Merle Hummrich: Zum Umgang mit interkultureller Heterogenität
Abstract: Die Rede von der Inklusion in der Sonderpädagogik berührt viele Aspekte, die auch in der Migrationspädagogik diskutiert werden, auch wenn die jeweiligen Differenzierungslinien unterschiedliche sind. Fragen zum pädagogischen Umgang mit interkultureller Heterogenität werden dabei oftmals unter Bezugnahme auf ein umfassendes Anerkennungsgebot normativ beantwortet. Hierbei wird jedoch kaum beachtet, dass damit neue Differenzsetzungen erfolgen. Dieses Dilemma greift der vorliegende Beitrag auf, wobei er darauf zielt, exemplarisch auf ähnliche Diskussionslinien des Inklusionsgedankens, wie er in der Sonderpädagogik diskutiert wird, zu verweisen.
Stichworte: Heterogenität, Differenz, Migrationspädagogik, Anerkennungsdilemma, Inklusion, Integration
Inhaltsverzeichnis
- Der allgemein-pädagogische Referenzrahmen der Frage nach dem Umgang mit Heterogenität
- Die Diskussion um den pädagogischen Umgang mit interkultureller Heterogenität
- Inklusion und interkulturelle Pädagogik – Ähnlichkeiten und offene Fragen
- Fazit: zwischen Heterogenisierung und Homogenisierung
- Literatur
1. Der allgemein-pädagogische Referenzrahmen der Frage nach dem Umgang mit Heterogenität
Wer sich mit Heterogenität und Inklusion befasst, kommt – egal welche Heterogenität gemeint ist – an einem Theoretiker nicht vorbei: Johann Friedrich Herbart (1808). Dieser konstatierte: „Die Verschiedenheit der Köpfe ist das große Hindernis aller Schulbildung. Darauf nicht zu achten ist der Grundfehler aller Schulgesetze, die den Despotismus der Schulmänner begünstigen und alles nach einer Schnur zu hobeln veranlassen“ (Herbart 1808, 453). Gerne wird hier nur der erste Satz zitiert, der suggeriert, dass die pädagogischen Probleme durch die unterschiedlichen Voraussetzungen bedingt seien, die die Lernenden in die Schule hineintragen. Dies finden wir in zahlreichen Beiträgen zu den Ursachen sozialer Ungleichheit wieder – insbesondere in Zusammenhang mit PISA wird dabei immer wieder auf die Problematik hingewiesen, die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund hier verursachen. Die Frage, welchen Beitrag Schule – und in diesem Zusammenhang die institutionelle Diskriminierung (vgl. Gomolla/Radtke 2001) oder die systemischen Bedingungen (vgl. Bourdieu/Passeron 1971) – dazu leistet, dass der Bildungserfolg systematisch nicht erfolgt, dass keine Integration stattfindet, wird nicht beachtet. Dabei verortet gerade Herbart mit seinem Verweis auf das unheilvolle Zusammenspiel von Schulgesetzen und Schulverwaltung die Problematik eher auf Seiten der Institution, denn bei den Lernenden selbst. Dass sie unterschiedlich sind, ist für ihn notwendige Ausgangsbedingung pädagogischen Handelns, dass dies durch die Maßgabe „alle nach einer Schnur zu richten“ (Herbart 1808, 453), also nicht auf individuelle Entwicklungspotenziale und -risiken einzugehen, verhindert wird, liegt eher am institutionellen Charakter der Schule, weniger an der Lehrer-Schüler-Interaktion. Die Frage nach dem Umgang mit Heterogenität hat in der Allgemeinen historischen Pädagogik also einen gemeinsamen Ursprung und erst die Ausdifferenzierung in die unterschiedlichen Subdisziplinen führt dazu, dass der Begriff der Heterogenität in ihnen jeweils unterschiedlich besetzt ist: in der Sonderpädagogik geht es um durch die Differenzierung in behindert und nicht-behindert verursachte Heterogenität, in der Migrationspädagogik um die, die durch Migration/Nicht-Migration verursacht wird – dies kann man für milieubedingte, geschlechtsbedingte, persönlichkeitsbedingte, begabungsbedingte Differenzierungen beliebig fortsetzen.
