Reinhard Lelgemann, Philipp Singer, Christian Walter-Klose und Jelena Lübbeke: Qualitätsbedingungen schulischer Inklusion für Kinder und Jugendliche mit dem Förderschwerpunkt Körperliche und motorische Entwicklung

Abstract: Im Artikel werden die wesentlichen Ergebnisse eines vom Landschaftsverband Rheinland in Auftrag gegebenen Forschungsprojektes mit dem Titel „Gelingensbedingungen für den Ausbau gemeinsamer Beschulung (schulische Inklusion) und Sicherung des bestmöglichen Bildungsangebots (Art. 24, 2e der UN-Konvention) von Schülern mit dem Förderbedarf körperliche und motorische Entwicklung“ (Laufzeit 06/2010-07/2012) vorgestellt. Die Arbeit besteht aus drei Teilen: Eine Literaturrecherche und Synthese aus allen nationalen und internationalen empirischen Studien, die in den letzten 40 Jahren zur Integration von Schülern mit körperlichen und komplexen Behinderungen veröffentlicht wurden (Walter-Klose, 2012), 84 Interviews mit Lehrern, Eltern und Schülern und eine Befragung von mehr als 4000 Schülern, Eltern und Lehrern sowohl aus Förderschulen als auch allgemeinen Schulen über die Erfahrungen, Meinungen und Einstellungen zum Lernen in Integrationsklassen. Die Ergebnisse betonen die Bedeutung der Wahrnehmung der individuellen Bedürfnisse der Schüler mit körperlichen und komplexen Behinderungen und die Notwendigkeit, schulisches Lernen und dessen Organisation anzupassen, wenn inklusive Beschulung gelingen soll.

Stichworte: Inklusion; Forschungsprojekt; Körperbehinderung; Mehrfachbehinderung

Ausgabe: 4/2012

Inhaltsverzeichnis:

  1. Forschungsauftrag und Forschungsfrage
  2. Forschungsansatz
  3. Forschungsstand – Ergebnisse der Literaturanalyse
  4. Zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse der qualitativen und quantitativen Studie
  5. Abschließende Hinweise
  6. Literaturverzeichnis

Seit März 2009 gilt der Artikel 24 der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung in der Bundesrepublik Deutschland, der das Recht auf eine bestmögliche inklusive Lernsituation aller Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen anerkennt und geeignete Maßnahmen einfordert. Die seit dem Frühjahr 2009 einsetzenden Diskussionen beschäftigen sich zwar sporadisch mit der Gestaltung inklusiver Bildungssituationen für Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf körperliche und motorische Entwicklung; es kann jedoch nicht davon gesprochen werden, dass für diese Entwicklung bezüglich des hier angesprochenen Personenkreises gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen.
Die Abteilung Schulen des Landschaftsverbandes Rheinland entschied sich deshalb, den Lehrstuhl Sonderpädagogik II / Körperbehindertenpädagogik der Julius-Maximilians-Universität Würzburg mit dem Forschungsprojekt
„Gelingensbedingungen für den Ausbau gemeinsamer Beschulung (schulische Inklusion) und Sicherung des bestmöglichen Bildungsangebots (Art. 24, 2e der UN-Konvention) von Schülern mit dem Förderbedarf körperliche und motorische Entwicklung“
zu beauftragen.
Im Folgenden werden die Forschungsfrage, die Methodik und die Ergebnisse der Untersuchung zusammenfassend dargestellt. Der hier vorgestellte Kurzbericht stellt die wesentlichen Ergebnisse und Empfehlungen des Forschungsteams vor. Eine differenziertere und umfangreichere Darstellung der Ergebnisse sowie die Literaturhinweise können im Forschungsbericht, der als pdf-Datei auf der Homepage des Landschaftsverbandes Rheinland sowie des Lehrstuhls Sonderpädagogik II / Körperbehindertenpädagogik der Julius-Maximilians-Universität Würzburg abrufbar ist, eingesehen werden. Ein weiterer Text in einfacherer Sprache, der zentrale Aussagen dokumentiert, kann ebenfalls auf den benannten Homepages heruntergeladen werden. Für die ausführliche Darstellung der Literaturanalyse wird auf die Publikation von Walter-Klose (2012) verwiesen.

1. Forschungsauftrag und Forschungsfrage

Ziel und Fragestellung des Forschungsprojekts war es, Bedingungen zu beschreiben, die eine bestmögliche Unterrichts-, Lern-, und Schulsituation für Schülerinnen und Schüler mit einer körperlichen oder einer mehrfachen Beeinträchtigung ermöglichen und Perspektiven bzw. Handlungsschritte zu benennen, die eine inklusive Schulentwicklung in diesem Sinne aktiv unterstützen.
Damit die Ergebnisse des Forschungsprojektes kurzfristig in die bildungspolitische Diskussion einfließen können, wurde ein Zeitraum von Juni 2010 bis Juli 2012 vereinbart.

2. Forschungsansatz

Zur Beantwortung der Fragestellung nach Bedingungen eines bestmöglichen schulischen Bildungsangebotes für Schülerinnen und Schüler mit dem Förderbedarf körperliche und motorische Entwicklung wurde wissenschaftsmethodisch eine Triangulation dreier Quellen vorgenommen[1]:

1.Literaturanalyse (LA)

Mit Hilfe einer Literaturanalyse sollte der Stand der nationalen und internationalen Forschung zusammengetragen und hinsichtlich der dort benannten Maßnahmen zur Schulentwicklung ausgewertet werden.
Um einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand zu erarbeiten, durchsuchte Walter-Klose (2012) im Rahmen einer Qualifizierungsarbeit die für die Fragestellung relevanten nationalen und internationalen Datenbanken der Pädagogik und Psychologie nach wissenschaftlichen Studien zum gemeinsamen Unterricht von Kindern und Jugendlichen mit Körperbehinderung. Dies war insofern notwendig, als dass Klemm und Preuss-Lausitz (2008) sowie Lelgemann (2010) feststellen, dass im deutschsprachigen Raum nur wenige Studien vorliegen, in denen die Integration von Schülerinnen und Schülern mit Körperbehinderung untersucht wurde. Bergeest, Boenisch und Daut (2011) sprechen hier von einem „sehr großen Forschungs- und Orientierungsdefizit‘“ (231 f.).
Auf Basis dieser umfassenden Literaturanalyse sowie weiterer fachwissenschaftlicher und schulpraktischer Kenntnisse und Erfahrungen wurden die anschließenden qualitativen und quantitativen Teilstudien konzipiert.

2. Qualitative Interviewstudie (Qual)

Die vorliegenden Daten lassen den Schluss zu, dass es bereits erfolgreich gelingt, Schülerinnen und Schüler mit dem Förderbedarf körperliche und motorische Entwicklung in allgemeinen Schulen zu integrieren. Ebenso muss aber festgestellt werden, dass ein großer Teil der Schülerschaft im Verlaufe der Schulzeit den Bildungsort wechselt und schließlich die Förderschule besucht (vgl. Hansen 2012; Lelgemann & Fries 2009).
Ausgehend von dieser Erkenntnis wurde zur Beantwortung der Frage nach den für die genannte Schülerschaft relevanten Bedingungen schulischer Inklusion zunächst eine doppelte Blickrichtung anhand qualitativer Leitfadeninterviews angestrebt (10/2010-02/2011): Neben den Erfahrungen erfolgreich integrierter Schülerinnen und Schüler, deren Eltern und Lehrkräften wurden ebenso die Erfahrungen von Schülerinnen und Schülern einbezogen, die sich in ihrem oder dem elterlichen Wunsch nach einer integrativen Lernsituation als gescheitert beschreiben und die deshalb eine Förderschule körperliche und motorische Entwicklung aufsuchten. Mit diesem forschungsmethodischen Ansatz verband sich die begründete Hoffnung, Bedingungen schulischer Inklusion aus beiden Perspektiven ableiten zu können. Zum einen wurde also danach gefragt, welche Bedingungen für die Ausgestaltung einer inklusiven Lernkultur hilfreich gewesen wären und zum anderen danach, welche Bedingungen in erfolgreichen inklusiven Settings zum Gelingen beitragen.

3. Quantitative Studie (Quan)

Insofern sich die qualitative Interviewstudie auf die beschriebene ausgewählte Schülerschaft beschränkte, wurden für die einzelnen Befragungsgruppen angepasste Fragebögen konzipiert. Mit Hilfe dieser umfassenden Befragung, an der sich im Sommer 2011 über 4000 Personen beteiligten, sollten die Befunde der qualitativen Forschung einerseits überprüft sowie andererseits in der Breite die Schüler-, Eltern- und Lehrerschaft an Förderschulen und integrativen/inklusiven Schulen einbezogen werden. Weiterhin wurden auch Einstellungen und Haltungen aller Beteiligten zum gemeinsamen Unterricht erhoben. Durch die Beteiligung von 19 allgemeinen Schulen aller Schulformen konnte zusätzlich die Perspektive von Eltern und Lehrkräften erfasst werden, die bisher nicht oder nur wenig mit dem Thema der schulischen Inklusion vertraut waren. Neben gebundenen Frageformaten wurden in allen Fragebögen auch offene Frageformate verwendet, um bisher nicht berücksichtigte Antwortmöglichkeiten zu erfassen oder um eigene Einschätzungen der Befragten zuzulassen.
Aufgrund der Zielsetzung des Forschungsauftrages werden in diesem Bericht die Ergebnisse der Erhebung vor allem deskriptiv beschrieben. Befunde der Hypothesenfalsifizierung im Sinne des kritischen Rationalismus (Popper, 2010) werden an anderer Stelle berichtet, da sie für den Forschungsauftrag zunächst von geringerer Bedeutung waren.

3. Forschungsstand – Ergebnisse der Literaturanalyse

Walter-Klose (2012) fand in seiner Analyse 81 nationale und internationale Studien, die in den letzten 40 Jahren zum gemeinsamen Unterricht von Kindern und Jugendlichen mit Körperbehinderung durchgeführt und in deutscher oder englischer Sprache publiziert wurden. Die in den Studien untersuchte Schülerschaft beinhaltete Schüler der allgemeinen Schulen sowie Schüler mit Körperbehinderung oder chronischen Krankheiten. In der Regel hatten die Kinder und Jugendlichen keine zusätzlichen geistigen Beeinträchtigungen.
Die Aussagen der Studien wurden anschließend kategorisiert und in Form eines systematischen Reviews (vgl. Hussy, Schreier & Echterhoff 2010, 153) beschrieben. Im Folgenden werden die Ergebnisse zur schulischen Leistungsentwicklung, zur sozialen Teilhabe und zur Persönlichkeitsentwicklung vorgestellt und Merkmale der schulischen Bildungsumwelt beschrieben, die das Gelingen des im integrativen/inklusiven Unterricht beeinflussten.
Nach Auswertung der Studien lässt sich zur schulischen Leistungsentwicklung der Kinder und Jugendlichen mit Körperbehinderung sagen, dass Schülerinnen und Schüler, die den gemeinsamen Unterricht besuchten, im Durchschnitt gleiche oder bessere Leistungen zeigten als Mitschüler der Förderschule mit gleicher Begabung. Verglich man sie jedoch mit ihren Mitschülern ohne Behinderung im gemeinsamen Unterricht erbrachten sie im Mittel schlechtere Leistungen als ihre gleich begabten Mitschüler. Auch war die Gefahr, Schulstufen wiederholen zu müssen, deutlich erhöht – meistens aufgrund einer höheren psychosozialen Belastung der Kinder und Jugendlichen, einer langsameren Arbeitsgeschwindigkeit und Schwierigkeiten bei der Konzentration. Für zusätzliche Erschwernisse sorgte auch eine mangelnde Anpassung der Schule an den Schüler.
Die Befunde im sozialen Bereich machen deutlich, dass für die Schülerinnen und Schüler selber die soziale Teilhabe und das soziale Leben in der Schule besonders wichtig sind und in ihrer Bedeutung von Lehrkräften häufig unterschätzt werden. Vergleiche der Kinder und Jugendlichen mit Körperbehinderung, die die allgemeine Schule oder eine Förderschule besuchen, zeigen, dass viele Schüler sich häufig an der Förderschule besser sozial integriert fühlen – dies gilt allerdings nicht für alle. Betrachtet man die soziale Situation im gemeinsamen Unterricht, erleben im Mittel 50 % bis 100 % der Schüler mit Behinderung ausgrenzendes oder diskriminierendes Verhalten durch Mitschüler oder mangelnde Unterrichtsanpassungen durch Lehrer, z.B. wenn Schüler separiert oder in Sondersituationen unterrichtet wurden. In den Klassen hatten sie häufig eine geringere soziale Bedeutung und viele Schüler mit Körperbehinderung versuchten, sich konform zu verhalten und anzupassen.
Betrachtet man Studien zur persönlichen Entwicklung findet man uneinheitliche Befunde, die aus methodischen Gründen nicht klar zu interpretieren sind. Man findet beispielsweise einerseits Befunde die zeigen, dass Schülerinnen und Schüler, die eine Förderschule besuchen, selbstbewusster sind als Schüler, die die allgemeine Schule besuchen. Andererseits werden auch gegenteilige Befunde beschrieben, häufig deswegen, da gerade selbstbewusste Schüler den gemeinsamen Unterricht besuchen. Um kausale Aussagen zu treffen fehlen hier Längsschnittstudien, die die Entwicklung der Schüler detailliert untersuchen.
Als Befund zeigt sich allerdings, dass Schülermerkmale einen großen Einfluss auf die soziale Teilhabe haben: Schüler mit positiver Ausstrahlung sowie sozialen Kompetenzen haben es leichter, an der Klassengemeinschaft zu partizipieren als Schüler mit Sprachbeeinträchtigungen, Verhaltensauffälligkeiten und Intelligenzminderung. Einflüsse der Schulsituation auf die gesundheitliche Situation der Kinder und Jugendlichen mit Körperbehinderung sind bislang kaum untersucht worden.
Bezogen auf die schulische Bildungsumwelt differenzierte Walter-Klose in seiner Arbeit aufgrund von theoretischen Überlegungen aus der Bildungsforschung (vgl. Ditton 2000 und 2009) das Schulangebot in die Kategorien Schulorganisation, Unterrichtsorganisation und Lehrkraft, wobei die jeweiligen Bereiche weiter unterteilt wurden. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass neben einer barrierefreien Gestaltung der Schulräume und Pausenareale auch die Anpassung von Schulabläufen an die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen mit Körperbehinderung erforderlich ist (z.B. Stundenplanung, Pausengestaltung, Aufnahmestrategien, Diagnostik) sowie die Zusammenarbeit mit Eltern, Pflegekräften, Therapeuten und Beratungslehrern.
Im Bereich der Organisation des Unterrichts lassen sich eine Vielzahl von Anpassungserfordernissen beschreiben, die von Schülern, Eltern und Lehrern als wesentlich benannt wurden und in Tabelle 1 im Überblick dargestellt sind.
Neben diesen konkreten Adaptionen des Unterrichts kann die Veränderung der Lehrerrolle als wesentlich erachtet werden. Pädagogen im gemeinsamen Unterricht müssen individualisierten Unterricht anbieten, neben der leistungsbezogenen Entwicklung auch die soziale und rehabilitative Entwicklung der Schüler berücksichtigen, spezifisches sonderpädagogisches, pflegerisches und medizinisches Fachwissen haben und sich um Verständnis der individuellen Situation der Kinder und Jugendlichen bemühen. Die Kooperation mit Eltern und Fachkräften aus der Heil- und Sonderpädagogik, Therapie und Medizin stellt hierfür eine wesentliche Grundlage dar.

