Ulrich Wehner: Bildung für alle, von Anfang an! Über inklusive Elementarpädagogik

Abstract: Der vorliegende Beitrag unternimmt den Versuch einer zeitgenössischen Grundlegung der Elementarpädagogik als Inklusionspädagogik. Er gliedert sich in vier Schritte.
Ein erster Teil entfaltet das Problem, dass systematisch geordnete Reden über Allgemeine Bildung und zeitlich geordnete Reden über Frühe Bildung in pädagogischer Öffentlichkeit und Fachwelt auseinanderklaffen. Diese Diskrepanz rührt an Grundlagen der Elementar- und Inklusionspädagogik. Beide benötigen eine ethisch versierte Pädagogik, die im Rekurs auf eine nicht (bloß) instrumentelle Betrachtung kindlicher Eigenrechte, die Bildung aller Kinder von Geburt an im Blick hat, ohne auf diesem Weg das kritische Moment reflexiver Bildung zu nivellieren. Die gesuchte Grundlegung findet keinen Widerhalt in den tradierten Wertvorstellungen klassischer Elementarpädagogik, die mündigkeitszentrierter Bildungstheorie verpflichtet ist. Und sie gelingt nicht im Kontext vermeintlich wertfreier zeitgenössischer Grundbedürfnistheorie oder Neurodidaktik.
Vor diesem Hintergrund erfolgt eine Neujustierung, die in zwei Schritten ausführt, wie Pädagogik kritisch bleiben und inklusiv werden kann. Durch die Zweiteilung pädagogischer Theoriebildung in Generationelle Pädagogik und Individualpädagogik gelingt es, die selbstständige Orientierung im Denken, Reden und Tun als ein Prinzip in die Grammatik kollektiv ausgerichteter Erziehungs- und Bildungstheorien einzuschreiben, ohne sie im Rahmen von Individualpädagogik jeder individuellen Erziehungs- und Bildungsgeschichte zur Auflage zu machen. Ein letztes Kapitel argumentiert, warum jedes Kind von Geburt an Mitglied einer Bildungs- und Erziehungsgemeinschaft ist. In Abgrenzung zum traditionellen Einsatz bei der Metapher der zweiten Geburt behauptet ein Rekurs auf das Phänomen leibhaftiger Geburt das pädagogische Primat generationeller Verbundenheit und Verpflichtung vor individueller Autonomie und Leistung. Auf dieser Linie ist Bildung von Geburt wegen als ein Menschenrecht verstanden, dem Erziehen als eine dialogische Unterstützung in Sachen Glück und Gerechtigkeit entspricht.

Stichworte: Elementar- Frühpädagogik, Inklusionspädagogik, Pädagogische Ethik, Grundlegung, Gegenwartspädagogik; Systematische Pädagogik

Ausgabe: 4/2012

Inhaltsverzeichnis

  1. Bildung: Auf den Anfang kommt es an oder von Anfang an? Über eine ungestellte Gretchenfrage der Gegenwartspädagogik
  2. Generationelle Pädagogik oder Selbstbestimmung als Leitziel überpersonaler Pädagogik
  3. Bildung von Geburt an oder Selbstbestimmung als typische Bezugsgröße genetischer Individualpädagogik
  4. Erziehung von Geburt wegen - Bildung als Menschenrecht
  5. Literatur

„Aus kleinem Anfang entspringen alle Dinge“

Systematisch geordnete Reden über Allgemeine Bildung und zeitlich geordnete Reden über Frühe Bildung klaffen in pädagogischer Öffentlichkeit und Fachwelt merkwürdig auseinander. Ein erstes Kapitel führt aus, dass diese Problematik nur wenig thematisiert wird, obwohl sie Grundfragen der Elementarpädagogik und Schlüsselfragen von Inklusion berührt. Elementar- und Inklusionspädagogik benötigen eine Bildungstheorie, die alle Kinder von Geburt an im Blick hat. Diesen Anspruch löst mündigkeitszentrierte Bildungstheorie nur ungenügend ein. Abschnitt  zwei und drei zeigen wie Bildungstheorie kritisch bleiben und inklusiv werden kann. Das gelingt, wenn Bildungstheorie nicht aus einem Guss, sondern in diversen Rubriken gedacht wird. Ein letztes Kapitel argumentiert, warum jedes Kind von Geburt an Mitglied der Bildungs- und Erziehungsgemeinschaft ist. In Abgrenzung zum traditionellen Einsatz bei der Metapher der zweiten Geburt behauptet ein Rekurs auf das Phänomen leibhaftiger Geburt das bildungstheoretische Primat generationeller Verbundenheit und Verpflichtung vor individueller Autonomie und Leistung. Auf dieser Linie ist Bildung von Geburt wegen als Menschenrecht verstanden.

1. Bildung: Auf den Anfang kommt es an oder von Anfang an? Über eine ungestellte Gretchenfrage der Gegenwartspädagogik

Die zugespitzte Gegenüberstellung zweier Maximen spannt einen Diskurs auf, der kaum geführt wird, obgleich die ihm zu Grunde liegende Problematik eine Schlüsselfrage der Elementarpädagogik und inklusiven Bildungstheorie markiert. Seitdem die Elementarpädagogik in Deutschland um die Milleniumswende gesteigerte Aufmerksamkeit verzeichnet, klafft in öffentlichen und fachlichen Bildungserzählungen vielerorts eine merkwürdige Lücke.
Einerseits gelten Kindertagesstätten nicht nur als Zubringer nachfolgender Bildungseinrichtungen. Vielmehr werden sie selbst als Bildungsorte angesehen, die nach PISA (vgl. Fthenakis 2003) mit länderspezifischen „Bildungsplänen“ ausgestattet wurden. Mustergültig heißt es im Vorwort zum Orientierungsplan in Baden-Württemberg „Die Bildungsbiographie eines Menschen beginnt mit der Geburt. Das wurde durch die internationalen Vergleichsstudien der vergangen Jahre deutlich.“ Die Forcierung frühkindlicher Bildung ist nicht zuletzt ein Reflex auf gesicherte Erkenntnisse, dass öffentliche Investitionen in „frühe Bildung“ beachtlichen Einfluss auf Schulbiographien haben (Tietze u.a. 2005) und die größte volkswirtschaftliche Rendite aufweisen (Stamm 2010; Burger 2010).
Andererseits erscheint es im Horizont traditioneller Bildungstheorie gar nicht plausibel Lerngeschichten von Säuglingen und Kleinkindern bereits als Bildungsgeschichten zu identifizieren. Systematisch geordnete Reden über Allgemeine Bildung widerstreiten zeitlich geordnetem Reden über Frühe Bildung. Diese Ungereimtheit durchzieht neben öffentlichen Debatten auch die Erziehungswissenschaften und findet im (Nicht)Verhältnis von Allgemeiner Pädagogik und Elementarpädagogik Niederschlag.
Zweifelsohne betonen bis in die Antike zurückreichende Denkfiguren Allgemeiner Bildung, dass es in Sachen Bildung auf den Anfang ankommt. Doch wird das Projekt „Bildung“ ideengeschichtlich (Böhm 2007), systematisch (Bernhard 2011, v.a. S. 243 ff) und lehrbuchförmig als „reflexiv und kritisch qualifiziert“ (Dörpinghaus u.a. 2006, S. 10) und ist in dieser Festschreibung nicht nur explizit von unkritisch-affirmativem (Benner 1982), sondern auch von vorkritisch-präreflexivem Denken (vgl. Stroß 2007) abgehoben. Überlieferte Denkfiguren weisen „Bildung“ als Orientierung in Denkformaten aus, die allemal das Vermögen von „kindlichem Anfängergeist“ (Schäfer 2011) übersteigen. So gesehen hält die verallgemeinerte Bildungstheorie kein Verständnis dafür parat, dass Bildung vorbehaltlos allgemein – und damit wie es in den letzten beiden Jahrzehnten in Frühpädagogik Usus ist - von Geburt an denken lässt (Vgl. u.a. Laewen/Andres 2002; Schäfer 2003; Liegle 2006; Viernickel 2008). Dieses Missverhältnis berührt eine Grundfrage von Inklusion: Wenn Inklusionspädagogik das programmatisch tradierte Versprechen einer gleichberechtigten individuellen „Bildung für alle“ (Klafki 1990) einlösen will, bedarf sie einer ethischen Klammer, die allen Menschen unabhängig von Lebensalter und unterschiedlichen Kompetenzprofilen ein Eigenrecht auf Bildung zu billigt. Doch ist es um das frühkindliche Eigenrecht auf Bildung in juridischer, gesellschaftspolitischer und bildungstheoretischer Hinsicht nicht eben gut bestellt.

