Birgit Papke: Bildung und Bildungspläne in der Elementarpädagogik – Chancen für Inklusion

Abstract: Was bedeutet die neuerliche Hervorhebung des Bildungsauftrags des Kindergartens für die Gemeinsame Erziehung von Kindern ‚mit und ohne besonderen Förderbedarf‘, die in diesem Sektor des Bildungswesens zumindest zahlenmäßig am weitesten umgesetzt ist? Der veränderte gesellschaftliche Stellenwert des Elementarbereichs zeigt sich unter anderem in den Bildungsplänen, die in den letzten Jahren verabschiedet wurden. Birgt die Wertschätzung des frühen Lernens und die Öffnung des Elementarbereichs für traditionell schulische Bildungsbereiche (z. B. Literatur, Mathematik, Naturwissenschaften) Risiken für Inklusion im Sinne einer gleichberechtigten Teilhabe aller Kinder an den pädagogischen Programmen oder beinhaltet sie die Chance vor dem Hintergrund positiver Erfahrungen mit Inklusion ein Bildungsverständnis zu entwickeln, in dem die individuellen Bildungsprozesse aller Kinder gleichwertig Raum finden?

Stichworte: Bildungspläne, Elementarbereich, Inklusion, Methoden inklusiver Pädagogik

Ausgabe: 3/2010

 

Der Bildungsauftrag ist ein feststehendes Element der pädagogischen Arbeit in Kindertageseinrichtungen. In der BRD verortete der Deutsche Bildungsrat bereits 1970 den Kindergarten fachlich als Elementarbereich im Bildungswesen. Laut Kinder- und Jugendhilfegesetz umfasst der Förderauftrag „Erziehung, Bildung und Betreuung des Kindes und bezieht sich auf die soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung“ (SGB VIII, §22 Abs. 3). Dennoch sind Bildungspläne, Erziehungspläne, Bildungsvereinbarungen, um nur einige der unterschiedlichen Bezeichnungen zu nennen, Produkte der letzten Jahre und damit ein relatives Novum im Elementarbereich.

Die Bildungspläne für den Elementarbereich, die alle Bundesländer der BRD in den letzten Jahren verabschiedet haben und die erstmals Bildungsinhalte für Kindertageseinrichtungen und Kindergärten auf Länderebene einheitlich und trägerübergreifend benennen, sind Ausdruck einer Veränderung in der öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion mit Blick auf die frühe Bildung und die Rolle von Kindertageseinrichtungen im Bildungssystem. Zu dieser veränderten Sichtweise beigetragen haben, wenn auch umstritten, zum einen empirische Ergebnisse der Hirnforschung, die den Stellenwert früher Bildungsprozesse neu absichern konnten (vgl. Singer 2003), zum anderen ist sie Ausdruck vor allem politischer Reaktionen auf das schlechte Abschneiden des deutschen Bildungssystems in international vergleichenden Studien (vgl. hier die zum Beispiel die von der OECD durchgeführten PISA-Studien). Bildungspläne können auch als Ausdruck gesellschaftlich dominierender Bildungsvorstellungen und daraus abgeleitete Anforderungen an die Fachkräfte mit Blick auf die Lebensphase der frühen Kindheit gelesen werden. Erstmals werden gesellschaftlich relevante Bildungsvorstellungen, Bildungsziele und Erwartungen an die pädagogische Arbeit mit Kindern im Vorschulalter via Bildungsplan verbindlich kommuniziert und für alle Interessierten öffentlich gemacht. Alleine daran wird der veränderte Stellenwert des Elementarbereichs im Bildungssystem deutlich (vgl. Diskowski 2008).