Tabelle 1: In den untersuchten Studien beschriebene Unterrichtsadaptionen (Walter-Klose 2012, 381f.)


Einzelarbeit der Schüler mit Körperbehinderung im Klassenzimmer mit den Mitschülern (Prellwitz & Tamm 2000)

Einzelarbeit im Nebenraum (Hemmingsson, Lidström & Nygård 2009)

Einzelarbeit mit dem Assistenten im gemeinsamen Klassenzimmer (Prellwitz & Tamm 2000)

Gezielte Lernhilfe bei spezifischen Lernproblemen, spezifische sonderpädagogische Einzelförderung, Förderung der Kommunikation, Interaktion und sozialen Kompetenz (Haupt & Gärtner-Heßdörfer 1986)

Individuelle Unterstützung bei der Behinderungsverarbeitung und bei Interaktionsproblemen sowie den Themen Behinderung, Krankheit, Außenseiterdasein, Partnerschaft, Sexualität und Berufswahl (Haupt & Gärtner-Heßdörfer 1986)

Gestaltung einer Unterrichtsaktivität, an der Schülerinnen und Schüler mit und ohne Behinderung gemeinsam teilhaben konnten (z.B. Pivik, McComas & LaFlamme 2002)

Veränderungen im Unterrichtsstil (Dev & Belfiore 1996)

Anpassungen der Benotungsstrategien (Dev & Belfiore 1996)

Anpassungen des Lehrplans (Dev & Belfiore 1996)

Erstellung individueller Arbeitsmaterialien für Schülerinnen und Schüler mit Körperbehinderung (Pivik, McComas & LaFlamme 2002)

Anfertigung von Kopien der Folien und Tafelbilder, wenn die Kinder und Jugendlichen nicht mitschreiben konnten (Pivik, McComas & LaFlamme 2002)

Verwendung visueller Hinweisreize für Schüler, die Probleme haben, Gedanken zu organisieren (Pivik, McComas & LaFlamme 2002)

Aufzeichnung des Unterrichts auf Video (Pivik, McComas & LaFlamme 2002)

Gewährung von zusätzlicher Zeit für die Aufgabenbearbeitung (Enell 1982; Willard-Holt 1993; Hemmingsson & Borell 2002)

Nutzung angepasster Lehr- und Lernmittel sowie Hilfsmittel im Unterricht (Haupt & Gärtner-Heßdörfer 1986; Willard-Holt 1993; Dev & Belfiore 1996; Hemmingsson, Lidström & Nygård 2009)

Anpassungen des Aufgabenformats von Prüfungen, so dass beispielsweise mit Mehrfachwahlaufgaben weniger freies Schreiben notwendig war (Enell 1982; Hemmingsson & Borell 2002)

Individuell angepasste Aufgabenlänge (Enell 1982)

Unterstützung durch eigene Assistenten, z.B. bei Schreibaufgaben (z.B. Willard-Holt 1993; Hemmingsson & Borell 2002)

Gewährung von Pausen zur Erholung (Strong & Sandoval 1999; Hemmingsson & Borell 2002)

Individuelle Pausen und Erholungszeiten sowie früheres Entlassen aus den Klassen, damit Schüler Zeit für Pflege haben oder die nächste Stunde pünktlich erreichen können (Enell 1982)

Diagnostische Kompetenz zur Individualisierung (Shevlin, Kenny & McNeela 2002)

Schaffung einer wertschätzenden Klassenatmosphäre (Willard-Holt 1993)

Als weitere Problemfelder bei der Gestaltung des gemeinsamen Unterrichts zeigte sich in den Studien die Schwierigkeit der Pädagogen, eine Balance zwischen Individualisierung und Gleichbehandlung aller Schüler zu finden sowie individuell zu unterstützen, ohne die Schüler zu unterfordern. Eine neue Aufgabe für die Lehrer war es häufig auch, mit Schulbegleitern und Assistenten zu kooperieren und diese anzuleiten. Insgesamt lässt sich auf Basis internationaler Studien sagen, dass neben einem Bedarf an mehr heil- und sonderpädagogischem Fachwissen, mehr Kooperationsstrukturen und einem beratenden Unterstützungssystem ebenso mehr Zeit erforderlich ist, die ein oder mehrere Pädagogen in der Klasse für die Schüler benötigen.

4. Zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse der qualitativen und quantitativen Studie

Die in dieser Publikationsform vorgestellten Erkenntnisse und Empfehlungen werden zumeist nicht durch statistische Angaben belegt oder durch Zitate illustriert. Diese können im ausführlichen Forschungsbericht eingesehen werden. Es wird allerdings benannt, auf Basis welchen Untersuchungselements die hier vorgestellten Erkenntnisse gewonnen wurden. „Qual“ steht dabei für Ergebnisse, die auf der Basis der qualitativen Interviews gewonnen wurden, „Quan“ für Ergebnisse auf der Basis der quantitativen Befragung und „LA“ für Erkenntnisse, die im Rahmen der internationalen Literaturanalyse gewonnen wurden.
Die Ergebnisse der qualitativen und quantitativen Studie werden, nach einem Überblick über die jeweilige Stichprobe, unter Beibehaltung der Struktur des Mehr-Ebenen-Modells der qualitativen Studie gemeinsam und aufeinander bezogen dargestellt. Die die qualitative Studie ergänzenden Fragen der quantitativen Erhebung werden den entsprechenden Kapiteln jeweils zugeordnet.

Abbildung 1: Mehr-Ebenen-Modell der qualitativen Studie

4.1 Überblick über die Stichproben der Studien

Qualitative Studie
An der qualitativen Studie beteiligten sich insgesamt 84 Personen, darunter Schülerinnen und Schüler mit dem Förderbedarf körperliche und motorische Entwicklung sowie deren Eltern und Lehrkräfte an Förderschulen und integrativen/inklusiven Schulen und ebenso die Schulleitungen aller beteiligten Schulen (vgl. Tabelle 2).
Bei der Auswahl der Schülerinnen und Schüler wurde darauf geachtet, sowohl männliche als auch weibliche Schüler, Schüler mit Migrationshintergrund und Schüler aus unterschiedlichen sozialen Herkunftsfamilien einzubeziehen. Sogenannte einzelintegrierte Schüler konnten trotz intensiver Unterstützung der Mitglieder des Beirats nur in einem Fall für ein qualitatives Interview gefunden werden.

Tabelle 2: Überblick über die Stichprobe der Interviewstudie


Interviewgruppe

Anzahl

Weiblich

Männlich

Förderschulen gesamt

47

29

18

SchülerInnen

14

7

7

Eltern

10

7

3

Lehrkräfte

16

12

4

Schulleitung

7

3

4

Int./Inkl. Schulen gesamt

35

18

17

SchülerInnen

7

1

6

Eltern

8

7

1

Sonderschullehrkräfte

8

4

4

Fachlehrkräfte

6

4

2

Schulleitung

4

1

3

GU-Koordination

2

1

1

Einzelintegration

2

1

1

Schüler

1

0

1

Eltern

1

1

0

 

 

 

 

Gesamt

84

48

36

SchülerInnen[2]

22

8

14

Eltern

19

15

4

Lehrkräfte

30

20

10

Schulleitungen

11

4

7

GU-Koordination

2

1

1

 

Quantitative Studie
Die Verteilung der Stichprobe sowie die Rücklaufquote der quantitativen Erhebung sind in Tabelle 3 ersichtlich. In den Klammern sind die jeweiligen Responderquoten angegeben.
Die Gruppe der befragten Schüler an Förderschulen waren Kinder und Jugendliche ab der 8. Klasse, die in der Lage waren, allein oder mit Assistenz den Fragebogen zu beantworten. An den integrativen/inklusiven Schulen wurden aus jeder Jahrgangsstufe eine Klasse mit gemeinsamem Unterricht sowie ein Parallelzug ohne gemeinsamen Unterricht ausgewählt. Von den 604 Schülern an den integrativen/inklusiven Schulen hatten 8,7 % eine Körperbehinderung oder eine chronische Krankheit. 4,4 % der Schüler der integrativen/inklusiven Schule gaben zudem an, eine andere Behinderung als eine körperliche Beeinträchtigung zu haben. Die genauen Merkmale der Schüler sind im ausführlichen Forschungsbericht beschrieben.

Tabelle 3: Anzahl befragter Eltern, Schüler und Schülerinnen, Lehrkräfte und Mitarbeitende sowie Rücklaufquote der Fragebögen in Klammern

FörderschulekmE

Int.-/ Inkl.-schule

allgemeine Schule

Gesamt

Eltern

704 (50 %)

584 (56 %)

778 (42 %)

2066 (49 %)

SchülerInnen

388[3]

604 (95 %)

-

992

Lehrkräfte

328 (70 %)

133 (47 %)

370 (43 %)

831 (53 %)

Mitarbeitende

122 (67 %)

-

-

122 (67 %)

Gesamt

1542 (62 %)

1321 (67 %)

1148 (43 %)

4011 (57 %)

Die Auswahl der allgemeinen Schulen erfolgte durch die Förderschulen selbst. Sie wurden gebeten, Schulen aller Schulformen in der räumlichen Nachbarschaft zu benennen, mit denen bereits erste Kooperationen bestehen oder zukünftig vorstellbar wären. Neben den acht LVR-Förderschulen körperliche und motorische Entwicklung sowie drei integrativ/inklusiv arbeitenden Schulen beteiligten sich somit auch 19 allgemeine Schulen aller Schulformen an der standardisierten Erhebung (neun Grundschulen, zwei Hauptschulen, zwei Realschulen, zwei Gymnasien, vier Gesamtschulen).

