Abstract:
Anhand aktueller statistischer Angaben zur Integrationsquote[2] wird im Rahmen dieses Beitrages der Frage nachgegangen, wie weit Sachsen-Anhalt auf seinem Weg zur Inklusion ist. Zweitens wird der Versuch unternommen, dem Bild einer ‚idealtypischen‘ Grundschulklasse einer zukünftigen Schule für alle in Sachsen-Anhalt schärfere Konturen zu geben. Die Orientierung auf das Konstrukt dieser Grundschulklasse einer Schule für alle Kinder wird als ein zentrales Moment im Rahmen der LehrerInnenausbildung, konkret in didaktischen Studienseminaren und als notwendiger Beitrag der Hochschulen im Hinblick auf das konsequente Orientieren auf und damit das Errichten eines inklusiven Bildungssystems dargestellt. Die statistischen Angaben im Text stellen teils eigene Berechnungen des Autors auf Grundlage veröffentlichter Daten des Statistischen Landesamtes Sachsen-Anhalt (StaLa 2012, StaLa 2012a, StaLa 2012b) sowie der Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage - KA 6/7316 der Abgeordneten Birke Bull (DIE LINKE) dar. Zum Teil sind sie den herangezogenen Berichten des Statistischen Landesamtes Sachsen-Anhalt direkt entnommen.
Ausgabe: 4/2012
Inhaltsverzeichnis:
Bis zum Jahr 2008 hatte das Bundesland Sachsen-Anhalt die höchste Quote in Bezug auf schulische Separation (bzw. Exklusion aus dem allgemeinen Schulsystem). Zuvor war es sowohl das Land mit der höchsten Quote an SchülerInnen, die im ausdifferenzierten Förderschulsystem beschult wurden, als auch mit der niedrigsten Quote bezüglich der integrativen Beschulung von SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf (vgl. Hinz 2011: o.S.) Andreas Hinz hat im Länderbericht zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (im Folgenden abgekürzt durch UN-BRK) bezogen auf den Bildungsbereich Sachsen-Anhalts kritisch resümiert, dass die Entwicklung des Gemeinsamen Unterrichts zwar „von niedrigem Niveau aus kontinuierlich zunimmt, wenngleich vor allem im Grundschulbereich und mit zielgleicher Ausrichtung“ (ebd.), dass die Bemühungen zur Umsetzung der UN-BRK hierzulande jedoch insgesamt mit der Befürchtung verbunden seien, nur eine begrenzte Tragweite zu haben. Der Status Quo bezüglich bildungspolitischer Vorhaben und Aktionspläne – hier bezogen auf den schulischen Bereich – stimmt in Sachsen-Anhalt demnach eher skeptisch. Die Frage wie es in Sachsen-Anhalt um die Umsetzung eines inklusiven Bildungssystems steht, entpuppt sich als Gretchenfrage.
Noch vor der Ratifizierung der UN-BRK machte das Land Sachsen-Anhalt erste Schritte der Reformierung der existenten verkrusteten Strukturen und Konzepte: so beispielsweise mit dem seit 2004 neuen Konzept der Förderzentren, zweitens mit dem im Jahr 2009 etablierten zweijährigen Modellversuch zu „Grundschulen mit Integrationsklassen“, in dessen Rahmen eine systemische Ressourcenzuweisung zugunsten der Überwindung des Ressourcen-Etikettierungs-Dilemmas erprobt wurde, und drittens durch die fortschreitende Ganztagsschulentwicklung in Sachsen-Anhalt auf Basis des Index für Inklusion (vgl. Hinz 2011). Seit dem Schuljahr 2010/2011 erhält in Sachsen-Anhalt jede Grundschule für ihre Eingangsstufe eine pauschale Zuweisung an sonderpädagogischen Ressourcen entsprechend der Anzahl aller SchülerInnen in der Eingangsstufe – ganz im Sinne einer systembezogenen Serviceleistung (vgl. Reiser 1998). Zudem wurde die Fest-stellung eines sonderpädagogischen Förder-bedarfs durch das Einrichten des so genannten Mobilen Sonderpädagogischen Diagnostischen Dienstes (MSDD) als Regulations- und Kontroll-instanz erheblich erschwert. Dennoch fasst Andreas Hinz die Entwicklungen im Bundesland Sachsen-Anhalt infolge der Anstöße durch die UN-Behindertenrechtskonvention wie folgt zusammen: „Die Anstöße durch die UN-Behindertenrechtskonvention beziehen sich in Sachsen-Anhalt ausschließlich auf den Bereich der sonderpädagogischen Unterstützung. Andere Heterogenitätsdimensionen, die dem internationalen Inklusionsdiskurs entsprechen würden, sind nicht im Blick. Daher sind auch generelle Strukturfragen wie die Diskussion um das gegliederte Schulwesen in der kultusministeriellen Planung kein Thema. Auch gibt es keinen Zeitplan für die Auflösung früherer Förderschulen“ (ebd.: o.S.).
Bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention wird es insgesamt darum gehen müssen, das selektive und mehrgliedrige Bildungssystem mitsamt seiner negativen Auswirkungen auf das Lernen der Kinder und Jugendlichen grundsätzlich zu hinterfragen. Das Senken von Exklusionsquoten kann demnach nicht das alleinige Ziel bildungspolitischer Maßnahmen und Reformen sein. Bisher deuten sich abzeichnende Entwicklungstendenzen in Sachsen-Anhalt jedoch vor allem in diese Richtung, was die Frage berechtigt erscheinen lässt, ob es ein echtes bildungspolitisches Interesse daran gibt, die derzeitigen Strukturen des Bildungswesens hierzulande bis an seine Wurzeln zu hinterfragen. Aus diesem Grund sieht Andreas Hinz im Rahmen seines Länderberichtes den „Anlass zu der Befürchtung, dass alle Schritte, die in Richtung auf die Umsetzung der UN-Konvention gegangen werden (sollen), nur eine begrenzte Tragweite haben werden, da sie zwar die Situation von Schüler-Innen mit Beeinträchtigungen, nicht aber die Situation der allgemeinen Schule verändern wollen“ (ebd.). In Bezug auf die zügige und vor allem konsequente Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention präsentiert sich das Land Sachsen-Anhalt durch Schwerfälligkeit und nicht als ‚Frühaufsteher‘.
In den folgenden Abschnitten soll auf Grundlage von Veröffentlichungen des Statistischen Landesamtes des Landes Sachsen-Anhalt sowie auf der Basis der Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage (KA 6/7316) der Abgeordneten Birke Bull (DIE LINKE) ein Blick auf die Förder-, Integrations- und Separationsquoten des Schulsystems in Sachsen-Anhalt im Schuljahr 2011/2012 geworfen werden.
Von den 16.816 zum Schuljahr 2011/2012 (im Folgenden mit SJ 2011/2012 abgekürzt) in Sachsen-Anhalt eingeschulten Kindern wurden 409 Kinder unmittelbar in Förderschulen eingeschult (entspricht einer Separationsquote von 2,43 Prozent). Insgesamt gab es im SJ 2011/2012 genau 177.800 SchülerInnen in Sachsen-Anhalt, die Anzahl aller GrundschülerInnen belief sich auf insgesamt 65.724 (davon 33.579 Jungen, entspricht 51,09 Prozent). Zur Berechnung der Förderquote werden nach KMK-Vorgaben SchülerInnen der allgemein bildenden Sekundarstufe II sowie AbendrealschülerInnen ausgeklammert, womit sich eine förderquotenbezogene GesamtschülerInnenzahl von 162.382 ergibt. Von diesen 162.382 SchülerInnen besuchten im SJ 2011/2012 insgesamt 12.111 eine Förderschule (entspricht 7,46 Prozent), 3.128 SchülerInnen lernten im Gemeinsamen Unterricht (entspricht 1,92 Prozent). Die Förderquote des Landes Sachsen-Anhalt (bezogen auf alle Schularten und -stufen) lag damit im SJ 2011/2012 bei etwa 9,4 Prozent, das heißt, dass 15.239 Kinder (etwa jedes elfte Schulkind) einen diagnostizierten sonderpädagogischen Förderbedarf hatten.
Abb. 1: Förderquote des Landes Sachsen-Anhalt im Schuljahr 2011/2012
Die Anzahl aller Kinder in den Förderschulklassen eins bis vier belief sich im SJ 2011/2012 auf 3.699. Für die Förderschule mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung habe ich derweil die statistischen Angaben zur so genannten Unterstufe herangezogen. Diese entspricht den Grundschulklassen eins bis drei. Die vierte Klassenstufe ist in der so genannten Mittelstufe integriert. Zur Anzahl der Kinder in der Mittelstufe, konkret denen der Klasse vier, konnte ich keine genauen Angaben ausmachen. Von diesen 3.699 Kindern waren 2.429 Jungen (65,66 Prozent).
Differenziert man die aktuellen statistischen Angaben zu den Primarstufenklassen der Förderschulen des Landes Sachsen-Anhalt nach sonderpädagogischen Förderbereichen, ergibt sich folgendes Bild: Im Schuljahr 2011/2012 lernten insgesamt 1.508 Kinder an der Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen (ergibt einen Anteil von 40,76 Prozent aller Förderschüler der Förderschulklassen eins bis vier; davon 906 Jungen, also 60,07 Prozent). 755 Kinder lernten an einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung mit einem Anteil von 20,41 Prozent an der Gesamtzahl aller FörderschülerInnen (Klassen eins bis vier). Von diesen 755 Kindern waren 468 Jungen (61,98 Prozent). Die Sprachheilschule besuchten 487 Kinder (mit einem Anteil von 13,16 Prozent an allen FörderschülerInnen, darunter 329 Jungen (67,55 Prozent)). Die Schule zur Erziehungshilfe wurde von 425 Kindern besucht (11,48 Prozent aller Förderschüler), davon 390 Jungen mit dem höchsten prozentualen Anteil von 91,76 Prozent (bezogen auf alle Förderschwerpunkte). Die Schule für den Förderbereich körperliche und motorische Entwicklung hatte 318 SchülerInnen (8,59 Prozent) und 66,35 Prozent Jungen (211 Schüler). An der Förderschule für Gehörlose und Hörgeschädigte lernten 140 Kinder (3,78 Prozent). Darunter 86 Jungen, d.h. 61,42 Prozent. An der Förderschule für Blinde und Sehgeschädigte lernten im SJ 2011/2012 insgesamt 66 SchülerInnen (1,78 Prozent), darunter 39 Jungen (59,09 Prozent).
