Abstract:Der Text skizziert zunächst den wissenschaftshistorischen Hintergrund der Entstehung einer Soziologie der Inklusion und Exklusion und die Verknüpfung mit der These der Trennung sozialer und personaler Systeme. Danach konzentriert er sich auf die systematische Explikation einiger Grundzüge einer soziologischen Theorie der Inklusion und Exklusion. Diese Theorie bezieht die beiden Leitbegriffe auf den sozialen Sachverhalt des Primats globaler Funktionssysteme als die gegenwärtige Form sozialer Differenzierung. Inklusion und Exklusion ist dann zunächst mit Blick auf diese globalen Funktionssysteme zu verstehen. Der Text stellt die zentralen Begriffe und Theoreme vor und exemplifiziert und prüft sie mit Blick auf den Funktionskomplex Schule und Erziehungssystem.
Stichworte: Inklusion, Exklusion, Weltgesellschaft, Schule, Erziehungssystem
Ausgabe: 1/2013
Inhaltsverzeichnis
Die Soziologie der Inklusion und Exklusion ist eine theoretische und begriffliche Neuentwicklung in der Sozialwissenschaft der letzten dreißig bis vierzig Jahre. Zumindest drei Quellen und Ursprungskontexte dieser Neuentwicklung lassen sich gut voneinander unterscheiden. Da ist zunächst die soziologische Systemtheorie in der Spielart, die sich mit den Namen Talcott Parsons und Niklas Luhmann verknüpft. Diese spricht von Inklusion und Exklusion dort, wo sie die Form der Beteiligung und der Berücksichtigung von Personen in Sozialsystemen analysiert. Das setzt eine ausgearbeitete Theorie des Sozialsystems voraus, und es setzt die Vorstellung voraus, dass Personen zur Umwelt von Sozialsystemen gehören und von diesen in verschiedener Weise kommunikativ einbezogen werden können. Startpunkt der expliziten Entwicklung einer Theorie der Inklusion und Exklusion war Talcott Parsons’ zuerst 1965 im „Daedalus“ erschienener Aufsatz „Full Citizenship for the Negro American?“[2], der eine analytische Perspektive vorbereitete, die die Inklusion größerer Bevölkerungskreise als einen Schlüsselprozess in der Ausdifferenzierung der die Moderne prägenden Funktionssysteme auffaßte. Eine zweite Quelle der neuen Begrifflichkeit findet sich in der französischen Sozialtheorie. Diese hatte bereits seit Durkheim den Begriff der Gesellschaft mit dem der Solidarität nahezu ineinsgesetzt. Inklusion und Exklusion meinten dann das Gelingen oder das Scheitern der Solidarität, und die französische Diskussionssituation verkörpert seit den sechziger und siebziger Jahren den einzigen Fall, in dem die Semantik der Inklusion und Exklusion in der Sozialpolitik genauso präsent ist wie in der Sozialtheorie. Vor diesem Hintergrund entfaltet sich ein breites Spektrum von Theoretisierungen, von der Theorie der Sozialdisziplinierung bei Michel Foucault, die sowohl Inklusion wie Exklusion als einen Fall von Disziplinierung auffaßt, bis zur Ungleichheitstheorie eines Pierre Bourdieu. Als dritter Herkunftskontext einer Soziologie der Inklusion und Exklusion ist die britische Wohlfahrtsstaatstheorie seit Thomas Humphrey Marshall zu nennen.[3] Diese dachte die kommunikative Berücksichtigung von Personen in Sozialsystemen als Mitgliedschaft nach dem Paradigma von „citizenship“; sie war darin originell und für die auf Differenzierung setzende Soziologie anschlussfähig, dass sie plurale Formen einer solchen Mitgliedschaft (civil, political, social) voneinander unterschied.
