Liebe Leserinnen und Leser!

Wir freuen uns, Ihnen die Ausgabe 2/2009 der Zeitschrift Inklusion Online präsentieren zu dürfen. Diese Ausgabe ist dem Themenschwerpunkt „UN-Konvention zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen" gewidmet. Wie Sie sicherlich wissen, hat die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland diese Konvention am 30. März 2007 einschließlich des Fakultativprotokolls unterzeichnet. In der Sitzung vom 21. Dezember 2008 wurde sie durch den Bundestag bestätigt. Am 26. März 2009 ist sie schließlich in Kraft getreten und hat damit eine völkerrechtlich bindende Wirkung erhalten.

 

Es ist vor allem, aber nicht nur, der Artikel 24 der Konvention, der für einige Aufregung sorgt. In der englischen Fassung heißt es dort unter anderem:

§ 24 (2) In realizing this right, States Parties shall ensure that:
(a): Persons with disabilities are not excluded from the general education system on the basis of disability, and that children with disabilities are not excluded from free and compulsory primary education, or from secondary education, on the basis of disability;

(b): Persons with disabilities can access an inclusive, quality and free primary education and secondary education on an equal basis with others in the communities in which they live.

 

In der deutschen Übersetzung heißt es:

§ 24 (2) Bei der Verwirklichung dieses Rechts stellen die Vertragsstaaten sicher, dass

a) Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden und dass Kinder mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom unentgeltlichen und obligatorischen Grundschulunterricht oder vom Besuch weiterführender Schulen ausgeschlossen werden;

b) Menschen mit Behinderungen mit anderen in der Gemeinschaft, in der sie leben, Zugang zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben.

 

Die in der deutschen Fassung vorgenommene Übersetzung des englischen Begriffs inklusiv durch integrativ wurde bereits heftig kritisiert. Man mag darüber spekulieren, welche Gründe zu diesem, den nationalen und internationalen Diskussionsstand gründlich missachtenden, Übersetzungsfehler geführt hat. Rechtlich bindend ist ohnehin die englische Fassung. Eine sogenannte Schattenübersetzung, in der der Versuch unternommen wird, diesen wie andere tendenziöse Übersetzungsfehler zu korrigieren, findet sich auf den Internet-Seiten der Initiative Netzwerk Artikel 3. Verein für Menschenrechte und Gleichstellung Behinderter e.V. http://www.netzwerk-artikel-3.de/.

Zudem liegt bereits ein ausführliches Rechtsgutachten zu den völkerrechtlichen und innerstaatlichen Verpflichtungen aus dem Recht auf Bildung nach Art. 24, erstellt durch die Max-Träger-Stiftung, vor.

Mit Spannung werden wir verfolgen, wie sich Politik und (Fach-) Öffentlichkeit zur Umsetzung der Konvention verhalten werden.

Zu den einzelnen Beiträgen dieser Ausgabe:

Andrea Plattes Beitrag gibt einen kompakten Überblick über das Zustandekommen der UN-Konvention, über ihre zentralen Aussagen und über die Konsequenzen, die sich insbesondere aus dem § 24 ergeben. Am Beispiel schulorganisatorischer Entscheidungen des deutschen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen werden diese exemplarisch aufgezeigt.

 

Ausführlicher stellt Monika Schumann die normativen Grundlagen, die inhaltlichen Eckpunkte und die Instrumente zur Umsetzung der Konvention dar. Im weiteren konzentriert sie sich auf das in der Konvention niedergelegte Recht auf inklusive Bildung, dessen Realisierung allerdings ein umfassendes Bildungskonzept verlangt, das - wie Schumann deutlich zeigt - nicht auf das System Schule beschränkt bleiben kann.

 

Michael Wunder bezeichnet in seinem Beitrag die UN-Konvention als Prüfstein für den künftigen Umgang mit Menschen mit Behinderung beziehungsweise mit Menschen mit psychischer Erkrankung. Er stellt die wichtigsten Rechtsgrundsätze und spezifischen Einzelrechte für Menschen mit Behinderung dar und beschreibt den in der Konvention vollzogenen Wechsel vom medizinischen zu einem sozialen Modell der Behinderung. Danach geht er den sich daraus ergebenden konkreten Fragen etwa zum Betreuungsrecht, zur Geschäftsfähigkeit und zur Zwangsunterbringung detailliert nach.