Das „aktive Kind“- Gefeiert, übergangen, instrumentalisiert

Dreh- und Angelpunkt zeitgenössischer Elementarpädagogik ist das aktive, „kompetente“ Kind (Dornes 1993). Die „Selbstsozialisation“ des Kindes wird stellenweise bis hin zu überschwänglicher Erziehungsabstinenz gefeiert (kritisch Baader 2004; Grell 2010). In Sachen Bildung steht auch das aktive Kind noch auf seltsam verlorenem Posten.
Kinder haften für ihre Eltern! „Geht es Eltern finanziell, kulturell, sozial, gesundheitlich und bildungsmäßig gut, dann auch ihren Kindern. Geht es den Eltern schlecht, dann auch ihren Kindern.“ (Andresen; Hurrelmann 2010, S. 160). Diese Logik gilt, nicht nur hierzulande, viel zu häufig. „Unsere Kinder wollen lernen!“- Der Slogan der Hamburger Bürgerinitiative demonstriert, wie bildungsprogrammatische Leitziele regelmäßig an sozialen Wirklichkeiten von Bildung als „Distinktion“ (Bourdieu) zerbrechen. Distinktion ist nicht nur ein Mangel an Solidarität mit Familien in Armutslagen, sie ist auch ein Mangel an Bewusstsein für ein eigenständiges juridisches und moralisches Recht von Kindern auf Bildung. Das deutsche Grundgesetz (Artikel 6) enthält keine ausdrückliche Anerkennung des Kindes als eigenständige Persönlichkeit, wohl aber ein starkes elterliches Erziehungsrecht. „Bildung ist keine Dienstleistung!“ (Textor 2012, S. 19) Doch ist weder in den Zielvorgaben des Sozialgesetzbuches (SGB VIII) noch im Kindertagesstättengesetzen (z.B. BWB KiTaG 2010, § 2) vom eigenständigen Recht von Kindern auf Bildung die Rede. Zugesichert wird eine Unterstützung familiärer Erziehungs- und Bildungsanstrengungen, nicht zuletzt im Hinblick auf eine bessere Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Kindererziehung (vgl. Dürr 2010, S. 20). Gegenläufig zu Fröbels früher Bildungsoffensive vor beinahe 200 Jahren, sind Kindertagesstätten noch immer nicht dem Bildungswesen, sondern dem Sozialwesen zugeordnet.
Andere Akzente setzt die Konvention der Vereinten Nationen zum Schutz der Rechte der Kinder von 1989, die in der BRD seit 1992 geltendes Recht ist. Die Ratifizierung der UN Behindertenkonvention 2009 gilt als Meilenstein der Inklusion. Inklusionspädagogische Arbeiten bemühen weitaus häufiger UN Konvention, als bildungstheoretische Argumentation (z.B. Albers 2011, S. 25ff; Kreuzer; Ytterhus 2011, S. 9.). Besteht Bildungstheorie denn nicht just in der Stärkung kindlicher Rechte? Zweifelsohne sind kindliche Rechte auf Selbst- und Mitbestimmung in bildungstheoretischen Traditionen aufgehoben. Nur sind elementare Rechte von Kindern im bildungstheoretischen Kontext häufig an hoch gehängte, nicht für Kleinkinder und nicht für alle Kinder erreichbare Zielvorstellungen und Kompetenzen gebunden. Mündigkeits- und reflexionszentrierte Bildungstheorie bleibt in der Binnenlogik hinter dem Anspruch zurück allen Differentiellen Pädagogiken ein grundlegendes Verständnis von Bildung und Erziehung als Arbeitsgrundlage zur Verfügung zu stellen (vgl. Weigand u.a. 2008). Das systematisch Grundlegende verallgemeinerter Bildungstheorie umfasst das chronologisch Anfängliche, Elementare der Frühpädagogik allenfalls auf instrumentelle Art und Weise.

Frühe Bildung – ein vernachlässigter Leitbegriff

Pädagogik oder Erziehungswissenschaft? Eine Verknüpfung zieltheoretischer und zeittheoretischer Bildungserzählungen lebt von der Verbindung beider Forschungskulturen. Hält empirische Bildungsforschung beides im Blick sind zweckrationale Reflexionen auf Wirksamkeit widerspruchsfrei mit wertrationale Reflexionen auf Geltung (vgl. Mischo; Fröhlich-Gildhoff 2011, S. 9) verbunden. Im Hinblick auf Frühe Bildung wird das bildungstheoretische Diktat kritischer Reflexivität zum Problem. Wenn die philosophy of mind die Entstehung geistiger Operationen zweiter Ordnung in einer repräsentationalen Theorie des Denkens um das Ende des dritten Lebensjahrs datiert (vgl. Astington 2000, S. 136 ff.) und systematische Pädagogik Bildungsprozesse auf kritische Reflexivität festlegt, dann erzeugt das für jede nicht bloß instrumentell verstandene Krippenpädagogik für Kinder unter drei Jahren (etwa Stenger 2010; Vienickel et al. 2012) gravierende Spannungen. Diese frappierende Diskrepanz dürfte der Grund dafür sein, dass neuere Bildungstheorien der Elementarpädagogik und traditionsreiche Ansätze Allgemeiner Pädagogik, wie stellenweise bemerkt und bemängelt wird, nicht recht zueinander finden: „Eine besondere Herausforderung dürfte darin bestehen, den – inzwischen ebenso komplex wie differenziert gewordenen – Diskurs über Bildung in den ersten Lebensjahren […] mit jenen Theorie- und Diskussionstraditionen zu verknüpfen, die bereits seit unvergleichlich längerer Zeit in der Bildungsphilosophie geführt werden […]. Denn diese Diskursstränge werden zurzeit weitgehend unabhängig voneinander verfolgt […].“ (Wilfried Datler / Magrit Datler / Nina Hover-Reisner 2010, S. 25, Hv. d. Verf.). Der Vermerk „zurzeit“ lässt die Hoffnung bestehen, die klassische Elementarpädagogik berge den bildungstheoretischen Schlüssel für uneingelöste Ansprüche unserer Gegenwartspädagogik.

Klassische Elementarpädagogik zwischen Erziehung zur Bildung und Bildung zur Bildung

Wie Frithjof Grell zeigt, kann der Rückgriff auf klassische Elementarpädagogik heute viel leisten, wenn es darum geht zu klären „auf welche Weise die Umwelt des Kindes - zu der auch die Erwachsenen selbst gehören!- geordnet und gestaltet werden muss, damit die sinnvolle Selbstbildung des Kindes und später einmal wirkliche Selbstbildung ‚in Freiheit und Selbstbestimmung’ (Fröbel) ermöglicht werden kann“. (Grell 2010, S. 159. Hv. d. Verf.). Doch hallt gerade in sinngetreuen Rückgriffen auf die Tradition die seinerzeit nicht zur Disposition stehende, doch inzwischen höchst fragwürdig gewordene melioritätspädagogische Überzeugung wider, der zufolge kindlicher Anfängergeist der Erziehung bedarf, damit späterechter Geist“, „wirkliche“, eigentliche Bildung“ vollziehen kann.
An der Vermittlerfigur Friedrich Adolph Wilhelm Diesterweg, Hörer von Schleiermacher, Anhänger von Pestalozzi und Freund von Fröbel, kann man ablesen, wie klassische Elementarpädagogik zwischen einer Erziehung zur Bildung und einer Art Bildung zur Bildung changiert. Der „Wegweiser zur Bildung“ (Diesterweg 1851) reiht Elementarerziehung in eine hierarchisch gegliederte Ziellehre ein. Bildung fungiert als übergeordnetes Ziel, als „Bestimmung des Menschenlebens“ und als „höchste Stufe der Entwicklung der Seele“, die in „Selbsttätigkeit nach klar erkannten, festen Grundsätzen“ (ebd. S. 77) besteht. Erziehung zur Bildung ist „Erziehung zur Selbständigkeit durch Selbsttätigkeit “ (ebd. S. 76, Hv. i. Orig.). Parallel gießt eine Zeitlehre die Summe der Tradition von Comenius über Pestalozzi bis Kant in eine dreifach gestufte Bildungstheorie. Sie gliedert den chronologischen Transformationsprozess von einer lebensanfänglichen, vermeintlich überwiegend rezeptiven sinnlich-natürlichen, in eine gewohnheitsförmig-kulturelle, bis hin zu einer alles krönenden vermeintlich überwiegend spontanen freien-sittlichen Selbsttätigkeit (ebd. S. 79ff.)[1]. Bildungsprogrammatisch fungiert Elementarbildung als Vorläuferbildung höchster Bildung. Bildungsbiographisch spricht Diesterweg von „Stufen der Bildung“ (ebd. S.78). Und doch scheut er in Rücksicht auf die Zielhierarchie zurück, die erste Stufe der Sinnesschulung als Bildung zu qualifizieren, „Die Seele hat den ersten Schritt zur Bildung getan, aber sie ist nur tätig, soweit die äußere Erregung reicht und sie bestimmt“ (S. 79, Hv. d. Verf.). Weshalb diese vorsichtige Formulierung?