Diesen wissenschaftshistorischen Hintergrund der Soziologie der Inklusion und Exklusion vertiefen wir im Folgenden nicht; wir konzentrieren uns stattdessen auf eine systematische Explikation einiger Grundzüge der Theorie und die Anwendbarkeit der Theorie auf Schule und Erziehungssystem als ein globales Funktionssystem. Im Anschluß an die Systemtheorie gehen wir davon aus, dass mit den beiden Begriffen Inklusion und Exklusion die Art und Weise bezeichnet wird, in der Sozialsysteme sich auf ihre personale Umwelt beziehen. Dieser Sachverhalt läßt sich deshalb besonders gut am Beispiel der Schule und der Schulklasse erläutern, weil im Fall der Schulklasse die Trennung von Sozialsystem und Person unabweisbar hervortritt. In der Schulklasse vollzieht sich einerseits mit einer gewissen Zwangsläufigkeit und Unaufhaltsamkeit das Unterrichtsgeschehen; andererseits existieren daneben die Orientierungen, Beschäftigungen und inneren Abläufe, die den einzelnen Schüler in seiner Aufmerksamkeit und Ansprechbarkeit binden und die oft nur tangential mit dem Unterrichtsgeschehen verknüpft sind. Man kann dies gut auf den ziemlich genau fünfzig Seiten studieren, die Thomas Mann am Ende der „Buddenbrooks“ einem einzigen Schultag im Leben des fünfzehnjährigen Hanno Budenbrook widmet.[4] In diesem Text sieht man sowohl die Gnadenlosigkeit des Fortgangs des Unterrichtsgeschehens; die Unerwünschtheit der Inklusion aus der Perspektive der Schüler, da sie es vorziehen, vor sich hin zu „träumen“ und zu „brüten“; die irgendwann dann doch erfolgende Inklusion als kommunikative Adressierung durch den Lehrer, die den Schüler in das Unterrichtsgeschehen als eine Prüfungsmaschinerie hineinzieht, bis sie ihn als einen „Vernichteten“ oder zufällig „Geretteten“ wieder ausspuckt; schließlich die explizit gemachte Exklusion in der Ankündigung des Schuldirektors (des „lieben Gottes“), der den zahlreichen in der Englischstunde ihrer Inkompetenz überführten Schülern ankündigt: „Ich will euch eure Carrière schon verderben.“[5] Dies alles demonstriert die völlige Exteriorität des Schulgeschehens im Verhältnis zu den psychischen Systemen der Schüler – und zugleich die Anerkennung dieser Exteriorität durch die Schüler, die den prozessual erarbeiteten Ergebnissen trotz ihrer zutage liegenden Zufälligkeit und Ungerechtigkeit kein selbständiges Urteil entgegenzustellen vermögen, sondern sowohl der „Vernichtung“ der in ihrer mangelnden Vorbereitung entlarvten Schüler wie dem durch einen unentdeckten Betrug zustandegekommenen „Erfolg“ kritiklos Reverenz erweisen.
Die hier in einer ersten Annäherung sichtbar werdende Dynamik der Inklusion und Exklusion in Sozialsystemen ist nun aus einer systematisch-soziologischen Perspektive zu vergegenwärtigen, die Dimensionen und Systemebenen, lokale und globale Bezüge unterscheidet:
Es ist zunächst der Ereignischarakter von Inklusion und Exklusion und damit zugleich der operativeVollzugvon Inklusionen und Exklusionen zu betonen. Dieser Ereignischarakter liegt für Inklusionen auf der Hand. Schüler werden aufgerufen und zu diesem Zweck mit Namen angesprochen, und sie werden auf diese Weise temporär in das Unterrichtsgeschehen einbezogen. In diesen Ereignissen vollzieht sich Inklusion, ob die Inklusion nun angestrebt oder unerwünscht sein mag. Für die Adressierung der Schüler als das elementare Inklusionsereignis genügt ihre Individualisierung mittels eines Eigennamens.[6] Auch die Exklusion kommt in der Form von Ereignissen vor, wenn beispielsweise der Schüler zeitweise vor die Tür des Klassenraums gesetzt wird oder sogar von der Schule verwiesen wird. Aber die Interrelation von Inklusion und Exklusion ist asymmetrisch, weil Exklusion in vielen Fällen die Form eines Nichtereignisses aufweist, wenn beispielsweise das Sozialsystem Schulklasse einige der ihm eigentlich zugehörigen Schüler gleichsam als „lebende Tote“ behandelt, von denen man nichts mehr erwartet und deren kommunikative Adressierung nach Möglichkeit vermieden wird. Exklusionen sind insofern weit schwerer zu identifizieren und zu beweisen, als dies bei Inklusionen der Fall ist, weil sie eine Sequenz von Kommunikationsereignissen voraussetzen, in denen eine inklusive Kommunikation hätte erfolgen können, aber eine solche inklusive Kommunikation nicht verwendet worden ist.
