Ebenen. Zu allererst die direkte Schulentwicklung, die nötig ist um die Perspektiven von Kindern und Eltern mit unterschiedlichem Kapital (auf allen Dimensionen) zu berücksichtigen. Wer benötigt welche Unterstützungsangebote, wer kann welche Ressourcen bereitstellen um Solidarität innerhalb der Schule zu ermöglichen. Was kann die Schulgemeinschaft gegebenenfalls auch über die eigene Versorgung hinaus für andere tun?
Weitere Anregungen für den Umgang mit Armut durch die Schule können die  Beiträge von Miller (2008 S.48) und Lindmeier (2004 S.120ff) geben.
Aber auch auf bildungspolitischer und verwaltungstechnischer Ebene ergeben sich neue Fragen und Aufgaben aus der unterschiedlichen Verteilung von sozialem, kulturellem und ökonomischem Kapital an den Berliner Schulen:

Antworten auf diese Fragen zu finden wird ein wichtiger Schritt sein, um eine weitere Verschärfung sozialer Ungleichheit und Entmischung zu vermeiden und ein Miteinander zu ermöglichen.

9. Literatur und Datenquellen

Auernheimer, Georg (1995): Einführung in die interkulturelle Erziehung. Darmstadt: Wiss. Buchges.

Bourdieu, Pierre (1983):Ökonomisches Kapital – Kulturelles Kapital – Soziales Kapital. IN: Kreckel, Reinhard (Hrsg.): Soziale Ungleichheiten, Göttingen S.183-198

Boban, Ines & Hinz, Andreas (2009): Inklusive Pädagogik zwischen allgemeinpädagogischer Verortung und sonderpädagogischer Vereinnahmung – Anmerkungen zur internationalen und zur deutschen Debatte. In: Börner, Simone, Glink, Andrea, Jäpelt, Birgit, Sanders, Dietke & Sasse, Ada (Hrsg.): Integration im vierten Jahrzehnt. Bilanz und Perspektiven. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 220-228

Gustav-Falke-Grundschule (2010):URL http://www.gustav-falke-g.cidsnet.de/nawi2010/nawi2011.html

Klemm, Klaus; Preuss-Lausitz, Ulf (2008): Gutachten zum Stand und zu den Perspektiven der sonderpädagogischen Förderung in den Schulen der Stadtgemeinde Bremen. URL: http://www.bildung.bremen.de/fastmedia/13/Bremen%20Wv%20End%201-11%20End.pdf

Lindmeier, Bettina (2004): Kinder in Unterversorgungslagen: Wie kann Schule zu einer Ressource werden? In: Schnell, Irmtraud/Sander, Alfred (Hrsg.): Inklusive Pädagogik. Bad Heilbrunn/Obb., S. 111-124

Lingenauber, Sabine (2004): Lernbehinderung und Behinderung als Kategorien des integra­tionspädagogischen Diskurses. In: Schnell, Irmtraud/Sander, Alfred (Hrsg.): Inklusive Pädagogik. Bad Heilbrunn/Obb., S. 125-132

Meinlschmidt, Gerhard (2009): Sozialstrukturatlas Berlin 2008 - Ein Instrument der quantitativen, interregionalen und intertemporalen Sozialraumanalyse und -planung URL: http://www.berlin.de/imperia/md/content/sen-statistik-gessoz/gesundheit/ssa08_netz.pdf?download.html

Miller, Susanne (2008): Kinder in Armut – reichen allgemeine pädagogische Überlegungen zum Umgang mit Heterogenität aus In: Kiper, Hanna; Miller, Susanne; Palentien, Christian; Rohlfs, Carsten:  Lernarrangements für heterogene Gruppen: Lernprozesse professionell gestalten. Klinkhardt; Auflage: 1., Aufl. S.43-65

Müller, Frank J. (2005): Zahlen zum Staunen aus Berlin URL: http://www.xn--frank-mller-zhb.net/zahlen-zum-staunen-aus-berlin/

Müller, Frank J. (2006): Einstellungen von Eltern zum gemeinsamen Unterricht von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Förderschwerpunkt "Geistige Entwicklung". Shaker

Oberwöhrmann, Sylke; Bettge, Susanne (2008): Grundauswertung der Einschulungsdaten 2006 zur gesundheitlichen und sozialen Lage von Kindern in Berlin. URL: http://www.berlin.de/imperia/md/content/sen-statistik-gessoz/gesundheit/spezialberichte/esu08_netz.pdf

Preuss-Lausitz, Ulf; Müller, Frank J.  (2009): Ressourcen für den Gemeinsamen Unterricht. Ein Modellvorschlag zur kostenneutralen Umsetzung gemeinsamer Unterrichtung und Erziehung im ganzen Land Berlin. URL: http://www.akgem-berlin.org/index.php?menuid=26&reporeid=30

Sasse, Ada (2004): „Integrationsferne" und „integrationsnahe" Milieus – Sozialstrukturelle Präzisierungen zu der Feststellung „Nur ein verschwindend geringer Teil behinderter Kinder wird derzeit integrativ beschult" In: Schnell, Irmtraud/Sander, Alfred (Hrsg.): Inklusive Pädagogik. Bad Heilbrunn/Obb., S. 75-90

Die folgenden Daten wurden dankbarerweise durch  die Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung zur Verfügung gestellt:

Folgende GIS-Daten konnten Dank des Landesamts für Statistik Berlin Brandenburg, Abteilung Regionales Bezugssystem Verwendung finden:

Die Daten zu den Einschulungsuntersuchungen und zum Sozialstrukturatlas sind über die GSI-Plattform der Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz abrufbar:
http://www.gsi-berlin.info/

[1] Mit Hilfe dieses Modells kann Berlin in statistische Räume gegliedert werden. Dabei wurden drei hierarchisch gegliederte Ebenen definiert, die 60 Prognoseräume, 138 Bezirksregionen und 447 Planungsräume.

[2] Die  Angaben der Sonderschulen mit Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung liegen nicht bezogen auf die Jahrgänge 1-6 sondern nur für alle Jahrgänge vor.

[3] Geoinformationssysteme(GIS) dienen der Verarbeitung geografischer Daten.

[4] Die Wald- und Gewässerflächen wurden jeweils aus den Planungsräumen und Einzugsbereichen heraus gerechnet.

[5] Als Etikettierungsquote wird der Anteil der Schüler/-innen mit zugewiesenem sonderpädagogischem Förderbedarf in einer Region unabhängig von der besuchten Schulform von der Gesamtzahl der Schüler/-innen verstanden.