Hendrik Trescher / Michael Börner:Sexualität und Selbstbestimmung bei geistiger Behinderung?Ein Diskurs-Problem!

Abstract: Der vorliegende Beitrag soll das Thema ‚selbstbestimmte Sexualität bei geistiger Behinderung‘ problematisieren. Entgegen der in der Sonderpädagogik/Disability Studies oft sehr praxisnahen Herangehensweise, soll die Thematik hier (diskurs-)theoretisch beleuchtet werden. Dazu wird sich der ‚Sexualität‘ und ‚Selbstbestimmung‘ zunächst einzeln auf einer begrifflichen Ebene genähert. Im Zuge dessen wird aufgezeigt, dass beide einen je eigenen Aushandlungsprozess beschreiben, der wiederum in einem stetigen Aushandlungsprozess mit dem jeweils anderen steht. Grundlegend wird davon ausgegangen, dass sich Subjekte im Spannungsfeld zwischen inneren (Subjektebene) und äußeren Diskursansprüchen (gesellschaftlich-normative Ebene) wiederfinden, die sich zu großen Teilen einer rationalen Steuerung entziehen. Die Wirkmächtigkeit der gesellschaftlichen Diskurse um Sexualität und Selbstbestimmung, so eine zentrale These des Beitrags, kommt im Falle von als ‚geistig behindert‘ konstruierten Subjekten in restriktiver Art und Weise zum Tragen und führt in der lebenspraktischen Konsequenz dazu, dass ‚geistige Behinderung‘, und damit auch die gegenwärtigen Problemlagen der Umsetzung einer selbstbestimmten Sexualität von Menschen mit geistiger Behinderung, stetig reproduziert werden. Der Beitrag problematisiert schließlich, dass Hilfesysteme (aus ‚der Sonderpädagogik‘), wie zum Beispiel die sogenannte Sexualassistenz, zwar vorteilhaft und lebenspraktisch wünschenswert sein können, gleichzeitig aber den Menschen mit geistiger Behinderung ausschließenden Diskurs reproduzieren. Abschließend argumentiert der Artikel dekonstruktionslogisch hinsichtlich der Exklusion von Menschen mit geistiger Behinderung und versteht sich im Fazit als ein theoretisches Inklusionsplädoyer.

Stichworte: Sexualität, Selbstbestimmung, geistige Behinderung, Diskurs, Subjekt, Subjektbildung, Gender, Inklusion

Inhaltsverzeichnis

  1. Problemaufriss
  2. Sexualität
  3. Selbstbestimmung
  4. ‚Selbstbestimmte‘ Sexualität im Kontext geistiger Behinderung
  5. Abschließende Betrachtung: Inklusion?!
  6. Literaturverzeichnis

 

1. Problemaufriss

Im Zuge des sogenannten Paradigmenwechsels und der daran geknüpften „Kritik an Vorstellungen von Behinderung als individual-biologisch-anatomischer Defekt und damit an der medizinisch-naturwissenschaftlichen Definitionshoheit über körperliche Differenz“ (Raab 2012) richten sich aktuelle Bestrebungen der Sonderpädagogik/Disability Studies primär auf den Abbau bzw. die Reformierung von tradierten Handlungsorientierungen und die zwischenzeitlich als veraltet befundenen Betreuungsstrukturen. An Stelle des Konzepts der Fürsorge und Separierung treten verstärkt Forderungen nach gesellschaftlicher Teilhabe und Selbstbestimmung, die unter anderem durch die Konzeption des neunten Sozialgesetzbuchs (SGB IX – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen) und die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention sowohl rechtlichen als auch politischen Nachdruck finden. Im Rahmen dieser Entwicklungen geraten ebenfalls einzelne Teilbereiche der Lebenssituation von Menschen mit geistiger Behinderung immer wieder in den Fokus kritischer Auseinandersetzungen, sodass, neben der forcierten Beschäftigung mit den Bereichen ‚Wohnen‘ und ‚Arbeit‘ (weniger jedoch mit dem der ‚Freizeit‘), unter anderem auch das Feld ‚Sexualität und Partnerschaft‘ verstärkten Einzug in sonderpädagogische Diskurse findet. Zur zentralen Forderung avanciert dabei diejenige nach einer selbstbestimmten Sexualität für Menschen mit geistiger Behinderung. Dass sich deren Umsetzung allerdings nicht problemlos gewährleisten lässt, zeichnet sich nicht zuletzt anhand der thematischen Breite und Fülle der diesbezüglichen Veröffentlichungen ab – seien es Ausführungen zur Schwanger- und Elternschaft (vgl. Pixa-Kettner/Rischer 2013; Pixa-Kettner/Bargfrede 2004; Hennies/Sasse 2004), zur Sexualassistenz (vgl. Specht 2013; Walter 2008a; 2008b; Ackermann 2004) oder zur Gefährdung durch sexuellen Missbrauch (vgl. Puschke 2013; Leue-Käding 2004b; Becker 2001). Erscheint eine solch breite Auseinandersetzung als durchaus positiv und wünschenswert, ist sie in ihren Bestrebungen doch auf eine direkte Verbesserung der Lebenssituation von Menschen mit geistiger Behinderung ausgerichtet, so übergehen die unter dem oben skizzierten Leitparadigma entstandenen handlungspraktischen Konzepte (etwa Sexualassistenzen, ‚Kontaktpartys‘ oder „Liebesdienstagenturen“ (Leue-Käding 2004a, 57)) allerdings weitestgehend die Frage nach der Konstruktion und Bedeutung von ‚Sexualität‘ und ‚Selbstbestimmung‘ sowie deren Zusammenführung im Rahmen der Forderung nach einer selbstbestimmten Sexualität von Menschen mit geistiger Behinderung. Übergangen wird dabei, dass beide Felder, sowohl das der menschlichen Sexualität als auch das der Selbstbestimmung, per se durch weit sowie tiefgreifende Spannungen und Ambivalenzen gekennzeichnet sind. Diese erfahren bei einer Übertragung auf das Feld der geistigen Behinderung eine deutliche Potenzierung und führen in der Konsequenz zur Ausprägung jener Problemlagen, deren Lösung oder Kompensation zur Zielsetzung genannter Konzepte erhoben wird. So wertvoll diese also sein mögen, vorgelagerte Strukturprobleme werden durch sie tendenziell nicht gelöst. Stattdessen können sie sogar dazu beitragen, diese weiter zu manifestieren.

Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, das Thema ‚selbstbestimmte Sexualität‘ als Theorie-Praxis-Problem zu beleuchten, wobei das (faktisch kaum mögliche) Ausleben von Sexualität von Menschen mit geistiger Behinderung zum Ausgangspunkt genommen wird. Hierfür sollen in einem ersten Schritt die Begriffe ‚Sexualität‘ (Abschnitt 2) und ‚Selbstbestimmung‘ (Abschnitt 3) zum zentralen Gegenstand erhoben werden, um sich so der vorherrschenden Problematik einer Vereinbarkeit der jeweiligen Felder im Kontext ‚geistige Behinderung‘ zu nähern (Abschnitt 4). Dabei wird der Fokus unter anderem auf die Problematik der sich im wissenschaftlichen und im handlungspraktischen Diskurs reproduzierenden Differenz zwischen ‚Sexualität‘ einerseits und ‚Sexualität bei Menschen mit geistiger Behinderung' andererseits verlagert und als Exklusionsmechanismus diskutiert. Mithilfe der theoretischen Auseinandersetzung soll aufgezeigt werden, dass sowohl eine reine Selbstbestimmung als auch eine freie Sexualität Utopien darstellen. Beides findet sich unweigerlich in einem stetigen Aushandlungsprozess zwischen inneren Veranlagungen des Menschen (Subjektebene) und äußeren Diskursansprüchen (gesellschaftlich-normative Ebene) wieder und entzieht sich in gleich zweifacher Weise einer rationalen Steuerung durch das Individuum. Das Selbst einer Person ist auf mehreren Ebenen Produkt fremdbestimmender Determinanten, wovon letztlich jedes Mitglied der Gesellschaft betroffen ist. Unterscheidungen und Abstufungen ergeben sich daraus, dass sich die diskursiven Grenzen in je individuell unterschiedlichem Maße herausbilden und somit in der Intensität ihrer Wirksamkeit und Einflussnahme auf die Subjektbildung differieren. Die Wirkmächtigkeit jener Eingriffe, so eine zentrale These des Beitrags, kommt im Falle der Lebenssituation von Menschen mit geistiger Behinderung in einem weitaus stärkeren und restriktiveren Maße zum Tragen und führt in der Konsequenz dazu, dass ‚geistige Behinderung‘ selbst, und damit auch die gegenwärtigen Problemlagen der Umsetzung einer selbstbestimmten Sexualität, stetig aufs Neue hervorgebracht werden.

2. Sexualität

Aus evolutionstheoretischer Perspektive beschreibt Sexualität, im Sinne von geschlechtlicher Vermehrung, zunächst einmal eine Reproduktionsstrategie, die sich im Laufe der Entwicklungsgeschichte als dominante Variante gegenüber der ungeschlechtlichen Fortpflanzung durchsetzte und als primäre Reproduktionsform etablierte (vgl. Fox 1986, 9f; Oevermann 2001, 80f). Begründet scheint dies vor allem in der erhöhten Flexibilität bzw. dem erhöhten Adaptionsvermögen, die eine Rekombination von Genmaterialien (Verschmelzung der haploiden Ei- und Keimzelle) birgt. Denn entgegen der bloßen Duplikation von bereits Bestehendem, wie es in der asexuellen bzw. ungeschlechtlichen Fortpflanzung praktiziert wird, wird im Zuge der „sexuellen Reproduktion mehr Variation und Pluralität, also endogen mehr Neues“ (Oevermann 2001, 81) erzeugt. Grundlegend ist hierfür eine ‚triebgesteuerte‘ Zusammenkunft zweier gegengeschlechtlicher Partner, einem als ‚männlich‘ sowie einem ‚weiblich‘ definierten Part, und „die Vereinigung der Genitalien in dem als Begattung bezeichneten Akte“ (Freud 2009, 52). Diese Geschlechtertrennung ist, wie Fox (1986, 21ff) im Rahmen seiner Ausführungen zur sexuellen Evolution darlegt, an die Übernahme spezifischer Geschlechterrollen bzw. -identitäten geknüpft, die wiederum entsprechende geschlechtsspezifische Aufgaben und Anforderungen mit sich bringen. Folgt man Fox weiter, so ist deren konkrete Ausgestaltung zum einen abhängig von dem betreffenden Organismus (etwa ein tierischer oder auch ein menschlicher) und dessen Lebensweise/Lebenswelt sowie zum anderen von der jeweiligen evolutionären Entwicklungsstufe, auf der sich dieser Organismus befindet (vgl. ebd.).

