Sandra Ohlenforst: Inklusion an Hochschulen - Studieren mit Behinderung und chronischer Erkrankung - Daten, Fakten, rechtliche Rahmenbedingungen

Abstract: Im Sommersemester 2012 haben laut Untersuchungen des Deutschen Studentenwerks (2013) 7% der Studierenden eine studienerschwerende Gesundheitsbeeinträchtigung angegeben. Insbesondere Studierende mit einer psychischen Erkrankung / Behinderung beschreiben sich in deutlich höherem Maß in ihren Studienmöglichkeiten beeinträchtigt. Die im Juni 2013 durchgeführte Befragung der Informations- und Beratungsstelle Studium und Behinderung des Deutschen Studentenwerkes (2014) sowie die Evaluation der Empfehlungen der Hochschulrektorenkonferenz im März 2013 konnten belegen, dass das Thema Inklusion an Hochschulen bzw. Studieren mit Behinderung und chronischer Erkrankung inzwischen in vielen Hochschulen präsent ist und sich entsprechende, insgesamt aber sehr unterschiedliche Unterstützungsstrukturen entwickelt haben. An der Universität Würzburg kommt der Kontakt- und Informationsstelle für Studierende mit Behinderung und chronischer Erkrankung eine bedeutende Rolle in der Unterstützung Studierender mit Beeinträchtigung zu. Das Projekt Promotion-inklusive ist ein erster Schritt Absolventinnen und Absolventen mit Behinderung im Rahmen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung die Möglichkeit einer Promotion zu bieten.

Stichworte: Hochschulrahmengesetz, HRK-Empfehlung 2009, Chancengleichheit im Studium, KIS, Beratung, Projekt Promotion inklusive

Inhaltsverzeichnis

  1. Ausgewählte Empirische Befunde
  2. Rechtliche Rahmenbedingungen
  3. Empfehlung Eine Hochschule für Alle
  4. Die Entwicklung der Anzahl der Beratungsgespräche in der Zeit von 2008-2013
  5. Ausblick
  6. Literaturverzeichnis

1. Ausgewählte Empirische Befunde

Die Ergebnisse der im Auftrag des Deutschen Studentenwerks durchgeführten Studie machen das Aufgabenspektrum und die Herausforderung einer Beratungs- und Servicestelle an Hochschule und Universität deutlich. Eine (sehr) starke Studienerschwernis liegt bei 1,8% aller Studierenden vor. Hochgerechnet auf die 2,04 Millionen Studierenden des Berichtskreises der 20. Sozialerhebung weisen damit im Sommersemester 2012 ca. 137.000 Studierende eine studienerschwerende Gesundheitsbeeinträchtigung auf. Für ungefähr 37.000 dieser Studierenden wirkt sich die Beeinträchtigung (sehr) stark auf das Studium aus. Dies sind etwa 10.000 Studierende mehr als bei der letzten Erfassung im Rahmen der Sozialerhebung 2006 (ca. 27.000).
Die Gruppe der Studierenden mit einer beeinträchtigungsbedingten Studienerschwernis erweist sich als ausgesprochen heterogen. Die größte Gruppe stellen die Studierenden mit einer psychischen Beeinträchtigung bzw. Erkrankung dar (42%; Mehrfachnennungen waren möglich; jeweils nur mit einer relevanten Studienbeeinträchtigung), gefolgt von der Gruppe der Studierenden mit einer chronischen somatischen Erkrankung. Die Gruppen der Studierenden, an die in diesem Kontext häufig gedacht, wird, sind in deutlich geringem Maße vertreten (Studierende mit Sehbehinderung/Blindheit 13 %, mit Hörbeeinträchtigung/Gehörlosigkeit 4% und mit einer motorischen Beeinträchtigung 11%). Studierende mit einer psychischen Erkrankung / Behinderung beschreiben sich dabei in deutlich höherem Maß in ihren Studienmöglichkeiten beeinträchtigt. Erschwernisse zeigen sich entsprechend den Ergebnissen der Studie „beeinträchtigt studieren“ des Deutschen Studentenwerks aus dem Jahr 2012 zudem in zahlreichen Bereichen: zeitliche Vorgaben der Studien- und Prüfungsordnungen (70%), organisatorische Vorgaben des Studiengangs (61%), Gestaltung der Lehr- und Prüfungssituationen (63%) und Durchführung von Praktika oder Exkursionen (17%). Relevante Probleme ergeben sich für zahlreiche Studierende auch durch oftmals benannte höhere Lebenshaltungs- sowie besondere Kosten im Verlaufe des Studiums. Individuelle Nachteilsausgleiche (z.B. Gestaltung von Prüfungsbedingungen wie Verlängerung der Klausurbearbeitungszeit, Verschiebung von Prüfungen, separater Prüfungsraum, individueller Studienplan) stellen eine wichtige Form der Unterstützung bei studienerschwerenden Beeinträchtigungen dar.