Dank intersektionaler und interdependenter Perspektiven (vgl. Walgenbach 2007) werden schließlich die Differenzen wieder zusammengeführt und es wird daraus die Einsicht formuliert, dass doch irgendwie alle verschieden seien und festgestellt, dass es in den Subdisziplinen erstaunliche Parallelen der Diskurse gibt. Vor diesem Hintergrund entstand der folgende Beitrag. Die Perspektive, die von mir in diesem Zusammenhang eingenommen wird, ist eine migrationspädagogische, die exemplarisch Versuche unternimmt, Bezüge zur inklusiven Pädagogik herzustellen. Zugleich ist es ein Ziel dieses Beitrags, die Konzepte, die sich mit dem Anspruch an Inklusion verbinden, kritisch zu betrachten und die oftmals normativen Ansprüche, die sich für den professionellen Umgang mit Unterschiedlichkeit ableiten, auf ihre Möglichkeiten und Grenzen hin zu befragen.
2. Die Diskussion um den pädagogischen Umgang mit interkultureller Heterogenität
Vier Stationen scheinen mir wichtig, bei der Frage nach dem pädagogischen Umgang mit interkultureller Heterogenität zu nennen:
- Die Phase der Ausländerpädagogik: In der ersten Zeit der Arbeitsmigration nach Westdeutschland stellte sich Migration nicht als professionelle Handlungsanforderung dar. Erst mit dem Nachzug der Kinder der Gastarbeiterinnen und -arbeiter wuchs ein Bewusstsein für die Notwendigkeit „Ausländerkinder in deutschen Schulen“ (Müller 1974, zit. n. Mecheril 2004) aufzunehmen. Während anfangs noch keine Schulpflicht für Gastarbeiterkinder galt, wurde mit zunehmendem Bewusstsein um die Dauerhaftigkeit der Migration auch die Integrationsnotwendigkeit deutlich. Der Fokus lag in dieser Zeit vor allem auf dem Feststellen von Defiziten und Problemkonstellationen von Seiten der Ausländerkinder. Die Kultusministerkonferenz von 1964 stellte zudem das Bildungssystem vor die doppelte Herausforderung: die Beschulung zu ermöglichen und gleichzeitig der Rückkehroption Rechnung zu tragen (Mecheril 2004). Die Umgangsweise mit den Kindern der Migrantinnen und Migranten wurde dabei im Nachhinein als Ausländerpädagogik bezeichnet. Dabei kann nicht die Rede davon sein, dass es ‚die eine’ Ausländerpädagogik, im Sinne eines planvollen Umgangs mit Migrantenkindern gegeben hat. Vielmehr, so argumentieren Diehm und Radtke (1999, 134), muss Ausländerpädagogik „als pragmatische Anpassung der Organisation Schule an die unklaren Rahmenbedingungen“ und „muddling throug/ Durchwursteln“ verstanden werden, das zudem durch ein defizitorientiertes Bild gegenüber den „Gastarbeiterkindern“ geprägt war.