Irritierte Bildungstheorie

Klassifiziert man vorkritische frühkindliche Lernprozesse als Bildungsprozesse, dann läuft man auf programmatischer Ebene Gefahr das Leitziel kritischer Reflexivität zu verwässern. Im Sinne nicht affirmativer Pädagogik spricht der Avantgardist Diesterweg[2] nicht einfach von Bildung, sondern bindet zeitlich anfängliche selbsttätige Lernprozesse an das übergeordnete Ziel der Selbstständigkeit: In der Allianz von Bildung und Kritik rückt Erziehungstheorie bis heute in der anthropologischen Dimension das „Subjekt“ (Zima 2000) und in der operationalen Ebene die Logik des Handelns ins Zentrum.[3] Im Gedankenkreis nicht affirmativer Bildungstheorie kann es Unverständnis und Skepsis erzeugen, wenn Elementarpädagogen wie Hans Joachim Laewen das kritische Selbstverständnis zu unterlaufen scheinen, da es ohne eingehende begriffliche Erläuterungen heißt, „Kleine Kinder denken, indem sie handeln“ (Laewen 2002, S. 61) oder wenn Schäfers „subjektorientierter“ Ansatz vermerkt, dass Säuglinge „selbstbestimmt“ „handeln“ „wählen“ und „entscheiden“ (vgl. Schäfer 1995). Die Formel einer Bildung zur Bildung löst das Problem nicht, aber sie markiert es. In umgekehrter Richtung ist Laewens Krtik an der renommierten, praxeologisch (!) grundgelegten „Allgemeinen Pädagogik“ von Dietrich Benner (Ders. 2004) aufschlussreich. Der Elementarpädagoge bemängelt Benners (und Herbarts) Ausbuchstabierung des konstitutiven Prinzips „Bildsamkeit“ hole bei weitem nicht den Reichtum frühkindlicher Interaktionsformen ein (vgl. Laewen 2002, S. 75). In der Konsequenz bleibt auch die „Aufforderung zur Selbsttätigkeit“ hinter dem elementardidaktischen Prinzip Interaktion (König 2010)[4] zurück. Geraten frühkindliche Lernprozesse aber nur als Mittel zum Zweck späterer Bildungsprozesse in den Blick, dann läuft man, wie schon Diesterweg in Schleiermachers Vorlesungen (Schleiermacher 1826, S. 51-57) hören konnte Gefahr, die erlebte Gegenwart von zu erziehenden Kleinkindern einer - zumindest zunächst - nur von anderen, nämlich von erziehenden Menschen wertvoll erachteten Zukunft zu opfern. Schleiermachers und Fröbels Vorschlag einer dialektischen Vermittlung von kindlicher Gegenwart und erzieherischer Vorsorge in der Verknüpfung von Spiel und Übung bietet eine didaktische Lösung an, ohne bildungstheoretisch im Hinblick auf die Selbstbestimmungszentrierung der Aufklärung einschränkende Konsequenzen zu ziehen. Im 20. Jahrhundert hält die temporalpädagogische Formel von Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung über Wolfgang Klafkis emanzipatorischen Ansatz breiten Einzug in die Schuldidaktik (Klafki 2007) und den Situationsansatz (vgl. Zimmer 2000, Preising/Heller 2009). Zwar fordert Klafkis problemgeschichtliche Erneuerung Solidarität mit Akteuren, die noch nicht, niemals oder nicht mehr in der Lage sind, sich ihres Verstandes ohne Anleitung eines anderen zu bedienen, doch sind vom monolithischen Gipfel einer mündigkeitstheoretisch zugerichteten Bildung „zu vernünftiger Selbstbestimmung“ keine Argumente in Sicht, die ein solches Engagement begründen können. Dagegen, dass ein Lebensmoment gänzlich einem anderen geopfert wird, spricht laut Schleiermacher in der Praxis des Erziehens auf Seiten feinfühliger Erziehender ein „allgemeines Gefühl“ und auf Seiten der zu erziehenden Kinder ein sichtbares „Widerstreben“, das bereits Säuglinge pädagogisch überambitioniertem Diebstahl von Lebenszeit entgegen bringen (vgl. Schleiermacher 1826, S. 51). Geht man auf das Gebiet der Theorie, also auf die Begründungsebene, dann gelangt man, so Schleiermacher, in das Gebiet der Ethik. Auf diesem Gelände greift der Platonübersetzer Schleiermacher auf individualpädagogisch aufschlussreiche Argumentationsfiguren antiker Lebenskunstethik zurück, während der emanzipatorische Pädagoge Klafki den Spuren der Aufklärungsphilosophie Kants (vgl. Klafki 2007, S. 19.) folgt. Im Horizont der Aufklärungsphilosophie liegt ein Rückgriff auf den kategorischen Imperativ nahe. Untersagt er nicht Erziehenden, kindliches Lernen und Leben bloß als Zweck späterer Bildung anzusehen? Und gebietet er nicht erzieherischem Handeln immer auch dem Recht von Kleinkindern auf ihr Leben und mithin der „Würde des Menschen“ Rechnung zu tragen? Genau besehen sind Kants anthropozentrische Anthropologie und Moralphilosophie ungeeignete Quellen für elementar- und inklusionspädagogische Grundlegungen. Denn hier wird „dem Menschen“ nur als personales Vernunftwesen Würde zugeschrieben:
"Der Mensch ist zwar unheilig genug, aber die Menschheit in seiner Person muß ihm heilig sein. In der ganzen Schöpfung kann alles, was man will, und worüber man etwas vermag, auch bloß als Mittel gebraucht werden; nur der Mensch, und mit ihm jedes vernünftige Geschöpf, ist Zweck an sich selbst. Er ist nämlich das Subjekt des moralischen Gesetzes, welches heilig ist, vermöge der Autonomie seiner Freiheit."  (Kant, KpV 1.T1.B3.H. II 112f).
Anthropologien und Pädagogiken der Selbstbestimmung besitzen eine exklusive Grammatik, die Säuglinge und Kleinkinder nicht als leibhaftiges Gegenüber, als Akteure einer eigentümlich kindlichen Lebensführung, sondern nur in Ansehung als „potentielle Personen“, d.h. als Vorboten und spätere Repräsentanten kritischer Reflexivität achten und respektieren (vgl. Brumlik 2004, S. 82 ff.). In der Inthronisierung von Selbstbestimmung kann der umfassende Anspruch „ein neues Allgemeinbildungskonzept als Orientierungsrahmen für die Weiterentwicklung oder die Reform unseres Bildungswesens - vom Kindergarten bis zur Erwachsenenbildung“ (Klafki 1990) vorzulegen, nicht eingelöst werden. In pädagogischen Wegbeschreibungen zum Gipfel der Mündigkeit bleiben neben der Krippenpädagogik auch Bereiche der Sonderpädagogik außen vor. Das haben die überhitzten Debatten um die „Praktische Ethik“ des Präferenzutilitaristen Peter Singer in aller Deutlichkeit zu Tage gefördert (vgl. Anstötz u.a. 1995). Wo Mündigkeit und Moralität von Kant[5] über Herbart[6] bis hin zu Mollenhauer[7] und Klafki[8] zum obersten, höchsten, einen und ganzen Zweck und konstitutiven Prinzip von Erziehung erhoben werden, scheiden alle jene Kinder aus der Erziehungs- und Bildungsgemeinschaft aus, die nicht als zukünftige Leistungsträger kritischer Reflexivität in Frage kommen (vgl. Wehner 2009a). Wer in komplexer selbstbestimmter Selbsttätigkeit „die Bestimmung“ „des Menschen“ behauptet, reduziert Bildung auf Ausgänge aus „selbstverschuldeter Unmündigkeit“. Das impliziert eine Ab- und Entwertung von Phasen und Formen nicht selbstverschuldeter Unmündigkeit bzw. von nichtreflexiven und vorreflexiven Facetten menschlicher Selbstorganisation. Bilanzierend wird eine bildungstheoretische Zentrierung auf Mündigkeit weder Menschen am Beginn ihres Lebens, noch Menschen, die niemals zu geistigen Operationen zweiter Ordnung in der Lage sind, noch Menschen, die das Vermögen sich ihres Verstandes ohne Anleitung eines anderen zu bedienen, mehr oder minder stark einbüßen, gerecht. Elementarpädagogische Kritik am mündigkeitstheoretisch überhöhten Bildungsprinzip hat Tradition, systematisch niedriger gehängte Antworten haben keine.