Die im Juni 2013 durchgeführte Befragung der Informations- und Beratungsstelle Studium und Behinderung des Deutschen Studentenwerkes (2014) sowie die Evaluation der Empfehlungen der HRK im März 2013 konnten belegen, dass das Thema inzwischen in vielen Hochschulen präsent ist und sich entsprechende, insgesamt aber sehr unterschiedliche Unterstützungsstrukturen entwickelt haben. In neun Bundesländern geben die Landeshochschulgesetze vor, dass ein(e) Beauftragte(r) für Studierende mit Behinderung und chronischer Erkrankung benannt werden muss. Dieser Person kommt eine besondere Bedeutung im Prozess der Gestaltung beratender Angebote für die Studierenden zu, mehr aber noch im Prozess der Entwicklung der jeweiligen Hochschule zu einem inklusiven Bildungsangebot für alle Studierenden im Sinne der eben benannten Erklärung. Im Zentrum der Arbeit steht die konkrete Beratungsarbeit, die überwiegend bekannt, aber insgesamt nur von etwa 25% der Studierenden genutzt wird, genauso notwendig aber sind die kontinuierliche Einflussnahme auf strukturelle Bedingungen sowie die Sensibilisierung der Lehrenden und der Hochschulen.

Oft werden behinderte und/oder chronisch kranke Studierende nicht als Studierende mit besonderen Bedürfnissen wahrgenommen; dies gilt insbesondere, wenn ihre Behinderung nicht sichtbar ist. Zu den Studierenden mit Behinderung zählen nicht nur solche, die im Rollstuhl sitzen, blind oder gehörlos sind. Die große Mehrheit ist vielmehr aufgrund von Beeinträchtigungen an der gleichberechtigten Teilhabe am Studium und / oder am gesellschaftlichen Leben gehindert, die für dritte nicht ohne weiteres erkennbar sind. Menschen mit chronisch-somatischen Erkrankungen wie Multiple Sklerose (im Anfangsstadium), Morbus Crohn, Asthma, Nieren Erkrankungen oder psychischen Beeinträchtigungen – aber auch solche mit Legasthenie oder Dyskalkulie – haben schon immer an Hochschulen oder Universitäten studiert. Dass eine Behinderung nicht sichtbar ist, bedeutet jedoch nicht, dass die Studierenden dieselben Chancen auf einen regulären Studienablauf haben wie ihre nicht behinderten Kommilitoninnen und Kommilitonen. So wird ein hörbehinderter Studierender vielleicht in Seminaren wichtige Informationen nicht registrieren, ein sehbehinderter Studierender ein Tafelbild aufgrund der kleinen Schrift nicht erkennen können.

