Hannah Furian: Studium mit Behinderung – besonders normal?!
Persönlicher Erfahrungsbericht einer ehemaligen Studentin 

Mein Studium begann mit einer Einladung. Sie kam zusammen mit den Zulassungspapieren zum Studium und stammte von der Fachschaft des Reha-Instituts. Man lud mich und meine Mitstudierenden zu einem Kennlernwochenende ein, um uns „Neuen“ den Start in das Studium zu erleichtern. Anfangs war ich etwas skeptisch, wie ich es oft allem ungewohnten und unerwarteten gegenüber bin. Doch schließlich nahm ich teil und traf auf einen sehr netten Kreis von Studierenden, bei denen ich mich sofort herzlich willkommen fühlte. Am Ende des Wochenendes war ich mir sicherer denn je: Ich kann mein Studium schaffen!
Damals wusste ich noch nicht, dass ich nur ein Jahr später die Fahrt der Fachschaft für die Neueinsteiger mit organisieren und dort einen Workshop zu meinen persönlichen Erfahrungen mit Inklusion und Schule geben würde.
Mein ganzes Studium hindurch waren mir die Menschen in der Fachschaft eine große Stütze und ich selber war auch oft engagiert, obgleich ich nie offiziell Mitglied des Fachschaftrates war. Gemeinsam organisierten wir einige Aktionen, wie z.B. die bundesweite Fachschaftentagung des Fachbereichs Reha, die 2012 bei uns in Berlin mit großem Erfolg stattfand. Der Kontakt zu anderen Studierenden ist immer wichtig für mich gewesen und teilweise sind daraus Freundschaften entstanden.

Einige meiner Mitstudierenden haben auch Studienassistenz für mich gemacht. Aufgrund meiner Behinderung brauchte ich das gesamte Studium hindurch Studienassistenz. Die Aufgaben der Studienassistentinnen bestanden vorrangig darin, mich zu den verschiedenen Veranstaltungen zu begleiten, dort dabei zu sein und Mitschriften für mich anzufertigen, sowie Recherchen mit mir gemeinsam durchzuführen. Es kann dabei von Vorteil sein, wenn dies Menschen machen, die das Gleiche Fach oder in einem ähnlichen Bereich studieren, wie man selber. Im günstigsten Fall kann die Studienassistenz dann auch davon profitieren. Auch in Prüfungssituationen hat mich die Studienassistenz zum Teil unterstützt, in dem sie nach meinem Diktat die Prüfung geschrieben hat, wie z.B. im Fach Statistik. Mein Nachteilsausgleich, bei dem die körperliche und die Sehbehinderung ausgeglichen wurden, bestand darüber hinaus oft in einer Zeitverlängerung. Eine Besonderheit in Berlin ist, dass die Studienassistenz auf Antrag des Leistungsbeziehers als „Integrationshilfe“ für Menschen mit Behinderungen über das Studentenwerk finanziert wird. Einzige Voraussetzung ist hier, dass die Studienassistenz „Studienerfahrung“ nachweisen kann. In der Regel muss sie lediglich entweder aktuell studieren oder ein abgeschlossenes Hochschulstudium nachweisen. In welchem Fachbereich spielt dabei keine Rolle. Allerdings sollten sich die Studierenden mit Behinderungen/chronischer Krankheiten die Personen, die sie als am Besten für ihre Studienassistenz geeignet ansehen, nach Möglichkeit selber suchen. Die Höhe der maximal zulässigen Assistenzstunden ergibt sich aus dem Bewilligungsbescheid.

Speziell für Studienanwärter mit Behinderungen/chronischen Krankheiten gab es ein Auftaktseminar zum leichteren Einstieg in den universitären Alltag Berlins. Während ich 2008 noch daran teilnahm, wirkte ich auch hier 2009 mit und konnte von meinen bis dahin überwiegend positiven Erfahrungen im Studium berichten.

Aus mehreren Gründen habe ich mir gerade dieses Studium gewählt. Von Anfang an wollte ich später gerne etwas im sozialen Bereich und im persönlichen Kontakt zu anderen Menschen/Menschengruppen arbeiten. Im späteren Berufsleben kann ich mir gut vorstellen in die Beratung von und für Menschen mit Behinderungen zu gehen und dabei meine eigenen Einschränkungen als Vorteil zu nutzen. Eine zusätzliche Motivation war die Sicherheit, dass ich viel über Ursachen, Umstände und Gegebenheiten von unterschiedlichen Behinderungen erfahren konnte, was mir auch ganz privat geholfen hat.