2.1 Konstruktion Sexualität

Mit Blick auf die vorangegangenen Ausführungen kann zunächst festgehalten werden, dass die Sexualität in Form einer ‚quasi-natürlichen‘[1] Veranlagung in jedem Menschen (zwecks Fortpflanzung und Arterhaltung) verankert zu sein scheint. Darüber hinaus kann gesagt werden, dass die sexuelle Vereinigung (und Fortpflanzung) an das Vorhandensein eines (Sexual-)Partners und damit einhergehend einer spezifischen physischen Ausstattung sowie die Ausführung motorischer Handlungen gebunden ist.[2] Noch bedeutsamer jedoch ist, dass die durch den Eintritt in die Gesellschaft vermittelte „Geschlechtsidentität“ (Goffman 2001, 110; Hervorhebung im Org.), also die soziale Geburt als ‚Mann‘ oder ‚Frau‘, gleichsam Einfluss auf die innere Konstitution des jeweiligen Subjekts hat (vgl. ebd. 107; Butler 1991, 24; 37ff). Denn die Geschlechtsidentität, verstanden als Produkt sozio-kultureller Konstruktionsprozesse, kann „die Art der Selbsterfahrung der einzelnen verändern und Personen sogar dazu bewegen […], ihre Gefühle und ihr Verhalten zum Teil aufgrund dieser Klassifikation zu entwickeln“ (Hacking 1999, 164f). Indem ein Mensch entlang körpereigener Dispositionen als Mann oder Frau kategorisiert wird, wird die Kategorie zum Bestandteil der Identität des oder der Betreffenden (vgl. Goffman 1975/2012, 16ff; 2001, 108ff; 1997, 201f; Butler 1991, 24). Anders formuliert: Erst durch die Klassifizierung als Mann oder Frau wird der Mensch zu einem Mann oder einer Frau – die bestehende Kategorie wird in das klassifizierte Individuum ‚hineingeschrieben‘. Hiermit wird explizit auf jene Prozesse rekurriert, die Butler (1995, 22; 1993, 124; 1991, 23), in Anlehnung an die Sprechakttheorie von Austin (2003), als performative Sprechakte charakterisiert (siehe auch Trescher/Klocke 2014). Butler greift mit ihrem Ansatz die bestehende Geschlechterdichotomie (männlich/weiblich) an und identifiziert diese als eine diskursiv hervorgebrachte „Zwangsheterosexualität“ (Butler 1991, 8). „Die Vorstellung, dass es eine ‚Wahrheit’ des Sexus geben könne, wie Foucault ironisch behauptet, wird gerade durch die Regulierungsverfahren erzeugt, die durch die Matrix kohärenter Normen der Geschlechtsidentität hindurch kohärente Identitäten hervorbringen“ (ebd., 38). Butler umschreibt dies mit dem Terminus ‚Heteronormativität‘, den sie vor allem in ihrem Werk „Körper von Gewicht(Butler 1995) behandelt. Für den hiesigen Kontext reicht es zu sagen, dass Heteronormativität ein binäres Geschlechtermodell und damit verbunden bestimmte Lebenspraxen (z.B. Monogamie) als Geschlechternormen voraussetzt und in diesem Zusammenhang auch Auslebungspraktiken diskursiv hervorbringt (vgl. Butler 2012). Dabei ist für die hier stattfindende Auseinandersetzung ebenfalls unerheblich, ob die von Butler vertretene Auflösung des biologisch determinierten Geschlechts (sex) in ihrer Radikalität gestützt wird oder ob sich die bisherigen Ausführungen lediglich auf die soziale Dimension des Geschlechts (gender) beziehen. Bedeutsam ist vielmehr, dass die Annahme einer Geschlechtsidentität entscheidenden Einfluss auf das betreffende Subjekt hat (vgl. Butler 1991, 8; Trescher/Klocke 2014).
Es wurde bereits implizit angedeutet, dass sich die Sexualität nicht, wie eine evolutionstheoretische Betrachtung nahelegen mag, auf eine rein reproduktive Funktion beschränken lässt, sondern insbesondere mit der Einnahme von Geschlechterrollen auch weiterführende/soziale Funktionen übernimmt. So bezieht sich bereits Freud in seinen Abhandlungen zur Sexualtheorie zwar ebenfalls auf einen bei Mensch und Tier vorhandenen Geschlechtstrieb (Libido), den er in „Analogie mit dem Trieb nach Nahrungsaufnahme“ (Freud 2009, 37) beschreibt, allerdings erweitert er den Blick auf Sexualität von der bloßen Vereinigung der Geschlechter auch auf „solche Handlungen, welche auf dem Wege zu dieser liegen“ (ebd.). Dies betont eine stärker an einer affektiven Ebene orientierte Sphäre der Sexualität, die sich in der Lust am Akt und der damit einhergehenden Befriedigung der individuellen Bedürfnisse gründet. Dies impliziert wiederum das Vorhandensein sexueller Phantasien und Wünsche, deren Erfüllung zum erweiterten Ziel sexueller Aktivität erhoben wird und die untrennbar mit der angenommenen (performativ erzeugten) Geschlechtsidentität in Verbindung stehen – entwickeln sich die Begehrenswünsche doch vor allem auf Grundlage ebendieser und nehmen im Zuge dessen gleichsam Einfluss auf die sexuelle Orientierung des Menschen (vgl. Butler 2001, 7f; 1991, 8). Die individuelle Beschaffenheit und Ausprägung der Bedürfnisse/Wünsche, die zu weiten Teilen unbewusst sind, werden im vorliegenden Beitrag als ein genuin gesellschaftliches Produkt verstanden, welche auf der Subjektebene verankert sind.
Wie bereits Freud, so legt auch Goffman (2002, 110f) in seinen Ausführungen zum „Arrangement der Geschlechter“ eine vergleichsweise weite Definition der Sexualität zugrunde und bezieht auch alltägliche Handlungsmuster in diese ein. Beispielhaft nennt er „kulturspezifische Formen der äußeren Erscheinung, der Kleidung, des Stils […] [und] der Gesten“ (ebd.). Es zeigt sich auch hier, dass Sexualität und deren Auslebung weit umfassender als nur der eigentliche Sexualakt ist. Vielmehr bestimmt sie, wie bereits die Ausführungen zur geschlechtlichen Identität implizierten, das alltägliche Handeln und Auftreten der Menschen mit. Jede Handlung ist demnach zugleich eine sexualisierte Handlung. In diesem Zusammenhang konstatiert auch Kentler: „Unsere ganze Existenz ist von Sexualität förmlich durchwachsen, und es gibt kaum einen Lebensbereich, in den Sexuelles nicht hineinspielt: Wir Menschen sind Sexualwesen“ (Kentler 1988, 9).

Nachdem nun die Sexualität als grundlegender Bestandteil der Persönlichkeit eines jeden Menschen identifiziert wurde, die sich beeinflusst durch machtvolle Diskurse auf der Subjektebene in Form von (unbewussten) Wünschen manifestiert, erscheint es nur noch wenig verwunderlich, dass sie sich nicht losgelöst von sozialen Kontexten entwickeln kann. Die Auslebung von Sexualität stellt einen Aushandlungsprozess zwischen Subjekt und gesellschaftlich-normativen Bedingungen dar, weshalb Sexualität und (Sexual-)Verhalten unweigerlich auch gesellschaftlichen Restriktionen unterliegen und sich an bestehenden Konventionen und Normen auszurichten haben. In ihren direkt erfahrbaren Ausprägungen wären beispielsweise das Inzest-Tabu oder die Schranke der Generationen (Ausführen sexueller Handlungen zwischen Erwachsenen und Kindern) zu nennen. Hieraus ergeben sich wenigstens zwei für den Hintergrund des vorliegenden Beitrags bedeutsame Aspekte: Zum einen verdeutlicht es erneut, dass Sexualität, trotz ‚quasi-natürlicher‘ Veranlagung auf der Subjektebene, als ein gesellschaftliches Konstrukt zu betrachten ist, welches in seiner sozial akzeptierten Form von Seiten des Individuums erst eingeübt und diesem über entsprechende Sozialisationsprozesse vermittelt werden muss (vgl. Goffman 2001, 109f; Butler 1991, 24ff). Sexualität erfährt im Zuge dessen auch (sonderpädagogisch-praktisch relevante) Attributzuweisungen wie „Sexualität als soziale Kompetenz“ (Specht 2013, 172) und „Sexualität […] als lebenslange Entwicklungsaufgabe“ (Ortland 2008, 17). Als zweiter Punkt wird deutlich, dass Gesellschaften stets „eine verdrängende (unterdrückende) Organisation der Triebe zugrunde liegt“ (Marcuse 1979, 37)[3], d.h. die Sexualität stets mit einer (mehr oder weniger stark ausgeprägten) gesellschaftlichen Einflussnahme und Regulierung einhergeht. Diese Einflussnahme beschreibt die Ausrichtung der im Subjekt angelegten Begehrensansprüche an gesellschaftlich-normativen Determinanten, deren Entwicklung und Auslebung sich nur innerhalb der diskursiv gesetzten Grenzen vollziehen kann. Die Subjektebene und die gesellschaftlich normative Ebene stehen sich dabei diametral gegenüber und konstituieren ein Spannungsfeld zwischen der Auslebung quasi-natürlicher Begehrensansprüche einerseits (Subjektebene) und bestehenden gesellschaftlichen Normvorstellungen andererseits (gesellschaftlich-normative Ebene).