Inklusionen werden über die Ereignisebene hinaus zu Rollen verdichtet, in denen Erwartungen zusammengefasst werden, die die Prozesse der kommunikativen Adressierung steuern und die dies wiederholt auf ähnliche Weise tun. Auch dies läßt sich am Beispiel der Schule gut erläutern. Es gibt dort die Inklusionsrollen des Lehrers und die des Schülers, die deshalb beide als Leistungsrollen beschrieben werden können, weil die Leistungsrollenträger mit ihren Beiträgen oder Leistungen den Kern des Schulgeschehens tragen. Daneben sind die Eltern wichtig, die nicht in Leistungs-, sondern in Publikumsrollen agieren, da sie primär auf einen Beobachterstatus verwiesen sind, die aber in diesem Beobachterstatus als kommunikative Adressen in das Schulgeschehen einbezogen werden können (z.B. das Zeugnis kommt mit der Post, auf dem Umschlag an die Eltern adressiert). Sobald die Elternrolle anders definiert wird und den Eltern auch aktive Beiträge zugedacht werden, was beispielsweise damit zu tun haben kann, dass ohne die intensive Mitwirkung der Eltern die schulischen Leistungen der Kinder nicht mehr ernsthaft erbracht werden können, liegt es nahe, einen weiteren Rollentypus zu postulieren, so dass man davon spricht, dass die Eltern sekundäre Leistungsrollen übernehmen.[7] Es ist in diesen Überlegungen unschwer zu sehen, dass sich die Inklusionsseite des Systems gut durch Rollen und durch diesen Rollen zugeordnete Erwartungssets beschreiben läßt. Entsprechendes gilt für die Exklusionsseite in einer ersten Annäherung nicht, da Exklusion gerade dadurch definiert ist, dass an diejenigen, die in bestimmten Hinsichten exkludiert sind, keinerlei Erwartungen mehr gerichtet werden. Erst wenn man Exklusion als eine Form der Inklusion beschreibt[8] und als eine solche ausdrücklich institutionalisiert, entstehen eigene soziale Rollen für die Exklusionsseite des Systems.
Bis zu diesem Punkt der Argumentation haben wir erste Bestimmungen und Begrifflichkeiten aus der Theorie der Inklusion und Exklusion mit Blick auf das Interaktionssystem Schulklasse eingeführt. Die Schulklasse ist deshalb ein Interaktionssystem, weil alle Mitglieder einer Schulklasse füreinander wechselseitig wahrnehmbar sind, also alles Geschehen in der Schulklasse die Form der Interaktion unter Anwesenden annimmt. Die Schulklasse besteht nur aus Interaktionen und aus nichts anderem. Auch deshalb gehören die teilnehmenden Personen zur Umwelt des Systems und können nur punktuell und ereignishaft inkludiert oder exkludiert sein.
Weiterhin war im bisherigen Argument im Hintergrund immer die Organisation Schule präsent, ohne deren Rahmen das einzelne Unterichtssystem gar nicht veranstaltet werden könnte. Die Organisation Schule war auch insofern thematisch, als die Rollendefinitionen auf der Inklusionsseite und zentrale Akte der Exklusion (beispielsweise der Schulverweis) den Ort ihrer kommunikativen Verfertigung in der Organisation und nicht im Interaktionssystem finden. Die sozialen Rollen liegen bereits fest, wenn das Schuljahr und der einzelne Unterrichtstag beginnt, und sie können in diesem interaktionellen Geschehen allenfalls interpretiert, aber nicht wirklich verändert werden.
Das Durchdenken der Systemebenen zwingt uns zur Einführung einer dritten Systemreferenz. Interaktion und Organisation sind in den Spezifikationen, die sie vornehmen, nur im Rahmen eines Makrosystems zu verstehen, das einen bestimmten gesellschaftlichen Funktionsschwerpunkt herausarbeitet. In dem hier als Beispiel benutzten Fall würde man das entsprechende Funktionssystem Erziehungssystem oder Bildungssystem nennen. Das Erziehungssystem – dies scheint der kulturunabhängigere und insofern geeignetere Name - als Funktionskomplex übergreift den Unterschied von Familien und Schulen; es verteilt die Erziehungsaufgaben gewissermaßen auf zwei Einheiten, die sich diese Aufgaben in je verschiedener Weise teilen oder um sie konkurrieren oder auch gegenläufig zueinander operieren.
Sobald wir über Funktionssysteme reden, haben wir auf offensichtliche Weise mit einer Systemebene zu tun, die nur auf der Ebene der Weltgesellschaft sinnvoll identifiziert werden kann. Alle Funktionssysteme bilden globale Kommunikationszusammenhänge, und sie grenzen kleinere (lokale, nationale) Einheiten als eine Form ihrer Subsystembildung aus. Das lässt sich gut an dem hier verwendeten Beispiel erläutern. Schulen stehen heute in einem weltweiten Vergleichs- und Kopierzusammenhang, in welchem Schulstufeneinteilungen, Didaktiken, Lehrbücher und vieles andere mehr transferiert werden und unablässig weltweite Erfolgs- und Leistungsvergleiche angestellt werden.[9] Auch Familien rekrutieren ihre Mitglieder (im Augenblick der Partnerwahl für Familiengründung[10] und in Akten der Adoption von Kindern durch bereits konstituierte Familien) immer häufiger über regionale-nationale Grenzen hinweg. Außerdem sind Familien in der Gegenwart vielfach über große räumliche Distanzen verteilt und bilden transnationale Netzwerke oder Kommunikationszusammenhänge. Vor allem aber sind die Erziehungsvorstellungen gerade auch der Familien in transnationale Kommunikationszusammenhänge eingebettet und dadurch beeinflussbar.