Abb. 2: Anzahl Kinder in Primarstufenklassen der Förderschulen des Landes Sachsen-Anhalt im Schuljahr 2011/2012 nach sonderpädagogischen Förderbereichen
Die Anzahl der Kinder im Grundschulalter, die im SJ 2011/2012 in Sachsen-Anhalt im GU lernten, betrug 1.868 (2,84 Prozent aller Grundschulkinder bzw. 33,55 Prozent aller Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Primarstufenbereich). Von diesen 1.868 Kindern hatten 654 einen Förderbedarf im Bereich Lernen (35,01 Prozent), 497 im Bereich Sprache (26,60 Prozent), 452 im Bereich emotionale und soziale Entwicklung (24,19 Prozent), 105 im Bereich körperliche und motorische Entwicklung (5,62 Prozent), 77 im Bereich Hören (4,12 Prozent), 47 im Bereich geistige Entwicklung (inkl. Autismus; 2,51 Prozent) und 36 im Bereich Sehen (1,92 Prozent).
Addiert man die Anzahl der Kinder im Grundschulalter, die im SJ 2011/2012 in Sachsen-Anhalt im GU lernten, zur Gesamtanzahl der Kinder in der Förderschule (3.699 Kinder) hatten damit insgesamt 5.567 Kinder in den Primarstufenklassen der Grund- bzw. Förderschulen einen diagnostizierten sonderpädagogischen Förderbedarf. Setzt man die Anzahl aller Kinder mit festgestelltem sonderpädagogischem Förderbedarf in Bezug zur Gesamtanzahl aller Kinder der Grund- und Förderschulen (insgesamt 69.423 Schüler zusammengesetzt aus 65724 GrundschülerInnen und 3.699 FörderschülerInnen der dortigen Klassen eins bis vier), so ergibt sich für den Primarstufenbereich des Landes Sachsen-Anhalt eine Förderquote von insgesamt 8,01 Prozent (davon 5,32 Prozent Förderschulkinder und 2,69 Prozent Kinder im GU). Diese liegt unterhalb der landesweiten Förderquote von 9,4 Prozent.
Abb. 3: Förderquote des Landes Sachsen-Anhalt im Schuljahr 2011/2012 bezogen auf alle Kinder im Bereich der Primarstufe (Klassen eins bis vier der Grund- und Förderschulen)
Das bedeutet, dass jede/r 12,47te Schüler/-in der Primarstufe einen sonderpädagogischen Förderbedarf hat. Die Integrationsquote im Primarstufenbereich (1.868 von 5.567 Kindern) liegt damit bei 33,55 Prozent (entspricht einer Separationsquote von 66,45 Prozent) und ist damit höher als die landesweite Integrationsquote (etwa 20 Prozent). . Ein Drittel aller Kinder mit festgestelltem sonderpädagogischen Förderbedarf im Bereich der Primarstufe lernt also in integrativen bzw. inklusiven Settings.
Wie bereits dargestellt wurde, liegt die Grundgesamtheit aller Kinder des Primarstufenbereichs Sachsen-Anhalts im SJ 2011/2012 bei 69.423 SchülerInnen. Diese verteilen sich derzeit aufgrund des selektiven und separierenden Schulsystems zu 94,67 Prozent auf die Grundschulen und zu 5,32 Prozent auf die Förderschulen des Landes. Wenn dem (mit der ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention verbundenen) Auftrag ein inklusives Bildungswesen zu errichten, entsprochen werden soll, müssen die gegenwärtig aus dem Allgemeinen Bildungswesen respektive der Regelschule exkludierten Kinder (3.699 SchülerInnen der verschiedenen Förderschulen, entspricht 5,32 Prozent) erstens (re)integriert werden. Es muss also zusammengeführt werden, was derzeit getrennt ist, um die Grundlage zu schaffen, die eine Integration gar nicht erst erforderlich und Inklusion damit möglich macht (vgl. Schöler 2011: 3f.). Weiterhin muss das ausdifferenzierte Förderschulsystem in seiner momentanen Struktur überwunden bzw. reformiert werden, sodass die zukünftige Förderschule eine Schule ohne SchülerInnen als Teil eines subsidiären Fördersystems sein wird und dazu beiträgt, eine Schule für alle hervorzubringen, die den Mythos des Vorteils homogener Lerngruppen hinter sich lässt und Vielfalt als Chance begreift.