2.2 Sexualität zwischen subjektiven und gesellschaftlich-normativen Diskusansprüchen

In Anlehnung an Butler (2001, 7f; 1991, 8) werden die beiden Pole des herausgestellten Spannungsfelds als Produkt des Diskurses verstanden. Dieser hat, bedingt durch die Veranlagung auf der Subjektebene und die Setzung gesellschaftlicher Normen (die letztlich die weiterführende Regulierung/Ausrichtung der ersteren beschreiben), maßgeblichen Einfluss auf das menschliche (Sexual-)Verhalten. Im Kontext der gesellschaftlichen Überformung der innersubjektiven Veranlagung differenziert Marcuse in Anlehnung an Reich und Freud zwischen Maßnahmen einer „(Grund-)Unterdrückung […], die für das Fortbestehen der menschlichen Rasse in der Kultur unerläßlich ist“ (ebd., 38) – also dem bereits beschriebenen notwendigen Mindestmaß an ‚Beherrschung‘ der subjektiven Bedürfnisse zwecks Etablierung von Kultur und Gesellschaft – und weiterführenden Maßnahmen, die er als „zusätzliche Unterdrückung“ (ebd.; Hervorhebung im Org.) charakterisiert. Letztere sieht er vor allem als Mittel der Beeinflussung sozialer Verhältnisse zur Sicherung der gesellschaftlichen Herrschaftsstruktur (vgl. ebd. 38ff). Sexualität wird hier zur potenziellen Angriffsfläche politscher Machtausübung, Einflussnahme und Steuerung. Kurz: Sie wird zum Anknüpfpunkt eines politischen Kalküls.
Diese politische Dimension der Sexualität findet sich ebenfalls in dem Werk Foucaults wieder. Für ihn bildet sie den Ansatzpunkt, über den sich eine Regulierung des einzelnen Menschen (Disziplinierung des Einzelkörpers) sowie auch eine Regulierung der Gesamtgesellschaft (Regulierung des Gattungskörpers) verbinden lässt – sie ist Teil der Disziplin sowie Teil der Regulierung (vgl. Foucault 1983/2012, 140f). Nach Foucault wird die Sexualität „am Kreuzungspunkt von »Körper« und »Bevölkerung« zur Zielscheibe für eine Macht“ (ebd. 142), welche seit dem 19. Jahrhundert auf die Beherrschung und Steuerung des menschlichen Lebens hinwirkt (vgl. Foucault 1999/2001, 282). Ziel dieser „Bio-Macht“ (ebd., 286) ist es, „zugunsten des Lebens zu intervenieren und auf die Art des Lebens und das »Wie« des Lebens einzuwirken“ (ebd., 292). Sie zielt „auf die Sicherung, Verwaltung und Verbesserung der individuellen und kollektiven Lebensbedingungen“ (Folkers/Lemke 2014, 7), sie sucht das Leben selbst „zu verbessern, seine Unfälle, Zufälle, Mangelerscheinungen zu kontrollieren“ (Foucault 1999/2001, 292). Das Leben wird einer umfassenden Kontrolle unterworfen, um ebendieses zu erhalten und in seiner ‚Qualität‘ zu optimieren. Sexualität stellt an dieser Stelle, wie herausgestellt, einen bedeutsamen Anknüpfungspunkt dar, kann über ihre Regulierung doch Einfluss auf das (Sexual-)Verhalten des Einzelnen und im Zuge dessen auch auf den Entwicklungsverlauf der Gesamtgesellschaft genommen werden (vgl. ebd., 297). Somit wird die Sexualität zu einer „Sache, die man nicht einfach zu verurteilen oder zu tolerieren, sondern vielmehr zu verwalten und in Nützlichkeitssysteme einzufügen hat, einer Sache, die man zum größtmöglichen Nutzen aller regeln und optimal funktionieren lassen muss“ (Foucault 1983/2012, 30). Was Foucault hier beschreibt ist die Funktionalisierung der menschlichen Sexualität zur Verfolgung biopolitischer[4] Interessen – also jenen, die, wie oben dargestellt, auf eine Beeinflussung des individuellen und gesellschaftlichen Lebens zielen, um dieses zu mehren und seiner Produktivität zu steigern. Strategisches Mittel der Machtausübung ist dabei vor allem die Hervorbringung von Normen, etwa die Etablierung und Aufrechterhaltung monogamer Partnerschaftsmodelle und die subtile Erziehung zur „Zwangsheterosexualität“[5] (Butler 1991, 8), oder auch die direkte Ausgestaltung/Beeinflussung der konkreten Lebenswelt, etwa durch das gezielte Fördern der Geburtenrate, über Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, oder die Fortentwicklung pränatal-diagnostischer Maßnahmen, zur Regulierung der Geburten (oder drastisch formuliert: zur Entscheidung darüber, welches Leben geboren wird und welches nicht, oder, mit Foucault gesprochen: zur Vornahme einer „Zäsur zwischen dem, was leben, und dem, was sterben muß“[6] (Foucault 1999/2001, 301).

Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen wird Sexualität im vorliegenden Beitrag als ein sozio-kulturelles Ereignis verstanden, welches sämtliche alltägliche Handlungsformen und Entscheidungsprozesse der Menschen beeinflusst und im Sexualakt seine höchste Ausprägungsform findet. Sie ist dabei keineswegs unbeeinflusst, sondern, und das betrifft auch den Sexualakt selbst, stellt immer das Produkt machtvoller Diskurse und Aushandlungsprozesse zwischen Individuum und Gesellschaft dar. Sie obliegt zwar der (relativen) Gestaltungsfreiheit des Individuums, ist im Zuge dessen jedoch in doppelter Hinsicht fremdbestimmt: Einerseits wird das Subjekt durch seine innere Veranlagung bzw. die dort bestehenden Begehrensansprüche (quasi-natürliche Begehrensansprüche), die es zum Teil nicht bewusst zu lenken vermag (etwa sexuelle Präferenzen bzw. die Wahl der eigenen Sexualität), beeinflusst und auf diese Weise in seiner rationalen Entscheidungsfreiheit eingegrenzt. Andererseits hat es sich gesellschaftlichen Restriktionen/Normen (äußere Diskursansprüche) zu unterwerfen und kann seine Sexualität nur innerhalb der dort definierten Grenzen (er)leben. Es steht also vor der Aufgabe, die eigene Sexualität (und somit ebenfalls die eigene Identität) unter der Einwirkung beider Pole auszubilden und auszuleben. Eine zentrale Rolle scheint hier die ‚Selbstbestimmung‘ des Individuums zu spielen, da diese den fremdbestimmenden Determinanten gewissermaßen als Konterpart gegenübersteht. Auf diese soll im Nachfolgenden genauer eingegangen werden. Orientiert wird sich dabei an dem herausgestellten Spannungsverhältnis, in welchem sich die Selbstbestimmung formiert und zutage tritt: Selbstbestimmung versus gesellschaftlich-normative Diskursansprüche (Abschnitt 3.1) und Selbstbestimmung versus quasi-natürliche Begehrensansprüche auf der Subjektebene (Abschnitt 3.2).

3. Selbstbestimmung

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass Selbstbestimmung in den Diskursen der hier relevanten Bezugswissenschaft(en) (Sonderpädagogik/Disability-/Gender-Studies) aus unterschiedlicher Warte betrachtet wird (vgl. Waldschmidt 2012, 32; Katzenbach 2004, 135f). So wird sie einerseits als genuin menschliche Eigenschaft behandelt, die jedem Menschen als „anthropologische Konstante“ (Waldschmidt 2012, 32) innewohnt und damit vordiskursive Geltungskraft beansprucht. Andererseits wird etwa durch Waldschmidt (ebd.) oder Stinkes (2000, 170ff) hervorgehoben, dass das heutige Phänomen der Selbstbestimmung kein natürliches Faktum darstellt. Vielmehr beschreibe sie eine „überlieferte Kategorie“ (Waldschmidt 2012, 32), die als das Produkt historischer Emanzipationsprozesse bzw. als „geschichtlich gewordene Idee“ (Stinkes 2000, 170) hervorgegangen ist. Letztlich stimmen beide Positionen jedoch insofern überein, als dass sie die Selbstbestimmung als ein Phänomen betrachten, dessen Aneignung in Form eines entwicklungsoffenen Potenzials prinzipiell jedem Menschen offen steht – und in Zeiten eines zunehmenden Individualisierungszwangs gar zur Pflichtaufgabe des Menschen avanciert (vgl. Waldschmidt 2012, 46f; Katzenbach 2004, 135f). In diesem Sinne konstatiert auch Miller, dass die Selbstbestimmung weniger als zwangsläufige Eigenschaft des Menschen, als eher ein potenzielles „Vermögen betrachtet werden [sollte], das ein Mensch in Abhängigkeit günstiger Umstände entfalten kann“ (Miller 2012, 129f). Dieses Vermögen beschreibt ihr zufolge „die Fähigkeit, einen eigenen funktionstüchtigen Willen zu entwickeln und ihm gemäß zu handeln“ (ebd.). Weitestgehend deckungsgleich legt auch Waldschmidt dar, dass sich die etymologische Herkunft der Worte ‚Selbst‘ und ‚Bestimmung‘ „auf ein sich seiner bewusstes Ich [beziehen], dass sich selbst definiert und zugleich Macht auf sich ausübt“ (Waldschmidt 2012, 20). Selbstbestimmung verweist also auf das Vermögen zur freien ‚Bestimmung des Selbst‘. Sie zielt auf eine unbeeinflusste Entwicklung der eigenen Identität, „verstanden als Selbst-Bewusstsein darüber, wer man ist“ (Villa 2012, 36). Dabei stellt sie keine Eigenschaft dar, die sich im Laufe des physischen Entwicklungsprozesses ausbildet (wie beispielsweise die Fähigkeit zu laufen), sondern vielmehr einer gezielten Aktivierung und Förderung bedarf. D.h. es handelt sich bei der Selbstbestimmung um eine Kompetenz, die erst durch äußere Lebensumstände ermöglicht und durch ständiges Praktizieren und Erproben erlernt wird. Dies kann sinnlogisch nur dann geschehen, wenn dem betreffenden Individuum der hierfür notwendige Rahmen zur Verfügung steht, es also den Raum zur Entfaltung und Durchsetzung des eigenen Willens geboten bekommt. Unerlässlich ist im Zuge dessen die Gelegenheit zum Austesten von Entscheidungen und den Konsequenzen, um mit wachsender Erfahrung das Fundament für künftige Abwägungen zu errichten – ist doch nur so das Ausbilden eines „eigenen funktionstüchtigen Willens“ (Miller 2012, 129f) überhaupt denkbar. „Das Recht auf Selbstbestimmung garantiert jedem Menschen die Möglichkeit, sein Leben frei von Zwang nach eigenem Willen und Vorstellungen zu gestalten“ (Zinsmeister 2013, 47). Wie mit Blick auf die vorangegangenen Ausführungen zur Sexualität jedoch deutlich wurde, ist das menschliche Dasein keinesfalls „frei von Zwang“, wie Zinsmeister idealisierend schreibt, sondern findet sich unweigerlich in einem Aushandlungsprozess zwischen subjektiven sowie gesellschaftlich-normativen (Diskurs-)Ansprüchen wieder. Die Fähigkeit zur ‚freien Bestimmung des Selbst‘ tritt insofern ein in den bereits beschriebenen Aushandlungsprozess, welcher seinerseits Produkt machtvoller Diskurse ist.