Prominente Kritik ohne einschlägige Resonanz

Martinius Langevelds Kritik an adultistisch zugerichteten Bestimmungen „des Menschen“ ist hinlänglich bekannt und unzulänglich verarbeitet:
„Das Kind war ein zu überwindendes Stadium - es sollte so schnell wie möglich aufhören dumm zu sein;“ „Wenn es stirbt, was stirbt dann: ein Über-Affe, ein Unter-Mensch“ (Langeveld 1964, S. 1; S. 3). Heute werden „Kinder“ als „Turbolerner“ gefeiert, wenn sie begleitet von den Stoppuhren fortschrittsgläubiger Erwachsener aus den Startlöchern der Kindheit in Richtung Kompetenzzuwachs und Selbstbestimmung schnellen (kritisch Baader 2004). Wer mit dem Inklusionsanspruch „Bildung für alle“ ernst machen will, muss von Anfang an (Alp)Träume menschlicher Vervollkommnung (Rutschky 1977; Wulf 2001, S. 33ff) hinter sich lassen und kann sich nicht vorbehaltlos und betriebsblind auf selbstbestimmungszentrierte Bildungserzählungen berufen. Wenn Inklusion ein Signum der Pädagogik des 21. Jahrhunderts werden soll, geht es nicht an, dass Lehrbücher, Bildungspläne und Lehrpläne kanonisch wiederholen, dass „Bildung“ den Prozess und/oder das vorläufige Resultat ausgewählter Lernprozesse bezeichnet, die zum allem übergeordneten Erziehungs- respektive Persönlichkeitsziel „Mündigkeit“ hinführen. Hierarchisch gegliederte Pädagogiken der Selbstbestimmung halten die überkommene Siegertreppchenlogik von Lebensaltermodellen aufrecht, in deren Anordnung Kleinkinder und demenzerkrankte Menschen als bildungsferne Lebensformen und so gesehen als „Bildungsverlierer“ einer exklusiven Bildungsgrammatik erscheinen. Inklusionsethische Bildungstheorie steht vor der traditionskritischen Aufgabe, anthropologische und ethische Fallstricke hierarchisch gegliederter Lebensaltermodelle zu überwinden. Gleichzeitig muss traditionsbewusste Inklusionspädagogik davon Abstand nehmen „Mündigkeit“ als „Pathosformel“ kleinzureden (Rieger-Ladich 2002) und in einer richtungslosen kurativen Begleitung autopoietischer Systeme (vgl. Lenzen 1997, S. 48ff) ein nach wie vor unverzichtbares, kritisches Moment von Bildungstheorie auszublenden.

Mehrdimensionale Bildungstheorie. Unterwegs zu einer inklusiven und kritischen Pädagogik

Der vorliegende Entwurf einer inklusiven und kritischen Pädagogik greift Schleiermachers Unterscheidung einer „universellen“ und „individuellen“ „Richtung der Erziehung“ (vgl. Schleiermacher 1826, S. 39ff) auf, und denkt diese in gefächerter Bildungstheorie weiter. Auf diesem Weg wird Mündigkeit in zwei Rubriken von Bildungstheorie verortet. Generationelle Pädagogik (Wehner 2011)[9] und Individualpädagogik (vgl. Wehner 2002) operieren im Kontext einer Ethik des guten Lebens, die unter dem Leitgedanke der „Lebensmeisterung“ (Flitner 1950; Taschner 2003) „Beispiele gelingenden Lebens“ (Böhm 1995) bemüht. Beide Zweige entfalten ihr jeweiliges Profil entlang der ethischen Leitkategorien „Gerechtigkeit“ und „Glück“, die in denkbar kürzester Form das „Wozu“ der Pädagogik einfangen (vgl. Hoyer 2011). Doch entwickeln beide Sparten in ihren unterschiedlichen Hinsichten differente Eigenlogiken: Generationelle Pädagogik im Hinblick auf kollektive Bildungswelten; Individualpädagogik im Hinblick auf individuelle Bildungsbiographie. Die Berücksichtigung der unterschiedlichen Grammatik beider Erzählungen ermöglicht eine differenzierte Einordnung des einheitspädagogisch überlieferten Topos Selbstbestimmung.

 

2. Generationelle Pädagogik oder Selbstbestimmung als Leitziel überpersonaler Pädagogik

Geschichte verdient nicht nur als biographische Bildungszeit von Individuen, sondern auch als kollektive, überpersonale Bildungszeit zeitgleich und zeitversetzt lebender Generationen Berücksichtigung. Generationelle Pädagogik thematisiert Bildung und Erziehung in gesellschaftlicher, (inter)kultureller und menschheitsgeschichtlicher Hinsicht (vgl. Wehner 2011). Sie verfolgt eine überpersonale, aber keine a-personale Perspektive. Der universale Zugang ist überpersonal, insofern er Erziehung und Bildung im Hinblick auf kollektive Dimensionen von Geschichte(n) thematisiert. Der universale Zuschnitt ist nicht a-personal, weil er reflexive Selbstbestimmung wider ideologische, oder postmoderne Aufkündigungen in den Rang eines pädagogischen Leitziels hebt. Im Rekurs auf die advokatorische Grammatik des Erziehens geht Micha Brumlik hart mit diskursethischen Traditionen emanzipatorischer Pädagogik ins Gericht und bezichtigt mündigkeitszentrierte Bildungsphilosophie der Unfähigkeit erzieherische Probleme identifizieren, geschweige denn lösen zu können (vgl. Brumlik 2004, S. 82 ff). Wider einen bildungstheoretisch nahe gelegten „Zwang zur Personwerdung“ kommt er zu dem Schluss, dass es keinen neutralen Standpunkt gibt, von dem aus bemessen eine selbstbestimmte, reflexive, personale Lebensführung einer vorkritischen oder nicht kritischen Lebensführung vorzuziehen sei. Erziehung müsse solange aus pragmatischen (nicht aus prinzipiellen) Gründen auf Mündigkeit abheben, solange es Menschen, wie es unter gegenwärtigen Lebensbedingungen an vielen Orten immer wieder der Fall ist, zum Nachteil gerate, wenn sie ihre Präferenzen nicht selbst vertreten können. Brumliks Argumentation ist ein Befreiungsschlag gegen individualpädagogisches Vervollkommnungsdenken. Um neben der notwendigen Relativierung von Mündigkeit auch deren pädagogische Unverzichtbarkeit in Erinnerung zu behalten, bedarf es der Ergänzung seitens Generationeller Pädagogik. Individualpädagogisch findet Erziehung nicht in jedem Fall und nicht zu jedem Zeitpunkt einen Bezugspunkt in „Mündigkeit“. Trotzdem muss der Gesichtspunkt einer selbständigen Orientierung im Denken - wie nicht zuletzt Brumliks Abhandlungen zur Gedächtnispädagogik (Brumlik 1995) oder weltbürgerlichen Tugend (Ders. 2007) veranschaulichen - in kollektiven, kulturellen, interkulturellen und menschheitsgeschichtlichen Perspektiven prinzipiell Berücksichtigung finden. Das Prinzip Mündigkeit ist eine notwendige Bedingung für die Möglichkeit, dass auch in Zukunft gründliche Überlegung und nicht bloße Gewohnheit oder Faustrecht menschliche Angelegenheiten regulieren helfen können. Aus systematischen Gründen darf reflexive Selbstbestimmung kein konstitutives Prinzip von Individualpädagogik sein und muss regulative Leitidee von Generationeller Pädagogik bleiben. Damit rangiert Selbstbestimmung in kollektiver Hinsicht zu Recht als ein übergeordneter Gesichtspunkt. Nur müsste zugleich deutlich werden, dass die individualpädagogische Aufnahme einzelner Kinder in die Erziehungs- und Bildungsgemeinschaft nicht im Sinne einer Output Logik vom Erreichen des universal betrachtet unverzichtbaren Ziels abhängt (vgl. Wehner 2009a). Mündigkeit ist ein kollektiv unverzichtbares Ziel, aber kein notwendiges Ziel individueller Erziehung und Persönlichkeitsentwicklung.