 

4.2 Beschreibung der aktuellen Situation

4.2.1 Aktuelle Einflussgrößen schulischer Inklusion

Unabhängig von den Voraussetzungen auf schulischer Seite, die weiter unten ausführlich beschrieben werden, konnten vor allem mit der qualitativen Interviewstudie mehrere Faktoren identifiziert werden, die belegen, dass das Gelingen schulischer Inklusion derzeit noch an bestimmte Voraussetzungen auf Seiten des Schülers und seines Elternhauses gekoppelt ist:
Bedeutung der Beeinträchtigung der Schülerinnen und Schüler:

Bedeutung weiterer Persönlichkeitsvariablen der Schülerinnen und Schüler:
Ob schulische Integration/Inklusion gelingt, erscheint neben der Behinderungsform des Schülers derzeit noch in hohem Maße von weiteren persönlichen Merkmalen abhängig zu sein:

Bedeutung des Elternhauses:
Auch weil Integration/Inklusion noch keine selbstverständliche Form schulischer Bildungsprozesse darstellt und zahlreiche allgemeine Schulen noch nicht mit den damit zusammenhängenden Anforderungen vertraut sind, kommt dem Elternhaus derzeit noch eine relativ große Bedeutung für die Ermöglichung inklusiver Schulangebote zu.
Die Ergebnisse der qualitativen und quantitativen Studien deuten darauf hin, dass es auf Seiten der Eltern derzeit noch soziokultureller Voraussetzungen und Möglichkeiten bedarf, um schulische Inklusion für das eigene Kind durchzusetzen. Viele Eltern berichten von unverhältnismäßig hohen und ressourcenintensiven Einsätzen sowohl bei der Suche nach einem geeigneten Platz im gemeinsamen Unterricht als auch, um die integrative/inklusive Beschulung vor Ort abzusichern (Qual/LA). Neben dem „Abklappern“ zahlreicher Schulen und Ämter werden hinsichtlich des Findens eines Platzes im gemeinsamen Unterricht ebenso Gespräche mit Abgeordneten, eingeleitete juristische Verfahren oder eigene eingebrachte finanzielle Mittel geschildert. Letzteres wird auch häufig im Zusammenhang mit der Absicherung der integrativen/inklusiven Schule vor Ort angeführt. Ebenso werden in diesem Zusammenhang erhebliche zeitliche Ressourcen angesprochen (flexible Fahrdienste mit teils langen Wegstrecken, Hilfsdienste im Unterricht und bei der hygienischen Versorgung). Mit Nachdruck ist aber darauf hinzuweisen, dass vielen Familien weder die notwendigen soziokulturellen noch die organisatorischen wie finanziellen Voraussetzungen und Möglichkeiten gegeben sind, um schulische Inklusion für das eigene Kind in Betracht zu ziehen, durchzusetzen sowie das Gelingen aufrecht zu erhalten.

Die hier beschriebenen Merkmale auf Schülerseite (Behinderungsform, weitere persönliche Merkmale und Sozialverhalten, Elternhaus) stellen zu berücksichtigende, derzeit noch bedeutsame Faktoren dar, sollten aber aus inklusiver Perspektive nicht als Bedingungen für das Zustandekommen und Gelingen schulischer Inklusion gelten dürfen. Sie bilden damit die Realität schulischer Integration der letzten Jahre ab, sicherlich auch oftmals noch gegenwärtig. Sie beschreiben in Bezug auf die Erkenntnisse aus der Literaturanalyse aber auch eine Wirklichkeit, die offensichtlich auch in erfolgreich arbeitenden integrativen Schulsystemen Skandinaviens, der Vereinigten Staaten von Amerika und anderer entwickelter Industrienationen noch gültig sind und deshalb dauerhafte Aufmerksamkeit erfordern.
Inklusion aller Schülerinnen und Schüler muss zum Ziel haben, entsprechende Bedingungen auf Seiten der Schule sowie im außerschulischen Bereich zu schaffen, damit das Gelingen schulischer Inklusion in deutlich geringerem Ausmaß als bisher von den benannten Einflussgrößen abhängig ist. Bevor diese, in den einzelnen Schulen notwendigen Bedingungen zusammenfassend dargestellt werden, wird anhand der folgenden Ergebnisse zum Bereich der Beratung der Einfluss des Elternhauses auf schulische Inklusion nochmals bestätigt. Ebenso wird deutlich, dass ein unabhängiges Beratungsangebot notwendig erscheint, um Eltern in die Lage zu versetzen, den bestmöglichen schulischen Bildungsort für ihr Kind zu wählen.

4.2.2 Bereich der Beratung

Alle befragten Eltern der jungen Menschen mit Förderbedarf körperliche und motorische Entwicklung nehmen die Wahl des Förderortes sehr ernst und suchen hierzu unterschiedliche Beratungsmöglichkeiten auf (Qual/Quan/LA). Dabei nutzen Eltern, die für ihr Kind ein integratives/inklusives Bildungsangebot anstreben, deutlich mehr die heute gegebenen Möglichkeiten der Eigenrecherche oder die Beratung durch Bekannte/Freunde (Quan).


Abbildung 2: Durch die Eltern genutzte Beratungsmöglichkeiten (IS steht für integrative/inklusive Schule)

Es zeigt sich demnach, dass Eltern, deren Kind eine integrative/inklusive Schule besucht, deutlich weniger professionelle Beratungsangebote in Anspruch nehmen als Eltern der Förderschüler bzw., dass vor allem der jeweilige Freundes- und Bekanntenkreis oder die Möglichkeiten der Eigenrecherche genutzt werden. Allerdings muss ebenso darauf hingewiesen werden, dass die Förderschüler insgesamt betrachtet einen höheren Unterstützungsbedarf haben und von den Eltern möglicherweise auch deswegen mehr professionelle Beratungsangebote in Anspruch genommen werden (Quan/Qual). Dass der Beratungsbedarf mit der Höhe des Unterstützungsbedarfes des Kindes eindeutig korreliert, zeigt sich auch daran, dass insgesamt nur 3,6 % aller Eltern an Förderschulen angeben, keinen Beratungsbedarf bei der Einschulung des Kindes gehabt zu haben, während dies hingegen 14,5 % der Eltern von Schülern mit einem Förderbedarf in integrativen/inklusiven Schulen angeben.
Aus der Rückschau beschreiben fast doppelt so viele Eltern an Förderschulen (23 %) als an integrativen/inklusiven Schulen (12 %), sich weniger oder gar nicht gut beraten gefühlt zu haben. Bezieht man hierbei ein, dass ebenfalls 14 % der Eltern an Förderschulen angeben, dass die Schulwahl ihrem Interesse nicht entsprach, so erklärt dies vermutlich einen Teil der unterschiedlichen Einschätzung gegenüber den Eltern an integrativen/inklusiven Schulen, die zu nahezu 100 % angeben, ihrem Wunsch nach der Schule sei entsprochen worden.
In beiden Untersuchungsteilen (Qual/Quan) wurde sodann eine erhebliche Unzufriedenheit mit der damals gegebenen Beratungssituation berichtet. Viele Eltern erlebten sich als Bittsteller, die sich oftmals entsprechende Beratungsangebote selbst suchen mussten. Schulische Integration/Inklusion musste oftmals gegen den Willen der Schulverwaltung, der Ärzte oder des Gesundheitsamtes sowie zuweilen auch gegen den Willen einzelner Förderschulen durchgesetzt werden. Die Eltern berichten hier von einem enormen zeitlichen und finanziellen Aufwand und einer „harten Zeit“.
Die Eltern beider Schulformen vermissten oftmals überhaupt ein Beratungsangebot oder, wenn von einem solchen berichtet wird, eine umfassende Aufklärung über schulische Bildungsorte oder Perspektiven. Immer wieder finden sich auch hier Erzählungen über die eigene Recherche, die Inanspruchnahme fachlich kundiger Freunde und Verwandte, die Hinzuziehung juristischen Beistands, die deutlich machen, dass, zumindest zum damaligen Zeitpunkt, Eltern mit geringeren Möglichkeiten und einem weniger entwickelten sozialen Netzwerk kaum Möglichkeiten haben, die schulische Integration/Inklusion ihres Kindes durchzusetzen. Gewünscht wird denn auch von allen Eltern eine umfassende Beratung einer konkreten Stelle, die neutrale Hinweise für unterschiedliche Förderorte geben kann und den Prozess des Suchens, der von vielen Eltern auch als verunsichernd beschrieben wird, stützt und absichert. Immer wieder werden in diesem Kontext die unklare Situation innerhalb einer Region oder auch überhaupt fehlende Wahlmöglichkeiten, insbesondere beim Übergang in die Sekundarstufe-I, angesprochen. Letzteres stellte oftmals auch einen Grund für den Wechsel der Schulform dar, wobei, wie die folgenden Ausführungen zeigen, in diesen Fällen eher von einem Konglomerat an fehlenden Bedingungen auszugehen ist, die der positiven Darstellung der an den Schulen notwendigen Bedingungen im Folgenden vorangestellt werden.

4.2.3      Gründe des Schulformwechsels

Zusammenfassend muss festgehalten werden, dass für das Scheitern schulischer Integration/Inklusion nicht ein alleiniger Grund ausschlaggebend war. Immer war es ein Bedingungsgefüge, das schließlich zu unverhältnismäßig hohen Belastungen auf Seiten der Schülerinnen und Schüler führte und die Eltern bewog, das integrative Anliegen zurückzunehmen und das eigene Kind auf einer Förderschule anzumelden.
Aus den qualitativen Interviews konnte entnommen werden, dass dieses Bedingungsgefüge häufig folgende Elemente aufwies:

Gleichzeitig betonen mehrere Eltern, die ihr Kind trotz großer Skepsis schließlich doch an einer Förderschule anmeldeten, mit dem Wechsel sehr positive Erfahrungen gemacht und positive Entwicklungen bei ihrem Kind festgestellt zu haben. Dies gilt insbesondere für Eltern, bei deren Kindern der Leistungsaspekt keinen vorwiegenden Grund des Schulformwechsels darstellte. Die quantitative Befragung der Schülerinnen und Schüler an Förderschulen, die bereits Erfahrungen in der schulischen Integration machen konnten, sind in der Erinnerung, also nach mehreren Jahren, deutlich positiver. So stufen etwa 50 % ihre Erfahrungen mit Lehrkräften und Mitschülern als positiv ein. 39,5 % geben an, gute Erfahrungen mit dem Lerntempo und der Aufbereitung des Unterrichtsstoffs gemacht zu haben (Quan).
Ausdrücklich muss aber noch einmal darauf hingewiesen werden, dass in den qualitativen Interviews alle Eltern und Schüler, insbesondere aber diejenigen, deren Wechselerfahrungen hochbelastend waren, die große Bedeutung der bewussten Gestaltung und sensiblen Beachtung des sozialen Bereichs im Unterricht, vor allem aber auch im außer- oder nebenunterrichtlichen Bereich, durch Lehrkräfte und weitere Mitarbeiter betonten.

4.3 Bedingungen und Erfordernisse einer gelingenden schulischen Inklusion im Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung

Aus den Ergebnissen der vorliegenden Teilstudien wird deutlich, dass die Haltung und Einstellung aller an der schulischen Inklusion von Schülerinnen und Schülern mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung Beteiligten geradezu als Fundament bezeichnet werden muss. Dies bedeutet nicht, dass andere Bedingungen weniger bedeutsam sind, Klassengrößen belassen, Doppelbesetzungen nicht ermöglicht oder physische Barrieren nicht ernst genommen werden müssten. Es zeigt sich aber sowohl in der Literaturstudie als auch in den qualitativen Interviews und der standardisierten Befragung, dass die Haltung und die daraus sich ergebenden Entscheidungen und Verhaltensweisen aller Beteiligten eine so wesentliche Bedeutung hat, dass diese vor der Darstellung der konkreten und prozessualen Gelingensbedingungen dokumentiert werden soll.