Bildungspläne und Inklusion. Was aber bedeutet die Einführung der Bildungspläne im Elementarbereich für die Inklusion von Kindern mit besonderem pädagogischem Förderbedarf, zum Beispiel aufgrund einer Behinderung? Immerhin ist im deutschen Bildungssystem die Gemeinsame Erziehung und Bildung von Kindern mit Behinderung und Kindern ohne Behinderung mit großem Abstand am weitesten in den Einrichtungen des Elementarbereichs umgesetzt. Zwar gibt es Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern, aber mit Blick auf das gesamte Bundesgebiet wurden im Jahr 2006 von allen Kindern mit Behinderung, die  eine Kindertagesstätte in Anspruch nahmen 76,8% ‚integrativ‘ betreut (Riedel 2007). Zudem wurde mit den neuen Bildungsplänen im Elementarbereich in den Einrichtungen der gemeinsamen Erziehung und Bildung das verwirklicht, was für den Schulbereich gefordert wird: Ein einheitlicher (individualisierter) Bildungsplan, der für alle Kinder gilt (vgl. Hinz 2004; 2008). Denn unterschiedliche Bildungspläne für im Vorfeld definierte Kindergruppen (etwa speziell für Kinder mit einer sogenannten geistigen Behinderung) bringen die Trennungslinie von vorab definierten unterschiedlichen Bildungsinhalten und Anforderungen und damit auch unterschiedlichen Erwartungen an die Kinder in die pädagogische Arbeit ein. Unbestritten bleibt, dass alle Kinder unterschiedliche Bildungswege gehen, unterschiedliche Lern- und Entwicklungstempi haben, unterschiedliche Herausforderungen annehmen und meistern und unterschiedliche Unterstützungsleistungen von Seiten der Erwachsenen benötigen. Der Index für Inklusion in seiner Fassung für Tageseinrichtungen für Kinder führt als Indikator für inklusive Werte in der Einrichtung, den Aspekt der positiven Erwartungen an Kinder und ihre Bildungsprozesse an: „Werden alle Kinder und Jugendlichen so behandelt, als ob es keine Obergrenze für ihr Lernen und ihre Entwicklung gäbe?“ (Booth/Ainscow/Kingston 2006, 84). Auf der Ebene der methodischen Umsetzung der Arbeit mit gemeinsamen aber gleichzeitig individualisierten Bildungsplänen sind solche Ansätze fruchtbar, die auf der Basis qualitativ hochwertiger pädagogischer Konzepte darauf abzielen, Barrieren der Teilhabe an den pädagogischen Angeboten abzubauen (vgl. Booth/Ainscow/Kingston 2006) beziehungsweise mit Blick auf zusätzliche  individualisierte Unterstützung die konsequente Rückbindung an allgemeine und qualitativ hochwertige pädagogische Konzepte hervorheben (vgl. Sandall/Schwartz 2002). Individualisierte Förderung von Kindern passt dann in inklusive Konzepte, wenn dadurch das Konzept der Heterogenität als Normalfall unterstützt und nicht Kinder aufgrund bestimmter Merkmale stigmatisiert werden – Herausforderungen, die in vielen Einrichtungen mit langer Erfahrung in inklusiver Arbeit bereits gut gemeistert werden.

Die Gefahr ist dennoch, dass im Sinne einer „Verschulung der frühkindlichen Bildung“ (Textor 2008) gerade über die Bildungspläne, die in Deutschland bisher dem schulischen Sektor vorbehalten waren, solche Vorstellungen in den Elementarbereich Einzug halten, die dazu führen, dass einige Bildungsbereiche nicht für alle Kinder als gleichermaßen wichtig erachtet werden. ‚Soziales Lernen‘ zum Beispiel gilt sicherlich als für alle Kinder bedeutsam – aber wie ist es mit den Bereichen ‚Mathematik‘, Naturwissenschaften‘ oder ‚Technik’, die alle Bundesländer in unterschiedlicher Bezeichnung in die Bildungspläne bzw. Bildungsvereinbarungen aufgenommen haben? Haben Fachkräfte in den Einrichtungen hier die Überzeugung, dass alle Kinder gleichermaßen angesprochen sind? Selbst wenn die Pädagoginnen und Pädagogen davon überzeugt sind: Was müssen sie berücksichtigen, um diese Bildungsbereiche für alle Kinder interessant und individuell nutzbringend zu gestalten und einem Denken in unterschiedlichen ‚Bildungsgruppen‘ vorzubeugen?