Interessant wird es nun, wenn man die Frage der Inklusion und der Exklusion auf der Ebene der Funktionssysteme als globaler Funktionssysteme wiederholt. Erneut geht es um das Problem der Berücksichtigung oder der kommunikativen Adressierung einzelner Personen durch Sozialsysteme, in diesem Fall um die Adressierung von Personen durch global vernetzte Funktionssysteme. Wenn man dies so formuliert, drängt sich bereits bei der ersten Annäherung auf, dass eine globale Inklusion aller auf der Erde lebenden Personen in ein Funktionssystem aus rein quantitativen Gründen unwahrscheinlich scheint, und es gewinnt deshalb das Vorkommen massenhafter Exklusion eine intuitive Plausibilität. Es kommt hinzu, dass die Funktionssysteme über keine Adressenverzeichnisse der von ihnen zu berücksichtigenden Personen verfügen und allein aus diesem Grund massenhafte Exklusion naheliegt. Dies ist nur dort anders, wo Staaten und Wohlfahrtsstaaten in ihrem zunächst politisch bestimmten Ordnungszusammenhang Adressenverzeichnisse dieses Typs als Verzeichnisse von Einwohnern und Staatsbürgern unterhalten und auf dieser Basis anderen Funktionssystemen fördernd und fordernd zur Seite stehen. Aber auch das sind ziemlich begrenzte Kenntnisse, wie sich selbst in statistisch gut ausgerüsteten Staaten leicht am Beispiel des Phänomens der illegalen Immigration belegen läßt. Man findet beispielsweise für die Vereinigten Staaten Zahlen zwischen 11 Millionen und 20 Millionen illegaler Immigranten,[11] was angesichts der Ungewissheit bereits dieser Makrodaten die Adressierbarkeit der Einzelnen als eine noch unwahrscheinlichere Leistung erscheinen läßt.
Skeptischen Befunden dieser Art steht die ganz anders geartete „voluntaristische“ Selbstbeschreibung der Funktionssysteme gegenüber. Diese kennen, das ist fast ein Definiens eines Funktionssstems, keine im Selbstbezug erfolgenden Limitationen der gesellschaftsweiten Relevanz des Funktionssystems oder zumindest tolerieren sie solche Limitationen semantisch und legitimatorisch nicht. Aus diesen Gründen dominieren in allen Funktionssystemen Semantiken und normative Selbstbeschreibungen, die Inklusion als Vollinklusion aller Gesellschaftsmitglieder deuten oder die dies zumindest als Ziel postulieren. Im Fall der Erziehung würde dies bedeuten, dass für alle noch erziehungsbedürftigen Jugendlichen eine Familie zu finden ist und dass alle den entsprechenden Jahrgängen angehörigen Jugendlichen eine Schule zu besuchen haben. Diese beiden für Erziehung wichtigen Formen der Inklusion hängen offensichtlich eng zusammen. Für Kinder und Jugendliche, denen ihre Familie verlorengeht, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie eine Schule besuchen, sehr gering, es sei denn es findet sich eine Organisation (Waisenhaus, SOS-Kinderdorf, Kibbutz, Schulinternat) oder eine andere Familie[12], die die Erziehungsfunktion der Herkunftsfamilie substituiert. Der Umkehrschluß gilt offensichtlich nicht. Der Nichtbesuch einer Schule durch die Kinder einer Familie destabilisiert die Familie nicht (zumal sie in der Regel die Kinder im Haus unterrichten wird); es sei denn, es handelt sich um ein katastrophales Scheitern des Individuums in der Schule, das zu einer effektiven – expliziten oder impliziten – Exklusion aus der Schule führt. Dort, wo es zum Schulbesuch aber gar nicht erst kommen konnte, ist eher anzunehmen, dass die Erziehungserwartung an die Familie entsprechend steigt, dass wir insofern lokal mit einer Situation zu tun haben, die noch vor dem Vorgang der Differenzierung von Familie und Schule liegt. Dann wird alles Wissen, das die Kinder für das Leben benötigen über andere Kommunikationswege vermittelt: Familie, Gleichaltrige, ausserfamiliale Personen mit Autorität.