3.1 Selbstbestimmung und gesellschaftlich-normative Diskursansprüche

Gesellschaftlich-normative Diskursansprüche, als erste direkt erfahrbare Beeinflussung der individuellen Selbstbestimmung, äußern sich darin, dass sie das Individuum zwar ‚frei‘ über das eigene Tun entscheiden lassen (wodurch positive Freiheit gewährt wird), allerdings kann diese positive Freiheit immer nur innerhalb des gesellschaftlich determinierten Bezugsrahmens ausgelebt und die freie ‚Bestimmung des Selbst‘ somit nicht losgelöst von sozialen Kontexten bzw. der bestehenden „sozialen Ordnung“ (Goffman 1974/1982, 11) betrachtet werden – sähe sie sich doch sonst dem Vorwurf des Solipsismus ausgesetzt (vgl. Katzenbach 2004, 136). Dieser Bezugsrahmen gibt beispielsweise vor, dass die individuelle Selbstbestimmung dort an ihre Grenze stößt, wo sie auf Kosten anderer Mitmenschen bzw. der Gesellschaft gelebt werden soll und findet ihren Ausdruck in gesetzlichen Regelungen und/oder bestehenden Sittlichkeitsnormen. In Bezug auf die ‚freie‘ Auslebung der Sexualität kann etwa gesagt werden, dass die öffentliche Entblößung gewisser Körperteile gegen eine Sittlichkeitsnorm, die ebenfalls in einer Rechtsnorm (beispielsweise §183 StGB: „Exhibitionistische Handlungen“) verankert ist, verstößt. Deren Übertreten wird wiederum mit einem (grob) vordefinierten Repertoire an Sanktionen geahndet, deren Ziel es ist, den Schutz und die Aufrechterhaltung der etablierten Norm sicherzustellen und langfristig zu gewährleisten (im Falle des dargestellten Paragraphen mittels einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr). Grundsätzlich ist hierbei zwischen gesellschaftlichen und gemeinschaftlichen Sittlichkeitsnormen zu differenzieren, denn das Entblößen einzelner bzw. aller Körperteile muss in einem öffentlichen Raum, zu welchem mehrere Mitglieder einer Gemeinschaft Zugang haben, nicht unbedingt gegen eine (für diese Gemeinschaft geltende) Sittlichkeitsnorm verstoßen.
Auch in Bezug auf negative Freiheit, also die Freiheit und die mündige Entscheidung etwas nicht tun zu müssen, kann festgehalten werden, dass gesellschaftlich-normative Diskursansprüche die Handlungsfreiheit des Individuums einschränken, auch wenn sie auf den ersten Blick einen nicht immer so eng erscheinenden Rahmen vorgeben. Demnach sind alle Sittlichkeitsnormen, die ein bestimmtes Verhalten erwarten oder erzwingen, als Einschränkung der negativen Freiheit selbstbestimmten Verhaltens zu sehen. So ist es zum Beispiel in sozialen Interaktionen geboten, gewisse (häufig auch implizite) Regeln bzw. „Verhaltens-Strategien“ (Goffman 1971/2013, 13) zu achten, die die Funktionsweise dergleichen sicherstellen und konstitutiv für ein soziales Miteinander sind. In diesem Sinne existieren etwa „Regeln für die Initiierung und Beendigung eines Gesprächsschrittes; es gibt Normen, durch die das Anblicken des Sprechers und das Angeblicktwerden durch den Sprecher synchronisiert werden; es gibt eine Etikette bezüglich der Eröffnung und der Beendigung einer Begegnung“ (Goffman 1974/1982, 23f). Die Irritierung oder Missachtung der „normativen Ordnung“ (Goffman 1971/2013, 8) kann dabei nicht nur das Aufrechterhalten oder Zustandekommen einer Interaktion verhindern, sondern wiederum belastend auf den jeweiligen Akteur zurückfallen (vgl. ebd., 38). Beispielsweise würde es in vielen sozio-kulturellen Kreisen als tendenziell unhöflich oder wenigstens begründungsbedürftig aufgefasst werden, das Begrüßungsritual einer bekannten Person, im Falle einer Begegnung auf der Straße, nicht zu erwidern. Mitglieder einer Gesellschaft sind insofern in ein dichtes Netz aus Verhaltensansprüchen und -erwartungen eingebunden, die, der sozialen Anerkennung, Akzeptanz und Handlungsfähigkeit willen, (zumindest zu einem gewissen Grad) zu erfüllen sind und das selbstbestimmte Handeln einschränken. Nach Goffman (ebd., 15ff) stellt das Zusammenspiel von Selbstachtung und Rücksichtnahme, also eine würdevolle Selbstdarstellung, ergänzt durch die Achtung und Rücksicht auf den Interaktionspartner, eine grundlegende Bedingung für Interaktion dar. Das eigene Handeln kann dementsprechend nicht gänzlich entlang persönlicher Präferenzen ausgestaltet werden, sondern bedarf einer gewissen Abstimmung hinsichtlich der konkreten Sozialsituation und den dort anzutreffenden Interaktionspartnern. Die individuelle Selbstbestimmung wird im Zuge dessen auf mehreren Ebenen durch sowohl offen bestehende als auch latent vorherrschende Gesetze und Normen reguliert und beeinflusst. Gesellschaftlich-normative Diskursansprüche haben somit weitreichenden Einfluss auf die Selbstbestimmung des Einzelnen.

3.2 Selbstbestimmung und quasi-natürliche Begehrensansprüche

Neben der Beeinflussung durch gesellschaftlich-normative Diskursansprüche ist die ‚freie‘ Bestimmung des Selbst auch durch die bereits beschriebenen (häufig unbewussten) Wünsche und Begehrensansprüche auf der inneren Seite des Subjekts eingeschränkt. In seinen Ausführungen zur Subjektkonstitution und inneren Realität des Menschen behandelt Busch (2005) verschiedene Auffassungen jener nicht rational steuerbaren Kräfte aus der Perspektive unterschiedlicher psychoanalytischer Schulen. Dabei stellt er heraus, dass diese tendenziell dazu neigen, „den sozialen Beziehungen eine größere Bedeutung als den Trieben [einzuräumen]; einige verabschieden sich völlig vom Triebkonzept; andere versuchen, es, in anderer konzeptioneller Einkleidung, zu bewahren“ (Busch 2005, 46). Auch Butlers Ansatz der Subjektivierung beschreibt, wie bereits angedeutet, eine umfassende Abkehr von natürlichen Determinanten in der Subjektwerdung des Menschen. Sie vertritt im Anschluss an Foucault die These, dass das Individuum Ergebnis spezifischer kultureller und gesellschaftlicher „Gegenstandsbereiche und Wissensrituale“ (Foucault 1976/2013, 250) ist. „Butler schließt damit […] die Existenz vorgängiger natürlicher Residuen im Subjekt insgesamt aus und begreift die Subjektkonstitution als Prozess der Subjektivierung durch Diskurse, die sich vermittels performativer, also sich wiederholender Sprechakte in das Subjekt »einschreiben« (Trescher/Klocke 2014). Das Subjekt bei Butler ist demnach nicht als (potenziell) autonomes und nach freiem Willen handelndes Individuum zu denken, sondern als Teil eines konstitutiven, umfassenden Regulierungsgefüges (vgl. ebd.). Der Diskurs, in Form von kulturspezifischen Normen und regulativen Maßstäben, manifestiert sich im Subjekt zum einen durch Edukation (Verinnerlichung äußerer Diskursansprüche durch erzieherische Prozesse) und zum anderen durch die Einschreibung quasi-natürlicher Begehrensansprüche. D.h. der Mensch ist kein rein rationales Wesen, sondern vielmehr selbst ein Aushandlungsort verschiedener (diskursiv erzeugter) Prozesse an der Schnittstelle von Natur und Kultur. Die Einschränkung der Selbstbestimmung äußert sich etwa in der bereits erwähnten, und durch Butler kritisierten, Erziehung zur „Zwangsheterosexualität“ (Butler 1991, 8), welche sich parallel zur Einschreibung der Geschlechtsidentität ‚männlich‘ oder ‚weiblich‘ vollzieht. Gleichzeitig ist der Mensch auch nicht frei, bestimmte Dinge nicht tun zu müssen. Beispielsweise ist er nicht ‚frei‘ von sexuellen Wünschen und ist insofern auch nicht ‚frei‘ diesen nachzukommen oder nicht.