Die Umsetzung der Bildungspläne im konkreten Alltag der Einrichtung stellt eine Anforderungen an pädagogische Fachkräfte in der inklusiven Elementarpädagogik dar. Formulieren die Bildungspläne übergeordnete Bildungsvorstellungen und -ziele und machen Aussagen über die Rolle des Elementarbereichs im Bildungswesen (s.o.), so  müssen sie doch mit Blick auf einrichtungsspezifische Konzepte erst für die tägliche pädagogische Arbeit zugänglich gemacht werden, indem sie mit den Prinzipien der eigenen Arbeit gewinnbringend abgeglichen werden (vgl. Liegle 2007). Für inklusionspädagogische Konzepte bedeutet dies unter anderem, dass Pädagoginnen und Pädagogen in den Einrichtungen zunächst ihr eigenes Bildungsverständnis reflektieren müssen. Wird mit Bildung ein ergebnisorientiertes und interindividuell vergleichendes Konzept verbunden, so steht die Gemeinsame Erziehung inklusiver Ausrichtung vor unlösbaren Aufgaben. Allerdings kann Bildung, verstanden als individueller Prozess der Auseinandersetzung mit der Welt, sehr gewinnbringend mit inklusionspädagogischen Konzepten verbunden werden. So formuliert der Erziehungswissenschaftler Ludwig Liegle: „Bildung meint (seit Humboldt) die geistige Selbsttätigkeit, durch welche das Subjekt sich in ein Verhältnis setzt zur Welt der Dinge und Personen und zu einer inneren Repräsentation der Welt und seines Verhältnisses zu Welt gelangt“ (ebd. 2006, 94). Bildung, derart von der Seite des Kindes betrachtet, kann damit gefasst werden als ein Prozess, der beinhaltet, „sich ein Bild von sich selbst in der Welt zu machen, sich ein Bild von anderen in dieser Welt zu machen (und) sich ein Bild von den Vorgängen und Phänomenen in der Welt zu machen“ (Wagner 2008, 30). Das Konzept der sozialen Ko-Konstruktion von Wissen und Erfahrung (Fthenakis 2003; Dahlberg 2004) bringt die Ebene der sozialen Interaktion in den individuellen Bildungsprozess ein. Verschiedenheit der Kinder wird auf dieser Grundlage zum positiven Bildungskapital in Kindergruppen und Kindertageseinrichtungen.

Ein Beispiel forschenden Lernens in einer inklusiven Kindertageseinrichtung soll im Folgenden das Zusammenspiel von Bildungsplan und inklusivem Konzept verdeutlichen.

Der Hessische Bildungs- und Erziehungsplan nennt als eines seiner übergeordneten Grundsätze und Prinzipien für die pädagogische Arbeit in den Einrichtungen den „Umgang mit individuellen Unterschieden“ (Hessisches Sozialministerium/ Hessisches Kultusministerium 2007, 45ff). Als Ziel der  Bildungsarbeit im Elementarbereich überschreibt das ‚Forschende Lernen‘ die Bildungsbereiche ‚Mathematik‘, ‚Naturwissenschaft‘ und ‚Technik‘ (ebd. 75ff). Auf der Ebene pädagogischer Kompetenz gilt die „Moderierung von Bildungs- und Erziehungsprozessen“ als förderlich für kindliche Bildungsprozesse (ebd. S. 89ff). In Verbindung mit dem Grundprinzip der Wertschätzung von Heterogenität wird dabei im Kontext heterogener Gruppen die Moderation von Bildungs- und Erziehungsprozessen unter Gesichtspunkten inklusiver Pädagogik zentral – wenn auch im Bildungsplan nicht weiter ausgeführt.
Hier leisten die Ergebnisse des EU Comenius Projekts ‚Early Childhood Education in Inclusive Settings‘ (ECEIS) einen wichtigen Beitrag. In den fünf Europäischen Ländern Portugal, Schweden, Frankreich, Ungarn und Deutschland beschäftigte sich die internationale Projektgruppe unter anderem mit der Frage, was gelungene inklusive Situationen in vorschulischen Einrichtungen ausmacht (vgl. Kron/Papke/Windisch 2010). Dazu wurde eine Vielzahl von Situationen im Alltag der Einrichtungen beobachtet und ausgewertet. Eine davon soll hier vorgestellt werden.