Mündigkeit. Ethisch versiertes Ziel in kompetenzorientierter Zeit

In der Dimension Generationeller Pädagogik scheint es - gerade im Zeitalter der Kompetenzorientierung – angezeigt, das ethische Profil des Ziels Mündigkeit zu vergegenwärtigen. Wie die „Dialektik der Aufklärung“ in der nachdrücklichen Unterscheidung von instrumenteller und praktischer Vernunft lehrte (Adorno / Horkheimer 1947), besaß Kants Erziehungstheorie gute Gründe den Erwerb von Sozial- und Sachkompetenzen („Zivilisierung“ und „Kultivierung“) an das ethische Prinzip der „Moralität“ zu binden. Weil Sozial- und Sachkompetenz nicht notwendig an humane Zwecke gebunden sind, geht das Prinzip Selbstbestimmung nicht in funktioneller Weltklugheit (dazu Harth-Peter 2007) bzw. bereichsspezifischer Kompetenz auf. Kompetenzorientierung ohne ethische Orientierung erleidet gleichermaßen Schiffbruch, wie eine richtungslose Pflege von Sekundärtugenden. Kompetente Heuschrecken sind ebenso unattraktiv wie pünktliche Henker. Frühpädagogisch ist Hartmut Hentigs bildungstheoretische Maxime „die Menschen stärken“ (Ders. 1995) nicht vorschnell mit psychologisch versierter Resilienzförderung gleichzusetzen. Resilienz meint Stressbewältigungskompetenz und Durchsetzungsvermögen unter widrigen Bedingungen. Der Gegenbegriff lautet Vulnerabilität. Bildung besteht jedoch nicht darin, affirmativ in Systemen weiter zu funktionieren, die Ungerechtigkeiten und Leid (re)produzieren (Heydorn 1980). „Widerstandsfähigkeit ohne Bezug zur Mündigkeit bleibt richtungslos und verfällt in der Konsequenz der Beliebigkeit“ (Bernhard 2011, S. 265)[10]. Auf der anderen Seite bleibt das Vermögen, sich im Denken zu orientieren wirkungslos, wo reflexive Akteure psychisch kollabieren. So gesehen scheint „Widerstandfähigkeit […] eine notwendige, allerdings noch keine hinreichende Bedingung für mündiges Handeln“ (ebd. S. 265).

Mündigkeit. Universalismus in Zeiten nationaler Bildungsoffensiven

In Zeiten nationaler Bildungsoffensiven ist im Interesse aller Kinder hervorzuheben, dass die universale Ausrichtung mündigkeitsversierter Generationeller Pädagogik die (Bilanz)Grenzen national zugeschnittener Humankapitaltheorie übersteigt. Es wäre inhuman und ungerecht, würden reflexive Akteure reicher Länder nur volkswirtschaftlich in ihre Elementarpädagogik investieren. Eine Generationelle Pädagogik der Mündigkeit tritt über Landesgrenzen, und im Sinne der Nachhaltigkeit über unsere Gegenwart hinaus (vgl. Wehner 2010), für eine gerechte, lebensfreundliche humane Welt ein. Mit dem Ziel “Mündigkeit“ verfolgt Generationelle Pädagogik keinen Tagtraum von einer harmonischen Welt. Generationelle Pädagogik anerkennt und fördert agonalen Wettstreit, soweit er der gerechten Logik fairer Gegnerschaft folgt (Rawls 1979) und nicht die Grundlagen humanen Lebens als Spieleinsatz riskiert (dazu Jonas 1984). Aber sie missachtet Ungerechtigkeiten, die Menschen diskriminieren und Feindschaften erzeugen, die auf die psychische oder physische Vernichtung des Gegenübers abzielen. Wenn in der „fragmentierten“ Binnenlogik der Pädagogik der frühen Kindheit (so Fried u.a. 2003) sozialpädagogische und schulpädagogische Paradigmen aufeinanderprallen, könnte die bildungstheoretische Differenz zwischen Mündigkeit und Ellenbogenmentalität auch ein geeigneter Bezugspunkt für die Bestimmung einer gemeinsamen „pädagogischen Selbstrolle“ (Mollenhauer 1968) von Frühpädagogen und Lehrkräften sein. Im Rekurs auf die Zusammengehörigkeit von Mündigkeit und Gerechtigkeit muss das Konkurrenzdenken moderner Schule nicht in Schulen totgeschwiegen werden. Vielmehr kann die Logik der Schule reflexiv an elementare Spiel-, Streit- und Gemeinschaftserlebnisse (dazu Viernickel 2000) anknüpfen, in denen Kinder lernen, andere Menschen auch als Gegner und Konkurrenten, aber hoffentlich nicht als Feinde wahrzunehmen. Kinderkonferenz (Gordon) und justy community (Kohlberg) bereiten Plattformen, um einschlägige Erlebnisse in vielschichtigen Kommunikationsformen in Aktivitäten regulierende Erfahrungen zu überführen.

Mündigkeit. Leitziel pädagogischer Öffentlichkeit

Eine spezifische Leistung Generationeller Erziehungslehre besteht darin, dass der Fokus auf überpersonale Momente von Erziehung, sprich auf den Erziehungsgestus gesellschaftlicher und kultureller Lebensformen, eine unangemessene Kontrastierung von bloß personal verstandener Erziehung auf der einen Seite und bloß funktional, systemtheoretisch oder strukturalitisch verstandener Sozialisation auf der anderen Seite aufbrechen kann (vgl. Müller 1998).
Erziehende Generationen haben aus Gründen der Gerechtigkeit gegenüber zu erziehenden Generationen auch für gesellschaftliche Phänomene wie Kinderarmut oder Jugendarbeitslosigkeit Verantwortung zu tragen, die zwar keiner intentionalen Handlung entspringen, die aber gleichwohl das Resultat pluraler Handlungen und Unterlassungen darstellen. Im Horizont Generationeller Pädagogik sind Generationen keine biologische oder soziologische (Mannheim), sondern eine ethische Größe (vgl. Wehner 2010). Der pädagogische Generationenbegriff ist ein Platzhalter für pädagogische Öffentlichkeiten, die sich in größeren und kleineren Stil in vielschichtigen und vielstimmigen ethischen Selbstvergewisserungsprozessen konstituieren müssen.
Dass fragile Konstruktionen pädagogischer Öffentlichkeit blinde Flecken in Sachen Kindheit aufweisen, belegt die Einseitigkeit des bestehenden „Generationenvertrags“, der Kosten für das Alter kollektiviert, während Kosten des Aufwachsens in stärkerem Ausmaß privatisiert sind (vgl. Schweppe 2002; Wehner 2007). Kinderpolitik besteht in der Korrektur derartiger Schieflagen und benötigt einen Bewusstseinswandel, der Kleinkinder als Akteure berücksichtigt, die Rechte haben, ohne Pflichten haben zu können. Als universelles Ziel benötigt Inklusion eine erziehende Öffentlichkeit, in der die Unterstützung kindlicher Bildungsprozesse weder als bloße Privatsache von Erziehungsberechtigten, noch als bloße berufliche Angelegenheit von Experten, noch als bloße nationale Angelegenheit von Staaten, sondern immer auch als humane kosmopolitische Aufgabe verstanden ist. Damit advokatorische Inklusionspädagogik Wirklichkeit werden kann, bedarf es der Mündigkeit als einem Leitziel Generationeller Pädagogik.

 