4.3.1 Haltungen und Einstellungen als Fundament schulischer Inklusion

Grundlegend für die adäquate Wahrnehmung und Berücksichtigung der Schülerpersönlichkeit und seiner Beeinträchtigung sowie für die Gestaltung eines entsprechenden sozialen Klimas sind zunächst eine positive Haltung zur Inklusion und Heterogenität der Schülerschaft. Um eine positive Haltung gegenüber der schulischen Inklusion zu unterstützen, erscheinen auf der Basis der qualitativen Interviews folgende Elemente hilfreich und notwendig:

Während diese Elemente sicherlich für alle schulischen Entwicklungsprozesse gelten, ist die Frage des pädagogischen Umgangs mit den unterschiedlichen Beeinträchtigungen der Schülerinnen und Schüler bereits wesentlich konkreter. Eine offene und sensible Haltung seitens der Mitglieder des Kollegiums kann zunächst das Bewusstsein für die Ausgangsvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler erhöhen und viele Befragte gehen davon aus, dass sich dies ebenso auf den Umgang der Schüler untereinander überträgt. Um dieses bewusste Miteinanderleben zu unterstützen, konnten folgende „präventive“ Elemente ermittelt werden:

Als weitere Aspekte des Umgangs mit Behinderung, und damit auch die Haltung der Lehrkräfte betreffend, wurden benannt:

Weiterhin wurde als dritter wesentlicher Aspekt die Notwendigkeit einer veränderten Haltung zum Unterricht (Akzeptanz von Heterogenität und der Notwendigkeit lernzieldifferenter Methoden; Akzeptanz von Teamarbeit) benannt.
Die Analyse der Interviews zeigt sehr deutlich, dass die Haltungs- und Einstellungsfragen sowie der Umgang mit Behinderung und die Haltung zu einem veränderten Unterricht für alle befragten Gesprächspartner beider Schulformen zentrale Bedingungen des Gelingens schulischer Inklusion darstellen. Diese Erkenntnisse der qualitativen Untersuchung wurden in der quantitativen Untersuchung bestätigt:

Die Frage der Haltung und Einstellung ist, wie die weiteren Ergebnisse zeigen werden, bei Weitem keine bloße Frage des Wollens, sondern auch der konkreten Bedingungen schulischer Inklusion, die sich im Sinne von Vorteilen für alle Beteiligte beschreiben lassen müssen. Umso ungünstiger die Einstellungen und Haltungen sind oder umso größere Ängste und Unsicherheiten bestehen, desto eher bedarf es des Vorhandenseins bzw. der Schaffung günstiger Bedingungen in den aufnehmenden Schulen – dies nicht bloß für die Schülerinnen und Schüler, sondern gerade auch zur Unterstützung der dort tätigen Lehrkräfte. Mit den Worten einer Schulleitung geht es darum, zu begreifen, dass Inklusion „ein Vorteil für alle [ist]. Und das ist die Überschrift für mich für Inklusion: Es ist ein Vorteil für alle“ (Schulleitung integrative/inklusive Schule). Weiter führt diese Schulleitung aus:
 „Ich glaube das Hauptproblem ist die Angst der, sag ich jetzt mal, Regelschullehrer – der Begriff ist ein bisschen schräg aber – vor Überforderung. Das heißt, dass man ihnen zu den bereits geleisteten Aufgaben und das ist erheblich, das ist einfach so, weil die Belastung ist für alle Lehrer sehr groß, noch neue Dinge oben drauf packt, ohne dass sie erkennen, in wieweit sie dafür Entlastung bekommen oder Unterstützung oder auch nur Begleitung. Das ist, glaube ich, ein ganz wesentliches Hindernis. Die Angst ist auch oft berechtigt, wenn ein Projekt auf die Schienen gesetzt wird, aber die Bedingungen nicht stimmen. Das widerspricht jetzt so ein bisschen dem, was ich eben gesagt hab. Ich denke Schulen, die in einer, wie ich auch finde, glücklichen Situation sind, wie unsere, die sollen auch diese Wege gehen, aber wenn ich das in der Breite haben will, dann muss ich sagen, dann muss man gucken, welche Erfahrung habt ihr hier gemacht an der …-Schule und welche Bedingungen braucht man und dann finde ich es auch korrekt zu sagen, ok, wenn jetzt Neue anfangen, die die Entwicklungschance nicht hatten, müssen gewisse Bedingungen schon mal einfach da [sein].“ (Schulleitung integrative/inklusive Schule)

Ein Lehrer einer weiteren integrativen/inklusiven Schule rückt genau dieselbe Perspektive in den Vordergrund, wenn er sagt, dass der „Vorteil ja [ist], dass unsere GU-Klassen einfach auch kleiner sind, man hat ja auch durchaus Vorteile und die müssen das erst mal kennenlernen, die müssen auch die Vorteile kennenlernen (…)“ (Lehrkraft integrative/inklusive Schule).
Auch wenn also der Aspekt der Haltung und Einstellung aus Sicht aller Befragten eine zentrale Bedeutung für das Gelingen schulischer Inklusion hat, muss festgestellt werden, dass die strukturellen Bedingungen sowohl im unterrichtlichen als auch im außerunterrichtlichen Bereich, und ebenso die organisatorischen Bedingungen, für die schulische Inklusion von Schülerinnen und Schülern mit dem Förderbedarf körperliche und motorische Entwicklung von ebenso großer Bedeutung sind. Strukturelle Bedingungen sind beispielsweise oftmals rascher und eindeutiger zu gestalten als Veränderungen von Haltungen und Einstellungen und können letztere zudem positiv beeinflussen. Sie sind gerade auch aus Sicht des Kostenträgers, hier des Landschaftsverbandes Rheinland, zu beeinflussende Faktoren und können weiterhin auch durch aktive bildungspolitische Maßnahmen gesteuert werden.
Die folgende Darstellung fokussiert dabei zunächst auf Bedingungen, die ein inklusiver Unterricht von Schülern mit und ohne körperliche oder mehrfache Beeinträchtigung zwingend erfordert. Sodann werden mit der schulstrukturellen und schulorganisatorischen Ebene weitere Bedingungen für die Inklusion dieser Schülerschaft benannt.
Obwohl im Rahmen der quantitativen Untersuchung die Bildung von Rangfolgen möglich ist, so ist darauf zu verweisen, dass diese nur in seltenen, inhaltlich begründeten Fällen eine Wertigkeit darstellen. Oftmals bewegen sich zustimmende und ablehnende Aussagen auf sehr dicht beieinander liegenden Niveaus. Diese Einschätzung wird durch zahlreiche Aussagen innerhalb der qualitativen Interviews gestützt, die von einem dichten Bedingungsgefüge sprechen.

4.3.2 Unterrichtsbezogene Ebene

Dieses Kapitel stellt sowohl die strukturellen als auch didaktischen Bedingungen dar, die ein inklusiver Unterricht zwingend benötigt, wenn Schüler mit und ohne körperliche und mehrfache Beeinträchtigung erfolgreich an ihm partizipieren sollen.
Personelle Voraussetzungen des inklusiven Unterrichts: Doppelbesetzung, Teamarbeit und sonderpädagogische Fachkompetenzen
Eine möglichst durchgehende Doppelbesetzung des Unterrichts, ausdrücklich werden hier eine allgemeinbildende und eine sonderpädagogische Lehrkraft angesprochen, und damit auch Aspekte der Teamarbeit, werden in der qualitativen und quantitativen Studie von allen Beteiligten der Förder- und Integrations-/Inklusionsschulen, gemeinsam mit dem Bereich der Haltung, als wesentlichste Bedingung einer gelingenden Inklusion erachtet. Auch die Lehrkräfte der allgemeinen Schulen sehen hierin ein wesentliches Unterstützungselement für den Unterricht.
Vor allem die Interviewpartner der integrativen/inklusiven Schule betonen mit Nachdruck, dass eine nur stundenweise Anwesenheit von Sonderpädagoginnen zum Scheitern des gemeinsamen Unterrichts führen werde. Vielmehr sind sie aufgrund der wahrgenommenen Erfordernisse sowie der positiven Erfahrungen an ihren eigenen Schulen überzeugt davon, dass Sonderpädagoginnen mit all ihren Stunden fest an der Schule tätig sein sollten und, möglichst in gemeinsamer Klassenlehrerfunktion, einer bestimmten Klasse angehören. Dies erhöhe neben der Anbindung ans Kollegium ebenso das Bewusstsein an der Schule für Schüler mit Beeinträchtigungen und fördere zudem den Beziehungsaufbau mit den Schülern selbst.
Die Doppelbesetzung des Unterrichtes durch eine ausgebildete Förderlehrkraft wird den Ergebnissen der qualitativen Interviews zufolge vor allem aufgrund der folgenden vier Aspekte als notwendig erachtet:

Auch das Antwortverhalten innerhalb der quantitativen Studie bestätigt die Notwendigkeit der Doppelbesetzung sowie eines behinderungsspezifischen Fachwissens:

Mit Blick auf die internationale Forschung und der Erfahrungen aus zielgleicher Einzelintegration lässt sich sagen, dass nicht immer eine Doppelbesetzung notwendig und erforderlich sein muss, wenn die Lehrkraft die erforderlichen Kompetenzen erworben hat und auf hinreichende Beratungs- und Kooperationsmöglichkeiten zurückgreifen kann.
In der allgemeinen Inklusionsdebatte und in der Bildungspolitik finden sich derzeit zahlreiche Hinweise darauf, dass davon ausgegangen wird, ein nicht qualifizierter Unterrichtsbegleiter oder nicht schulpädagogisch qualifizierte Mitarbeiterinnen stellten ausreichende Bedingungen im personellen Bereich dar. Diese Meinung wird von den in der qualitativen Untersuchung befragten Personen nicht geteilt. Zudem verweisen Hinweise aus der Literaturanalyse darauf, dass gerade in Bezug zur Inklusion von Schülerinnen und Schülern mit dem Förderbedarf körperliche und motorische Entwicklung weitere kritische Ergebnisse zu beachten sind. So ermöglicht der Einsatz von Schulbegleitern zwar einerseits häufig erst den Schulbesuch, andererseits können unklare Aufgabenverteilungen, fehlende Rollenabsprachen, fehlende Zeit für Anleitung und Absprachen sowie mangelnde pädagogische Kompetenz negative Auswirkungen auf die schulische, soziale und persönliche Entwicklung der Kinder haben.

Inklusive Unterrichtsgestaltung
Ein ebenfalls sehr bedeutsamer Aspekt ist die Frage nach den Möglichkeiten einer inklusiven Unterrichtsgestaltung. In der deutschsprachigen Literatur zur schulischen Inklusion wird immer wieder darauf verwiesen, dass binnendifferenzierende Formen der Unterrichtsgestaltung ein wesentliches Element inklusiven Unterrichts darstellen (vgl. z.B. Wocken 2011), wenn gemeinsamer Unterricht in einer heterogenen Schülergruppe erfolgreich durchgeführt werden soll. Die schulische Realität ist derzeit noch eher eine andere, nicht nur in Deutschland, auch in inklusiven Schulsystemen, wie z.B. dem in Südtirol. Erschwerend kommt hinzu, dass die deutlich zugenommene Anzahl der Vergleichsarbeiten auch ein sehr gleichschrittiges Arbeiten in einer Lerngruppe oder Klasse nahelegt. Eine differenzierende Inklusion, die gemeinsames Lernen für unterschiedlich beeinträchtigte Schülerinnen und Schüler nahelegt, kann sicherlich als eine der großen Herausforderungen der nächsten Jahre im Bildungswesen gesehen werden.
Auch in der hier vorgestellten Untersuchung zeigt sich, dass Fragen der Unterrichtsgestaltung für alle Beteiligten eine große Bedeutung haben:

Ein weites und zugleich wesentliches Spannungsfeld im Kontext einer inklusiven Unterrichtsgestaltung stellt die Frage der lernzielgleichen bzw. lernzieldifferenten Förderung dar. Wer Schüler mit mehrfachen bzw. komplexen Beeinträchtigungen in einer inklusiven Schule bestmöglich in ihrem Bildungsprozess unterstützen will, wird, wie die Ergebnisse zeigen, ohne differenzierende Unterrichtsziele, -methoden, ohne sonderpädagogische Unterstützung z.B. in Form einer Doppelbesetzung, Teamarbeit und weiterer Bedingungen nicht so arbeiten können, dass er allen Schülerinnen und Schülern gerecht wird. Sonderpädagoginnen sind auf diese Anforderungen bereits im Rahmen ihres Lehrerbildungsprozesses vorbereitet worden. Lehrkräfte allgemeiner Schulen lernen diese didaktisch-methodischen Elemente häufig bis in die Gegenwart hinein weder in der ersten noch der zweiten Phase der Lehrerbildung kennen. Hier ist ein Spannungsfeld gegeben, das sicherlich die jetzige und die kommende Lehrergeneration beschäftigen wird und durch bildungspolitische Maßnahmen aktiv begleitet und unterstützt werden muss.
In der vorliegenden Untersuchung zeigt sich, dass die Frage der Lernzieldifferenz bzw. Lernzielgleichheit in vielen Grundschulen bereits bekannt ist und viele Schulen konstruktive Möglichkeiten gefunden haben. Schulen der Sekundarstufe-I haben, wie die Biographien der Wechsler gezeigt haben, auf diesem Gebiet bisher wenig Erfahrungen und offensichtlich auch größere Probleme, Schüler zu unterstützen, die einen Nachteilsausgleich nutzen wollen, um die gleichen Leistungsanforderungen zu erfüllen. Nicht nur die Lehrkräfte und Mitarbeitenden aus den Förderschulen kmE haben hier die große Sorge, dass eine kurzfristige Inklusion den von ihnen unterrichteten Schülerinnen und Schülern nicht gerecht würde. Auch Lehrkräfte der am Projekt beteiligten integrativen/inklusiven Schulen und ebenso die Lehrkräfte der allgemeinen Schulen teilen diese Sorge (Qual/Quan). In diesem Zusammenhang stellen einige Lehrkräfte der integrativen/inklusiven Schulen trotz einer grundsätzlichen Offenheit und angestrebten Bereitschaft, Schüler mit mehrfachen Beeinträchtigungen aufzunehmen, zudem die Frage danach, wie sich ein lernzieldifferenter Unterricht unter dem zunehmenden Druck durch Vergleichsarbeiten im Sinne der Schüler zukünftig verwirklichen lässt.