Im folgenden Abschnitt möchte ich versuchen, die Schülerschaft einer Schule für alle (bezogen auf die Primarstufe Sachsen-Anhalts) im Hinblick auf ausgewählte Dimensionen näher zu charakterisieren. Dies ist nicht dem Zeck geschuldet, die sich in einer zukünftigen Schule für alle ergebende Vielfalt zu diskriminieren[4] und damit in einem kategorischen Denken verhaftet zu bleiben. Sinn und Zweck der Darstellungen soll es vielmehr sein, die inklusive Schule bzw. die Herausforderung der Umsetzung des Unterrichts mit heterogenen Lerngruppen ein Stück weit zu entmystifizieren. Insbesondere für die erste Phase der LehrerInnenausbildung ist es m.E. funktional und logisch, Studierende so früh und so konkret wie möglich mit dem vertraut zu machen, was (später) in den Schulen des Landes aller Voraussicht nach auf sie warten wird: heterogene Lerngruppen. So sollte die Orientierung in didaktischen Seminaren konsequent auf konkrete heterogene Lerngruppen gelenkt werden, anstatt von idealtypischen Klassen auszugehen, in denen es weder an sächlichen, räumlichen noch personellen Ressourcen mangelt und in denen alles reibungslos funktioniert. Statt derartiger schonkostartiger Trockenübungen sollte über die frühe Auseinandersetzung mit den Herausforderungen, aber auch Bereicherungen (!), die mit heterogenen Lerngruppen unter den aktuellen Bedingungen verbunden sind, zu einem Sprung ins kalte Wasser angeregt werden[5]. Wenngleich die Orientierung an einer heterogenen Lerngruppe, wie sie von (angehenden) Lehrerinnen und Lehrern einer Schule für alle vorgefunden werden könnte, einen optimistischen Blick in die Zukunft darstellt, muss der Blick gleichsam auf das Jetzt und Morgen gerichtet werden. Das heißt erstens sich dessen bewusst zu sein, dass es nie optimale Bedingungen (für Inklusion) geben wird. Zweitens bedeutet dies: „Für die Kinder und Jugendlichen, die heute, morgen und in naher Zukunft unterrichtet werden, stehen nur die Möglichkeiten zur Verfügung, die unter den gegebenen Bedingungen ausgeschöpft werden können“ (Kahlert/Heimlich 2012: 156). Bei der Orientierung auf heterogene Lerngruppen[6] mischen sich demnach Zukunfts- und Gegenwartsperspektiven.
Da jede Lerngruppe unterschiedlich und einzigartig ist, müssen sich – insofern es keine detaillierten Lerngruppenbeschreibungen gibt, auf die zurückgegriffen werden kann – theoretische Überlegungen und praktische Übungen zur Lehr-, Lern- und Förderplanung in inklusiven Settings zwangsweise eines Konstrukts bedienen, damit Überlegungen nicht auf dem Stand pauschaler, unkonkreter oder realitätsferner Aussagen verharren. Um also inklusionspädagogischen Auseinandersetzungen einen Näherungswert dessen beizustellen, was die ‚normale‘ Grundschulklasse der Zukunft sein kann, möchte ich nun den Versuch unternehmen, eben jene auf Grundlage der oben zusammengefassten statistischen Angaben zu konzipieren. Dabei werde ich lediglich eine begrenzte Anzahl von Heterogenitätsdimensionen berücksichtigen und zwar konkret: das Geschlecht und der akkreditierte sonderpädagogische Förderbedarf. Weitere Dimensionen (vgl. bspw. Prengel 1993; Hinz 2004; Wischer 2009) konnten den herangezogenen statistischen Berichten für das Land Sachsen-Anhalt nicht gebührend entnommen werden. Trotz der damit stark eingeschränkten Möglichkeit, die Vielfalt der Schülerschaft der Primarstufe Sachsen-Anhalts realitätsgetreu zu beschreiben, trägt die Orientierung am Konstrukt der ‚normalen‘ Klasse einer künftigen Grundschule für alle auf ihre Art einen kleinen Teil dazu bei, dass didaktisch-methodische Überlegungen von LehrerInnen und Studierenden der Lehramtsstudiengänge konsequent im Hinblick auf die Vielfalt von Lerngruppen, wie sie in inklusiven Settings vorzufinden sein könnte, angestellt werden.
Dies schließt natürlich aus, dass die Zuständigkeit für eine bestimmte Gruppe von Kindern – und damit auch die Zuständigkeit für didaktisch-methodische Überlegungen – bei Auftreten bestimmter Heterogenitätsdimensionen an eine andere Profession abgeschoben wird. Die Überwindung der Selektivität des deutschen Bildungswesens und der damit verbundenen pädagogischen Dichotomie kann meiner Meinung als zentrale Entwicklungsaufgabe der Disziplin Pädagogik auf dem Weg zu einer Pädagogik und Schule für alle Kinder angesehen werden (vgl. auch Simon 2011: 114ff.). Das Heranbilden inklusiver Ansprüche und Beliefs[7] sowie die Entmystifizierung von Inklusion können bzw. sollten sowohl in der Theorie als auch in der Praxis durch eine geradlinige Orientierung an heterogenen Lerngruppen und die sich in ihnen ausdrückende Vielfalt unterstützt werden. Im Rahmen der LehrerInnenausbildung kann dies u.a. dadurch gefördert werden, dass Studierenden des Lehramts von Beginn ihres Studiums an eine möglichst realistische Vorstellung von ihrer künftigen SchülerInnenschaft vermittelt wird[8]. Diese Orientierung wird insbesondere für (angehende) LehrerInnen relevant sein, die bisher respektive nach wie vor unter Aufrechterhaltung tradierter Zuständigkeitsmuster, welche sich auch in den Strukturen der LehrerInnenausbildung an den Hochschulen ausdrücken, kaum die Chance hatten, sich mit Fragen der Individualisierung und inneren Differenzierung, Fragen der methodisch-didaktischen Entsprechung inklusiver Ansprüche und den Herausforderungen sowie Bereicherungen des Arbeitens mit heterogenen Lerngruppen zu beschäftigen. Das Konstrukt einer ‚normalen‘ Klasse einer Grundschule für alle in Sachsen-Anhalt möchte zur Bewältigung dieser Entwicklungsaufgaben beitragen.