Liegt eine chronisch-somatische Erkrankung oder psychische Beeinträchtigung vor, können deren Symptome das Studium genauso negativ beeinflussen wie eine motorische Beeinträchtigung. Häufig ist es äußerst schwierig, wenn nicht gar unmöglich, etwa den Abgabetermin für eine Hausarbeit einzuhalten, wenn betroffene Studierende mehrere Stunden pro Woche medizinisch behandelt werden müssen oder nur langsam lesen können.
Die mit der Bolognareform vielfach verbundene Straffung der Studienpläne hat zur Folge, dass diese Studierenden mehr als früher auf Nachteilsausgleiche angewiesen sind und sich deshalb häufiger gegenüber Dozenten und Verwaltungsmitarbeitern zu erkennen geben. Die Hochschulen müssen auf diese Entwicklung mit der Sensibilisierung ihrer Lehrenden und anderen Beschäftigten und der Akzeptanz bisher unbekannter Modifikationen der Studien- und Prüfungsbedingungen reagieren.

 

2. Rechtliche Rahmenbedingungen

Mit der Einführung des Sozialgesetzbuches IX (SGB IX) wurde ein allgemeiner
und umfassender Behinderungsbegriff (§ 2 Abs. 1 SGB IX) formuliert, der maßgeblich ist für viele individuelle Nachteilsausgleiche im Hochschulbereich. Von Behinderung wird gesprochen, wenn eine dauerhafte Gesundheitsstörung die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, hier das Studium, langfristig beeinträchtigt. Um ggf. konkrete nachteilsausgleichende Maßnahmen in Anspruch nehmen zu können, müssen sowohl die andauernde gesundheitliche Schädigung, z.B. durch eine festgestellte Schwerbehinderung oder ein fachärztliches Attest, als auch die genaue Teilhabestörung dargelegt und ggf. nachgewiesen werden. Im Zuge der Verabschiedung des Behindertengleichstellungsgesetzes des Bundes im Jahr 2002 wurden das Hochschulrahmengesetz (HRG) und infolgedessen auch die Hochschulgesetze der Länder entsprechend weiterentwickelt. Die Hochschulen sind danach verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass behinderte Studierende in ihrem Studium nicht benachteiligt werden und die Angebote der Hochschule möglichst ohne fremde Hilfe in Anspruch nehmen können. So müssen auch die Prüfungsordnungen laut § 16 Satz 4 HRG die besonderen Belange behinderter Studierender zur Wahrung ihrer Chancengleichheit berücksichtigen. Zudem wurden die Rechte von Menschen mit Behinderungen auf gleichberechtigte Teilhabe an der Hochschulbildung durch das am 26. März 2009 in Deutschland ratifizierte Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen gestärkt.

 

3. Empfehlung Eine Hochschule für Alle

Die deutschen Hochschulen wollen sich stärker auf die besonderen Belange von Studierenden mit Behinderung oder chronischer Erkrankung einstellen. Mit der Empfehlung Eine Hochschule für Alle hat die Hochschulrektorenkonferenz bereits im Jahr 2009 einstimmig beschlossen, Maßnahmen durchzuführen, welche die Chancengerechtigkeit auch für diesen Personenkreis schaffen und sichern sollen.

Die HRK empfiehlt unter anderem:

– von den formellen Regeln abweichende Einzelfallentscheidungen zu ermöglichen,
– Lehrgebäude und Informationszentren „barrierefrei“ zu gestalten,
– Informationsangebote multimedial und barrierefrei anzubieten, da diese zeit-, orts- und wahrnehmungsunabhängigen Angebote für behinderte Studierende besonders wichtig sind,
– die Mitarbeiter/-innen aller Beratungs- und Serviceeinheiten zu schulen sowie
– bei Finanzierungsfragen einen behinderungsbedingten Mehrbedarf anzuerkennen.

Die Verabschiedung der Empfehlung belegt, dass die Hochschulrektorenkonferenz
die soziale Dimension des Bologna-Prozesses erkannt hat, ernst nimmt und die Studiensituation der Studierenden mit Behinderung oder chronischer Erkrankung weiter verbessern will.