Klassengröße
Eng verbunden mit der Frage einer inklusiven Unterrichtsgestaltung ist für alle Befragten beider Studienteile die Größe der Klasse oder Lerngruppe:

4.3.3 Spezifische Angebotsstrukturen des schulischen Bildungsangebotes

Neben den bisher benannten Bedingungen, die vor allem den Unterricht und Fragen der Haltung betreffen, werden innerhalb aller Untersuchungselemente spezifische Angebote benannt, die für unterschiedliche Schülergruppen aus Sicht der Lehrkräfte, Mitarbeiter, Eltern, aber auch der Schüler selbst als notwendige Bedingungen bezeichnet werden müssen. Auch hier gilt, dass nicht für jeden Schüler mit einem Förderbedarf körperliche und motorische Entwicklung alle Bedingungen erfüllt sein müssen; um aber schulische Inklusion für alle Schüler in diesem Förderbereich zu ermöglichen, muss eine inklusive Schule diese Bedingungen erfüllen.
Therapeutische und pflegerische Angebote
Therapeutische und pflegerische Angebote innerhalb der Schule werden von den Schülern der Förderschule, ihren Eltern, aber auch den Lehrkräften und Mitarbeitern als außerordentlich bedeutsam für die Gestaltung inklusiver Lernbedingungen angesehen. Dies liegt zum einen in der für Schüler mit Körperbehinderung notwendigen Verzahnung pädagogischer und rehabilitativer Prozesse, z.B. wenn durch medizinische Hilfsmittel ein aufmerksames Lernen unterstützt wird (vgl. LA). Zum anderen lehnen fast 58 % der befragten Schüler der Förderschulen Therapien in ihrer Freizeit ab bzw. nur lediglich 20 % dieser Schüler können sich dies vorstellen (Quan). Dies liegt sicherlich in der Einschätzung, dass eine additive therapeutische Versorgung am Nachmittag die Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe und von Kontakten mit Freunden noch einmal erheblich reduzieren würde. Viele Schüler geben zudem an, sie wären nach einem langen Schultag hierzu zu müde oder ihre Eltern hätten keine Möglichkeit, sie zu einem externen therapeutischen Angebot zu befördern (Quan/Qual). Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang darauf, dass an der Befragung der Schüler in Förderschulen nur Schülerinnen und Schüler teilnehmen konnten, die den Fragebogen allein oder mit Assistenz ausfüllen konnten. Schüler mit komplexen Beeinträchtigungen, die immer auch einen hohen Therapie- und Pflegebedarf haben, konnten aufgrund der Schwere ihrer Beeinträchtigung bzw. der nicht gegebenen mentalen Voraussetzungen nicht teilnehmen, müssen aber bei den anstehenden Schulentwicklungsprozessen einbezogen werden.
Eltern der Förderschule sind deshalb auch sehr sensibel, was die weitere Ausgestaltung bzw. Reduzierung des Therapieangebotes an den Förderschulen körperliche und motorische Entwicklung betrifft. Es wird gerade als besonderer Vorteil dieser Schulen gesehen, dass unterschiedliche Therapien, wie Physio- und Ergotherapie, Psychomotorik oder Logopädie während des Schultages angeboten werden können und diese daher auch in Zukunft bei der Ausgestaltung schulischer Bildungsangebote berücksichtigt werden sollten.
Eine andere Meinung hierzu wird in der Befragung der Schüler mit einer Körperbehinderung in den hier einbezogenen integrativen/inklusiven Schulen deutlich. Sie sehen einen möglichen Unterrichtsausfall mit Sorge, nehmen aber insgesamt auch deutlich weniger Therapien als die Förderschüler in Anspruch. Auch pflegerische Belange werden sowohl in den qualitativen Interviews als auch in der standardisierten Befragung durch sie und ihre Eltern weniger angesprochen. Der größere Wunsch nach Aufrechterhaltung therapeutischer und pflegerischer Angebote auf Seiten der Eltern und Schüler der Förderschulen wird vor diesem Hintergrund erklärbar und nachvollziehbar.
Dies bildet sich auch ab, wenn zusammenfassend dargestellt wird, was Eltern bei ihrer Schulwahl bedeutsam war. Hier ist es überraschend, dass den Eltern beider Schulformen eine große Anzahl von Items gleichermaßen bedeutsam war, sich die spezifischen Schwerpunktsetzungen aber deutlich unterscheiden:
Erklärbar wird diese Übersicht, wenn die Leserin bzw. der Leser sich die bisher in starkem Maße unterschiedliche Schülerschaft in den beiden Schulformen vergegenwärtigt. Bestätigt wird diese Vermutung durch die Einschätzung der Lehrkräfte an integrativen/inklusiven Schulen bzw. allgemeinen Schulen, für die die Bedeutung pflegerischer und therapeutischer Angebote geringer ist und umgekehrt durch die Einschätzung der Lehrkräfte und Mitarbeiter in Förderschulen, die sich eine Inklusion von Schülern mit hohem Therapie- und Pflegebedarf in der derzeitigen Situation nicht vorstellen können (Quan). Zur Bestätigung dieser Annahme kann auf eine integrative/inklusive Grundschule verwiesen werden, die erfolgreich schwerbehinderte Kinder unterrichtet, zu deren Team aber auch Therapeuten und Pflegekräfte gehören. Auch die übrigen integrativen/inklusiven Schulen betonen mehrfach ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Aufnahme von Schülern mit hohem Therapie- und Pflegebedarf, können sich dies unter den gegebenen fehlenden Bedingungen (v.a. Pflege-/ Therapieräume, zu große Klassen) jedoch nicht vorstellen (Qual).

Tabelle 4: Gründe der Schulwahl aus der Perspektive der Eltern


Für Eltern an beiden Schulformen gleich wichtig

Für Förderschuleltern  wichtiger

Für Integrations-/ Inklusionsschuleltern wichtiger

  • Gutes Lehrer-Schüler-Verhältnis
  • Umgang Behinderung an Schule
  • Zusammenarbeit Schule und Elternhaus
  • Personelle Ausstattung
  • Selbstständigkeitsentwicklung
  • Leistungsentwicklung
  • Berufsaussichten
  • Ausstattung Lehr- und Lernmittel
  • Teilnahme am Sportunterricht
  • Hausaufgaben-/Freizeitsituation
  • Therapieangebot
  • Behindertengerechte Architektur
  • Pflegeangebot
  • Entwicklung sozialer Fähigkeiten
  • sozialer Kontakt zu Mitschülern
  • Ganztagsangebot

 

Weitere Angebotsstrukturen
Ganztagsangebot und Schulsozialarbeit
Lehrkräfte der beteiligten Integrations-/Inklusions- sowie der Förderschulen und Eltern beider Schulformen betonen aus unterschiedlichen Gründen die Bedeutung eines Ganztagsangebots, das in allen beteiligten Schulen gegeben ist. Eltern schätzen es, weil sie von der Begleitung der oftmals als schwierig erlebten Hausaufgabensituation entlastet werden, Zeit für dringende Familienaufgaben oder auch die Geschwister haben. Lehrkräfte der integrativen/inklusiven Schulen betonen die Bedeutung des Ganztagsangebots vor allem aufgrund der Möglichkeit der Gestaltung vielfältiger sozialpädagogischer Angebote, und damit auch der Stärkung inklusiver Prozesse. Lehrkräfte und Schulleitungen der Förderschulen weisen auf die Bedeutung für die Gestaltung des Unterrichts hin, bei gleichzeitiger Nutzung therapeutischer Angebote durch die Schüler im Verlaufe des Schultages (Qual).
In diesem Zusammenhang wird gerade von den qualitativ Befragten der integrativen/inklusiven Schulen darauf aufmerksam gemacht, welche positiven Erfahrungen alle Beteiligten mit der Mitarbeit von dauerhaft an der Schule verankerten Sozialpädagogen, Schulpsychologen oder auch Beratungslehrinnen und –lehrern in den letzten Jahrzehnten machen konnten. Insbesondere für die Gestaltung sozial-integrativer Prozesse sei hier ein Netzwerk wichtig, auf das jederzeit zugegriffen werden könne (vgl. auch LA).

Berufswahlvorbereitung und Schulabschlüsse
Von Eltern und Lehrkräften der Förderschulen körperliche und motorische Entwicklung wird in den qualitativen Interviews darauf aufmerksam gemacht, wie wichtig für ihre Schüler bzw. Kinder und Jugendlichen eine differenzierte, den Handlungsmöglichkeiten der Schüler entsprechende Berufswahl- und lebenspraktische Vorbereitung ist, die als spezifisches Angebot auch für mehrfachbehinderte Schülerinnen und Schüler begriffen wird. Von den Förderschulen werden vielfältige Angebote zur Vorbereitung auf die berufliche und nachschulische Situation genannt (vgl. Qual).
Die Frage der Schulabschlüsse wird von vielen Eltern der Förderschüler weniger häufig thematisiert. Wurde der Wechsel allerdings erzwungen, da sich keine Schule im Sekundarbereich fand, die das eigene Kind aufnahm, so werden geringere Leistungsanforderungen durchaus kritisch betrachtet. Gleichzeitig wird aber auch wahrgenommen, dass die gegenwärtige Schülerschaft der Förderschule häufig durch ein großes Maß an Heterogenität und Lerngruppenzugehörigkeit gekennzeichnet ist. Dies mache es ungleich schwieriger, entsprechende leistungsorientierte Lerngruppen zu bilden (Qual). Eine Ausnahme bilden hier die Schüler und Eltern der Anna-Freud-Schule, die besonderen Wert darauf legen, an der Schule die Möglichkeit zu erhalten, bestmögliche Leistungen im Sinne schulischer Bildungsabschlüsse erbringen zu können. Die gleiche Einstellung vertreten Eltern und Schülerinnen bzw. Schüler der integrativen/inklusiven Schulen, die das differenzierte Lern- und Leistungsangebot ausdrücklich begrüßen. Gerade für die beiden zuletzt genannten Eltern- und Schülergruppen stellen Möglichkeiten, das Abitur zu erwerben, ein besonders wichtiges Kriterium der Schulwahl dar (Qual).

4.3.4 Personelle und strukturelle Rahmenbedingungen

Zu Beginn der Darstellung notwendiger personeller und struktureller Rahmenbedingungen aus Sicht aller Beteiligten soll noch einmal daran erinnert werden, dass die personellen Voraussetzungen (Doppelbesetzung, Teamarbeit, Fachkompetenzen) gleichermaßen wie die Frage der Haltung als wesentlich für das Gelingen erachtet wurden. Sowohl mit der qualitativen als auch der quantitativen Befragung wird jedoch ebenso deutlich, dass es neben diesen Bedingungen sowie der für Schüler mit dem Förderbedarf körperliche und motorische Entwicklung bereits beschriebenen spezifischen Angebotsstrukturen weiterer Rahmenbedingungen im personellen und strukturellen Bereich bedarf. Eltern und Lehrkräfte aller Schulformen, auch der allgemeinen Schulen, äußern die Sorge, ebenso aber auch die Annahme, dass eine schleichende Verschlechterung der Rahmenbedingungen eintreten könnte bzw. wird, wenn diese Aspekte nicht grundlegend beachtet werden (Qual/Quan).
Personelle Rahmenbedingungen

Obwohl bereits unter dem Punkt 4.3.3 angesprochen, soll hier noch einmal auf die große Bedeutung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Bereichen Therapie und Pflege sowie der Mitarbeiter, die für die Gestaltung des Ganztagsangebotes zuständig sind, hingewiesen werden. Viele Beteiligte betonen in den freien Kommentaren der standardisierten Befragung, deutlicher aber noch in den qualitativen Interviews, wie wichtig Zeiträume der Kommunikation sind, damit Kooperation bzw. Teamarbeit im Interesse der Kinder und Jugendlichen umgesetzt werden kann (vgl. auch LA). Gerade in den qualitativen Interviews wird deutlich, dass diese fest angestellten Mitarbeiter an Förderschulen ein wesentliches Element im Sinne eines qualifizierten schulischen Bildungs- und Entwicklungsangebotes darstellen. An den integrativen/inklusiven Schulen wird die positive Bedeutung der ständigen Präsenz von Mitarbeiterinnen aus den Bereichen Sozialpädagogik oder auch Psychologie hervorgehoben.

Der Einsatz von Unterrichtsbegleitern wird von zahlreichen Beteiligten sehr differenziert erörtert (Qual, ebenso freie Kommentare der Quan). Allgemein ist bei allen Beteiligten die Sorge vorhanden, dass durch preiswerte, nicht oder nicht ausreichend qualifizierte Unterrichtsbegleitungen ein schlechteres pädagogisches Angebot realisiert werden könnte, das formal zwar Inklusion genannt werden kann, nicht aber bestmögliche schulische Bildungsangebote absichert (vgl. Kapitel 4.3.2, Doppelbesetzung). Weiterhin wird einerseits wahrgenommen, dass Unterrichtsbegleiter oftmals erst eine inklusive Lernsituation ermöglichen, andererseits wird berichtet, dass Mitschüler sich bei konkreten Hilfestellungen zurücknahmen und Unterrichtsbegleitungen damit soziale Integration eher konterkarierten oder dass die ständige Präsenz hilfreicher Unterrichtsbegleiter soziale Interaktionen mit den Mitschülern eher erschwerten. Kritische Hinweise finden sich auch zum Einsatz mehrerer eingesetzter Unterrichtsbegleiter innerhalb einer Klasse, was zu einem ausgesprochen außergewöhnlichen Unterrichtsalltag führen kann.
Alle diese durchaus kritischen Beobachtungen finden sich auch in mehreren internationalen Studien, die darauf verweisen, dass ein angemessener, die soziale Interaktion unterstützender Einsatz von Unterrichtsbegleitern in jedem Fall begleitend reflektiert und angeleitet werden muss. Auch wenn Unterrichtsbegleiter keine differenzierte pädagogische oder auch therapeutische Qualifikation benötigen, so werden grundlegende Kenntnisse zur Gestaltung sozialer Beziehungen bzw. Unterstützungsbedürfnisse, die mit bestimmten Beeinträchtigungen verbunden sein können, als wesentlich beschrieben (LA).