- Die Entdeckung der interkulturellen Pädagogik: In den 1980er und vor allem 1990er Jahren setzte zunehmend Kritik am Problem-, Defizit- oder auch Elenddiskurs der ‚Ausländerpädagogik’ ein. Hiermit wurde erstmals eine systematischere Forschung auf den Plan gerufen, die sich an den Chancen der Arbeitsmigrantinnen und -migranten orientierte. Als pädagogische Idee entstand in diesem Zusammenhang die so genannte „interkulturelle Pädagogik“, gefolgt von einem Beschluss der Kultusministerkonferenz von 1996 zu „interkultureller Bildung und Erziehung“ (Mecheril 2004, 86) als Querschnittaufgabe aller Bildungseinrichtungen. Prominente Ansätze zu interkultureller Pädagogik werden in diesem Zusammenhang von Nieke (1998) und Auernheimer (2001) publiziert. Sie fordern eine konsequente Haltung der Anerkennung von Migrantinnen und Migranten und eine Haltung der Integration. Hier finden sich Parallelen zum Integrationsdiskurs der Sonderpädagogik um die gleiche Zeit – man könnte die Perspektive auch auf die Formel „different but equal“ bringen, die zu dieser Zeit prominent für den Umgang mit Differenz hervorgehoben wurde. Zwei Kritikpunkte beziehen sich auf die hier entfaltete Haltung: zum einen die durch die Unterscheidung zwischen Migrantinnen/Migranten und Einheimischen anhaltende Setzung von Differenz, zum anderen der Versuch, die mangelnde Integrationsfähigkeit der Politik durch Pädagogik zu ersetzen (vgl. Hamburger 2009).
- Die Wiederentdeckung der Bildungsbenachteiligung der Migrantinnen und Migranten durch und nach PISA: Die Setzung von Differenz in einer eher defizitorientierten Perspektive schreibt sich in den Diskussionen im Anschluss an PISA und weitere Leistungsvergleichsstudien fort. „Nicht mehr das katholische Arbeitermädchen vom Lande, sondern der italienische Gastarbeiterjunge aus dem Bayerischen Wald vereinigt heute die Attribute, die geringen Bildungserfolg erwarten lassen“ (Hunger/Tränhardt 2001, 51). Rainer Geißler verabschiedet gar die Metapher des katholischen Arbeitermädchens und spricht von einer Metamorphose des Benachteiligungsrisikos zum „Migrantensohn aus bildungsschwachen Familien“ (Geißler 2003, 95). Die Metamorphose des Benachteiligungsprototyps zeigt – ähnlich wie die ausländerpädagogische Rede von Gastarbeitern – dass die Annahme von Minderbemitteltheit, die familial verursachten Sprachdefizite und der mangelnde Integrationswillen nach wie vor Teil des Diskurses um Migrantinnen und Migranten sind. Das Projekt interkultureller Heterogenität oder des „Multikulti“ wird hier gar als gescheitert ausgerufen und pädagogische Professionalitätsanforderungen richten sich weniger auf einen reflexiven Umgang aller pädagogisch Handelnden mit Migrantenkindern, denn auf die Verbesserung von Sprachkompetenzen und das zur Seite Stellen von Mentorinnen und Mentoren mit ähnlichem Migrationshintergrund. Auch hier – so muss gefolgert werden – dominiert die Wahrnehmung von Differenz, die nun quantitativ empirisch belegt wird, so dass der Blick auf mögliche Chancen oder die Bedeutung der Institution bei der Reproduktion von Differenz verstellt wird.
- Das Dilemma der Fragen zum professionellen Umgang mit Migrationsanderen: Auf Arbeiten, die die Erfahrung von Differenz als biographisches Dilemma begreifen (z.B. Hummrich 2002) oder die die institutionelle Dimension der Reproduktion sozialer Ungleichheit deutlich machen (z.B. Gomolla/Radtke 2001) rekurrieren Ansätze, die einen reflexiven Umgang mit Differenz fordern: die Tatsache, dass Zugehörigkeit im Zusammenhang mit Migration nicht einfach zu bestimmen ist (deutsch/nicht-deutsch), sondern es „natio-ethno-kulturelle Mehrfachzugehörigkeiten“ (Mecheril 2004, 154) gibt und dass Lehrerinnen und Lehrer, Schulärztinnen und -ärzte, psychologisch Begutachtende usw. durch ihre Vorannahmen entscheidend zur Steigerung der Selektivität beitragen, bedeutet, dass Differenz als Dilemma verstanden werden muss. Dies begründet sich grundsätzlich in dem mit Herbart bereits aufgenommenen Widerspruch von Gerechtigkeit für den Einzelnen und einer universalisierenden und damit homogenisierenden Bildungsidee. Denn einerseits muss Differenz so lange thematisiert werden, wie dies handlungspraktisch erforderlich ist und Bildung immer auch mit Annahmen von Differenzierung verbunden ist (vgl. Hamburger 2009); andererseits widerspricht die Differenzierung der Universalisierung von Bildung und dem politischen Versprechen der Leistungsorientierung. Gerade die letztere Abweichung im pädagogischen Handeln führt dazu, dass Migrationsandere immer wieder als weniger begabt festgeschrieben werden (vgl. Hummrich 2009).