3.3 Selbstbestimmung im Spannungsverhältnis

Im Rückgriff auf die in Abschnitt 3 genannten Autoren, welche die Selbstbestimmung als Kompetenz identifizieren, die sich erst mithilfe äußerer Einflüsse entwickeln kann, wird der paradoxe Charakter der Selbstbestimmung und der damit verbundenen gesellschaftlichen Rolle unterstrichen: Einerseits fällt es ihr zu, dem Individuum überhaupt erst zu ermöglichen, Einfluss auf das eigene Leben nehmen und sich im beschriebenen Aushandlungsprozess zwischen inneren und äußeren Diskursansprüchen ausdifferenzieren zu können (sich somit ein Stück weit unabhängig von ihr zu machen). Andererseits kann sich diese Fähigkeit nur durch einen auferlegten Zwang ausbilden (vgl. Kant 1803, 27). Selbstbestimmung zielt also auf der einen Seite auf die Unabhängigkeit des Menschen von äußeren Strukturen, auf der anderen Seite ist sie in ihrer Genese und Entfaltung gänzlich von ebendiesen abhängig.
Mit Blick auf die konkrete Lebenspraxis kann gesagt werden, dass der Raum zur ‚freien‘ Gestaltung des eigenen Lebens erst dort eröffnet wird, wo das Vorhandensein der Kompetenz, dieses selbstständig innerhalb des gesetzten Rahmens (also ‚vernünftig‘) gestalten zu können, angenommen werden kann (vgl. Waldschmidt 2012, 22f). Gleichzeitig wird er dort versperrt, wo dies mutmaßlich (noch) nicht gegeben ist. Dies ist beispielsweise bei Kindern der Fall (etwa Bevormundung durch die Eltern). Es wird erkennbar, dass der Anspruch auf Selbstbestimmung hier in ein grundsätzliches Konfliktverhältnis mit der Notwendigkeit zur Fürsorge gerät, welches wiederum das Tor zur ‚pädagogischen Urambivalenz‘ zwischen „Führen oder Wachsenlassen“ (Litt 1972) bzw. Freiheit und Zwang („Wie kultivire ich die Freyheit bei dem Zwange?“ (Kant 1803, 27)) aufstößt (vgl. auch Helsper 2004, 19f). Das Ausmaß der gesellschaftlichen Einflussnahme steigt bzw. sinkt proportional zur zugerechneten Ausprägung jener Fähigkeit. Damit einhergehend steigt bzw. sinkt der Freiraum zur eigenen Gestaltung des Selbst. Dazu gehört ebenfalls die ‚freie‘ Bestimmung und Auslebung der eigenen Sexualität, als zentraler Bestandteil der menschlichen Identität. Die Entwicklung und Auslebung einer ‚selbstbestimmten Sexualität‘ ist insofern an die vorausgegangene Ausbildung der Fähigkeit zur Selbstbestimmung gekoppelt. Gleichzeitig prägt die Sexualität das alltägliche Handeln und somit auch die Selbstbestimmung.

4. ‚Selbstbestimmte‘ Sexualität im Kontext geistiger Behinderung

Wie in den beiden vorangegangenen Abschnitten gezeigt wurde, ist der Mensch nicht ‚frei‘ in seinen Handlungen und somit nicht ‚frei‘ sein Selbst, also die Person die er ist, zu bestimmen. Vielmehr ist er in mehrfacher Hinsicht Erzeugnis des Diskurses. Je stärker der Einfluss auf die individuelle Entwicklung des Selbst ist, desto weniger Freiraum besteht für das Individuum, das eigene Selbst bestimmen und entfalten zu können. Gleiches gilt auch umgekehrt.
Im nun folgenden Abschnitt sollen die bisherigen Ausführungen auf das Feld der geistigen Behinderung übertragen und abschließend diskutiert werden. Dabei steht die These im Vordergrund, dass die Wirkmächtigkeit des Diskurses hier in einem weitaus stärkeren und restriktiveren Maße zum Tragen kommt und mit weitreichenderen Auswirkungen auf die Subjektentwicklung verknüpft ist. Das konstitutive Spannungsfeld, in welchem sich die menschliche Entwicklung zwangsläufig vollzieht, wird dadurch maßgeblich potenziert. Dies führt in letzter Konsequenz zur Ausprägung jener lebenspraktischen Einschränkungen, deren Kompensation und Behebung im Mittelpunkt sonderpädagogischer Praxisansätze steht – innerhalb des vorliegenden Beitrags im Rahmen der Förderung einer selbstbestimmten Sexualität von Menschen mit geistiger Behinderung. Die Wirksamkeit der dort entwickelten Konzepte (etwa Sexualassistenz, ‚Kontaktpartys‘ oder ‚Liebesdienstagenturen) richtet sich somit auf die (temporäre) Behebung der Symptome, deren primäre Ursache im Zuge dessen jedoch aus dem Blickfeld zu geraten droht: machtvolle Diskurse, die ‚geistige Behinderung‘ und den gesellschaftlichen Ausschluss der als ‚geistig behindert‘ deklarierten Subjekte stetig aufs Neue reproduzieren.

4.1 Geistige Behinderung

Die Bezeichnung ‚geistige Behinderung‘ hat gegen Ende der 1950er Jahre in die fachliche und um 1970 schlussendlich auch in wissenschaftliche Debatte Einzug gehalten und ist seither selbst Gegenstand kritischer Auseinandersetzungen (vgl. Kulig et al. 2006, 116f; Theunissen 2007, 94). Aus heutiger Perspektive lässt sich keine allgemeingültige bzw. einheitliche Definition finden, was vor allem auf die Existenz unterschiedlicher Ansätze und Sichtweisen zurückzuführen ist, deren Darstellung hier allerdings nicht vorgenommen werden soll (siehe Dederich 2012, 17f; Theunissen 2011; Biewer 2010; Haeberlin 2005, 67ff; Mattner 2004, 9ff).
Sozial-politisch bindend ist das Modell von Behinderung, welches in der „International Classification of Functioning, Disability and Health“ (ICF) formuliert ist. Dieses spiegelt die Auffassung wieder, „dass man nicht (nur) behindert ist, sondern auch behindert (gemacht) wird“ (Kulig et al. 2006, 122). Erklärte Zielsetzung ist es, mithilfe der Einbindung jener gesellschaftlichen Dimension von Behinderung, die traditionelle, rein medizinisch orientierte Sichtweise zu erweitern, die diese als pathologische Abweichung von einer ‚gesunden‘ Norm und somit als biologisch-organische Dysfunktionalität erfasst, die zwangsläufig mit dem Fehlen von lebensnotwendigen Kompetenzen sowie einem umfassenden Bedürfnis nach Schutz und Überwachung einhergeht (vgl. Trescher 2013b; Dederich 2012, 31; Köbsell 2010, 18). Ausdruck dieses medizinisch hervorgebrachten „Macht-Wissen[s]“ (Foucault 1999/2001, 298) über Behinderung sind die historisch gewachsenen und noch immer dominierenden Lebensverhältnisse der Betroffenen. Denn trotz einiger Entwicklungstendenzen, etwa der Einführung praxisrelevanter Konzepte und Unterstützungsmaßnahmen (z. B. die unterstützte Beschäftigungoder das persönliche Budget) sowie den sukzessiven Rückbau totaler Strukturen (Deinstitutionalisierung), ist das Leben vieler Menschen mit geistiger Behinderung noch immer durch einen hohen Grad von Institutionalisierung gekennzeichnet. Direkt damit verbunden sind Aspekte der Überwachung, Regulation, Fremdbestimmung und Exklusion, die sich auf alle Lebensbereiche hin ausweiten und auswirken. So sind viele Menschen mit geistiger Behinderung nach wie vor in speziellen Wohnheimen untergebracht oder leben noch bis ins hohe Alter im Haushalt der Eltern (Schirbort 2013, 412; Seifert, 2006, 377f). Oftmals arbeiten sie im Rahmen geschützter Werkstätten und verbringen ihre Freizeit in exklusiven Freizeitangeboten der ‚Behindertenhilfe‘ (vgl. BAG: WfbM 2013; Cloerkes 2000; Markowetz 2000). Die anhaltend hohen Zahlen sowie die dortigen Lebensumstände stehen in einem direkten Gegensatz zu den postulierten Leitzielen der Selbstbestimmung, Teilhabe und Inklusion und unterstreichen die nachhaltige Dominanz medizinischer Vorstellungen, welche die Betroffenen in ein dicht gesponnenes Netz aus Kontroll- und Abhängigkeitsmechanismen einbinden.

4.2 Gesellschaftlich-normative Faktoren

Gerade in der soeben aufgezeigten, zum Teil umfassenden Abhängigkeit von Unterstützungsleistungen liegt eine zentrale Schwierigkeit, die sich in vielfacher Weise auf die Lebensgestaltung der Betroffenen auswirkt – beschränken sie doch drastisch den verfügbaren Raum zur Selbsterfahrung und -gestaltung und erschweren bzw. verhindern somit auch das Entfalten und Erleben von Sexualität. Insbesondere letzteres wird auch dadurch beeinflusst, dass die Sexualität in ihrer Entwicklung maßgeblich auf die Wahrung des Privaten angewiesen ist, die Gewährleistung und Wahrnehmung von Hilfemaßnahmen allerdings mit mehr oder minder stark ausgeprägten Einschränkungen desselben einhergeht. Dies ist beispielsweise bei einer regelmäßigen medizinischen Versorgung der Fall, spiegelt sich aber ebenfalls in der gängigen Wohnsituation von Menschen mit geistiger Behinderung wider. Denn sowohl im Strukturrahmen Wohnheim als auch im Elternhaus ist der Alltag durch eine direkte und/oder indirekte Überwachung und Regulierung bestimmt, was wiederum einen gewissen Grad der Öffentlichkeit der Lebensbereiche schafft und das Entstehen von Privatsphäre massiv einschränkt. Zwar geschieht dies nicht aus Gründen einer vermeintlich böswilligen Kontrolle und Beherrschung, als vielmehr aus Motiven der Fürsorge und Hilfsbereitschaft. Es wird deutlich, dass das in Abschnitt 3.3 angesprochene Konfliktverhältnis von Fürsorge und Freiheit im Falle der konkreten Lebenssituation von Menschen mit geistiger Behinderung deutlich potenziert wird. So weitet sich die in der alltäglichen Lebenspraxis übliche Bevormundung und Überwachung von Kindern durch ihre Eltern, qua ihres Schutzbedarfs bzw. der mangelnden Fähigkeit, ihr Leben entlang bestehender Diskursansprüche ‚vernünftig‘ gestalten zu können, bei Menschen mit geistiger Behinderung oftmals auf die gesamte Lebenszeit aus – resultiert der Schutz- und Aufsichtsbedarf doch nicht aus einer mit der Lebensphase der Kindheit verbundenen Hilflosigkeit, sondern aus einer konstanten, fest an die Person gebundenen Eigenschaft, die in vielen Fällen noch immer synonym mit Hilflosigkeit betrachtet wird. Im Kontext dieser Problematik finden sich in der Fachliteratur auch Umschreibungen, wie ‚ewige Kindheit‘ (vgl. Köbsell 2013, 127) oder auch ‚ewige Elternschaft‘ (vgl. Rothaug 2013, 148).