Strukturelle Rahmenbedingungen

Fragen der baulich-räumlichen Situation haben ebenfalls eine große Bedeutung, wenn ein schulisches Inklusionsangebot für alle Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung geplant werden soll. Gleichzeitig verweisen sowohl Lehrkräfte der Förderschulen als auch der integrativen/inklusiven Schulen darauf, dass mit diesem Hinweis nicht verbunden sein darf, inklusive Unterrichtsangebote für einzelne Schülergruppen gänzlich auszuschließen. Die in den qualitativen Interviews und den freien Antworten in der quantitativen Befragung gegebenen Hinweise belegen eine differenzierte Wahrnehmung aller Beteiligten.
Eine häufig vertretene Ansicht vieler Befragten ist, dass baulich-räumliche Aspekte zwar nicht das eigentliche „Problem“ seien, da sich diese im Vergleich zu Haltungen und Einstellungen relativ einfach herstellen ließen, schulische Inklusion für die hier relevante Schülerschaft jedoch diese Bedingungen gleichermaßen erforderlich macht.
Für Lehrkräfte und Eltern der allgemeinen Schulen haben im weitesten Sinne architektonische Voraussetzungen unter anderem die größte Bedeutung, wenn sie an die Inklusion von Schülerinnen und Schülern mit dem Förderbedarf körperliche und motorische Entwicklung in ihren Schulen denken (Quan). Dies spiegelt sicherlich die derzeit gegebenen realen Bedingungen in den meisten Schulen des Landes wider, ist aber umso enttäuschender, da die entsprechenden DIN-Normen für barrierefreies Bauen zumindest für neue Gebäude schon seit mehreren Jahrzehnten gelten. Eine gerade bei Neubauten mögliche Berücksichtigung dieser Vorgaben hätte bereits seit vielen Jahren eine Erleichterung bei der Schaffung integrativer schulischer Bildungsangebote für Schüler mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung darstellen können.
Insgesamt betrachtet sind allen Befragten Voraussetzungen im Bereich der Barrierefreiheit (Rollstuhlzugänglichkeit aller Räume und Flächen einer Schule, automatisch öffnende Türen, Rampen sowie vor allem funktionierende Aufzüge) und entsprechende Räumlichkeiten (spezielle Räume für Therapien, Sanitärräume, Ruhe- und Rückzugsräume bzw. Räume zur Nutzung von Nachteilsausgleichen, Beratungsräume) wichtig bis sehr wichtig. Von Befragten aus Förderschulen wird darüber hinaus die Frage des Schulstandortes thematisiert.
Die Schülerinnen und Schüler der integrativen/inklusiven Schulen machen weiterhin auf ein aktuelles Problem aufmerksam, das auf den ersten Blick durchaus der Optimierung der Lernzeit und damit den formalen und aktuell nicht in Frage gestellten Kriterien der Unterrichtsqualität gilt: Die zunehmend genutzte Möglichkeit der Einrichtung von Fachräumen, in denen eine Lehrkraft alle notwendigen Materialien zur Verfügung hat, um direkt nach Eintreffen der Schüler mit dem Unterricht beginnen zu können. Die hierdurch notwendigen Unterrichtsgänge im Schulgebäude können von mobilitätsbeeinträchtigten Schülerinnen und Schülern kaum in der notwendigen Zeit bewältigt werden und auch den Mitschülern ist eine Hilfe hier nur schwer möglich, da auch sie pünktlich zum Unterricht eintreffen müssen. Gänzlich schwer aber wird es, wenn Aufzüge oder Treppenlifter nicht funktionsfähig sind und die mobilitätsbeeinträchtigten Schüler hierdurch in die Gefahr unnötiger stigmatisierender Situationen geraten, indem sie beispielsweise vermehrt zu spät in den Unterricht kommen.
Probleme der Zuständigkeit, der über die Jahre hinweg notwendigen Orientierung auf Barrierefreiheit und der Funktionsfähigkeit von Mobilitätshilfen sind Aspekte, die auch in den internationalen Studien immer wieder kritisch angesprochen werden. Werden hier nicht klare Verantwortungsstrukturen aufgebaut und über die Jahre hinweg gesichert, verschlechtert sich die Situation der Barrierefreiheit schleichend. Hier sind die auch die technischen Mitarbeiter einzubeziehen, da Vorschriften der Brandschutzordnung ebenso beachtet werden müssen und manches technische Problem kurzfristig mit einfachen Mitteln behoben werden kann. Zudem erscheint es ebenso bedeutsam, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesen Handlungsfeldern mit den grundlegenden Gedanken der Inklusion und besonderen Unterstützungsbedürfnissen einzelner Schüler vertraut zu machen.

Alle Befragungsgruppen sehen auch die sächliche Ausstattung der Schulen, entsprechend dem Unterstützungsbedarf der Schüler, als eine notwendige Bedingung an (Qual/Quan). Hierzu gehören, je nach Beeinträchtigung der Schüler, adaptiertes Mobiliar, angepasste persönliche, auch technische Hilfsmittel, Geräte zur Unterstützten Kommunikation, individuell erstellte Arbeitsmaterialien und nicht zuletzt physio- und ergotherapeutische Hilfsmittel. Insbesondere Schulen, die sich auf den Weg einlassen, eine inklusive Schule zu werden, benötigen hier Unterstützung auch im Sinne einer Anschubfinanzierung, da sie häufig erst einen Geräte- und Materialpool anschaffen müssen (Qual und Untersuchung zur Inklusionspauschale).
An dieser Stelle kann darauf verwiesen werden, dass der Landschaftsverband Rheinland mit Hilfe der Inklusionspauschale ein Hilfsmittel geschaffen hat, das von den beteiligten Schulen durchweg positiv erlebt wird und in der Folge den Inklusionsprozess konstruktiv unterstützt, in einigen Fällen sogar erst ermöglicht hat. Gleichzeitig aber macht die im Rahmen dieses Forschungsvorhabens durchgeführte Evaluation darauf aufmerksam, dass entsprechende Hilfsmittel frühzeitig benannt, angefordert und angepasst werden müssen, was wiederum nur mit Hilfe einer frühzeitigen Beschreibung des sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfs vor der Einschulung oder vor einer Umschulung gelingen kann .
Die Ergebnisse zahlreicher internationaler Studien machen darauf aufmerksam, dass die dauerhafte Nutzung von Hilfsmitteln, also auch die Weiterentwicklung oder gegebenenfalls die Rücknahme spezifischer sächlicher Bedingungen, keine Selbstverständlichkeit ist. So wird berichtet, dass diese im Alltag immer wieder kaum oder nicht genutzt werden, ihr Gebrauch unangemessen kommentiert oder verweigert wird und Pädagogen Wissen fehlt, wie sie diese in ihrem Unterricht nutzen können. Die vom Forschungsteam entwickelte Handreichung sieht deshalb vor, dass die Nutzung und Begleitung der Hilfsmittel, die oftmals gerade für schwerer beeinträchtigte Schülerinnen und Schüler wesentlich sind, personell zugeordnet wird. Dies können Lehrkräfte einer allgemeinen Schule sein, die sich weiterqualifiziert haben, ebenso aber auch Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen oder therapeutische Fachkräfte. Gerade Letztere können Lehrkräfte der allgemeinen Schule anfänglich auch in die Entwicklung individualisierter Arbeitsmaterialien einführen und begleiten.

4.3.5 Schulorganisatorische Bedingungen

In diesem Kapitel werden alle Erkenntnisse des Forschungsprojektes zu erforderlichen und inklusionsunterstützenden Kommunikations- und Kooperationsstrukturen dargestellt, die für die (Weiter-) Entwicklung inklusiver Prozesse an der einzelnen Schule verantwortlich sind. Der Beschreibung dieser Strukturen im Einzelnen sei folgendes vorweggestellt: Zum einen berichten die Schüler, die den gemeinsamen Unterricht verlassen hatten, sowie deren Eltern von fehlenden Strukturen der Informationsweitergabe (v.a. Behinderungsbild und Auswirkungen, Nachteilsausgleiche, spezifische Absprachen) und den damit verbundenen belastenden Situationen für die Kinder und Jugendlichen (vgl. auch LA). In diesem Zusammenhang berichten viele dieser Eltern von einer überaus negativ erfahrenen Kooperation mit den ehemaligen Schulen. Zum anderen zeigen die qualitativen Interviews mit den Beteiligten der integrativen/inklusiven Schulen, dass gerade der Bereich der Kommunikation und Kooperation sehr viel Aufmerksamkeit erfährt, indem diese Schulen „sehr viel Zeit darauf [verwenden], dass das funktioniert, weil für mich ist das das A und O. Wenn das nicht funktioniert…“, so die Schulleitung einer integrativen/inklusiven Schule zu diesem Aspekt.
Kommunikative und kooperative Strukturen innerhalb der Schule
An allen beteiligten Integrations-/Inklusions- und Förderschulen gibt es daher Strukturen (Mitarbeiterrat, pädagogisch-therapeutische Konferenzen, Klassenteams etc.), die unter anderem dafür Sorge tragen wollen, den Informationsfluss möglichst intensiv zu gestalten und dabei vor allem den einzelnen Schüler und dessen Unterstützungsbedarf im Blick haben. In diesem Zusammenhang heben vor allem die Förderschulen hervor, dass die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Berufsgruppen „sehr groß geschrieben“ werde. An den integrativen/inklusiven Schulen wird die Möglichkeit der kontinuierlichen Beratung und Fortbildung durch die dauerhaft an der Schule tätigen Sonderpädagoginnen besonders hervorgehoben. Interne und externe Fortbildungsmaßnahmen erscheinen allen befragten Lehrergruppen darüber hinaus als eine weitere geeignete und notwendige Struktur, um eigenen Informationsbedarfen nachzukommen und um hierdurch den einzelnen Schüler sowie inklusive Prozesse bestmöglich zu unterstützen (Qual). Mit der quantitativen Erhebung kann ergänzend darauf verwiesen werden, dass sich insbesondere die Lehrkräfte der allgemeinen Schulen umfassende Informationen zu Fragen der unterschiedlichen Beeinträchtigungen wünschen, Lehrkräfte der integrativen/inklusiven Schulen vor allem weitere Fortbildungen zu unterrichtsmethodischen Aspekten.
Kooperation zwischen Schule und Elternhaus
Von allen Beteiligten wird zudem immer wieder auf die für das Gelingen schulischer Inklusion zentrale Bedeutung einer intensiven und wertschätzenden Kooperation zwischen Schule und Elternhaus hingewiesen (Qual/Quan/LA). Wie einleitend erwähnt, berichten Eltern von Schulwechslern von geradezu tragisch zu bezeichnenden Situationen der Kooperationsverweigerung und erlebten die erwünschte und im Interesse des Kindes notwendige intensive Kooperation erst an der anschließend aufgesuchten Förderschule körperliche und motorische Entwicklung. Lehrkräfte und Schulleitungen beider Schulformen berichten aufgrund der veränderten Ausgangsvoraussetzungen im Falle einer Behinderung daher von der Notwendigkeit, Abstand von einer „regulierten“ Kooperation zu nehmen. Vielmehr erfordere die Zusammenarbeit mit dem Elternhaus oftmals vermehrt, eine intensive Vertrauensbasis zu schaffen. Hierzu gehöre es auch, das Fach- und Erfahrungswissen der Eltern ernst zu nehmen und die Eltern auf vielfältige Weise in das Schulleben einzubinden.
Konzeption für schulische Inklusion
Schließlich zeigen die Beispiele der an der qualitativen Studie teilgenommenen integrativen/inklusiven Schulen, dass sich Schulen, die sich zu inklusiven Schulen entwickeln wollen, umfassend konzeptionell auf diesen Schulentwicklungsprozess einstellen müssen. Dieser Prozess sollte frühzeitig begonnen und mit allen Beteiligten sowie unter besonderer Verantwortung der jeweiligen Schulleitung durchgeführt werden. Eine konzeptionelle Verankerung inklusiver Schulentwicklungsprozesse erscheint dringend notwendig zu sein, um das aufgezeigte Bedingungsgefüge miteinander zu verzahnen und leistet hierdurch einen wesentlichen Beitrag, schulische Inklusion als bewusste Entscheidung und einen reflektierten Prozess im Sinne aller Beteiligten zu gestalten. Damit diese mit schulischer Inklusion verbundenen und Schule zugleich verändernde Schulentwicklungsprozesse jedoch als Chance erfahrbar werden, bedürfen sie ebenso der Unterstützung durch Schuladministration und Bildungspolitik.
Auf einen grundlegenden Aspekt der Entwicklung der Schulkonzeption und deren Evaluation soll an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich eingegangen werden. In den qualitativen Interviews wurde sehr deutlich, dass dieser Schulentwicklungsprozess weit über die Einführung eines neuen Faches, der Einstellung auf zum Beispiel Vergleichsarbeiten oder sogar die die Einführung des G8 hinausgeht. Alle diese Entwicklungen erforderten viele Ressourcen, begriffen Schule aber immer als vornehmlich leistungsermöglichende bzw.-fordernde Institution. Die Entscheidung, sich zu einer inklusiven Schule entwickeln zu wollen, erfordert allerdings eine Umorientierung des schulischen bzw. pädagogischen Blickwinkels hin zu einer stärkeren Öffnung gegenüber sozialen Prozessen, ohne den Aspekt der schulischen Leistung hierdurch aufzugeben, sie erfordert mehr Kooperation mit außerschulischen Einrichtungen, den Eltern und weiteren Fachkräften sowie ebenso mehr Absprachen und Öffnung im Kollegium, als es bisher der Fall ist. Dieser Prozess muss mit allen Beteiligten, selbst den Mitarbeitern der Schule aus Technik und Verwaltung, angegangen werden. Hierzu sind die Unterstützung aller beteiligten politischen Stellen und sicherlich auch ein breit angelegter gesellschaftlicher Konsens notwendig.