Wie bei so vielem gab es auch im Studium den ein oder anderen Studierenden und Dozenten, den ich nicht mochte. Da ich mich in der Regel als offenen und toleranten Menschen kenne, denke ich, dass dies vor allem an Charakter oder Präsentationsstil der Betreffenden lag und nicht an fehlendem fachlichen Wissen. Oft ging ich nach der ersten Veranstaltung direkt zu dem Dozenten, stellte mich und meine Studienassistenz vor und suchte so den direkten Kontakt. Das hat sich als nützlich erwiesen, denn so hat sich keiner z.B. über die zusätzliche Person, die mit mir kam, gewundert und es konnte direkt besprochen werden, wie in meinem Fall die Prüfungssituation aussehen wird (Nachteilausgleich). 

Als ich anfing mein Beifach zu studieren und 2010 an das Institut für Sozialwissenschaften kam, fiel mir schlagartig auf, dass ich dort vielmehr – als bisher im Studium gewohnt – um Anerkennung und Akzeptanz ringen musste. Behinderung war hier etwas Besonderes und entsprach nicht der Normalität, wie ich sie aus dem Reha-Bereich kannte. Ich habe auch hier alle erforderten Prüfungen erfolgreich absolviert, hatte aber das Gefühl, öfter Erläuterungen zu meiner persönlichen Situation geben zu müssen. Daran wurde mir mehr als einmal bewusst, dass im Reha-Bereich alleine schon durch die Fokussierung auf behinderungsrelevante Themen eine besondere Sensibilisierung der Menschen stattfindet.

Wirklich sensibilisiert für die Einzelheiten, die Barrierefreiheit bedeutet, ist die Universität noch nicht (DIN-Normen). Es gibt zwar Aufzüge und die Möglichkeit, einen barrierefreien Eingang zu nutzen, jedoch wäre eine verständlichere Beschilderung der Wege manchmal wünschenswert. Besonders auffällig ist die gerade neu errichtete Universitätsbibliothek, in der z.B. die Regale größtenteils so eng gestellt wurden, dass ein Durchkommen nur schwer möglich ist und die Türen teilweise sehr schwer zu öffnen sind. Nach meiner Erfahrung bedarf es eines „Praxistests“ jedes einzelnen Gebäudes, um zu erkunden, wie man am Besten dort zurechtkommt.

In Rehabilitationspädagogik musste jedes der 12 Module meines Studiums mit einer Abschlussprüfung beendet werden. Dazu kamen noch die Bachelorarbeit in einem extra Modul, ein Praktikumsbericht eines Praktikums bei einer selbst gewählten Stelle und ein Beifach im Umfang von 20 Studienpunkten. Die Studieninhalte meines Studiums der Rehabilitationspädagogik waren vielseitig. Unter anderem waren Themen:

Mit dem Bachelorabschluss dieses Studiums, kann ich in allen Bereichen arbeiten, die es bezogen auf Rehabilitation gibt. Ich könnte auch an einer Schule, z.B. als Hilfskraft, tätig sein. Jedoch habe ich keine Lehramtsoption erworben und bin somit keine Sonderschullehrerin. Meine Bachelorarbeit beschäftigte sich mit dem Zusammenhang von Persönlicher Zukunftsplanung und Empowerment bezogen auf Menschen mit Behinderungen.

Neben dem eigentlichen Studium nahm ich am bundesweit ersten Mentoring-Programm für Studentinnen mit Behinderungen/chronischen Krankheiten des Hildegardis-Vereins in Bonn teil. Über ein Jahr hinweg wurde jeder Studentin ein Mentor/Mentorin zur Unterstützung zur Seite gestellt. Bei drei Wochenendseminaren lernten sich alle Beteiligten kennen und schätzen. 
Mir persönlich war hier der Austausch mit anderen Studierenden wichtig, die sich in einer sehr bunt gemischten Gruppe zusammen fanden. Auch Menschen ohne Behinderungen waren unter den Teilnehmerinnen, um den Inklusionsgedanken weiter zu verfolgen. Dazu kam die Gewissheit, dass ich in Alltag und Studium nicht so schnell sein muss, wie meine Mitstudierenden und Mitmenschen ohne (sichtbare) Behinderungen und mein eigenes Tempo selbstbestimmt gestalten kann, die ich mit Hilfe meiner Mentorin erlangte.

Abgeschlossen habe ich ein Studium, das rückblickend neben einigen negativen vor allem mit positiven Erinnerungen verbunden ist. Mit all meinen erworbenen Fähigkeiten stehe ich jetzt mitten im Leben und freue mich auf neue Herausforderungen!