Die Aufgabe der Umsetzung inklusiver Ansätze in Bildungsinstitutionen wird tiefgreifende Reformen und von den Akteuren in Wissenschaft und Praxis die Bereitschaft zur Veränderung, Kraft und Kreativität fordern sowie die „professionelle Grundhaltung zu wissen [oder auch den Mut zuzugeben; T.S], dass ich als Pädagoge nicht alles kann und auch nicht alles können muss“ (Katzenbach 2010: 13). Im konkreten Fall des Landes Sachsen-Anhalt müssen Bemühungen über die eingangs angeführten Entwicklungen und Trends hinausgehen. Reformen werden dabei nicht nur auf der Ebene des Schulsystems notwendig sein, sondern mindestens auch auf der Ebene der Hochschule. Dies bedeutet erstens, dass sich auch die Hochschule als Bildungsinstitution der Herausforderung stellen muss, inklusiv zu werden. Zweitens bedeutet dies, dass u.a. im Rahmen der Ausbildung von LehrerInnen die Umsetzung eines inklusiven Bildungssystems bzw. die Heranbildung inklusiver Beliefs von der Hochschule in besonderem Maße mitgetragen werden muss. Dieser Pflicht kann sie sich letztlich nicht entziehen, obgleich es derzeit noch danach aussieht. Exemplarisch sei diesbezüglich angeführt, dass die LehrerInnenausbildung in Sachsen-Anhalt seit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechts-konvention nicht wesentlich verändert wurde und dass in naher Zukunft auch keine nennenswerten Neuerungen in Sicht zu sein scheinen. Vielmehr gibt es in Sachsen-Anhalt immer noch zwei getrennte Studiengänge für das Lehramt an Förder- und Grundschulen (im Primarstufenbereich) mit lediglich punktuellen Gemeinsamkeiten. Eine konsequente Umsetzung inklusiver Ansprüche auf der Hochschulpädagogik und -lehre liegt aktuell schlussendlich im Ermessensspielraum der HochschuldozentInnen und ihrem Wohlwollen und nicht in strukturellen Gegebenheiten begründet.
Mithilfe des Konstrukts einer ‚normalen‘ Schulklasse einer Schule für alle ist es bereits jetzt möglich, sich in didaktischen Seminaren sowohl theoretisch als auch praktisch mit der Herausforderung Inklusion auseinanderzusetzen. In diesem Rahmen spielen Planungs- und Handlungsmodelle für die Lehr-, Lern- und Förderplanung in inklusiven Settings ebenso eine zentrale Rolle wie Erfahrungsberichte aus der Schulpraxis und praxisnahen Projekten. Doch wie sieht nun die ‚normale‘ Klasse einer Schule für alle in Sachsen-Anhalt aus? Wagen wir dazu ein Gedankenexperiment…
Zunächst gehen wir davon aus, dass sich die 3.699 SchülerInnen der verschiedenen Förderschulen des Landes Sachsen-Anhalt, die bisher aus der allgemeinen Schule exkludiert waren, auf die Grundschulen im Land verteilen. Von dieser Gesamtheit aller GrundschülerInnen (69.423) hätten nun 8,01 Prozent, also 5.567 SchülerInnen, einen diagnostizierten sonderpädagogischen Förderbedarf[9] (jedes 12,47te Grundschulkind bzw. weniger als ein Zehntel aller Kinder). Darunter 2.163 Kinder im Bereich Lernen (38,85 Prozent), 984 im Bereich Sprache (17,67 Prozent), 877 im Bereich emotionale und soziale Entwicklung (15, 75 Prozent), 802 im Bereich geistige Entwicklung (14,40 Prozent), 422 im Bereich körperliche und motorische Entwicklung (7,58 Prozent), im Bereich Hören 217 (3,89 Prozent) und 102 im Bereich Sehen (1,83 Prozent).
Abb. 4: Verhältnis von Kindern mit und Kindern ohne diagnostizierten sonderpädagogischen Förderbedarf in einer inklusiven Grundschule (auf Grundlage der Daten für das Schuljahr 2011/2012)
Gehen wir ferner von einer mittleren Frequenz von 18 Kindern je Grundschulklasse und insgesamt 3.666 Grundschulklassen im SJ 2011/2011 aus (vgl. StaLa 2012), so bedeutet dies, dass es in jeder Grundschulklasse gerade mal 1,51 Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf geben würde. Während Jungen in der Förderschule des selektiven Bildungssystems mit einem Anteil 65,66 Prozent aller Förderschulkinder überrepräsentiert waren, gleicht sich das Verhältnis von Jungen zu Mädchen in einer Schule für alle mit einem Anteil von 51,86 Prozent Jungen (36.008 Jungen) in etwa aus. Die ‚normale‘ Schulklasse einer Schule für alle besteht in Sachsen-Anhalt also aus etwa 18 Kindern, bei einem ausgeglichenem Jungen-Mädchen-Verhältnis. Von den 18 SchülerInnen haben etwa 1,5 Kinder einen sonderpädagogischen Förderbedarf.