4.3.6 Bildungs- und gesellschaftspolitische Aspekte

Im Folgenden werden wesentliche und häufig angesprochene bildungs- oder gesellschaftspolitische Einschätzungen der Befragten hinsichtlich der zukünftigen Ausgestaltung inklusiver schulischer Bildungsangebote dargestellt. Neben dem fehlenden integrativen/inklusiven Platzangebot vor allem in Schulen der Sekundarstufe-I sowie Hinweisen zur Lehrerbildung werden hier auch grundlegende Aspekte zum Einsatz der sonderpädagogischen Lehrkräfte thematisiert.
So wird von vielen qualitativ befragten Personen sowie in zahlreichen offenen Antworten im Rahmen der quantitativen Befragung angemerkt, dass die vielen fehlenden Plätze in Schulen der Sekundarstufe-I eine bedauerliche Realität darstellen, die eine freie Wahl des Lernortes für Schülerinnen und Schüler mit dem Förderbedarf körperliche und motorische Entwicklung erschweren bzw. in den letzten Jahren unmöglich machten.
Ebenso kritisch wird darauf hingewiesen, dass in der Lehrerbildung der allgemeinpädagogischen Lehrämter, trotz vielfältiger Hinweise, bisher keine Verpflichtung besteht, sich mit behinderungsspezifischen Fragestellungen und entsprechenden differenzierenden Unterrichtsmethoden auseinanderzusetzen. Der Ansicht vieler Befragten nach stellte die Aufnahme solcher Inhalte in alle Lehramtsstudiengänge eine unverzichtbare Voraussetzung für eine gelingende schulische Inklusion dar. Zu berücksichtigen seien jedoch auch die veränderten fachlichen Anforderungen an sonderpädagogisch qualifizierte Lehrkräfte im gemeinsamen Unterricht.
Hinsichtlich des personellen Bereichs wird von Seiten der Lehrkräfte an integrativen/inklusiven Schulen angemerkt (Qual),

Immer wieder wird aber auch angesprochen (Qual/Quan), dass die derzeit gegebene unklare bildungspolitische Situation offensichtlich dazu führt, dass alle Beteiligten verunsichert sind und Schulen Schülerinnen und Schüler mit dem Förderbedarf körperliche und motorische Entwicklung oder anderen Beeinträchtigungen aufnehmen und aufnehmen müssen, ohne sich, wie dargestellt, hierauf umfassend konzeptionell vorbereiten zu können.
In diesem Zusammenhang wird von sehr vielen Interviewten und Befragten die Sorge angesprochen, dass eine unstrukturierte, verordnete, nicht fachlich und finanziell abgesicherte schulische Inklusion in der Gefahr steht, zu Qualitätseinbußen zu führen und damit eine schulische Bildungssituation entsteht, die weder pädagogisch noch im Sinne der UN-Konvention als bestmöglich bezeichnet werden kann.
Auch weisen internationale Erfahrungen, die im Rahmen der Literaturanalyse ausgewertet wurden, darauf hin, dass erforderliche Hilfs-, Lehr- oder Lernmittel nicht angeschafft werden konnten, wenn unklar war, ob das Bildungs- oder Gesundheitssystem für die Kostenübernahme zuständig war. Hier scheinen klare Regelungen erforderlich, die bei Unklarheiten im Hinblick auf die Verantwortlichkeit sicherstellen, dass dem Schüler erforderliche Hilfen unmittelbar zur Verfügung stehen.

4.4 Einstellungen zur Entwicklung schulischer Inklusion für Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung in NRW

Wer die Diskussion über eine inklusive Schulentwicklung der letzten Jahre verfolgte, erlebte eine ausgesprochen kontroverse Diskussion, die zum Teil ausgesprochen polarisierend geführt wurde. Die Ergebnisse der quantitativen Erhebung legen jedoch eine sehr differenzierte Betrachtungsweise der Frage nach inklusiven Schulentwicklungsprozessen nahe. Im Folgenden sind wesentliche Ergebnisse dargestellt, die als empirische Grundlage bei der Implementierung und Ausgestaltung derartiger Prozesse zu berücksichtigen sind.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Eltern an Förderschulen in der sehr großen Mehrheit zufrieden mit der Arbeit und den Angebotsstrukturen dieser Schulen sind und viele Eltern sich klar für die Beibehaltung des schulischen Angebotes der Förderschule körperliche und motorische Entwicklung aussprechen. Gleichzeitig besteht aber bei einem relativ großen Prozentsatz dieser Eltern aktuell auch der Wunsch nach einem inklusiven Schulbildungsangebot für ihr Kind. Dieser Wunsch, darauf deuten viele Äußerungen der qualitativen Antwortmöglichkeiten hin, wird davon abhängig gemacht und ist zudem umso eher vorhanden, ob und je mehr derjenigen Bedingungen erfüllt sind, die in den vorangegangenen Kapitel ausführlich beschrieben wurden.
Ausführlich werden nun die folgenden Fragestellungen behandelt:

4.4.1 Zufriedenheit der Eltern mit den schulischen Angebotsstrukturen (Förder- und Integrations-/Inklusionsschule)

 

Abbildung 3: Würden Sie Ihr Kind wieder an der jetzigen Schule anmelden? (Angaben in Prozent, FS = Förderschule, IS = integrative/inklusive Schule)

Um die Zufriedenheit der Eltern mit der aktuell besuchten Schule des Kindes zu erfassen, wurden die Eltern gefragt, ob sie ihr Kind wieder an der Schule anmelden würden. Insgesamt bejahen fast 93 % der Eltern an integrativen/inklusiven Schulen und annähernd 82 % der Eltern an Förderschulen körperliche und motorische Entwicklung diese Frage. Angesichts dieser hohen Werte erfahren also beide schulischen Angebotsformen eine große Zustimmung innerhalb der befragten Elternschaft, die auch als eine Wertschätzung der an den Schulen geleisteten Arbeit verstanden werden kann.
Fragt man genauer, womit Eltern beider Schulformen im Vergleich zufriedener oder gleich zufrieden sind, dann zeigt sich folgendes Bild:

Tabelle 5: Zufriedenheit aus der Perspektive der Eltern


Gleiche Zufriedenheit an beiden Schulformen

Höhere Zufriedenheit an Förderschule kmE

Höhere Zufriedenheit an integrativer/inklusiver  Schule

  • Förderung der Selbständigkeit
  • Leistungsentwicklung
  • Ganztagsangebot
  • Personelle Ausstattung
  • Ausstattung Lehr- und Lernmittel
  • Zusammenarbeit Schule Eltern
  • Umgang mit Behinderung an der Schule
  • Hausaufgaben/Freizeit
  • Gutes Lehrer-Schüler-Verhältnis
  • Teilnahme am Sportunterricht
  • Therapieangebot
  • Pflegeangebot
  • barrierefreie Architektur
  • Berufsaussichten
  • Entwicklung sozialer Fähigkeiten
  • sozialer Kontakt zu Mitschülern

 

Beide Gruppen sind mit zahlreichen Elementen des schulischen Alltags sehr zufrieden oder zufrieden (m=1,5-2,5 / 1=sehr zufrieden, 5=gar nicht zufrieden), unterscheiden sich aber in den in Tabelle 5 angeführten sechs Bereichen signifikant voneinander. Festzuhalten ist weiterhin, dass Eltern an Förderschulen mit den Berufsaussichten ihrer Kinder relativ gesehen am unzufriedensten sind, womit auch auf eine gesellschaftliche Verantwortung zur Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten für Schülerinnen und Schüler mit höherem Unterstützungsbedarf und mehrfachen Beeinträchtigungen verwiesen wird. Eine hohe Standardabweichung im Antwortverhalten „Zufriedenheit mit dem Therapieangebot“ weist überdies darauf hin, dass es Eltern gibt, die die Entwicklung des therapeutischen Angebots der Förderschulen bereits deutlich kritischer wahrnehmen, auch wenn es insgesamt noch eher positiv beurteilt wird.
Verbesserungswünsche der Förderschuleltern (vgl. offene Antworten der Quan) beziehen sich denn auch auf den Erhalt des bisher breiten Therapieangebots durch Neueinstellungen, auf einen stärker leistungsorientierten und schulabschlussbezogenen Unterricht der Schüler, auf eine gewünschte Ferienbetreuung, die Vermeidung von Unterrichtsausfall und eine Öffnung hin zu inklusiven Unterrichtsmöglichkeiten. Deutlich wird aber auch, dass zahlreiche Eltern mit dem bestehenden Angebot vollauf zufrieden sind. Dies gilt ebenso für die hier befragten Eltern an integrativen/inklusiven Schulen, von denen sich einige ein differenzierteres Ganztagsangebot sowie die Integration therapeutischer Angebot in den Ganztag wünschen.
Diese Ergebnisse verweisen somit deutlich auf eine hohe Zufriedenheit der Förderschuleltern mit der Arbeit und den Angebotsstrukturen der Förderschulen körperliche und motorische Entwicklung. Es kann also nicht davon ausgegangen werden, dass die meisten Eltern mit der Arbeit sowie dem schulischen Bildungsangebot der Förderschulen körperliche und motorische Entwicklung überwiegend unzufrieden sind und ihr Kind deshalb so rasch wie möglich an einer allgemeinen Schule anmelden wollen. Gleichzeitig gibt es aber viele Eltern, die für ihr Kind die Möglichkeit eines inklusiven schulischen Bildungsangebotes begrüßen, wie den folgenden Ergebnissen zu entnehmen ist.

4.4.2 Wunsch der Eltern und Schüler an Förderschulen körperliche und motorische Entwicklung nach einem inklusiven Bildungsangebot

Eltern sowie Schülerinnen und Schüler der Förderschulen können sich in einem hohen Maß einen Wechsel in eine inklusive Schulsituation vorstellen. Obwohl 82 % der Eltern der Förderschule die Schulform bzw. die einzelne Schule ihres Kindes erneut wählen würden, können sich gleichzeitig fast 37 % der Eltern den Besuch einer inklusiven Schule vorstellen. Auch bei den hier befragten Schülern können sich ebenfalls 37 % den Besuch einer inklusiven Schule vorstellen. Interessant ist diese Zahl zudem, da es möglich war, die Schülerinnen und Schüler der Förderschulen ein Viertel Jahr nach deren Eltern zu befragen.