3. Inklusion und interkulturelle Pädagogik – Ähnlichkeiten und offene Fragen
Wenn es um die Frage von Teilhabe und Zugehörigkeit migrationsanderer Kinder und Jugendlicher am Bildungsprozess geht werden die Begriffe Assimilation und Integration prominent diskutiert. Das Assimilationskonzept ist angelegt als ein einseitiges Konzept der Ein- und Anpassung der Migrationsanderen in und an die Mehrheitsgesellschaft und ihre Wertmaßstäbe. Es wird gemeinhin als das Referenzkonzept von Ansätzen bezeichnet, die sich mit Ausländerpädagogik verbinden lassen und es ist zu beobachten, dass auch in der Nach-PISA-Diskussion (zum Beispiel durch die Idee der Sprachförderprogramme) eher assimilative Konzepte bevorzugt werden. Das Integrationskonzept, dessen sich beispielsweise die interkulturelle Pädagogik bedient, setzt sich bewusst vom assimilativen Konzept ab und fordert die Einbeziehung aller Kinder durch Schulpädagoginnen und Schulpädagogen unter der Prämisse der Anerkennung der Verschiedenheit (vgl. Auernheimer 2003).
Betrachtet man nun die terminologische Auseinandersetzung im Bereich der Sonderpädagogik, so scheint es mir fast, als finde hier eine Parallelverschiebung statt: das, was in der Migrationsforschung als Assimilationshaltung ausgewiesen wurde, wird etwa bei Andreas Hinz (2002) in Rückgriff auf den anglo-amerikanischen Diskurs Integration genannt und das, was in der Migrationsforschung und interkulturellen Bildung Integration heißt, nennt sich hier Inklusion.
Hat man diese Verschiebung verstanden, so treten die Parallelen in den beiden Subdisziplinen umso deutlicher hervor: es geht um die Anerkennung der Dialektik von Gleichheit und Differenz (vgl. Auernheimer 2003, Katzenbach/Schroeder 2007), um die Ermöglichung ‚egalitärer Differenz’ (vgl. Prengel 1999, Geiling/Hinz 2005) und um die Vermittlung einer pädagogischen Haltung, die alle Kinder und Jugendliche als zugehörig zur Schule anerkennt. Die Inklusion der Sonderpädagogik und die Integration der interkulturellen Pädagogik zielen auf die Teilhabe aller an Schule und Unterricht. Sie wenden sich damit (entsprechend der oben als Station II vorgestellten Haltung) dezidiert gegen defizit- und problemorientierte Sichtweisen, wie sie oben in Station I (der Ausländerpädagogik) und Station III (der Nach-PISA-Diskussion) für die Migrationsforschung beschrieben wurden.