Bisher wurde herausgestellt, dass das Leben von Menschen mit geistiger Behinderung sowohl durch eine engmaschigere medizinische Begleitung und Versorgung als auch aufgrund ihrer weiterführenden Lebenssituation durch ein ungewöhnliches Maß an Öffentlichkeit und Überwachung geprägt ist. Letztlich schließt die Überwachung immer schon die Potenzialität der Regulierung mit ein und umfasst die Unterordnung und Anpassung des eigenen Willens an die Vorgaben Außenstehender (vgl. Trescher 2013a, 280f; 2014b, 37). Beides führt dazu, dass die Möglichkeit zur freien Gestaltung des eigenen Selbst zum Teil gänzlich verhindert oder zumindest deutlich eingeschränkter ist, als dies beispielsweise bei Menschen ohne geistige Behinderung der Fall ist. Die Wirkmächtigkeit des Diskurses ist besonders ausgeprägt und nimmt in einem weit stärkeren Maße Einfluss auf die Subjektentwicklung. Das Ausbilden oder gar das erfüllte Ausleben der inneren Bedürfnisse und Wünsche wird im Zuge dessen durch multiple Faktoren ‚behindert‘, die quasi-natürlichen Begehrensansprüche der Betroffenen unterdrückt und deren Existenz von Seiten der mündigen Bezugspersonen zum Teil, etwa aus Schutzgründen oder persönlichen Ängsten, ausgeblendet (vgl. Ortland 2013, 197). Diese tiefgehende Unterdrückung der Selbstbestimmung und -entfaltung führt letztlich dazu, dass die Behinderung am Leib des Subjekts reproduziert wird. Sinnbildlich hierfür steht der oben aufgeführte Vergleich von Menschen mit geistiger Behinderung mit ‚ewigen Kindern‘, was eine Distanzierung zu ‚erwachsenen‘, also als mündig konstruierten sexuellen Praktiken impliziert und damit einhergehend auch eine Aberkennung der Fähigkeit zur Selbstbestimmung sowie einer ausgereiften Geschlechtsidentität beinhaltet.
Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen werden mindestens zwei weitere Spannungsfelder offengelegt, welche sich aus der gegenwärtigen Forderung nach sexueller Selbstbestimmung von Menschen mit geistiger Behinderung ergeben: 1. Werden die Betroffenen auf der einen Seite durch die Forderung selbst als erwachsene Personen, d.h. als Menschen konstruiert, die eine ausgereifte Geschlechtsidentität ausgebildet haben. Auf der anderen Seite sehen sie sich innerhalb der pädagogischen Praxis teilweise offenen, teilweise latent vollziehenden Infantilisierungen gegenüber und verweilen über ihren Lebensverlauf häufig in einer kindsähnlichen Position (vgl. Walter 2008b, 17). 2. Unterliegt die Hybridisierung der Termini ‚Selbstbestimmung‘ und ‚geistige Behinderung‘ nicht nur einem extensiven Konfliktverhältnis von Freiheit und Zwang, sondern bereits die Forderung nach Selbstbestimmung und Unabhängigkeit bei geistiger Behinderung scheint per se – zumindest zu einem gewissen Grad – einem paradoxales Gebilde darzustellen. Dies betrifft, abgesehen von den in Abschnitt 3 herausgestellten Einflussnahmen, sowohl die (mehr oder minder) bestehende Abhängigkeit von Unterstützungsleistungen als auch die Tatsache, dass das Nachkommen einer von außen auferlegten Anweisung zum selbstbestimmten Handeln, kaum als Ergebnis eines autonomen Entscheidungsprozesses angesehen werden kann (vgl. Katzenbach/Uphoff 2008, 69).

4.3 Subjektive Faktoren

Die dargestellten äußeren Diskurseinflüsse führen dazu, dass die Kategorie ‚geistige Behinderung‘ zum Fixpunkt der Identitätsentwicklung wird. Das Subjekt wird als ‚geistig behindert‘ konstruiert und kann seine subjektiven Begehrensansprüche demnach nur als ein ‚geistig behindertes Subjekt‘ hervorbringen. Denn letztlich „gründet der Stigmatisierte seine Ansprüche, wie immer er sie umschreibt, nicht auf das, was seiner Meinung nach jedermann zusteht, sondern nur jedem einer ausgewählten sozialen Kategorie, in die er fraglos paßt“ (Goffman 1975/2012, 16; Hervorhebung im Org.). Vor dem Hintergrund stattfindender Infantilisierungsprozesse und einer kindsähnlichen Konstruktion geht das mit dem Hervorbringen einer durch diese Prozesse (mit)geprägten (Geschlechts-)Identität einher, die ihren Ausdruck in mitunter infantilen Verhaltensweisen der Betroffenen findet. Dies äußert sich beispielsweise in einem oftmals distanzlosen und eher offenen Umgang mit privaten Aspekten, wozu auch die Sexualität zählt. Exemplifiziert werden soll dies anhand eines kurzen Auszugs aus einem Beobachtungsprotokoll, welches in einer Wohngemeinschaft für Menschen mit geistiger Behinderung geführt wurde. Die Handlungen vollziehen sich in der Wohnküche (Gemeinschaftsraum) der Wohngemeinschaft:
"Der Fernseher ist an und es läuft ‘Spongebob‘. [...] Kurz darauf kommen eine junge Frau und ein älterer Mann ins Zimmer. Beide nicken mir zu [...] Die junge Frau läuft [...] zu mir, reicht mir ihre Hand und stellt sich mit Julia vor. [...]. Sie zeigt auf Michael und erzählt mir, dass er ihr Verlobter sei und sie morgen heiraten werden." (Schächtele 2014; 3)[7]
Im weiteren Verlauf der Beobachtung wird klar, dass der Kinderkanal innerhalb der Wohngemeinschaft stetig eingeschaltet bleibt (ebd. S.4), was zumindest als Hinweis auf eine (sich dadurch reproduzierende) kindliche Identität gewertet werden kann. Diese findet sich ebenfalls in der Aussage bezüglich der Verlobung wieder. Es konnte verifiziert werden, dass das Paar zumindest nicht offiziell verlobt ist und auch nicht am darauffolgenden Tag geheiratet hat, sodass sich in der Aussage gleichsam eine kindliche Repräsentanz von Paarbeziehung widerspiegelt. Problematisch erscheint dies, da diese Verhaltensweisen, je nach Situation, als vermeintliche Äußerung der geistigen Behinderung gewertet und wiederum zu behütenden/fremdbestimmenden Maßnahmen führen können, sodass der infantile Status, und damit die geistige Behinderung selbst, verstärkt und aufs Neue hergestellt werden.

Von zentraler Bedeutung innerhalb der Subjektbildung ist der ‚behinderte Körper‘ – wird durch ihn doch die bestehende Dichotomie zwischen ‚behindert‘ und ‚nicht-behindert‘, und damit die Abweichung von Menschen mit geistiger Behinderung von einer bestehenden Normvorstellungen, erst manifestiert und offen zugänglich (vgl. Davis 2010, 3ff; Butler 2012, 39ff). „Der Körper hat unweigerlich eine öffentliche Dimension; als ein in der Öffentlichkeit geschaffenes soziales Phänomen gehört mir mein Körper und gehört mir auch wiederum nicht“ (Butler 2012, 41). „In einem gewissen Sinne bedeutet ein Körper zu sein anderen ausgeliefert zu sein“ (ebd., 40). Er wird zu einem zu jedwedem Zeitpunkt öffentlich zur Schau getragenen Stigma und identifiziert den Träger in jeder Situation als anders bzw. nicht-normal und somit als defizitär und korrekturbedürftig (vgl. Dederich 2012, 44). Dies gilt vor allem „[i]n einer Zeit, in der der Körper zum Projekt der Selbstdarstellung und -gestaltung, zum »Aushängeschild« eines Menschen geworden ist“ (Köbsell 2013, 130). Die „Differenzkategorie »Behinderung«" (Dederich 2007, 43) führt so dazu, dass das Subjekt in der Hervorbringung seiner (Geschlechts-)Identität weitreichenden Einschränkungen unterliegt. Sie prägt den stattfindenden Aushandlungsprozess zwischen innersubjektiven Begehrensansprüchen und gesellschaftlichen Normen und wirkt sich so wiederum auf das hervorgebrachte Subjekt aus. Es ist grundsätzlich nicht davon auszugehen, dass Menschen mit geistiger Behinderung per se anderweitige Begehrensansprüche ausbilden als Menschen ohne Behinderung. Deren Erfahrung und Auslebung wird bei diesen jedoch durch machtvolle Diskurse beeinträchtigt bzw. blockiert, was letztlich einen Exklusionsmechanismus darstellt. „Sexualität ist so gesehen der exemplarische Fokus einer breiten Blockade der Identitätsentwicklung und Selbstverwirklichung vieler geistig behinderter Menschen“ (Walter 2008b, 17).