Das Beispiel: Die Kontakt- und Informationsstelle für Studierende mit Behinderung und chronischer Erkrankung (KIS) der Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Im Januar 2008 wurde an der Universität Würzburg auf Initiative des Beauftragten der Hochschulleitung für Studierende mit Behinderung und chronischer Erkrankung Professor Dr. Reinhard Lelgemann die Kontakt- und Informationsstelle für Studierende mit Behinderung und chronischer Erkrankung (KIS) eingerichtet.
Ziel von KIS ist die Schaffung chancengleicher Studienbedingungen für behinderte und chronisch kranke Studierende. KIS ist eine in Bayern einmalige Institution. Der Dienstleistungsbereich von KIS mit den Einrichtungen

 

unterstützt und berät Studierende sowie alle Lehrenden, Organe und Gremien der Universität in didaktischen, baulichen, sozialrechtlichen und organisatorischen Angelegenheiten. KIS stellt Wissen und Informationsmaterialien zur Verfügung, die für die erfolgreiche Bewältigung des Studiums erforderlich sind.

Das Spektrum der Angebote im Beratungsbereich reicht von einer offenen Sprechstunde, die zweimal pro Woche stattfindet bis zu der Vergabe von Terminen nach Vereinbarung. Im Jahr 2013 wurden 367 persönliche, telefonische und E-Mail-Beratungen durchgeführt. Die Anzahl der Beratungen hat im Vergleich zum Vorjahr wiederum zugenommen.
KIS wendet sich sowohl an Schülerinnen und Schüler, Studieninteressierte, Studierende und Hochschulabsolventen/innen mit einer Behinderung als auch an chronisch Kranke, die durch ihre Erkrankung in ihrem Studium eingeschränkt sind. Die Beratung ist vertraulich.
Neben Menschen mit einer Schwerbehinderung (z.B. querschnittsgelähmte, blinde und sehbehinderte Menschen) suchen in erster Linie Studierende oder Studieninteressierte die Beratung auf, deren Beeinträchtigung vom äußeren Erscheinungsbild her nicht erkennbar ist.
Die Studierenden, die KIS 2013 beraten hat, haben z.B. eine psychische Erkrankung (Depression, Angststörung, Persönlichkeitsstörung, Essstörung, Borderline), Asperger-Syndrom, Legasthenie, Multiple Sklerose, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Krebserkrankungen, Herz- und Nierenerkrankungen. Die Beratung erfolgt unter anderem zu zulassungsrechtlichen Anliegen (Härtefallantrag auf sofortige Zulassung zum Studium bei zulassungsbeschränkten Studiengängen oder Nachteilsausgleich in Form der Berücksichtigung zusätzlicher Wartesemester), BAföG-Fragen (z.B. Verlängerung der Förderungshöchstdauer), Pflege, Studienassistenz, Stipendium, zu Fragen des Nachteilsausgleichs bei Prüfungs- oder Studienleistungen (z.B. Verlängerung der Klausurbearbeitungszeit, separate Prüfungsräumlichkeiten, Verlängerung der Bearbeitungszeit von Hausarbeiten, individuelle Studienplangestaltung, Verlängerung der Studienzeitdauer) zur Bewältigung des Studienalltags, zu Anträgen an die überörtlichen Sozialhilfeträger zur Finanzierung von Hilfsmitteln, zur Zugänglichkeit von Gebäuden oder zu Fragen des Studiums mit Behinderung im Ausland.
Die Dauer der einzelnen Beratungen beträgt zwischen 10 und 190 Minuten. Hinzu kommen Tätigkeiten, die sich durch die Beratung an sich ergeben, wie etwa das Verfassen von Stellungnahmen zum Antrag zum Nachteilsausgleich für den jeweiligen Prüfungsausschussvorsitzenden, Gespräche mit dem Fachstudienberater oder mit Fachärzten. Zudem werden Beratungen von Studierenden in der Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie durchgeführt. KIS unterstützt auch das Staatliche Bauamt hinsichtlich des Barrierefreien Bauens.