Doch es bleiben aus meiner Perspektive einige Fragen ungeklärt, die ich hier wieder am Beispiel der Migrationsforschung ausdifferenzieren möchte:
„Über die Unmöglichkeit Politik durch Pädagogik zur ersetzen“ referieren 1984 bereits Hamburger, Seus und Wolter. Sie kritisieren die Forderung nach anerkennenden Pädagogiken als eine, die die politische Gestaltung entlastet und die systemischen Veränderungsnotwendigkeiten, die angesichts systematischer Benachteiligungsrisiken deutlich werden, versucht zu individualisieren – man könnte überspitzt sagen: die professionell Handelnden die Last der gesellschaftlichen Teilhabe aufbürdet, ohne dass an der Struktur etwas geändert wird. Es zeigt sich, dass Pädagogik, die um Integration bemüht ist, allzu leicht auf eine Veränderung im Stil eines ‚bottom up‘ zu setzen scheint. Wo aber bleibt die systemische Seite der Argumentation, die die Beteiligung der Institutionen an der Selektion und Ungleichbehandlung in Rechnung stellt (z.B. Gomolla/Radtke 2002)?
Umgekehrt stellt sich gleichzeitig die Frage, ob nicht die normative Forderung nach Inklusion oder Integration – kurz: von gleicher Teilhabe aller Kinder und Jugendlichen, bei der Verschiedenheit aller, sich nicht über die faktischen gesellschaftlichen Homogenisierungstendenzen hinwegsetzt (vgl. Meister 2007). So ist Schule - und die ihr eingeschriebene Differenzierungspraxis - eine Institution der Gesellschaft, die in Folge der funktionalen Differenzierung auch für die Gesellschaft (aus-) bildet und damit ihrer Selektions- und Allokationsfunktion nachkommt. In diesem Sinne muss der Möglichkeitsraum, den pädagogisch Handelnde hinsichtlich der Inklusion oder Integration haben als reduziert betrachtet werden und es stellt sich die Frage, ob die Idee einer standardisierten Inklusion resp. Integration nicht den Status der Schule als gesellschaftliche Institution verkennt.
Schließlich muss die pauschale Anerkennungsforderung von inklusiver bzw. interkultureller Pädagogik hinterfragt werden. Denn Anerkennung ist nichts, was selbstlos vom Einem zur Anderen weitergegeben wird, sondern sie ist immer auch intersubjektiv eingebunden (vgl. Honneth 1994). So verstanden muss auch die machtförmige Gebundenheit der Anerkennung betrachtet werden. Besonders deutlich wird dies etwa bei Judith Butler (2001), die formuliert, dass Anerkennung nie ohne die Unterordnung unter gesellschaftlich anerkennungsfähige Kategorien erfolgt. Anerkennung erfolgt also immer als jemand Bestimmtes und in dieser Bestimmung ruht eine Zuordnung unter Kriterien der Differenz (vgl. Hummrich 2011). Im Fall der Migrationspädagogik ist dies die Anerkennung als Migrationsandere/Migrationsanderer (vgl. Mecheril/Hoffarth 2006), die impliziert, dass zugleich Differenz gesetzt wird.
4. Fazit: Zwischen Heterogenisierung und Homogenisierung
In diesem Artikel wurden am Beispiel des Umgangs mit interkultureller Heterogenität die Stationen pädagogischer Haltungen gegenüber Migrationsanderen aufgezeigt. Dabei wurden exemplarisch und mehr im Stile eines Essays immer wieder Verbindungen zur inklusiven Pädagogik hergestellt. Ohne hier den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben (dies haben andere an anderer Stelle systematischer gemacht, vgl. Prengel 1993, Meister 2007) sind doch die Parallelen in den Diskursen der Subdisziplinen auffällig und es wird deutlich, dass die oftmals normativen Forderungen nach Integration (im Fall von interkultureller Pädagogik) oder Inklusion (in der Sonderpädagogik) zuweilen Gefahr laufen, die Begrenztheit von Integrations-/Inklusionsmöglichkeiten nicht zu reflektieren. Diese Begrenztheit wurde hier aus machttheoretischer Perspektive diskutiert, denn die machtförmige Gebundenheit der Anerkennung und der Unhintergehbarkeit der Notwendigkeit von Subordination unter anerkannte Normen ist meines Erachtens eine, wenn nicht die, zentrale Grenze von Anerkennungsmöglichkeit überhaupt. Dies betrifft auch das Anerkennungsgebot in Bezug auf Diversität. Zugleich kommt eine Pädagogik, die sich unter Verweis auf einen universalistischen Teilhabeanspruch mit Verschiedenheit befasst, nicht ohne Versuche aus, den Vielen gleichermaßen gerecht zu werden. Ein professioneller Anspruch formuliert hier die Notwendigkeit, die Widersprüchlichkeit des Handelns und der Handlungsbedingungen zu reflektieren (vgl. Helsper 1996, Prengel 2001, Hamburger 2009).