4.4 ‚(Geistig) Behinderte‘ Sexualität als Exklusionsmechanismus

Es wurde aufgezeigt, dass die innerhalb des Diskurses wirksamen Mechanismen und Bedingungen dazu zu führen, dass geistige Behinderung, in der Art und Weise wie sie dem öffentlichen Bild entspricht, (re)produziert wird – also das, was gemeinhin unter Behinderung verstanden wird, letztlich (auch) Produkt des historisch gewachsenen Umgangs mit diesem Phänomen ist. Es offenbart sich hierin ein in sich geschlossener und sich selbst verstärkender Kreislauf. In der Konsequenz bedeutet dies auch, dass die etablierten Hilfs- und Unterstützungssysteme, deren eigentlicher Sinn es ist, Behinderung entweder direkt abzubauen oder als Hilfeleistungen für andere Systeme zu fungieren, die ihrerseits Behinderung und deren Auswirkung abbauen sollen, somit Teil des Diskurses sind, welcher Behinderung als solches erst erzeugt (vgl. Trescher/Klocke 2014; vgl. Trescher 2014a). Dies gilt ebenso für sämtliche praxisorientierten Ansätze, die eine Aufrechterhaltung der Differenzkategorie ‘geistige Behinderung‘ zur Folge haben. Im Kontext des gegebenen Bezugsrahmens wären dies zum Beispiel die bereits genannten Konzeptionen, die darauf abzuzielen suchen, Menschen mit (geistiger) Behinderung sexuelle Erfahrungen zu ermöglichen und hierüber den Weg zu einer selbstbestimmten Sexualität zu eröffnen (vgl. Specht 2013; Walter 2008a; 2008b; Ackermann 2004). Auch wenn, lebenspraktisch gesprochen, durchaus argumentiert werden kann, dass diese Bestrebungen dazu führen, die sonst vermutlich versperrt bleibende Sexualität, als Entwicklungs- und Erfahrungsraum der eigenen Identität, erleb- und erfahrbar zu machen, knüpfen sie in ihrem Bestreben jedoch genau an jener Problematik an (Förderung einer ‚behinderten‘ Sexualität und Selbstbestimmung), an deren Entstehen sie mehr oder weniger indirekt beteiligt sind. D.h. einerseits werden unter der Leitidee der Normalisierung der Lebensverhältnisse zwar Symptome des Ausschlusses bekämpft, die eigentliche Ursache desgleichen, nämlich diskursive Praktiken, die entlang der sozialen Konstruktion der geistigen Behinderung operieren und letztlich deren Aufrechterhaltung erwirken, bleibt dabei allerdings nicht nur unberührt, sondern wird stattdessen weiter verdichtet. Dies sowohl in passiver Form, durch die Fortschreibung der Dichotomie ‚behindert/nicht-behindert‘ und damit einhergehend die Fortführung des bestehenden Diskurses, sowie auch in aktiver Form, indem innerhalb der Assistenz jene „subtilere[n] Formen der Entmündigung“ (Katzenbach/Uphoff 2008, 70) Anwendung finden, vor denen Katzenbach und Uphoff im Rahmen ihrer Ausführungen zum „Paradox der verordneten Autonomie“ warnen. So hält Ackermann bezüglich der notwendigen Ausgestaltung der Sexualassistenz beispielsweise fest: „Aktive Sexualassistenz kann nicht eine ausschließliche Angelegenheit zwischen den beiden direkt Beteiligten sein, sondern bedarf der Klärung im Team bzw. der Absprache mit Angehörigen und Eltern“ (Ackermann 2004, 166). Einerseits zielt sie also auf eine Förderung einer selbstbestimmten Sexualität des oder der Einzelnen, ist in ihrer Ausführung jedoch „gebunden an eine Kette beteiligter Personen oder […] ‚eingebettet‘ in die Aktivitäten und Stellungnahmen anderer“ (Ahrbeck 2004, 187). Die Wahrnehmung einer Sexualassistenz scheint vor diesem Hintergrund mehr eine Fortschreibung jener diskursiven Praxis der Entmündigung und Reproduktion der geistigen Behinderung darzustellen, als einen Teil zur Lösung der ursächlichen Problematik beizutragen.

5. Abschließende Betrachtung: Inklusion?!

In Anbetracht der bisherigen Ausführungen muss nun die Frage gestellt werden, wie der Prozess der (Re-)Produktion von ‚geistiger Behinderung‘ durchbrochen werden kann. Werden die Ausprägungen auf Grundlage der Darlegungen als das Produkt des Diskurses betrachtet, scheint ein Wandel wiederum nur über diesen denkbar. Denn letztlich sind auch die bestehenden Normen, und damit einhergehend auch die hierdurch definierten Abweichungen, keinesfalls unveränderlich, sondern ebenfalls Produkt desgleichen. „[T]he idea of a norm is less a condition of human nature than it is a feature of a certain kind of society“ (Davis 2010, 3). In diesem Sinne betrachtet auch Butler die Unterordnung des Subjekts unter den Diskurs zunächst als einschränkendes Moment innerhalb der Subjektivation, stellt jedoch zugleich heraus, dass der Prozess der Annahme der Macht durch das Subjekt als potentieller „Schauplatz der Veränderung“ (Butler 2001, 16) fungiert. Essentiell hierfür ist die Erlangung von Handlungsmächtigkeit bzw. die Übernahme von Macht durch das Individuum (vgl. ebd., 16ff). Übertragen auf die Lebenssituation von Menschen mit geistiger Behinderung erscheint somit die weiterführende Auflösung exklusiver und paternalistischer Strukturen sowie die forcierte Hinwirkung auf eine ‚normale‘ bzw. selbstverständliche Teilhabe an gesellschaftlichen Lebenspraxen notwendig. Nur auf diese Weise ist es möglich, Freiräume zur (relativ) ‚freien‘ Bestimmung des Selbst zu schaffen und den Behinderungsbegriff aus dem Kontext herauszunehmen, „in dem er als Instrument der Unterwerfung/Subjektivierung eingesetzt wurde« (Rösner 2012, S. 378). Erst durch die Schaffung von (auch sozialen) Entwicklungsräumen jenseits des pädagogischen Protektorats ist die Entwicklung eines als ‚mündig‘ konstruierten Verhaltens und damit verbunden einer als mündig konstruierten Sexualität möglich. Die daran geknüpfte normative Dekonstruktion von geistiger Behinderung richtet sich daher nicht gegen den sonderpädagogischen Rahmen und seine vorhandenen Inklusionsangebote als solche. Vielmehr wendet sie sich gegen die normative Unterwerfung des Körpers unter das Diktat eines medizinisch-naturwissenschaftlich dominierten Begriffs von Behinderung, welcher diese als negative Abweichung von einer Norm begreift und hierdurch Ausschluss legitimiert und ‚Behinderung‘ erzeugt. „[T]he ‘problem‘ is not the person with disabilities; the problem is the way that normalcy is constructed to create the ‘problem‘ of the disabled person” (Davis 2010, 3). Praxiskonzepte, die eine explizite oder implizite Aufrechterhaltung der Differenzkategorie ‚geistige Behinderung‘ und damit eine Unterscheidung zwischen ‚Sexualität‘ einerseits und ‚Sexualität bei geistiger Behinderung‘ andererseits beinhalten, tragen insofern dazu bei, dass ‚geistige Behinderung‘ und die damit einhergehende ‚Behinderung der Sexualität‘ reproduziert wird. Problematisch erscheint, dass dieser Umstand in einem Gros der diesbezüglichen Veröffentlichungen gänzlich unreflektiert bleibt, was auf ein bestehendes Theoriedefizit und einen primär handlungspraktisch orientierten Blick vieler sonderpädagogischer Veröffentlichungen verweist. Dies betrifft ebenfalls die oftmals ‚leichthändige‘ Thematisierung der Felder ‚Sexualität‘ und ‚Selbstbestimmung‘ (vgl. auch Hahn 1999, 19; Katzenbach 2004, 134ff; Katzenbach/Uphoff 2008, 71). In Anbetracht dessen erscheint es mit Blick auf künftig zu ergreifende Maßnahmen ebenfalls geboten, die innerhalb des vorliegenden Beitrags nur bruchstückhaft dargestellten Mechanismen der Reproduktion des traditionellen Bildes der geistigen Behinderung mittels darauf ausgerichteter Forschungsunternehmen ausfindig zu machen (z.B. innerhalb der handlungsleitenden Literatur der Bezugswissenschaften (etwa Sonderpädagogik/Disability Studies, Medizin, Psychologie und Pflegewissenschaften), Präsentation von Menschen mit geistiger Behinderung in der Öffentlichkeit (Medien/Literatur usw.)). Klar ist dabei, dass die Forderung nach Selbstbestimmung und Unabhängigkeit bei Menschen mit geistiger Behinderung an die Grenze des faktisch vorhandenen Hilfebedarfs stößt, der auch durch euphemistische terminologische Variationen nicht negiert werden kann. Dieser droht bei einer unreflektierten Abkehr vom Fürsorgekonzept und einer Hinwendung zu dem vorgeschlagenen Assistenzprinzip aus dem Blickfeld zu geraten (vgl. Katzenbach 2004, 127). Insofern erschiene eine umfassende Dekonstruktion der Kategorie, aufgrund der hieraus resultierenden Konsequenzen für das Individuum, höchst problematisch, kann ohne die Benennung von Hilfebedürftigkeit doch keine Leistung von Hilfe erfolgen. Ursprünglich kritisch ist allerdings, dass jener Hilfebedarf, als Erbe der historischen Entwicklungslinie bzw. des historischen Umgangs mit jenem Phänomen, pauschal als vordiskursives Faktum und zentrales Charakteristikum einer geistigen Behinderung wahrgenommen wird (vgl. Davis 2010, 4f). Dies geht wiederum unweigerlich mit einer Gefährdung der individuellen Entwicklungschancen des klassifizierten Subjekts einher, da sich das persönliche Entwicklungspotential nur innerhalb der diskursiv determinierten, ‚behinderten‘ Grenzen entfalten kann.
Begreift man den stattfindenden Ausschluss der Sexualität von Menschen mit geistiger Behinderung im Anschluss an die in Abschnitt 2.2 umrissene ‚Heteronormativität‘ als Folge eines Nicht-Erfüllens der hieran geknüpften heteronormativen Sexual- bzw. Geschlechtsnormen, lässt sich hieraus ebenfalls die Notwendigkeit einer Dekonstruktion dergleichen herleiten. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass Bestrebungen in Richtung einer Ermöglichung einer ‚normalen‘ sexuellen Entwicklung für Menschen mit geistiger Behinderung in der Konsequenz eine Anpassung an die bestehende Norm (und somit deren Reproduktion) bedeuten, diese jedoch zum Ausschluss existierender Abweichungen bzw. alternativer Formen von Gender führt (vgl. Butler 2012, 49). Davon betroffen sind nicht nur, jedoch im besonderen Maße auch, Menschen mit geistiger Behinderung. Eine Dekonstruktion bestehender Sexualnormen, wie sie Butler vorschlägt, spielt hier folglich eine zentrale Rolle, würde dies doch theoretisch nicht nur das, was im Diskurs als ‚richtige‘ Sexualität gegeben ist und zu der nur bestimmte Menschen ‚mündig fähig‘ sind, abbauen und somit neue Formen von Gender kreieren bzw. ermöglichen – und damit einem Ausschluss vorbeugen.
Hinsichtlich der Erlangung von Handlungsmächtigkeit ist es zudem von Bedeutung, für die Betroffenen Möglichkeiten zur aktiven Partizipation am gesamtgesellschaftlichen Diskurs um die eigene Person zu eröffnen, um diesen beeinflussen und so bestehende Bilder von ‚geistiger Behinderung‘ aufbrechen und neu zeichnen zu können. Beispielhaft angeführt werden können in diesem Zusammenhang Projekte wie die Aktion „Inklusive-Bildung“ der Stiftung Drachensee (http://www.inklusive-bildung.org/), welches auf eine Qualifizierung von Menschen mit Behinderung abzielt, um diese aktiv für die sonderpädagogische Lehre an Hoch- und Fachschulen einzubinden, sowie das Projekt „TOLL – Magazin für Wundertage“ (http://www.toll-magazin.de/), ein Magazin von und mit Menschen mit geistiger Behinderung, das über die eigene Etablierung die Schaffung einer öffentlichen Basis der Selbstrepräsentation anstrebt (vgl. Trescher 2014a). Grundsätzlich bleibt dabei zu bedenken, dass Menschen mit geistiger Behinderung nicht losgelöst von ihrer eigenen ‚behinderten‘ Identität agieren können, sondern die Art und Weise der Selbstrepräsentanz letztlich Ausdruck ihrer Lebensbedingungen und der sozial erzeugten Identität ist. Ein Aufbrechen des öffentlichen Bildes kann sich daher nur schrittweise und am Diskurs selbst vollziehen. Der Prozess, der damit in Gang gesetzt wird und an dessen Ende die selbstverständliche Teilhabe an gesellschaftlichen Lebensprozessen steht (wozu auch Sexualität zählt), kann letztlich als Inklusion verstanden werden. Diese kann allerdings nur durch die Dekonstruktion diskursiv hervorgebrachter Normen geschehen, die bestimmte lebensweltliche Ausprägungen und Konzepte als vorrangig/wünschenswert postulieren und somit einen exkludierenden, verletzenden Effekt mit sich bringen (Butler 1993, S. 131f). Inklusion verheißt insofern die uneingeschränkte, gleichberechtigte Teilhabe an gemeinsamen Lebenspraktiken sowie die gesellschaftliche Akzeptanz des (scheinbar) anderen.