3. Bildung von Geburt an oder Selbstbestimmung als typische Bezugsgröße genetischer Individualpädagogik

Individualpädagogik entfaltet Bildungstheorie in dialogischer Interaktion entlang individuell einmaliger Lebensgeschichten. Anthropologischer Bezugspunkt der Bildungstheorie ist das menschliche Grundphänomen leibhaftigen, relationalen Strebens nach gelingendem Leben. Individualpädagogisches Erziehen bietet ressourcenorientierte, an kindlichem Können orientierte Antworten[11] auf individuelle Bildungsgenese. Sie unterstützt biographische Prozesse der Selbst- und Weltgestaltung in einer strebens- und moralethisch versierten kommunikativen Kultur des Lernens.[12] Biographisches Streben nach gelingendem Leben weist intraindividuell, lebensanfänglich in der frühen Kindheit und später im Kindes- Jugend-, Erwachsenen- oder im hohen Alter im Hinblick auf Inhalt und Form verschiedene und wechselnde Formate auf (dazu Loch 1979). Der genetisch-biographische Zugang kann im Unterschied zu hierarchisierenden, anthropozentrischen Engführungen in humanistisch und christlich gefärbter Ethik auch utilitaristische Positionen in sich aufnehmen. Und er geht im Unterschied zu den bildungsbürgerlichen Hierarchisierungen des deutschen Idealismus auch bruchlos mit sozialpädagogischem Denken zusammen (Wehner 2011). Dem Ausgang vom leibhaftigen Streben nach gelingendem Leben liegt die phänomenologische Einsicht zu Grunde, dass menschliches Dasein als „In-der-Welt-Sein“ im Modus lebensweltlichen Strebens existiert. Menschen sind nicht erst an und für sich auf der Welt um dann noch als Strebende in Beziehung zur Welt zu treten. Menschliches Leben und lebensweltliches Streben sind eines (Wehner 2002). Da lebensweltliches Streben keine dualistische Trennlinie zwischen erlebendem Akteur und erlebter Welt erkennen lässt, werden Aufmerksamkeits-, Lern- und Bildungsprozesse als intermediale „Schwellenphänomene“ (Waldenfels 2004; Rumpf 2008) zwischen rezeptivem Ereignis und spontanem Vollzug (Künkler 2008) verstanden. Elementarpädagogik antwortet auf frühe Vollzugsformen interaktionistischer Selbst- und Weltgestaltung.
Erziehende können die Bildungsprozesse von zu Erziehenden nur advokatorisch unterstützen, aber nicht im existentiellen Sinn an ihrer Stelle handeln oder Verantwortung übernehmen (vgl. Grisebach 1924). Responsiv Erziehende versuchen alle Themen von Kindern aufzugreifen und muten ihnen ausgewählte Themen zu (dazu Andres; Laewen 2011). Individualpädagogisch ist der Gesichtspunkt der Selbstbestimmung nicht in einer finalen Ordnung, sondern in einer genetisch orientierten prozessualen Grammatik verortet. Mündigkeit taugt nicht als „ganzer“ und „höchster Zweck“ (Herbart), weil dieser Gesichtspunkt in den sich verändernden Lebenslaufperspektiven der Akteure weder einen durchgängigen, noch einen selbstzweckhaften Bezugspunkt darstellt. Menschen streben nach einer Selbständigkeit im Denken, Reden und Tun, sofern sie vielfältige Modi von Eigentümlichkeit, Selbstwirksamkeit und Selbständigkeit als Momente „freier Weltbegegnung“ (vgl. Seel 1998), sprich als Elemente eines erfahrungsreichen, sinnerfüllten, gelingenden und guten Lebens schätzen lernen (vgl. Bieri 2011). Das Erziehungsziel „Mündigkeit“ kennzeichnet Denk-, Rede- und Tätigkeitsformen, die im Lebenslauf der meisten Menschen bedeutungsvoll werden. Selbstbestimmung und Reflexivität sind nicht notwendige, sondern typische Bezugspunkte individueller Lebensführung. Wenngleich Selbstbestimmung in vielen Fällen über weite Lebensstrecken eine zentrales Moment der Lebensführung wird, ist nicht einzusehen, mit welcher Begründung pädagogische Kategorien wie „Bildsamkeit“ und „Bildung“ prinzipiell auf ein hochkomplexes philosophisches Geistverständnis festgeschrieben und eingeschränkt werden sollen.
Hatte Kants Bildungstheorie in universeller Hinsicht gelehrt, weshalb es „vornehmlich darauf ankommt, dass Kinder denken lernen“, zeigt die philosophy of mind in individueller Hinsicht wie Kinder verschiedene Denkformate für sich entdecken können. Unter universaler Perspektive leuchtet es ein möglichst viele Menschen von Anfang an im Hinblick auf das Ziel Selbstbestimmung zu unterstützen. Bei alledem ist Selbstbestimmung kein konstitutives Prinzip von Individualpädagogik. Individualpädagogik geht nicht notwendig vom „handelnden Subjekt“ aus, sondern ist - wie psychoanalytische Pädagogik unterstreicht (etwa Bittner 1979) - in einem umfassenderen Sinn um ein vielschichtiges Verständnis von Lebensgeschichten bemüht. Und Individualpädagogik hebt nicht notwendig auf das „handelnde Subjekt“ ab, sondern begreift Erziehen in einem umfassenderen Sinn als individualisierte Hilfen zu individueller „Lebensmeisterung“ (Flitner 1997). Vor diesem Hintergrund besitzt das offen gehaltene Forschungsparadigma „aus der Perspektive von Kindern“ (Honig/Lange/Leu 1999) Modellcharakter.

Frühe Bildung und Pädagogische Ethik

Insofern Bildungslehre oftmals nur reflexive Hilfen für reflexive Akteure vorhält, erstaunt es nicht, wenn der ethische Code frühpädagogischer Orientierungsqualität nur selten und eher oberflächlich auf bildungstheoretische Tradition rekurriert.
Symptomatisch nimmt die didaktisch aussichtsreiche Leuvener Engagiertheitsskala (Vandenbussche; Leavers 1999) in der Begründungsebene Anleihen bei salutogenetisch orientierten Grundbedürfnistheorien humanistischer Psychologie (Maslow; Rogers). Andernorts stehen verstärkt neurodidaktische Aussagen über „gehirnfreundliches Lernen“ Pate. Beide Bezüge laufen Gefahr das Niveau einer bildungstheoretisch-ethisch geschulten Bearbeitung von Orientierungsfragen zu unterlaufen.
Physiologisch „beklagen“ sich Gehirne nicht über die Bedingungen unter denen sie funktionieren müssen. Der Ausdruck „Gehirnfreundlichkeit“ verspricht normative Fragen deskriptiv zu lösen. Doch ergibt die emphatische Kategorie „Freundlichkeit“ in der funktionellen Beschreibungsordnung eines menschlichen Organs gar keinen Sinn. Humanistische Grundbedürfnispsychologien suggerieren es gäbe „den Menschen an sich“, der nachträglich auf eine Umwelt trifft, die naturgemäßer Selbstverwirklichungstendenz (Rogers 1977) ent- oder widerspricht.
Normative Aufladungen von Gehirn und Psyche ähneln romantischen Slogans einer Reformpädagogik „vom Kinde aus“ (Wehner 2009), deren Essentialismus (kritisch Honig 1999) die „doppelte Historität“ (Wulf)[13] anthropologischer Betrachtung unterschlägt. Gegen essentialistische Spekulation sprechen zahlreiche erfahrungsgesättigte, phänomenologische, ethnographische, klinische oder kultursoziologischen Studien. In empirischen Zugängen wird transparent, dass Menschen/Kinder in bedingter Freiheit (Bieri 2001) in Abhängigkeit von unterschiedlichen Habitaten recht verschiedene, unter moral- und strebensethischen Gesichtspunkten mehr oder minder aussichtsreiche Bedürfnisse, Interessen, Lebensstile und -formen zeigen und lernen können. Elementarpädagogik ist gut beraten weder mit der interaktionsblinden Suche nach den Grundbedürfnissen „des Menschen“, noch mit der weltlosen Suche nach Gesetzen hirnfreundlichen Lernens einzusetzen.
Weitaus überzeugender ist der bildungstheoretische Rekurs auf eine ethisch versierte Betrachtung von Lerngeschichten. Pädagogische „Lerngeschichten beschreiben und analysieren das Lernen, ohne es von der Beziehung zu Menschen, Dingen oder Orten abzulösen“ (Carr 2007, S. 42; dazu auch Göhlich/Wurf/Zirfas 2007; Stieve 2008;). Im Kontext strebens- und moralethisch geschulter Bildungstheorie wäre - ähnlich wie in den Anfängen der Pädagogik in Reggio Emilia oder im Infans Konzept der Frühpädagogik (Andres, Laewen 2011) - zu fragen, unter welchen Lebensbedingungen Kinder (zumindest mehr) leben und werden können, wie wir mit guten Gründen leben und sein wollen. In vielschichtige und vielsprachige Erziehungs- und Bildungspartnerschaften mit  Kindern und ihren Erziehungsberechtigten bringen Fachkräfte Orientierungen pädagogischer Ethik ein, wenn sie den beiden Leitkategorien „Gerechtigkeit“ und „Glück“ entlang der Genese einzelner Biographien in verständlichen, zumutbaren und anschlussfähigen Interaktionen (vgl. Prange 2005, S. 137 ff.) Ausdruck verleihen.

Integrative Bildungstheorie. Zur ethischen Orientierung einer Pädagogik des Könnens