Die strukturelle Unwahrscheinlichkeit der Realisierung von – zudem plural vorkommender - Vollinklusion in einem globalen Gesellschaftssystem und der „Voluntarismus“ der Funktionssysteme (in ihren Semantiken und Selbstbeschreibungen) machen eine Disjunktion sichtbar, die an eine frühere (Krisen-)Diagnose erinnert. Robert King Merton hatte mit Blick auf die Vereinigten Staaten eine Disjunktion zwischen einer Wertordnung, die Aufstiegshoffnungen und Erwartungen induziert, und den geringen strukturellen Wahrscheinlichkeit der Realisierung der induzierten Erwartungen festgestellt, und er hatte für diesen Konflikt den Begriff der Anomie vorgeschlagen.[13] In einem ziemlich genau parallelen Verständnis lässt sich für die von uns diagnostizierte Disjunktion von induzierten Inklusionserwartungen einerseits und den faktischen Unmöglichkeiten der Realisierung von Vollinklusion andererseits die Vorstellung einer Anomie der Weltgesellschaft vertreten.[14] Diese Anomie fällt lokal je unterschiedlich aus, wobei „lokal“ die extreme Verschiedenheit der Kontexte zwischen den Funktionssystemen der modernen Gesellschaft meint, was aber bedeuten wird, dass die enttäuschten Erwartungen untereinander nicht koalitionsfähig sein werden.
Eine weitere zentrale Eigentümlichkeit von Inklusion und Exklusion in der Weltgesellschaft ist zu betonen. Die moderne Gesellschaft kennt kaum noch Exklusionen, die unwiderruflich und irreversibel sind. Selbst die auch in der Moderne häufigen Massentötungen und Genozide konterkariert sie durch die immer deutlicher hervortretende Memorialkultur der modernen Gesellschaft, eine Memorialkultur, die in vielen Hinsichten eine verbindliche Semantik und Kultur der Moderne geworden ist, so dass es beispielsweise in der EU zu einer Beitrittsbedingung[15] zu werden scheint, dass man sich im Blick auf die je eigene Schuld der Erinnerungskultur der Moderne anzuschließen bereit und fähig ist. Diese nur noch durch den Akt des Erinnerns korrigierbaren Exklusionen stellen zweifellos einen Extremfall dar. Viel typischer sind für die Weltgesellschaft seit dem 18. Jahrhundert die vielen Exklusionen, die von vornherein in die Form einer Inklusion gebracht werden. Das Gefängnis als eine Instanz der Resozialisation der Straftäter und zugleich der Kontinuierung der meisten Bürger- und damit Partizipationsrechte auch im Moment der Exklusion ist dafür die paradigmatisch moderne Erfindung.[16] Auch der Schulverweis ist, um zu dem hier verwendeten Beispiel zurückzukehren, rechtlich daran gebunden, dass die exkludierende Schule die Wiederaufnahme an einer anderen Schule mitkontrolliert.[17]Eine andere interessante Variante einer Mischung von Exklusion und Inklusion dokumentiert der Fall einer absehbar erfolglosen Abiturientin der von einem norddeutschen Gymnasium Anfang 2013 mitgeteilt wird, man „schenke“ ihr das Fachabitur. Aber die Bedingung sei, dass sie das Schulwesen verlasse. Auch dies kombiniert Exklusion mit einer Inklusion in etwas, was nach aussen als Erfolg (der Schule und der Schülerin) einer Schulausbildung dargestellt werden kann.
In einer Reihe von Funktionssystemen nimmt die Selbstverpflichtung der weltgesellschaftlichen Moderne auf Vollinklusion zunächst die Form einer separierenden Inklusion an. Frauen besuchen ‚höhere Töchterschulen‘, später ‚Liebfrauengymnasien‘, die sich um anspruchsvolle Ausbildung bemühen und dann noch später koedukativ werden. Auch Colleges separieren in einer Reihe von Fällen die Geschlechter, oder man wählt in ihnen eine Lösung, die Männer und Frauen zwar an derselben Universität studieren lässt, aber die Vorlesungsräume so gestaltet, dass die Mitglieder der beiden Geschlechter einander nicht sehen (Saudi-Arabien).
Im Sport schliesst die Prämisse und der Primat körperlicher Leistungsfähigkeit zunächst körperlich und auch geistig Behinderte aus. Dann aber erfindet man Wettbewerbe, die Behinderten in gleicher Weise globalen Leistungsvergleich zugänglich machen, wie dies zunächst nur für Nichtbehinderte möglich war. Einzelne behinderte Sportler können heute in Ansehen und Bewunderung mit nichtbehinderten Sportlern konkurrieren. Ähnlich operiert das Schulwesen mit immer neuen Spezialinstitutionen für spezielle Formen der Behinderung, die den bisher exkludierten Behinderten elementare und manchmal auch anspruchsvolle Schulbildung zugänglich machen.