Abb. 5: Verhältnis Jungen zu Mädchen in einer inklusiven Grundschule
Mit meinen Ausführungen habe ich bis hier anzudeuten versucht, warum und wie sich das Konstrukt einer typischen Grundschulklasse einer künftigen Grundschule für alle anbietet, um sich mit der Herausforderung Inklusion auseinanderzusetzen. Sowohl auf der Ebene wissenschaftstheoretischer als auch praktischer Überlegungen liefert dieses Konstrukt meiner Ansicht nach greifbare Anknüpfungspunkte, um einerseits auf empirischer Basis in die Zukunft zu blicken und andererseits gegenwärtiges Denken und Handeln zu beeinflussen.
Die Auseinandersetzung mit der Frage, wie eine typische inklusive Schulklasse aussehen wird, ist nicht nur einem rein wissenschaftlichen Erkenntnisinteresses geschuldet. Sie soll vielmehr auch ein Versuch sein Unsicherheiten, Unklarheiten, Befürchtungen und Ängste ernst zu nehmen, die im Zusammenhang mit den vehementen Forderungen nach einem inklusiven Bildungssystem bei angehenden und bereits tätigen PraktikerInnen entstehen (können). Was bedeutet ein inklusives Bildungssystem für die derzeitige Praxis von Unterricht und für mich als PädagogIn? Welche pädagogischen Konzepte und Materialien sind überhaupt noch tragfähig und welche nicht? Welche Herausforderung bringt die inklusive Schule mit sich? In der Praxis wird die Liste mit berechtigten Fragen noch viel länger sein. Der Erfolg des Errichtens eines inklusiven Bildungssystems wird letztlich auch maßgeblich von den AkteurInnen der Alltagspraxis mitbestimmt werden. Gerade aus diesem Grund müssen ihre Kritik, Vorbehalte und Sorgen etc. zum Anlass genommen werden, in einen konstruktiven Diskurs zu treten. Es gilt also möglichst praxisnahe Antworten auf Fragen und Bedürfnisse zu finden, um nicht Gefahr zu laufen, an den Köpfen der PädagogInnen (in Praxis und Studium) vorbei zu diskutieren/planen. Wenn sich in Sachsen-Anhalt PädagogInnen fragen, was passieren wird, wenn die Förderschulen in ihrer jetzigen Form und Funktion weitgehend aufgelöst werden und ob bzw. wie sich die Grundschulklassen in Bezug auf die Vielfalt der Kinder verändern werden, so werden sie in den statistischen Angaben dieses Beitrags zumindest einige Antworten finden.
Faktisch ist die Befürchtung, dass bei mehrheitlicher (oder vollständiger) Auflösung der Förderschulen – als eine von vielen Konsequenzen auf dem Weg zur Errichtung eines inklusiven Bildungssystems – eine ‚Flut‘ von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf auf die Grundschulen des Landes Sachsen-Anhalt niedergehen würde, angesichts der angeführten statistischen Werte unberechtigt. Von den 2.163 Kindern mit einem Förderbedarf im Bereich Lernen, welche mit Abstand die größte Gruppe aller Kinder mit einem sonderpädagogischem Förderbedarf im derzeitigen Schulsystem darstellt, würden auf die Grundschulklassen des Landes Sachsen-Anhalt statistisch gesehen lediglich 0,59 Kinder pro Klasse entfallen – beim Förderbereich Sehen mit insgesamt gerade mal 102 Kindern wären es gar 0,02 Kinder[10]. Von einer Flut kann hier gewiss nicht die Rede sein. Vielmehr zeigen die oben angeführten Zahlen, dass es pro Grundschulklasse bei gleichmäßiger Verteilung gerade ein bis zwei Kinder pro Klasse geben würde, die nach traditionellerer Logik einen diagnostizierten sonderpädagogischen Förderbedarf hätten. Da es sich bei diesen Darstellungen um rein statistische Zusammenhänge handelt, muss es selbstredend klar sein, dass sich die Gesamtheit aller derzeit durch das und im Förderschulsystem vom Allgemeinen Schulwesen exkludierten Kinder nicht gleichmäßig auf alle Grundschulen und Grundschulklassen des Landes verteilen wird. Bei der realen Verteilung dieser Kinder werden mesoräumlich (d.h. je nach Region) und mikroräumlich (d.h. nach Kreisen, Städten und Stadtteilen) unterschiedliche Verteilungseffekte zu beobachten sein, welche mit weiteren Variablen zu tatsächlichen Verteilungen führen. Die Frage der Ressourcenzuteilung auf die einzelnen Grundschulen im Land wird demnach weiterhin einen wichtigen Diskussionspunkt darstellen, der sich mitunter an die Klärung derartiger Variablen und ihrer Wirkung knüpft.
Für didaktisch-methodische Überlegungen, beispielsweise im Rahmen von LehrerInnenausbildungsseminaren, bedeuten die angeführten statistischen Angaben, dass angehende LehrerInnen ihre Überlegungen zur Lehr-, Lern- und Förderplanung auf eine Schülerschaft richten könnten, die in Klassen – rein statistisch betrachtet – mit durchschnittlich 18 Kindern lernt (hälftig Jungen und Mädchen), von denen bei ein bis zwei Kinder ein sonderpädagogische Förderbedarf diagnostiziert wurde[11]. Einen Durchschnittswert für die Verteilung der einzelnen Kinder mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf auf die einzelnen Grundschulklassen des Landes macht wenig Sinn, da wir wie aufgezeigt durchschnittlich von geringfügigen Fallzahlen sprechen. So könnten sich Studierende im Rahmen didaktisch-methodischer Überlegungen, die sich an einer fiktiven Klasse orientieren, jedoch zwei Entwicklungs- bzw. Förderbereiche aussuchen, zu denen sie sich spezifisch sonderpädagogisches Wissen bezüglich Differenzierungs- und Individualisierungsmaßnahmen aneignen, um letztlich jedoch für jedes einzelne der durchschnittlich 18 Kinder einer Klasse zu überlegen – am besten im Tandem –, wo sich Barrieren für das Lernen ergeben könnten und wie diese zu beseitigen oder zu mindern sein könnten.