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[1] Das Wort ‚quasi-natürlich‘ soll im vorliegenden Beitrag das Wort ‚natürlich‘ ersetzen und zielt darauf, die damit einhergehende Aussage zu relativeren, als dass der Sexualtrieb bzw. das Unbewusste  eine natürliche Anlage des Menschen darstellt, die jenseits gesellschaftlicher Einflüsse existiert. In der psychoanalytischen Tradition gab und gibt es Vertreter, die die These vertreten, dass auch das Unbewusste sprachlich konstruiert, also ‚von Gesellschaft‘ ist. Hierzu zählen unter anderem Lorenzer (z.B. 1983, S. 97ff; siehe auch Busch 2005, 45f) und Lacan (u.a. 2006; vgl. Busch 2005, 45f). Auch die Position Butlers, auf die im weiteren Verlauf noch einzugehen sein wird, lässt sich an dieser Stelle anführen, sieht sie das Unbewusste doch, ebenso wie das Subjekt als solches, als das Produkt des Diskurses und negiert jegliche natürlichen Determinanten. Schlussendlich ist es für den vorliegenden Beitrag jedoch unerheblich, ob die im Subjekt angelegten (unbewussten) Begehrensansprüche natürlichen oder gesellschaftlichen Ursprungs sind. Bedeutsam ist vielmehr, dass die Sexualität eine konstitutive Komponente auf der Ebene des Subjekts beschreibt und ihren Ausdruck in (größtenteils unbewussten) Bedürfnissen/Wünschen findet.

[2] Eine Ausnahme stellt hier die künstliche Befruchtung dar.

[3] Was Marcuse hier als ‚Trieb‘ bezeichnet, bezieht sich im vorliegenden Beitrag auf jene ‚quasi-natürlichen‘ Ausprägungen, die innerhalb des Subjekts als (unbewusste) Begehrensansprüche angelegt sind und die (sexuellen) Handlungen desgleichen beeinflussen und mitbestimmen.

[4] Wie Lemke im Rahmen seiner Ausführungen zum Verhältnis von Rassismus (im Sinne Foucaults – s.u.) und Exklusion beschreibt, findet sich im Werk Foucaults selbst „keine systematische Unterscheidung zwischen »Biomacht« und »Biopolitik«, beide Begriffe werden weitgehend synonym verwendet“ (Lemke 2003, 160). Auch wenn durch verschiedene Autoren Differenzierungsvorschläge unterbreitet wurden (vgl. ebd.; Folkers/Lemke 2014, 12), werden im vorliegenden Beitrag beide Termini – im Anschluss an Foucault – deckungsgleich verwendet.

[5] An dieser Stelle knüpft Butler mit ihrer Kritik an und konstatiert, dass der Diskurs das heterosexuelle Begehren als normativ-hegemoniale Kategorie der Subjektkonstitution bestimmt und damit andere Formen des sexuellen Begehrens bzw. der vergeschlechtlichten Identifizierung vom Erreichen des Subjektstatus ausschließt. Man kann daher auch sagen, dass Heteronormativität diejenigen ausschließt, die zu ihr nicht oder nur bedingt fähig sind. Nämlich diejenigen, die nicht in der Lage sind, auf die gesellschaftlich erwartbare Art und Weise Sexualität und Partnerschaft auszuleben oder ihr Verhalten danach auszurichten – dies wäre beispielsweise auf Menschen mit geistiger Behinderung übertragbar. Dass dies in Bezug auf die Bewertung von pädagogischen Maßnahmen bzw. Hilfsangeboten zu problematisieren ist, wird in Abschnitt 5 nochmal aufgegriffen.

[6] Die Grenzziehung „zwischen dem, was leben, und dem, was sterben muß“ (Foucault 1999/2001, 301), beschreibt nach Foucault eine von zwei Funktionen des (modernen) Rassismus. Dieser stellt für ihn einen existenziellen Mechanismus der Bio-Macht und zugleich die Antwort auf die Frage dar, wie es einer Macht möglich ist, zu töten, obwohl es ihr, wie oben dargestellt, „im wesentlichen darum geht, das Leben aufzuwerten, seine Dauer zu verlängern, seine Möglichkeiten zu vervielfachen, Unfälle fern zu halten oder seine Mängel zu kompensieren“ (ebd. 300). Für Foucault „sichert der Rassismus […] die Funktion des Todes in der Ökonomie der Bio-Macht gemäß dem Prinzip, daß der Tod der Anderen die biologische Selbst-Stärkung bedeutet“ (ebd., 305). Unter ‚Tod‘ versteht er dabei nicht zwangsläufig „den direkten Mord, sondern auch alle Formen des indirekten Mordes: jemanden der Gefahr des Todes ausliefern, für bestimmte Leute das Todesrisiko oder ganz einfach den politischen Tod, die Vertreibung, Abschiebung usw. erhöhen“ (Foucault 1999/2001, 303). Erfasst werden somit auch sämtliche Praktiken der sozialen und politischen Ausgrenzung. Es geht hier zunächst darum, „Zäsuren innerhalb des biologischen Kontinuums, an das sich die Bio-Macht wendet, vorzunehmen“ (ebd., 301; Hervorhebung im Org.), um so jene Bereiche auszumachen, welche zur ‚Schwächung‘ desgleichen beitragen. Hier setzt die zweite Funktion des Rassismus ein, denn diese ermöglicht „die Errichtung einer Beziehung zwischen meinem Leben und dem Tod des Anderen, eine nicht militärische und kriegerische Begegnung, vielmehr eine Beziehung biologischen Typs: »je mehr niedere Gattungen im Verschwinden begriffen sind, je mehr anormale Individuen vernichtet werden, desto weniger Degenerierte gibt es in der Gattung, desto besser werde ich – nicht als Individuum, sondern als Gattung – leben, stark sein, kraftvoll sein und gedeihen«“ (ebd., 302). Der Rassismus bereitet insofern „die ideologische Grundlage, um als »lebensunwert« oder »degeneriert« klassifizierte Individuen und Kollektive zu identifizieren, sie auszugrenzen, zu bekämpfen oder gar zu ermorden – alles im Namen der Lebensverbesserung“ (Folkers/Lemke 2014, 16). Das Konzept des Rassismus dient nach Foucault als „ein zentrales Element in der Produktion gesellschaftlicher Normalität“ (Lemke 2003, 162).

[7] Es handelt sich um eines von vielen Beobachtungsprotokollen, die im Forschungsprojekt "Wohnräume als pädagogische Herausforderung. Institutionelle Alltagsgestaltung in Einrichtungen für Menschen mit ‚geistiger Behinderung‘" unter der Leitung von Hendrik Trescher entstanden sind.