Das Experiment ‚Steinfarbe’ (ECEIS Autorenteam 2010).
Kontext: Eine städtische Kindertageseinrichtung für Kinder zwischen 3 und 12 Jahren (Kindergarten und Hort) mit insgesamt 90 Plätzen. Es handelt sich um eine integrative Schwerpunkteinrichtung, d.h. ein Drittel der Plätze werden von Kindern mit besonderem pädagogischem Förderbedarf belegt. Es ist Vormittag, Freispielphase auf dem Außengelände. An der folgenden Situation beteiligt sind Benjamin, 3 Jahre und Moritz, 5 Jahre alt, sowie eine Erzieherin. Moritz ist ein sehr aufgeschlossener Junge mit einer geistigen Beeinträchtigung. Er ist interessiert an Werkzeugen und technischen Geräten und ist sehr ausdauernd im Umgang damit. Allerdings fühlen sich andere Kinder in ihrem Spiel manchmal durch Moritz gestört. Benjamin hatte heute die Idee, Steine mit dem Hammer zu zerkleinern. Gemeinsam mit einer Erzieherin entwickelt er das Experiment, die Steinbröckchen später mit Kleister zu vermischen, um damit malen zu können und so 'Steinfarbe' herzustellen.
Beobachtung: Benjamin sitzt draußen auf dem Boden und zerhaut Steine mit einem Hammer. Eine Erzieherin beobachtet ihn. Als Moritz vorbei schlendert, lädt die Erzieherin ihn zum Mitmachen ein: „Moritz, wir machen ein Experiment.“ Moritz kniet sich vor Benjamin und greift nach dessen Schutzbrille, während Benjamin weiterarbeitet. Als die Erzieherin ihm einen eigenen Hammer und eine Schutzbrille anbietet, lehnt er ab und greift erneut nach Benjamins Brille. Benjamin beschwert sich und die Erzieherin ermahnt Moritz zweimal. Als er nicht aufhört, hebt sie ihn hoch und setzt ihn ca. 30 cm von Benjamin weg. Dort greift er einen kleinen Stein, wirft ihn fort und lacht. Dann krabbelt er näher, um einen Hammer zu nehmen und auf einige Steine zu klopfen, die nach allen Seiten weg springen. Benjamin wendet sich an die Erzieherin: „Der macht das falsch“. Erzieherin: „Lass es ihn ausprobieren, du hast auch anfangs probiert.“ Benjamin: „Er braucht auch ’ne Schutzbrille“. Erzieherin: „Oh ja, da hast du recht, er muss sich schützen“. Sie gibt Moritz eine Brille. Er haut inzwischen mit dem Hammer auf den Boden, Benjamin hämmert weiter auf den Stein. Nach einigen Minuten legt Moritz Hammer und Brille weg. Ein drittes Kind nimmt beides und Moritz kneift es daraufhin. Die Erzieherin erinnert Moritz daran, dass er die Dinge freiwillig beiseitegelegt hat. Moritz steht auf und verlässt die Situation. Die Erzieherin zeigt Benjamin, wie er weitermachen kann.