Um die Beschreibung einer (noch) fiktiven Klasse einer (Grund)Schule für alle weiter zu detaillieren, wäre es lohnenswert, weitere (über die angeführten Etikettierungskategorien hinausgehende) Angaben zu anderen, ergänzenden Heterogenitätsdimensionen heranzuziehen. Dies könnten beispielsweise die Dimensionen Migrationshintergrund, Sprachkompetenzen, Erfahrungen, Themen und Interessen der Kinder u.v.m. sein. Sie könnten oder müssen vielmehr das Bild einer (Grund)Schulklasse in einem inklusiven Bildungssystem detaillieren. Eine derartige Beschreibung trägt potentiell dazu bei, dass angehende LehrerInnen, aber auch LehrerInnen, die nach wie vor in keinem inklusiven Setting arbeiten, eine möglichst realitätsnahe Vorstellung davon entwickeln können, was auf sie zukommt und darüber vielleicht unbegründete Ängste und/oder Vorurteile abbauen können. Anhand der derzeitigen Datenlage bezüglich des Landes Sachsen-Anhalt ist es schwer möglich, Aussagen – und seien sie nur statistischer Art – über Qualitäten und Quantitäten verschiedener Heterogenitätsdimensionen bezogen auf die Schülerschaft der Grundschulen zu treffen. Dies kann im Sinne des eingangs erwähnten Resümees von Andreas Hinz als Ausdruck einer recht einseitigen Orientierung auf die Heterogenitätsdimension ‚Behinderung-Nichtbehinderung‘ bzw. sonderpädagogischer Förderbedarf interpretiert werden (bezogen auf die verwendeten statistischen Erhebungen). Abschließend bleibt festzustellen, dass mit diesem Beitrag nicht der Eindruck erweckt werden soll, dass es erst durch Inklusion (oder im konzeptionellen Schritt davor bei konsequenter Integration) zur Schaffung heterogener Lerngruppen kommt. Eine solche Logik verfiele dem Mythos der Existenz homogener Lerngruppen. Gleichwohl wird sich die Vielfalt in den Primarstufen des Landes Sachsen-Anhalt (wie auch bundesweit) erhöhen, wenn es zur Etablierung einer Schule für alle Kinder und damit zum Verzicht auf Etikettierung und Selektion im und durch das Schulsystem kommt.
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Statistisches Landesamt Sachsen-Anhalt (2012a): Schülerinnen und Schüler nach Schulformen seit dem Schuljahr 1991/92. Als Download unter: http://www.stala.sachsen-anhalt.de/Internet/Home/Daten_und_Fakten/2/21/211/21111/Schuelerinnen_und_Schueler_nach_Schulformen.html (Zugriff am 13.09.2012)
Statistisches Landesamt Sachsen-Anhalt (2012b): Einschulungen nach Schulformen seit dem Schuljahr 1995/96. Als Download unter: http://www.stala.sachsen-anhalt.de/Internet/Home/Daten_und_Fakten/2/21/211/21111/Einschulungen_nach_Schulformen_.html (Zugriff am 13.09.2012)
Wischer, Beate (2009): Umgang mit Heterogenität im Unterricht – Das Handlungsfeld und seine Herausforderungen. Als Download auf: http://www.teachers-ipp.eu/Umgang-mit-Heterogenitet.html/2.Prozent20UmgangProzent20mitProzent20HeterogenitaetProzent20-Prozent20DE.pdf (Zugriff am 24.03.2012)
Wocken, Hans (2010): Restauration der Stigmatisierung! Kritik der schwarz-grünen „Integrationsreform“ Als Download unter:
http://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=3&ved=0CDUQFjAC&url=httpProzent3AProzent2FProzent2Fwww.eine-schule-fuer-alle.infoProzent2FdownloadsProzent2F13-62-438Prozent2FWockenRestauration.pdf&ei=-klSUKLIEJDptQaI6IEI&usg=AFQjCNFQE99AvlTKFmiWtXwJ5hvIGrzIlg&cad=rja (Zugriff am 11.09.2012)
[3] Wenn im Rahmen dieses Beitrages von In- und Exklusion die Rede ist, so ist damit nicht die In- respektive Ex-klusion von SchülerInnen aus dem Bildungswesen gemeint. Faktisch bedeutet beispielsweise die Beschulung von Kindern mit diagnostiziertem sonderpädagogischem Förderbedarf an einer Förderschule eine Separation (im und durch das Förderschulsystem), welche jedoch nach wie vor eine Inklusion im Bildungswesen impli-ziert. Wenn im Rahmen dieses Beitrages von der Exklusion von SchülerInnen mit diagnostiziertem sonder-pädagogischem Förderbedarf die Rede ist, so ist damit die Exklusion aus dem Allgemeinen Schulwesen bzw. der Regelschule gemeint und nicht der Ausschluss aus dem gesamten Bildungswesen, welcher einer Nicht-Beschulung gleich käme.