 

Der Jurist und Pädagoge Arnold Köpcke-Duttler greift philosophische Debatten über die Menschenrechte auf, die allesamt auf die Verletzbarkeit der menschlichen Würde verweisen und daraus die Notwendigkeit des Schutzes sozialer Teilhaberechte ableiten. Die Menschenwürde stellt nach seiner Analyse das Fundament der neuen Behindertenrechtskonvention dar. Und darauf aufbauend wird das Menschenrecht auf inklusive Bildung aus der Universalität der menschlichen Würde abgeleitet.

 

Clemens Dannenbeck und Carmen Dorrance diskutieren die theoretischen Grundlagen des Inklusionsbegriffs und problematisieren die Zielperspektive einer praktisch realisierbaren wertebasierten inklusiven Gesellschaft. Denn dies führe notwendig zur Entpolitisierung des Inklusionsgedankens. Der politische Umgang mit der UN-Konvention stelle einen Indikator dar, an dem sich ablesen lasse, ob man sich auch künftig mit punktuellen Integrationserfolgen zufrieden geben werde. Verlautbarungen aus der Politik, wonach überhaupt kein Handlungsbedarf bestehe, gäben genügend Anlass zu dieser Sorge.

 

Ohne direkt auf die UN-Konvention Bezug zu nehmen, fragt Ewald Feyerer in seinem Beitrag, ob Integration ­- in Österreich - schon „normal" geworden sei. Er analysiert hier zunächst die Entwicklung der schulischen Integration beeinträchtigter Kinder in Österreich auf der Basis statistischer Indikatoren. Darauf aufbauend zeigt er die Notwendigkeit weiterer Entwicklungsanstöße in Richtung inklusiver Schule auf und stellt konkrete Lösungsansätze dar.

 

Die Konvention schreibt vor, dass in jedem Mitgliedsstaat die Umsetzung von einer regierungsunabhängigen Monitoringstelle überwacht werden muss. In Deutschland wurde diese Aufgabe dem Institut für Menschenrechte übertragen, in Österreich wurde ein unabhängiger Monitoringausschuss gegründet. Wir haben beide Institutionen um eine Interpretation ihres Auftrags und um ihr Konzept zur Realisierung dieses Auftrags gebeten. In dieser Ausgabe wird der österreichische Monitoringsausschuss berichten. Das deutsche Institut für Menschenrechte hat aufgrund der hohen Arbeitsbelastung um terminlichen Aufschub gebeten. Wir werden dessen Bericht in der nächsten Ausgabe nachreichen.

 

Nimmt man die UN-Konvention Ernst, dann verlangt sie tiefgreifende bildungspolitische Veränderungen: Wir haben daher bei den bildungspolitischen Sprechern einiger deutscher Bundesländer (Schleswig-Holstein, Berlin, Hessen) sowie auf Bundesebene in Österreich und Schweiz nachgefragt, wie sie die UN-Konvention interpretieren und welchen Handlungsbedarf die politischen Parteien sehen. Die Resonanz auf unsere Anfrage ist recht unterschiedlich ausgefallen. Dies mag mit dem zu dieser Zeit stattgefundenen Wahlkampf in Deutschland zusammenhängen, kann aber als Indikator gewertet werden, wie wichtig dieses Thema von der Politik überhaupt genommen wird.

 

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung lebt vom Diskurs. Daher möchten wir in der neu geschaffenen Rubrik „Kontroversen", Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Gelegenheit geben, sich kritisch mit den Positionen ihrer Kolleg/innen auseinanderzusetzen. Eröffnen wollen wir die Rubrik mit einem Beitrag von Hans Wocken. Unter dem Titel „Disability Studies contra Integration" setzt er sich mit der von Jürgen Hohmann und Lars Bruhn verfassten Streitschrift „Ein Dutzend Gründe, warum die Integrationspädagogik gescheitert ist" auseinander. Da der kritisierte Originaltext von Hohmann/Bruhn ebenfalls im Internet zugänglich ist, ist es komfortabel möglich, die Kontroverse von Grund auf zu verfolgen.

 

Dieter Katzenbach

Für die Redaktion von Inklusion-Online