Mit Blick auf den Aspekt ‚Moderierung von Bildungs- und Erziehungsprozessen‘ lässt sich Folgendes zusammenfassen: Bildungsprozesse mit Kindern kooperativ gestalten – dies fordert der Hessische Bildungs- und Erziehungsplan und konkretisiert: „Ko-Konstruktion als pädagogischer Ansatz heißt, dass Lernen durch Zusammenarbeit stattfindet, also von pädagogischen Bezugspersonen und Kindern gemeinsam konstruiert wird. Der Schlüssel der Ko-Konstruktion ist die soziale Interaktion, sie fördert die geistige, sprachliche und soziale Entwicklung. Das Kind lernt, indem es seine eigenen Ideen und sein Verständnis von der Welt zum Ausdruck bringt, sich mit anderen austauscht und Bedeutung aushandelt“ (ebd. 89). Daher beobachten die Pädagogen die Initiativen der Kinder auch in der Freispielzeit und sind bereit, diese auf Wunsch aufzugreifen und mit den Kindern weiterzuentwickeln. Nun findet Ko-Konstruktionen von Wissen und Bedeutung natürlich auch zwischen Kindern statt, Kinder konstruieren ihr jeweiliges Verständnis von Situationen und ihre Weltsicht auch in Interaktionen mit Kindern, grenzen ihr Wissen und ihre Ansichten voneinander ab oder gleichen sie einander an. Bei Kindern auf sehr unterschiedlichem Entwicklungsniveau oder auch bei Kindern mit sehr unterschiedlichem Erfahrungshintergrund gelingt dies nicht immer ‚automatisch‘. In unserem Beispiel benötigen Moritz und die anderen Kinder Unterstützung in ihren Interaktionen und gemeinsamen Aktivitäten. Da Moritz’ Form der Kontaktaufnahme von anderen Kindern häufig als Störung ihres Spiels verstanden wird, beginnen andere Kinder, ihn zu meiden. Die Erzieherinnen haben es sich daher zum Ziel gemacht, immer wieder Möglichkeiten für gemeinsame Aktivitäten anzubieten, in denen sie zwischen Moritz und anderen Kindern vermitteln, um Sicherheiten zu schaffen, das Zugehörigkeitsgefühl aller Kinder zu stärken und die Beweggründe des jeweils anderen zu verdeutlichen. Dabei bleibt es manchmal – so wie in der beobachteten Situation – eher bei einem Nebeneinander anstatt einem Miteinander. In unserem Beispiel muss die Erzieherin manchmal Benjamin unterstützen, damit er an seinem Experiment weiterarbeiten kann, manchmal Moritz’ Recht auf Teilnahme und auf seine eigene Auseinandersetzung mit dem Experiment hervorheben, manchmal dem einen Kind die Handlungen des Anderen erklären und so den gemeinsamen Handlungsraum offen halten. Für einige Minuten gelingt es, dass die Jungen die Steine friedlich nebeneinander bearbeiten. Sie beschäftigen sich mit den gleichen Gegenständen und verbinden doch offensichtlich unterschiedliche Inhalte damit. Benjamin denkt sich in die Rolle eines 'Erfinders von Steinfarbe', während Moritz ausprobiert, welchen Einfluss ein Hammer auf Steine haben kann. Aufgrund dieser Differenzen fürchtet Benjamin, dass Moritz das Experiment nicht richtig ausführt. Die Erzieherin macht Moritz’ Verhalten für Benjamin verständlich: „Er will es ausprobieren.“ Indem Benjamin eine Schutzbrille für Moritz reklamiert, zeigt er, dass er dessen Teilnahme für den Moment akzeptiert.
In dem oben angeführten Beispiel werden einige Grundsätze inklusiver Pädagogik deutlich, die wir als Projektteam in vielen von uns beobachteten Situationen in ganz unterschiedlichen Einrichtungen als ausschlaggebende Prinzipien gelungener inklusiver Prozesse ausmachen konnten.
Die Pädagoginnen und Pädagogen stellen die Interessen und Bedürfnisse der Kinder in den Mittelpunkt. Die Wertschätzung der Interessen der Kinder zeigt sich grundlegend in der Offenheit für ihre Ideen. Darüber hinaus wird das spezifische Interesse eines Kindes (Moritz) an Werkzeugen aufgegriffen, um eine wichtige anstehende Entwicklungsaufgabe anzusprechen: Die Wahrnehmung und Akzeptanz der Bedürfnisse anderer Kinder und die Einhaltung von Regeln im gemeinsamen Spiel.
Die Pädagoginnen und Pädagogen unterstützen das gegenseitigen Verständnis der Kinder untereinander aktiv. Kinder müssen lernen, sich bis zu einem gewissen Grad in andere hineinzuversetzen und deren Perspektive anteilig einnehmen zu können. Erst auf dieser Basis können sie gemeinsame Sichtweisen aushandeln. Dazu gehört auch, dass Pädagoginnen und Pädagogen den Sinn herausfordernden Verhaltens aufzeigen. Indem die Erzieherin die Interessen und Rechte beider Kinder verständnisvoll verbalisiert und kommentiert, fördert sie bei Benjamin das Verständnis für Moritz’ Verhalten und ermöglicht es Moritz, sich seines eigenen Vorgehens und der Bedürfnisse der anderen Kinder bewusster zu werden.

Fazit: Wir fassen pädagogische Arbeit im Bereich der Bildung als Unterstützung und Moderation von Prozessen der individuellen Auseinandersetzung mit der Welt und mit dem Ziel der Erweiterung der Weltsicht in Bezug auf das Selbstbild, soziale Kompetenzen und die Phänomene in der Welt (Wissen). Gleichzeitig verstehen wir pädagogische Arbeit im Bereich der Inklusion als Unterstützung von Prozessen der Interaktion zwischen Verschiedenen mit dem Ziel der Verständigung und der Teilhabe aller Kinder. Dabei kann der Prozess der Verständigung gleichzeitig als Bildungsprozess gefasst werden: Ein Bildungsprozess mit der besonderen Ausrichtung der Veränderung des Bildes von sich selbst in dieser Welt und des Bildes von Anderen in dieser Welt in Auseinandersetzung mit dem Anderen. Damit wird Bildung in inklusiven Konzepten nicht nur möglich. Vielmehr erhalten Bildungsprozesse in inklusionspädagogischen Kontexten eine besondere Qualität der Ko-Konstruktion von Wissen, Erfahrung und Einstellungen, die der gesellschaftlichen Realität des Zusammenlebens in heterogenen Gruppen besonders gerecht wird. Pädagogische Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen müssen sich allerdings aktiv um die Moderation gemeinsamer Bildungsprozesse sehr unterschiedlicher Kinder bemühen.

Literatur

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