[4] Gemeint ist hier das Anstellen von Unterscheidungen im Sinne des Kategorisierens, wie es im integrationspädagogischen Paradigma maßgeblich der Fall war. „Während die Integrationspädagogik noch der sog. „Zwei-Gruppen-Theorie“ verhaftet war und alle Kinder in „normale“ und „behinderte“ Kinder einteilte, gelten in der Inklusion alle Kinder ohne jegliche Ausnahme als besonders, einzigartig und individuell. Jegliche klassifizierende Kategorisierung ist im Prinzip obsolet und mit der Philosophie der Inklusion nicht vereinbar. In der Inklusion kann es keine Grüppchen, keine Kategorien, keine Schubladen mehr geben“ (Wocken 2010: 2).
[5] Für die Studierenden, die wahrscheinlich das erste Mal mit Didaktik und Unterrichtsplanung konfrontiert werden, wird der Unterschied jedoch wahrscheinlich gar nicht evident sein. Gerade diesen Umstand gilt es in produktiver Weise zu nutzen, indem die Orientierung auf einen Unterricht mit heterogenen Lerngruppen zur Selbstverständlichkeit gemacht wird.
[6] Natürlich ist im Prinzip jede Lerngruppe heterogen. Wie heterogen, das entscheiden letztlich die Dimensionen, die als Kriterien in den Blick genommen werden, um die Vielfalt einer Lerngruppe zu beschreiben. Auch in den derzeitigen überwiegend homogenisierten Klassen der Grund- und Förderschulen findet man – trotz aller Versuche der Vielfalt der Schülerschaft durch Homogenisierung Herr zu werden – vielfältig heterogene Lerngruppen vor. Lediglich in Bezug auf die Heterogenitätsdimensionen schulischer Leistungen, des Alters, der Behinderung sowie der Herkunftsmilieus der Kinder sind diese Lerngruppen tendenziell homogenisiert.
[7] Innerhalb der Diskurse über Kompetenzen von LehrerInnen wird u.a. die Relevanz persönlicher Überzeu-gungen und Werthaltungen – der ‚Beliefs‘ – hervorgehoben (bspw. Baumert/Kunter 2006: 496ff.). ‚Beliefs‘ werden als biographisch erworbene relativ stabile Wertorientierungen bzw. Überzeugungen verstanden (vgl. Moser/Schäfer/Jakob 2010), die sich in spezifischen Deutungsmustern widerspiegeln. Obgleich ‚Beliefs‘ eine hohe Stabilität aufweisen, sind sie nicht prinzipiell unveränderbar, wohl aber resistent. Diese Widerstands-fähigkeit bzw. Resistenz kann förderlich aber auch hinderlich sein, wenn es zum Beispiel um die Übernahme eines inklusiven Habitus innerhalb inklusionsorientierter Settings oder innerhalb von inklusiven Schulent-wicklungsprozessen geht (vgl. Geiling/Simon 2010: 80ff.).
[8] Obgleich ein realistisches Bild letztlich erst in der Praxis unter Rückgriff auf Theoriewissen und in Bezug auf jede individuelle Lerngruppe neu gewonnen werden kann.
[9] Die Kategorisierung von Kindern in Kinder mit und Kinder ohne Förderbedarf wird aus inklusions-pädagogischer Perspektive zwar abgelehnt, da ein Bildungssystem angestrebt wird, in dessen Rahmen es u.a. zu einer systemischen Ressourcenzuweisung und damit zur Überwindung des Ressourcen-Etikettie-rungs-Dilemmas kommt. An dieser Stelle wird diese althergebrachte und in den von mir herangezogenen Statistiken erfasste Kategorie jedoch aufgegriffen, um zu verdeutlichen, von welchem ‚Ausmaß‘ wir sprechen, wenn wir alle Kinder, die in unserem derzeitig hoch selektiven Bildungssystem als sonderpädagogisch förder-bedürftig abgestempelt werden, in die allgemeine Schule integrieren respektive in welcher Quantität Kinder, die derzeitig noch als sonderpädagogisch förderbedürftig abgestempelt werden, im inklusiven Bildungssystem der Zukunft vertreten sind.
[10] Dass die sich hinter diesen Zahlen verbergenden Personen in diesem Zusammenhang als rein statistische Objekte betrachtet werden, dient lediglich den Darstellungszwecken. Natürlich gibt es keine 0,59 Kinder und in Bezug auf die pädagogische Alltagspraxis kann und darf eine derart verdinglichende Haltung und Ausdrucks-weise keinen Bestand haben.
[11] Der Begriff oder besser das Etikett des sonderpädagogischen Förderbedarfs ist selbstredend nicht passfähig mit dem Inklusionsansatz. Wird das Ressourcen-Etikettierungs-Dilemma, im Zuge der Umgestaltung des deutschen Bildungswesens in ein inklusives, erfolgreich überwunden, so sind spätestens dann und vor allem für die pädagogische Alltagspraxis Etikettierungen wie ‚Förderbedarf‘ obsolet. Der Terminus Förderbedarf wurde im Rahmen dieses Beitrages in erster Linie genutzt, da er in den herangezogenen statistischen Veröffentlichungen maßgeblich zur Anwendung kommt.