Hans Krämers Integrative Ethik diskutiert Glück und Gerechtigkeit als gleichberechtigte, nicht auseinander ableitbare Leitkategorien (Krämer 1995). Im Anschluss an Krämer wäre von einer Integrativen Bildungstheorie[14] auszugehen. Bildungsbiographisch kann Elementarpädagogik, aus der Perspektive der Akteure, einen zeitlichen Vorrang der Strebensethik behaupten. Erziehung antwortet zunächst auf kindliches Wohl und Wehe, bevor für Kinder Fragen der Vermittlung von Eigenwollen und Fremdwollen virulent werden. Glückstheoretisch versierte Erziehung bietet Kindern Hilfestellungen, Differenzwahrnehmungen, -erlebnisse und -erfahrungen zwischen Können und Wollen im Sinne gelassener Lebenszufriedenheit auszubalancieren. Im Lernen mit (nicht aus) Erfahrung unterstützt sie Kinder, die Differenzerfahrung „ich kann nicht alles, was ich will“ zu meistern, indem sie Kindern lebensweltorientierte Hilfestellungen anbietet ihr Können zu steigern und/oder ihren Willen zu mäßigen. In bildungstheoretischer Hinsicht (dazu Loch 1980, Wehner 2009a) gebührt kindlichem Können Unterstützung, weil Könnenserlebnisse ein Primargut gelingenden Lebens sind (Fuhr 1998, Wehner 2011). Diese ethische  Begründung beansprucht Vorrang gegenüber humankapitalorientierter Kompetenzausrichtung und mündigkeitszentrierter politischer Orientierung. Wo Kindern Gelegenheit fehlt, selbstwirksam in Welt einzugreifen, zeigen sie Anzeichen von Depression (dazu Brazelton; Greenspan 2008) und verzweifeln an ihrem Leben. Auch die Logik der Moralität wird nicht als pädagogisches Prinzip in Biographien hinab dekliniert, sondern sie erhält in genetisch-bildungsbiographischen Zugängen Bedeutung, wo Kinder auf die voraussetzungsreiche Differenzerfahrung „ich darf nicht alles, was ich will“, stoßen. Wer lernt, Eigenwillen und Fremdwillen über Gefühlsansteckung, Anteilnahme, Empathie, Mitgefühl und Gerechtigkeitsüberlegungen (vgl. Horster 2007) auszutarieren, gewinnt ein Stück Unabhängigkeit von der advokatorischen Fürsorge anderer und erlebt diese Form der Autonomie in formaler Hinsicht als freudvollen Raumzuwachs einer inhaltlich nicht nur erfreulichen, freien Weltbegegnung im Modus der Selbstsorge.
Kinder können vieles lernen und werden oder eben auch nicht. Wo sich Inklusionspädagogik als Antidiskriminierungspädagogik von einer Kultur gleichgültiger Anerkennung abgrenzt, kommt sie allein mit dem Lernbegriff nicht aus. Mit dem ethisch versierten Bildungsbegriff wird allen Kindern in ihren individuellen Lebens- und Lerngeschichten in Sachen Glück und Gerechtigkeit ein Mindestmaß an mitmenschlicher Unterstützung zuerkannt. Zuletzt stellt sich die Frage, warum jedes Kind jenseits der instrumentellen Zugänge über Humankapital- und Mündigkeitstheorie Anspruch auf erzieherische Hilfe zur Lebensbemeisterung hat. In der Diskussion um die Antipädagogik hat die Pädagogik des 20. Jahrhunderts in einer kulturellen Wende (Brumlik 2002) deutlich gemacht, dass Erziehen als Zeigen (Prange 2005) im Modus der Präsentation (Mollenhauer 1983) von nicht-genetischem Erbe (Sünkel 1997) in anthropologischer Hinsicht unvermeidbar, wie in kultureller Hinsicht unverzichtbar ist. Beides allein wäre zu wenig, denn das anthropologisch Unvermeidbare verspricht gar nichts und die kulturpädagogische Ausrichtung auf Zukunftsbedeutung impliziert eine Instrumentalisierung der frühen Lebensjahre.

 

4. Erziehung von Geburt wegen - Bildung als Menschenrecht

Der junge Ansatz bei der Natalität (dazu Boelderl 2007; Schües 2008; Wehner 2010) unterscheidet sich in einem zentralen Punkt vom leistungsbezogenen Fokus auf Subjektphilosophie, Moralität und Mündigkeit. Mündigkeitszentrierte Bildungsphilosophien sind adultistisch geprägte Ability Ansätze. Die Aufnahme in die Erziehungs- und Bildungsgemeinschaft wird an potentiellen oder aktuellen Performanzen der Akteure festgemacht. Im Fokus auf zukunftsfähige Fähigkeiten kommen nicht nur hundert Sprachen von Kindern zu kurz. In solchem Zugang findet die erziehungstheoretische Relevanz intergenerativer Verbundenheit keine Berücksichtigung. Der Neuansatz bei der Natalität betont die ethische Relevanz des intergenerativen Bandes von Erziehung. Erziehen wird als Antwort auf die universale intergenerative Grundrelation menschlichen Daseins qua Strebend-In-der Welt-Sein begriffen. Ausgangs- und Bezugspunkt ist nicht der Mensch als rationales Subjekt, sondern sind Menschen als soziale Geschöpfe und soziale Akteure.
In der „Philosophie des Geborenseins“ zeigt Christina Schües wie traditionelle Bildungslehren das Phänomen der Natalität metaphorisch vereinnahmen, missachten und vergessen machen. Bildung handelt vom Vermögen einer „zweiten Geburt“, die als „eigentliche Geburt“ des Menschen gefeiert und inszeniert wird. Die Ikonisierung der autonomen Kopfgeburt, würdigt die erste, intergenerative, leibhaftige Geburt zur „Nötigung“ (Kant) herab, die nicht selten in illusorischen Autonomiephantasien als Schandfleck vergessen gemacht wird. So schenkt die antike Denkfigur der Selbstsorge noch in der jüngsten Renaissance der Philosophie der Lebenskunst (Schmidt 1998) nur dem Sterben, nicht aber der Geburt Aufmerksamkeit. Disziplingeschichtlich werden systematische Bezüge zu parentalen Erziehungsfigurationen in den Vorlesungstexten der Gründungszeit vorschnell abgetan (dazu Wehner 2011), und lassen lange auf sich warten (etwa Fuhr 1998). In Abgrenzung zur Subjektphilosophie der Autonomie rekurriert eine Pädagogik der Natalität auf eine Anthropologie der Intergenerationalität. Menschliches wird - mit oder ohne apparattechnische Unterstützung - intergenerativ hervorgerufen, geht ausintergenerativem Leben hervor und zeitigt intergenerative einschlägige Lebensformen. Stets sind zeugende Menschen die Mitursache von menschlichem Dasein, das von Anbeginn aktiv an intergenerativer „Schöpfungsgeschichte“ mitwirkt.

Skizzen von Natalitätspädagogik

Im Horizont intergenerativer Schöpfungsgeschichten berücksichtigt Pädagogische Psychologie wie „geplanter“ und schließlich auch leibhaftig aktiver Nachwuchs, lange vor der Geburt in parentalen, familialen und gesellschaftlichen Zusammenleben intergenerative Erlebens- und Verhaltenswelten hervorruft. Wo die kulturelle Wende das Phänomen der Natalität aufgreift, wird die Mannigfaltigkeit intergenerative Welten, von der Entstehung von Kinderwünschen bis hin zu generational geordneten Wohn-, Kleidungs-, Ernährungs-, Gender-, Berufs- und Sprachpraktiken zum Thema. Ähnlich wie geschlechtssensible Pädagogik mit der Unterscheidung von sex und gender operiert, könnte im vorliegenden Zusammenhang eine Unterscheidung von Generativität und Natalität hilfreich sein.
Intergenerative Schöpfungsgeschichten sind sowohl mit eudaimonistischen Entwürfen von Erziehungsberechtigten, wie auch mit moralischen Verpflichtungen gegenüber einem „geplanten“, „werdenden“ und einem das Licht der Welt erblickenden Kind verbunden (Thomä 1992). Menschheitsgeschichtlich ist das intergenerative Phänomen der Natalität im Horizont einer Bildungstheorie für nachhaltige Entwicklung zu verorten (Wehner 2010). Inklusionspädagogisch liegt der Fokus auf Begründungszusammenhängen von Individualpädagogik.
Kulturwesen agieren in vielerlei Hinsicht schöpferisch. Doch ist nur leibhaftiges, menschliches Leben intergenerativ von und aus Menschen hervorgerufenes Leben. Intergenerativität rechtfertigt keinen „Speziezismus“[15] im Sinne einer rassistischen Missachtung der Präferenzen von Angehörigen einer anderen Spezies. Allerdings impliziert Intergenerativität eine leibhaftige Affinität, die ein spezifisches Näheverhältnis charakterisiert. Säuglingsforschung, Hirnforschung und Bindungsforschung dokumentieren,  dass schon Neugeborene Mitmenschen in visueller, akustischer, taktiler, kognitiver und allem voran in emotionaler Hinsicht nicht richtungslos und wertneutral als eine Sorte Element von Welt wahrnehmen.[16] Frühkindliche Bildungsgeschichten entfalten sich, anders als spätere Schulgeschichten, nicht entlang sozialer Schichtung, sondern entlang sensibler, verständnisvoller Responsivität. Als soziale Wesen streben Menschen nach leibhaftiger Ansprache, Anteilnahme und Verständigung. Das Moment der Sozialität schließt nicht aus, dass sich Menschen auch gehörig missverstehen und/oder missachten. Doch liefert es eine Erklärung für die Intensität, Vielschichtigkeit und Mannigfaltigkeit mitmenschlicher Interaktion und damit verbunden für die geschichtlich ausdifferenzierte Vielfalt von Erziehungsvorstellungen, -praktiken und -einrichtungen.