Diese Erfindung separierender Formen der Inklusion, die eine offensichtliche Umsetzung der Selbstverpflichtung auf Vollinklusion ist, ist in unseren Tagen zunehmend umstritten. Immer mehr behinderte Sportler reklamieren die Partizipation am Leistungssport der Nichtbehinderten.[18] Manche von ihnen erhalten speziellen ‚support‘ (an der Seitenlinie stehende ‚Dolmetscher‘ für taube Tennisspieler); andere ziehen Niederlagen den als unecht empfundenen Siegen über andere Behinderte vor (was ein weiteres Indiz dafür ist, dass Sieg/Niederlage sich nur begrenzt als Code des Weltsports eignet)[19]; dritte versuchen die Behinderung durch unbändigen Leistungswillen zu kompensieren, was die Differenz zu nichtbehinderten Leistungssportlern symbolisch und manchmal auch faktisch minimiert, da nichtbehinderte Sportler auch unablässig mit Verletzungen als körperlichen ‚constraints‘ kämpfen.[20]
Eine noch stärkere Version der integrierenden Inklusion scheint sich in Teilbereichen des Schulwesens abzuzeichnen. Der Hintergrund ist die UN-Behindertenrechtskonvention von 2006 (Inkrafttreten 2008), die in der Tendenz Behinderung als Diversität deutet. Mit einer solchen Deutung entfallen Rechtfertigungen für eine separierende Inklusion Behinderter in spezifisch auf ihre Behinderung zugeschnittenen Sonder-/Förderschulen. Stattdessen gewinnt das Postulat der integrierenden Inklusion von Behinderten in die jeweiligen Regelschulen an Gewicht. Eine solche integrierende Inklusion kombiniert gewissermassen Inklusion und Integration. Inklusion in das Schulwesen wird ergänzt und überlagert dadurch, dass diese für alle Schüler auf denselben Schultyp bezogen wird (die jeweilige Regelschule). Dann wird zusätzlich Integration unabweisbar, wobei der Begriff der Integration im Unterschied zum Begriff der Inklusion die Wechselwirkungen der Beteiligten sichtbar macht. Alle Beteiligten müssen sich jetzt deutlicher auf Einschränkungen ihrer Wahl und Einschränkungen ihrer Freiheitsspielräume einstellen, die aus der Tatsache folgen, dass ein und dieselbe Schulklasse jetzt mit einer viel höheren Diversität der Beteiligten zurechtkommen muss. Integration im Sinne von wechselseitiger Einschränkung der Wahlmöglichkeiten wird dann für alle Beteiligten alternativenlos und mit Blick auf diese Einschränkungen als ‚constraints‘ kann man, wie dies für ‚constraints‘ generell gilt, entweder die Vorteile (die Erziehungswirkungen der Rücksichtnahme) oder die Nachteile (die Verluste an Individualisierung und Förderung) betonen.
Es ist eine vorläufig offene Frage, ob diese Umstellung auf integrierende Inklusion erfolgreich sein wird. Differenzen, die bisher Differenzen zwischen im Leistungsniveau separierten Klassen derselben Schule (wie in der amerikanischen ‚High School‘) waren oder Differenzen zwischen Schultypen, die Behinderungen und Vorteilen Rechnung trugen, werden jetzt als Differenzen in die integrative Klasse der Regelschule importiert.[21] Vermutlich lösen sie die situativ-kommunikative Einheit des Klassenverbandes auf zugunsten eines Nebeneinanders von miteinander koordinierten, aber parallel zueinander ablaufenden Fördersituationen. Ob dafür das Personal zur Verfügung steht, ist offen, und dies definiert eine anspruchsvolle und extrem kostspielige Bedingung des Erfolgs. Wenn diese Bedingung nicht erfüllt werden kann, ist die Möglichkeit nicht auszuschliessen, dass individuelle Förderbedarfe weit weniger kommunikativ berücksichtigt werden als dies in Sonder-/Förderschulen der Fall ist. Und dann droht im ungünstigsten Fall die integrierte Klasse, die die inkludierende Exklusion der Sonderschulen ersetzt, zu einem Ort der exkludierenden Inklusion zu werden,[22] an dem das formale Moment der Inklusion in ein und dieselbe Klasse faktisch durch zunehmende Exklusion überlagert wird, weil die Abstände innerhalb der Klasse von Jahr zu Jahr grösser werden und dann beim Übergang zur Sekundarschule das Schulsystem erneut auf Sonderschulen zurückgreifen muss, die dann möglicherweise unter ungünstigeren Bedingungen starten, als dies vor der Behindertenrechtskonvention der Fall war.