Abbildung 4: Antworten der Förderschuleltern und Schüler an Förderschulen auf die Frage, ob Interesse zum Wechsel in den gemeinsamen Unterricht besteht (Angaben in Prozent)

Eine differenzierte Analyse weiterer Antworten zeigt,

Der hohe Prozentsatz der Eltern, die in dieser Frage unentschlossen sind (37,8 %), bringt mit Verweis auf die offene Antwortmöglichkeit die Sorge und Skepsis der Eltern zum Ausdruck, dass die in den vorangegangenen Kapiteln bereits ausführlich dargestellten Rahmenbedingungen (inklusive des sozialen Bereiches) fehlten oder nicht entsprechend verwirklicht würden können. Dies kann als ein klarer Hinweis darauf verstanden werden, dass wesentlich mehr Eltern als die 36,5 % einen inklusiven schulischen Bildungsort wählen würden, wenn dort die Sicherstellung der entsprechenden Rahmenbedingungen gewährleistet wäre und es somit zu keinen Qualitätseinbußen gegenüber der bisherigen Förderung an Förderschulen körperliche und motorische Entwicklung käme.
Das Ergebnis weist überdies darauf hin, dass die Förderschule körperliche und motorische Entwicklung keine Schulform ist, die von allen Eltern und Schülern abgelehnt wird. So gibt ein Viertel der Eltern an, sich einen Wechsel ihres Kindes in eine inklusive Lernsituation grundsätzlich nicht vorstellen zu können. Zur Begründung geben die Eltern, trotz einer mehrmals betonten positiven Haltung zur schulischen Inklusion, an, dass aufgrund der Schwere der Behinderung ihres Kindes die Förderschule körperliche und motorische Entwicklung der richtige Ort der Förderung sei bzw. ein Schulbesuch einer Regelklasse zur Überforderung aller Beteiligten führen würde und dies der notwendigen individuellen Förderung des Kindes nicht gerecht würde.
Der Wunsch nach mehr gemeinsamem Unterricht resultiert also nicht aus einer Unzufriedenheit mit den Förderschulen und deren Angeboten, sondern bringt den Wunsch nach stärkerer gesellschaftlicher Partizipation zum Ausdruck, unter der Prämisse, dass die bisherige Qualität der Förderung erhalten bleibt. Unter den gegebenen Voraussetzungen sehen viele Eltern diese Möglichkeiten derzeit noch eher an den Förderschulen verwirklicht, ziehen einen Wechsel aber umso eher in Betracht, je umfangreicher diese Bedingungen in einem inklusiven Angebot vorhanden sind.

4.4.3 Bereitschaft zur Mitarbeit in einer inklusiven Schule (Lehrkräfte und Mitarbeitende an Förderschulen)

Neben den Schülerinnen und Schülern selbst sowie deren Eltern wurden ebenso die Lehrkräfte und Mitarbeitenden (Therapeutinnen und Pflegekräfte) der Förderschulen zu ihrer Bereitschaft zur Mitarbeit in der schulischen Inklusion gefragt. Es zeigte sich, dass über 40 % der befragten Förderschullehrkräfte eine persönliche Mitarbeit in einer inklusiven Schule als Lehrkraft im Zwei-Pädagogen-System begrüßen würden (18 % Mitarbeiter). Knapp 20 % der Lehrkräfte könnten sich eine solche Tätigkeit stundenweise vorstellen (46 % Mitarbeiter), solange die Förderschule weiterhin als Stammschule fungiert und annähernd 10 % beider Gruppen wären gerne in einer externen beratenden Funktion tätig. Mehr als ein Viertel (28 % Lehrer, 26 % Mitarbeiter) beider Gruppen zieht die Möglichkeit einer Tätigkeit in einer inklusiven Schule für sich hingegen generell nicht in Betracht.

4.4.4 Bereitschaft zur Mitarbeit in einer inklusiven Schule (Lehrkräfte und Eltern an allgemeinen Schulen)

In den allgemeinen Schulen, die bisher wenig oder keine Erfahrung mit der hier angesprochenen Schülergruppe haben, wurden die Lehrkräfte gefragt, in welchem Maße sie davon ausgehen, dass im Kollegenkreis Offenheit gegenüber der Aufnahme von Schülerinnen und Schülern mit einer körperlichen Beeinträchtigung bestehen würde. Insgesamt 82,4 % gingen davon aus, dass diese Offenheit weitgehend oder auch ‚teils/teils‘ gegeben sei. Diese Annahme wurde auch von den Eltern der allgemeinen Schulen aller Schulformen geteilt (Vorhandensein eines sozialen Klimas für den gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Körperbehinderung: 24,2 % voll und ganz; 45,3 % ‚teils/teils‘).
Aufgrund der Ergebnisse der qualitativen Untersuchung wurde in der quantitativen Untersuchung nicht nur pauschal erfragt, ob sich die befragten Lehrkräfte in allgemeinen Schulen vorstellen können, dass Schüler mit dem Förderbedarf körperliche und motorische Entwicklung aufgenommen werden. Vielmehr wurde nach ihrer Bereitschaft, unterschiedliche Schülergruppen aufzunehmen, gefragt. In den Fragebögen wurden drei Schülergruppen konstruiert:
Schüler A: Nutzt einen Rollstuhl und hat keine weiteren Einschränkungen.
Schüler B: Nutzt ebenfalls einen Rollstuhl und hat zusätzlich einen erhöhten Pflegebedarf (Hilfe beim Toilettengang, spricht schwer verständlich, nutzt einen Sprachcomputer).
Schüler C: Nutzt einen Rollstuhl und hat zusätzlich eine geistige Behinderung.
Diese Konstruktion stellt ein Hilfsmittel dar, da Menschen unterschiedliche Vorstellungen zu einzelnen Beeinträchtigungen haben, andererseits aber im Rahmen dieser Untersuchung mit einfachen Mitteln versucht werden sollte, die Heterogenität der Schülerschaft abzubilden. Mit der Gruppe C wurde hierbei versucht, Schüler mit komplexen Beeinträchtigungen zu beschreiben.

Abbildung 5: Inklusion in der Klasse des eigenen Kindes vorstellbar (Angaben in Prozent)

In Abbildung 4 sind die Antworten der Eltern der allgemeinen Schule zur Frage dargestellt, ob sie sich eine Aufnahme des jeweiligen Schülers ‚in Klasse meines Kindes‘ und ‚gar nicht / Förderschule‘ vorstellen können,. Die fehlenden Werte sind die Angaben zur Antwortmöglichkeit „mir egal“ oder „in eine andere Klasse“. Deutlich werden zunächst die großen Unterschiede zwischen den drei Schülergruppen. Positiv hervorgehoben werden kann zunächst, dass sich zahlreiche Eltern aller befragten allgemeinen Schulformen eine deutlich stärkere Integration/Inklusion von Schülern mit einer vornehmlichen körperlichen Beeinträchtigung vorstellen können. Aber auch mehr als die Hälfte dieser Eltern sprechen sich für die Aufnahme von Schülern mit Pflegebedarf, die zudem sprachliche Probleme haben, aus. Immerhin noch 25 % der befragten Eltern befürworten eine Unterrichtung eines Schülers mit einer körperlichen sowie einer geistigen Behinderung in der Klasse des eigenen Kindes. Gleichzeitig lehnen dies aber auch 75 % der befragten Eltern ab.
Die folgende Abbildung 5, die die Aussagen der zustimmenden Lehrkräfte an allgemeinen Schulen beschreibt, unterscheidet zwischen Lehrkräften, die bereits Erfahrung im integrativen Unterricht gemacht haben, dies aber nicht unbedingt mit der hier diskutierten Schülergruppe, sowie Lehrkräften ohne diese Erfahrung.


Abbildung 6: Prozentzahl an Lehrkräfte, die die Aufnahme von Schülern A, B, C in ihrem Unterricht begrüßen in Abhängigkeit ihrer Erfahrung (AS = allgemeine Schule, IS = integrative/inklusive Schule, GU = gemeinsamer Unterricht)

Es zeigt sich eine ähnliche, wenn auch weniger positive Einschätzung im Vergleich zu den Eltern der allgemeinen Schulen. Deutlich positiver wird die Möglichkeit des inklusiven Unterrichts durch Lehrkräfte mit Erfahrung im Vergleich zu denen ohne Erfahrung bewertet. Dies zeigt sich insbesondere bei den Schülergruppen B und C, bei denen die positive Bewertung mehr als das Doppelte beträgt. Bemerkenswert erscheint ebenfalls, dass sich für Schüler der Gruppe A bei beiden Gruppen eine sehr hohe Zustimmung zur schulischen Inklusion zeigt. Zum Vergleich wurden die Werte der Lehrkräfte an integrativen/inklusiven Schulen eingefügt, die sich die Inklusion der Schülergruppe A zu fast 100 % vorstellen können und auch bei Schülergruppe B noch in sehr hohem Maße Zustimmung signalisieren. Obwohl also tendenziell erfahrener und sicherer in der Gestaltung inklusiver Lern- und Lebensbedingungen, ist bei der Schülergruppe C eine deutlich größere Skepsis auch bei den Lehrkräften an integrativen/inklusiven Schulen festzustellen. Diese Einschätzung wird zudem dadurch bekräftigt, dass sich 46 % Lehrkräfte der integrativen/inklusiven Schulen für die Beibehaltung der Förderschulen körperliche und motorische Entwicklung aussprechen, da diese derzeit „wichtig für manche Schüler sei“.
Die Untersuchungsergebnisse weisen also ein deutliches Interesse und eine recht hohe Bereitschaft der Befragten auch an allgemeinen Schulen auf, sich für Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf körperliche und motorische Entwicklung zu öffnen und inklusive Schulentwicklungen zu initiieren. Unsicherheit in einem höheren Ausmaß besteht vor allem bei der dritten Gruppe. Wie bereits dargestellt, belegen die Ergebnisse ebenfalls, dass sich viele Eltern und Schüler der Förderschulen inklusive Förderangebote wünschen, ohne dass die Förderschule als solche gegenwärtig in Frage gestellt wird.
Abschließend wurden alle Beteiligten gefragt, wie rasch der Prozess einer inklusiven Schulentwicklung betrieben werden soll. Deutlich wird, dass sich kaum eine befragte Gruppe eine sofortige Umsetzung wünscht (ausgenommen Eltern an Integrativen / Inklusiven Schulen zu 17,5 % und Eltern an Förderschulen zu 13,1 %), größere Gruppen stimmen der Aussage zu, dass keine vorschnellen Entscheidungen getroffen werden sollen und 28 % bzw. 29 % der Eltern an allgemeinen Schulen sowie integrativen/inklusiven Schulen wünschen sich eine Umsetzung in den nächsten zwei bis drei Jahren. Für einen Zeitraum von 10 Jahren sprechen sich 39 % der Förderschullehrer sowie 24 % der Mitarbeiter an Förderschulen aus. Insgesamt zeigt sich, dass die Lehrkräfte und Eltern der integrativen/inklusiven Schulen deutlich für eine raschere Entwicklung inklusiver Schulstrukturen plädieren als Eltern und Lehrkräfte der allgemeinen Schulen sowie insbesondere Eltern, Lehrkräfte und Mitarbeiter der Förderschulen.


Abbildung 7: Vorstellung zum Zeitraum der Entwicklung inklusiver Schulstrukturen (FS = Förderschule, AS = allgemeine Schule, IS = integrative/inklusive Schule)
Die hier dokumentierte Bereitschaft zur Entwicklung inklusiver Schulstrukturen wird unabhängig von der Frage des Zeitrahmens von ausnahmslos allen Befragungsgruppen an konkrete, benennbare Bedingungen geknüpft, die in dieser Zusammenfassung differenziert dargestellt wurden. Die Beispiele der integrativen/inklusiven Schulen zeugen hierbei davon, dass es dieser Bedingungen bedarf, um schulische Inklusion für alle Beteiligten als einen bereichernden Prozess erfahrbar werden zu lassen. Dies kann als konkreter Auftrag an die Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen verstanden werden.

5. Abschließende Hinweise

Das hier vorgestellte Forschungsprojekt beschäftigt sich im Rahmen einer mehrdimensional angelegten umfassenden Studie mit einer im inklusiven Forschungskontext bisher nur in geringem Ausmaß erfassten Personengruppe, der Gruppe der Schülerinnen und Schüler mit körperlichen und/oder mehrfachen Beeinträchtigungen. Unsere Ergebnisse verweisen darauf, dass es dringend geboten ist, auch in inklusiven Lernsituationen spezifische Unterstützungsbedürfnisse sowohl in unterrichtlichen, als auch in sozialen Situationen außerhalb des Unterrichts differenziert zur Kenntnis nehmen, wenn bestmögliche Bildungssituationen realisiert werden sollen. Die Einbeziehung von Eltern und Lehrkräften an Schulen, die bisher wenig oder keine Erfahrung mit Inklusion haben, benennt zudem deutliche Anforderungen an Fortbildung und Aufklärung im Vorfeld schulischer Inklusionsstrategien. Die erstmalige Befragung der Eltern an Förderschulen körperliche und motorische Entwicklung sowie von Schülerinnen und Schülern an diesen Schulen verweist darauf, dass bei dieser Schülergruppe nicht pauschal davon ausgegangen werden kann, dass schulische Inklusion generell gewünscht wird, sondern alle Beteiligten differenziert die Qualität des Bildungsangebots im Blick haben.

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[1] Zur Methodik und zum genaueren Vorgehen der einzelnen Studien vgl. die entsprechenden Kapitel im Forschungsbericht.
[2] Davon 6 mit Migrationshintergrund.

[3] Die Responderquote an der Förderschule beträgt mindestens 62 %. Der Wert ist hier geschätzt, da die Klassenlehrkräfte selbst die Fragebögen an Schüler verteilt haben, die in der Lage waren, den Bogen selbstständig oder mit Assistenz auszufüllen.