Erziehen als generationelle Verpflichtung zu ethisch versierter Interaktion

Menschliches Leben vollzieht sich im Modus des Strebens. Streben ist ein Kennzeichen des Lebendigen, das bis zu Herbart mit einem weiten Verständnis von Bildsamkeit verbunden war.[17] „Streben“ lässt sich als nicht selbstbewusst empfindende, als selbstbewusst erlebende oder als reflexiv erfahrene Reaktion auf eine Unzufriedenheit mit dem Hier und Jetzt deuten. Weil Menschen die Ursache des Daseins von nachkommenden Menschen sind und wir den Zeugungsakt im Idealfall als zurechenbare Handlung ansehen, sind Menschen für die Tatsache des Daseins der von ihnen gezeugten Menschen verantwortlich. Wird menschliches Streben als Reaktion auf eine Unzufriedenheit mit einem Status-quo begriffen, ist es konsequent, wenn die Erzeuger menschlichen Daseins dazu verpflichtet sind, die Erzeugten mit der Tatsache ihres aktiven, sozial strukturierten Strebend-in-der-Welt-Seins versöhnend zu machen (dazu Fuhr 1998). In Anbetracht der interaktionistischen Eigentätigkeit von Kindern erfordert das feinfühlige, responsive Erziehende. Die intergenerationelle Verpflichtung, jedes Kind mit Tatsache seines kommunikativen Strebens nach gelingendem Leben zufrieden zu machen, beinhaltet in unterschiedlichen Lebensphasen, Lebenslagen und Lebensgeschichten Verschiedenes. Doch ist das didaktische Prinzip Interaktion in lebenslaufbegleitender Individualpädagogik bildungstheoretisch an den Diskurs über Glück und Gerechtigkeit verwiesen. Inklusive Elementarpädagogik ist eine Menschenerziehung, die Mensch-Sein nicht an die exklusive Metapher der zweiten Geburt bindet. Vielmehr gesteht sie jedem Neugeborenen von Geburt wegen ein ethisches Recht auf erzieherische Unterstützung in seinem Streben nach gelingendem Leben zu. Weil Reflexivität nicht zuletzt eine unverzichtbare Komponente gekonnten Erziehens ist, müssen wir wollen, dass auch in Zukunft nicht wenige Menschen zu einer Selbständigkeit im Denken gelangen. Wenn jedes Kind in seinem Bildungstreben strebens- und moralethisch versierte Unterstützung erfährt, wird es an mündigen Akteuren auch dann keinen Mangel geben, wenn wir Mündigkeit nicht mehr pauschal und kontextunabhängig als Erziehungsziel betrachten.

 

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[1] Diesterweg charakterisiert den Weg zur Bildung wie das Gros der Tradition als Weg von der Rezeptivität zur Spontaneität. Vor diesem Hintergrund beinhaltet das Bild vom aktiven Säugling eine Neuerung. Bildungstheorie führt in die Irre, wenn sie Selbstständigkeit als Gradmesser von Selbsttätigkeit gebraucht. Udo Schreyers (Ders. 2006) legt u. a. am Beispiel von kindlichem Empfangen als Vernehmen und kindlichem Gehorsam als Vertrauen dar, dass Rezeptivität und Spontaneität unterschiedliche Hinsichten auf ein und dasselbe Phänomen sind.

[2] Als politischer Aufklärer war Diesterweg als Abgeordneter der Fortschrittspartei im preußischen Landtag tätig. Das preußische Kindergartenverbot folgte nicht der abwegigen offiziellen Begründung, Fröbel verbreite atheistische Lehren. Vielmehr war es eine reaktionäre Antwort auf die Demokratisierungsbewegungen des Bürgertums. Eine Wiederentdeckung des politischen Fröbel wäre ein gutes Gegengewicht zu romantischen Vereinnahmungen in der deutschen Rezeptionsgeschichte.  

[3] Die (Bildungs)Philosophie bezeichnet mit dem Subjektbegriff die Instanz des „Ich“, die ein mit Bewusstsein ausgestattetes, denkendes, erkennendes und handelndes Wesen auszeichnet.

[4] In der bildungstheoretischen Grundlegung rekurriert auch Anke König auf mündigkeitszentrierte, anthropozentrische Bildungstheorie: „Sich selbst zu bilden ist das Streben nach Mündigkeit, um selbstbestimmt zu handeln.“ (S.12) Der Anthropozentrismus inthronisierter Mündigkeit wird deutlich, wenn die Dreiteilung „Kulturelle Umwelt“, „Soziale Umwelt“ und „Materielle Umwelt“ Tiere, Pflanzen, Elemente und Phänomene unterschiedslos unter die dritte Rubrik subsumiert. 

[5] „Nicht kann die Frage sein, ob neben Disziplinierung, Kultivierung, Zivilisierung und zusätzlich zu ihnen noch Moralisierung erforderlich ist. Vielmehr sind  die ersten drei Aufgaben nur von der übergreifenden vierten her zu verstehen und zu rechtfertigen.“ (Ruhloff 2005, S. 31.)

[6] „Man kann die eine und ganze Aufgabe der Erziehung in den Begriff Moralität fassen“ (Herbart 1804)

[7] „Für die Erziehungswissenschaft konstitutiv ist das Prinzip, das besagt, dass Erziehung und Bildung ihren Zweck in der Mündigkeit des Subjektes haben; dem korrespondiert, dass das erkenntnisleitende Interesse der Erziehungswissenschaft das Interesse an Emanzipation ist.“ (Klaus Mollenhauer 1973, S. 10)

[8] „Bildung wird also verstanden als Befähigung zu vernünftiger Selbstbestimmung […]. Unübertroffen prägnant hat Kant dieses Moment im Hinblick auf die Selbstbestimmung des Denkens in den oft zitierten Anfangsätzen seiner Abhandlung zur Beantwortung der Frage „Was ist Aufklärung“ (1784) formuliert […].“ (Klafki 2007, S. 19.)

[9] Analog zur Individualpädagogik wird für das Pendant Generationelle Pädagogik die Großschreibung benutzt (vgl. Wehner 2011).   

[10] Um zu unterstreichen, dass Selbstbestimmung nicht mit krudem Durchsetzungsvermögen gleichgesetzt werden kann, hob Kants Nachfolger auf dem Königsberger Lehrstuhl, Johann Friedrich Herbart, Moralität unmissverständlich in den Rang eines konstitutiven pädagogischen Prinzips, das nicht nur den höchsten, sondern den „einen und ganzen Zweck der Erziehung“ abbildet.  

[11] Im Anschluss an Schleiermacher gilt „unterstützen“ einer Pädagogik des Könnens als Haupttätigkeit des Erziehens. Auch jede Form der „Gegenwirkung“ muss an schon Gekonntem anknüpfen. Weil man auf Fehlendes nicht aufbauen kann, ist Könnens- respektive Ressourcenorientierung ein konstitutives didaktisches Prinzip.

[12] Schäfer bezeichnet Bildung als biographischen Prozess in einer Kultur des Lernens (Ders. 2011, S. 20) Lerntheoretisch knüpft er an Psychoanalyse, Neurobiologie und Systemtheorie an und spart Bezüge zur Ethik aus.

[13] Doppelte Historizität, weil nicht nur Menschen als Gegenstand der Betrachtung, sondern auch die anthropologische Betrachtung geschichtlichem Wandel unterliegt.

[14] Im Anschluss an Krämers „Integrative Ethik“ (1995) geht eine Integrative Bildungstheorie davon aus, dass „Glück“ und „Moralität“ unter den kulturellen Vorzeichen der Moderne nicht (mehr) systematisch aufeinander rückgeführt bzw. auseinander abgeleitet werden können. Das heißt Menschen werden nicht moralisch, weil sie  ihr Glück verfolgen und nicht glücklich, weil sie moralisch handeln.

[15] Eine nicht anthropozentrische Bildungslehre muss neben Prinzipien „Sachlichkeit“ und „Mitmenschlichkeit“ auch auf „Kreatürlichkeit“ reflektieren (vgl. Wehner 2010).

[16] Beispielsweise ist die informationelle Ausrichtung der visuellen Signalverarbeitung auf Gesichter schon in den ersten 24 Lebensstunden von Neugeborenen diagnostiziert (vgl. Uhl 2009).

[17] Heute wäre unter elementar- und inklusionspädagogischen Vorzeichen zu diskutieren, ob pädagogische Grundlagenforschung im Hinblick auf die moralethische Eingemeindung des Bildsamkeitsbegriffs bei Herbart nicht einer Rolle rückwärts bedarf. Immerhin kommt Elmar Anhalts einschlägige Untersuchung zu dem Schluss, das Herbarts Ringen um einen „obersten Begriff“ von dem her die ganze Theorie der Erziehung deduziert werden kann, gescheitert ist (Anhalt 1999, S. 367). Gleichzeitig provoziert Anhalt eine neue Lesart, die darlegt wie Herbart Theorie der Erziehung, in weitaus stärkerem Ausmaß, als es die Rezeptionsgeschichte berücksichtigt, die Selbstorganisation organismischer Aktivität und damit anfängliche Formen kindlicher Aktivität mitdenkt.