Die theoretische Folgerung aus den in diesen Überlegungen zusammengefassten und seit Foucault vielfach registrierten Befunden liegt auf der Hand. Die Unterscheidung von Inklusion und Exklusion ist - mit einem von Louis Dumont eingeführten Terminus - eine hierarchische Opposition.[23] Es handelt sich bei Inklusion und Exklusion um eine Gegenbegrifflichkeit, in der einer der beiden Begriffe der Unterscheidung die Unterscheidung dominiert und den ihm gegenüberstehenden Begriff in sich einschließt oder unter sich subsumiert. In diesem Fall und das ist eine der wichtigsten Signaturen der weltgesellschaftlichen Moderne ist der dominierende Begriff der der Inklusion, weil in der Gegenwart auch noch so zugespitzte Exklusionen (z.B. die lebenslange Freiheitsstrafe) auch mit Möglichkeiten einer Re-Inklusion ausgestattet werden müssen. Diese Diagnose ist nicht zwangsläufig eine optimistische Zustandsbeschreibung, weil, wie sich am Beispiel des Gefängnisses leicht zeigen lässt, die in die Exklusion eingebauten Institutionen der resozialisierenden Inklusion sich vielfach als problemverschärfend erweisen. Aber es handelt sich bei der Diagnose der hierarchischen Opposition von Inklusion und Exklusion um eine Beschreibung, die in zwei Hinsichten Spezifika der Weltgesellschaft sichtbar macht: Erstens führt sie uns ein weiteres Mal vor Augen, wie sehr die Weltgesellschaft ein System ist, das ohne ein soziales Außen operieren muss, weil es auch die in ihm vollzogenen Ausschlüsse in neuen Formen als Inklusionen in sich inkorporiert.[24] Fremde der Weltgesellschaft und rückstandslos aus ihr Exkludierte sind kaum mehr zu denken. Zweitens weist diese Beschreibung auf die unerhörte Dynamik der Weltgesellschaft der Moderne hin. Die brasilianische Favela, die Luhmanns pessimistische Überlegungen zu Inklusion und Exklusion inspiriert hatte, ist vermutlich nicht, wie Luhmann dies noch gedacht hatte,25[] ein stabil abgesonderter Exklusionsbereich;[26] sie ist vielmehr mitten in der Gesellschaft und mitten in den Städten (in Rio de Janeiro auf den Hügeln innerhalb der Stadt) ein Zentrum des Hervorbringens immer neuer und vielfach devianter Inklusionen und Vernetzungen.[27] Sie unterläuft die funktionale Differenzierung und setzt sie lokal außer Kraft (wie dies die Kurzschlüsse kriminellen Handelns auch anderswo vielfach tun). Aber sie speist das, was sie erfindet, wieder in die Gesellschaft und in deren globale Funktionssysteme ein.
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[1] Erweiterte Fassung eines Textes, der publiziert wurde in: Jens Aderhold/Olaf Kranz (Hg.), Intention und Funktion. Probleme der Vermittlung psychischer und sozialer Systeme. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2007, pp. 113-120.
[2] Parsons 1969.
[3] Siehe Marshall 1964.
[4] Mann 1901, 700-751.
[5] Ebd. 741.
[6] In den Buddenbrooks dokumentiert sich das Versagen des Kandidaten (Nachwuchslehrer) Modersohn darin, dass er nach einer Reihe von bereits gegebenen Stunden Namen und Schüler immer noch nicht einander zuzuordnen weiß, so dass er zwar die Namen der Schüler aus dem Klassenbuch verliest, aber die so angesprochenen Schüler sich totstellen, also Inklusion verweigern (735ff.).
[7] Siehe zu Klassifikationen dieses Typs Stichweh 2005, insb. S. 13-44. Weitere Unterscheidungen lassen sich anschließen. So kann man auf der Seite der Leistungsrollen des Systems Professionelle und Amateure unterscheiden.
[8] Siehe dazu unten 8. (Reversibilität) und 10. (hierarchische Opposition).
[9] Seit vielen Jahren das Thema von John Meyer, siehe Meyer 2005; Meyer 2010.
[10] Siehe am Beispiel der Eheschliessungen von Schweizern: 1980 wählen 10% der Schweizer einen ausländischen Ehepartner; 1990 sind es 14,6%, und 2003 26% (Helg 2005). Während noch 1990 die Rate der Männer fast doppelt so hoch ist wie die der Frauen, lässt sich in den letzten Jahren beobachten, dass Frauen fast gleich häufig ausländische Ehepartner wählen wie männliche Schweizer.