Die Entwicklung der Anzahl der Beratungsgespräche in der Zeit von 2008-2013

 

Für blinde und sehbehinderte Studierende aller Fachbereiche und Fakultäten werden im Rahmen des Umsetzungsdienstes Studienmaterialien in Blindenschrift oder in Großdruck umgesetzt, digital erfasst und auf Datenträger abgespeichert. Den Auftrag hierzu erteilen entweder die sehgeschädigten Studierenden selbst oder Lehrende, an deren Veranstaltungen blinde oder sehbehinderte Studierende teilnehmen.
Umgesetzt werden all jene schriftlichen Materialien, die von allen Teilnehmern und Teilnehmerinnen einer Lehrveranstaltung gelesen werden müssen, wie zum Beispiel Thesenpapiere, Skripten, Reader, Tischvorlagen oder Powerpoint-Präsentationen.
Im Hilfsmittelpool stehen zwei Laptops zum Ausleihen für Studierende und Lehrende zur Verfügung, z.B. für Klausuren (beispielsweise für Studierende mit Legasthenie oder motorischen Einschränkungen)
Zusätzlich wurde die ClaroRead-Software (eine multisensorische Softwarelösung für Legastheniker) angeschafft. Ziel der Software ist es, den Anwendern ein einfach zu bedienendes, individuell verwendbares Werkzeug zur Verfügung zu stellen, welches ihnen den Umgang mit Lesen und Schreiben von Texten auditiv und visuell erleichtert.
Zwei ausleihbare FM-Anlagen ergänzen das Angebot des Hilfsmittelpools.

Seit Oktober 2012 bietet KIS in Zusammenarbeit mit einer Mitarbeiterin des Sozialpsychiatrischen Dienstes des Bayerischen Roten Kreuzes das Seminar „Psychische Erkrankungen bei Studierenden - wie erkenne ich sie und wie gehe ich damit um? für Lehrende und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Zentralverwaltung an.

5. Ausblick

In den letzten fünf Jahren ist es gelungen, das Thema „Studium mit Behinderung und chronischer Erkrankung“ zunehmend in die universitäre Öffentlichkeit zu transportieren. Nicht zuletzt stellt die Empfehlung der Hochschulrektorenkonferenz Eine Hochschule für Alle einen wichtigen Impuls dar. An zahlreichen Hochschulen haben sich entsprechende Beratungsstrukturen etabliert, die Studierenden eine konkrete Unterstützung anbieten können. Um aber mittelfristig inklusive Hochschulen für alle Studierenden mit Behinderung und chronischer Erkrankung, die eine Studienberechtigung erworben haben, zu verwirklichen, müssen strukturelle Bedingungen im Vorfeld systematisch eruiert werden (Berücksichtigung in den Bereichen Studienorientierung, -beratung und –zulassung, Fragen der Studienfinanzierung und Sozialleistungen, der Studiengestaltung und Prüfungsordnungen, Nachteilsausgleiche, Fragen der Barrierefreiheit im Bereich der Mobilität und der Didaktik, Information und Kommunikation) und gleichwertig Fragen der Sensibilisierung der Lehrenden und der Mitarbeiter der Verwaltung.

Eine Verankerung derartiger Unterstützungsstrukturen allein auf der Ebene einer Studienberatung oder außerhalb der  Hochschule im Bereich der Studentenwerke  erscheint nicht sinnvoll, da keine Möglichkeit besteht, sich hochschulintern einbringen zu können (z.B. auch bei prüfungsrechtlichen Fragen, baulichen Aspekten oder Fragen der Fortbildung). Hier müssen auf Basis verbindlicher Regelungen in den Hochschulgesetzen landes-, vor allem aber standortspezifische interne Strukturen in den Hochschulen entwickelt werden.

Konkrete Beratungserfordernisse sind in der Regel sehr individuell auf die einzelne beeinträchtigungsbedingte Studienerschwernis abzustimmen und daher werden sicherlich auch langfristig spezifische Unterstützungssysteme erforderlich sein.

Wichtig ist aber auch zu schauen, wie es nach dem Studium für die Absolventinnen und Absolventen mit Behinderung und chronischer Erkrankung weitergeht. Für diese Personengruppe, die sich für eine Promotion interessieren, wurde das Projekt „Promotion inklusive“ entwickelt.

Mit diesem Projekt sollen neue Wege beschritten werden, schwerbehinderten Akademikerinnen und Akademikern eine Promotion zu ermöglichen. Das Studium mit einer Behinderung erfolgreich zu gestalten, erfordert oft einen hohen logistischen Aufwand, Durchsetzungsvermögen und die Bereitschaft, Barrieren und Vorurteilen zu überwinden. Doch nach dem Studium stellt sich die Frage, wie es beruflich weitergehen soll. Eine Promotion ist häufig der nächste Schritt, um die wissenschaftliche Befähigung nachzuweisen und die Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt zu erhöhen.

Neben der alltäglichen Frage, wie man den Lebensunterhalt während der Promotionsphase finanzieren kann, kommt es oft zu weiteren unerwarteten Schwierigkeiten: Wer zahlt eine Arbeitsassistenz? Wer finanziert die notwendigen technischen Arbeitshilfen? Stipendien decken diese Kosten in der Regel nicht ab. Aber schnell summieren sich hier mehrere Tausend Euro pro Jahr. Haushalts- und Drittmittel der Unis sind ebenfalls knapp.

Im Rahmen des Projektes PROMI – Promotion inklusive sollen innerhalb der nächsten Jahre insgesamt 45 HochschulabsolventInnen mit einer Behinderung die Möglichkeit zur Promotion erhalten. Dazu werden in den Jahren 2013 bis 2015 jährlich 15 zusätzliche halbe Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an 15 Partner-Universitäten in ganz Deutschland eingerichtet. Bei den Promotionsstellen handelt es sich um 3-jährige versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Der Vorteil: Die Promovierenden sind sozial abgesichert und es besteht ein Rechtsanspruch auf notwendige berufliche Reha-Leistungen, sodass gemäß dem Motto „Promotion inklusive“ barrierefrei promoviert werden kann.

Die Leitung des Projektes sowie die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation liegen beim Lehrstuhl für Arbeit und berufliche Rehabilitation (Prof. Dr. Mathilde Niehaus) und dem Lehrstuhl für Pädagogik und Rehabilitation hörgeschädigter Menschen (Prof. Dr. Thomas Kaul) der Universität zu Köln. Kooperationspartner sind der Arbeitgeberservice Schwerbehinderte Akademiker der ZAV der Bundesagentur für Arbeit und das Unternehmensforum, das die Brücke zur Wirtschaft herstellt. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gefördert. Bei diesem Projekt stehen nicht nur das eigentliche Promotionsvorhaben im Vordergrund, sondern auch die späteren Aussichten einer erfolgreichen Integration auf dem ersten Arbeitsmarkt.

 

6. Literaturverzeichnis

BIH: PROMI-Promotion inklusive. in: ZB Zeitschrift Behinderte Menschen im Beruf (2013), Nr. 2, S. 8.

Informations- und Beratungsstelle Studium und Behinderung beim Deutschen Studentenwerk (2014): Beauftragte für Studierende mit Behinderungen und chronischen Krankheiten. Berlin, 2014.

Deutsches Studentenwerk (Hrsg.) (2013): Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in Deutschland 2012. Berlin, 2013.

Deutsches Studentenwerk (Hrsg.) (2012): beeinträchtigt studieren. Datenerhebung zur Situation Studierender mit Behinderung und chronischer Krankheit 2011. Berlin, 2012.

Hochschulrektorenkonferenz (2009): Eine Hochschule für Alle. Empfehlung der 6. Mitgliederversammlung am 21.04.2009 zum Studium mit Behinderung/chronischer Erkrankung. Bonn

Lelgemann Reinhard, Ohlenforst Sandra (2012): Studieren mit Behinderung und chronischer Erkrankung. Fakten und Rahmenbedingungen. In: Forschung & Lehre. 4, 2012, 214-216.