[11] Siehe Bialik 2006. Die dominante Meinung tendiert zur Zeit zu einem Wert zwischen 11 und 12 Millionen.
[12] In der Suche nach Ersatzfamilien erweisen sich die zunehmend globalen Muster der Adoption von Kindern als ein guter Indikator der fortschreitenden Durchsetzung von Weltgesellschaft. Man sieht dies auch an der wachsenden weltpolitischen Brisanz von Adoptionen (beispielsweise dem gegenwärtigen Konflikt zwischen Russland und den USA) und der Tatsache, dass diese Adoptionen in manchen Fällen aus der Wertperspektive eines Landes die soziokulturellen Schwächen eines anderen Landes offenlegen (die in den USA adoptierten russischen Kinder sind zu einem erheblichen Anteil behinderte Kinder).
[13] Merton 1968.
[14] Siehe als einen Fall die Hoffnungen von Hunderten junger afrikanischer Fußballspieler auf Inklusion in professionelle Leistungsrollen. Diese Fußballspieler werden in sehr jungem Alter (14-15 J.) von Agenten nach Europa transferiert, wo die Inklusionshoffnungen der meisten unerfüllt bleiben müssen und viele von ihnen in sehr prekären Situationen in Europa zurückbleiben, mit Ressourcen und Handlungskapazitäten, die vielen nicht einmal die Rückkehr nach Afrika erlauben. Auch die Erfolgreichen unter ihnen leben in einem Zustand der „permanenten Transmigration“, die eine monothematische Inklusion in ein System der globalen Zirkulation von Fußballspielern bedeutet. Siehe Poli 2005. Auch unter illegalen afrikanischen Migranten, die beispielsweise auf Booten über den Atlantik zu den Kanaren zu gelangen versuchen, sind vermutlich viele Fussballspieler, die auf Verwertbarkeit ihres Könnens hoffen. Siehe Haefliger 2006, der den Fall einer senegalesischen Mannschaft berichtet, die in wenigen Monaten zwölf Lizenzspieler verloren hat.
[15] Und in den Vereinigten Staaten zu einer Marktzutrittsbedingung, wie die Schweizer Banken erfahren haben (zuerst nach 1945 und dann erneut in den letzten Jahren).
[16] Siehe Foucault 1975 und Ziemann 1998.
[17] Im Berliner Schulmilieu nennt man die Schüler, die wiederholt von der Schule verwiesen worden sind, „Wanderpokale“, was ironisch die Pflicht der exkludierenden Schule kommentiert, einen neuen Kontext der Inklusion zu suchen, und zugleich die Aufnahmepflicht der übernehmenden Schule reflektiert.
[18] Siehe interessant Pilon 2013.
[19] Siehe dazu Stichweh 1990.
[20] Siehe Mathieu 1995 mit der interessanten These, dass man ein Hochleistungssportler erst wird, wenn die jugendliche Illusion der unbegrenzten Verfügbarkeit des Körpers zerbricht und sich die Einsicht durchsetzt: „Il faut négocier un autre corps avec des cicatrices.“
[21] Siehe sehr interessante empirische Befunde mit Bezug auf das Primarschulwesen des Kantons Luzern bei Bernet 2012.
[22] Siehe ausführlicher zur Differenz von inkludierender Exklusion (eine Exklusion, die aus einer Krisendiagnose folgt, aber vollzogen wird, um sich intensiv um Re-Inklusion bemühen zu können – Bsp. der Krankenhausaufenthalt) und exkludierender Inklusion (etwas, was am Startpunkt wie eine aussichtsreiche Inklusion erscheint, aber sich im Resultat Abschneiden von gesellschaftlichen Partizipationen erweisen kann – Bsp. Scientology, Jihad) Stichweh 2009, insb. pp. 38-40.
[23] Dumont 1980. Siehe näher Stichweh 2005, insb. 60-3, 187-9.
[24] Siehe Stichweh 2010
[25] Luhmann 1995.
[26] Seit der Mitte der neunziger Jahre gibt es in Rio de Janeiro konkurrierende touristische Führungen, die mehrsprachig den Touristen einige aus den bis zu 750 Favelas der Stadt zeigen. Siehe http://www.favelatour.com.br und http://www.jeeptour.com.br , und vgl. Mahieux 2002.
[27] Vgl. zu den favelas und ihrer soziologischen Deutung interessant auch Greve 2004, insb. 118-120, und siehe Glaeser 2011, insb. Ch. 3.