Eine zentrale Herausforderung im Umgang mit Machtstrukturen kann dabei aufgenommen werden, indem die Reflexion der Dialektik von Universalisierung und Spezifizierung den Prozess pädagogischen Handelns begleitet. Dies kann als dynamische, in den pädagogischen Prozess eingelagerte Handlungsfiguration verstanden werden, bei dem jede Individualisierung und Spezifizierung im Unterricht einer Re-Universalisierung im Sinne einer Rückbindung an die Gesamtheit der Lernenden bedarf und umgekehrt jeder universelle Bezug einer Re-Spezifizierung (vgl. Helsper/Hummrich 2008) in Reflexion auf die situativ gegebenen Differenzen. Dabei kommt es darauf an – so lässt sich mit losem Bezug an François Jullien (2007) anschließen – dass auch die Dynamik der Universalisierungen und Spezifizierungen selbst bedacht wird, denn keine Gruppe besteht aus voneinander getrennten Entitäten, sondern aus aufeinander Bezug nehmenden, entlehnenden, sich assimilierenden Personen, die sich umgekehrt immer wieder separieren und individualisieren. Homogenisierung ist in diesem Verständnis nicht das, was normativ verteufelt wird, sondern das Pendant eines wachsenden Bewusstseins um Heterogenität. Erst in dieser Dialektik scheint es möglich, dass etwas Neues entsteht: dass Vermischung und Profilierung, Aufgabe der Identifikation und erneute Identifizierung, Anpassung und Widerstand (vgl. Jullien 2007, 178) stattfindet und damit neue Möglichkeitsräume für den Umgang mit Differenz Platz haben.
5. Literatur
Auernheimer, Georg (2003): Einführung in die interkulturelle Erziehung, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Bourdieu, Pierre/Passeron, Jean-Claude (1971): Die Illusion der Chancengleichheit, Stuttgart: Klett Cotta
Butler, Judith (2001): Psyche und Macht. Das Subjekt der Unterwerfung, Frankfurt am Main: Suhrkamp
Diehm, Isabell/Radtke, Frank-Olaf (1999): Erziehung und Migration, Stuttgart: Klett-Cotta
Geiling, Ute/Hinz, Andreas (2005) (Hrsg.): Integrationspädagogik im Diskurs. Auf dem Weg zu einer inklusiven Pädagogik?, Bad Heilbrunn: Klinkhardt
Gomolla, Mechtild/Radtke, Frank-Olaf (2001): Institutionelle Diskriminierung, Opladen: Leske + Budrich
Hamburger, Franz (2009): Abschied von der Interkulturellen Pädagogik, Weinheim/Basel: Juventa
Hamburger, Franz/Seus, Lydia/Wolter, Otto (1984): Über die Unmöglichkeit, Politik durch Pädagogik zu ersetzen. Reflexionen nach einer Untersuchung ‚Bedingungen und Verfestigungsprozesse der Delinquenz bei ausländischen Jugendlichen’. In: Griese, Hartmut (Hrsg.), Der gläserne Fremde. Bilanz und Kritik der Gastarbeiterforschung und der Ausländerpädagogik. Opladen: Leske + Budrich, S. 32-42
Helsper, Werner (1996): Schule in den Aporien der Moderne. In: Krüger, Heinz-Herrmann & Helsper, Werner (Hrsg.), Einführung in die Grundbegriffe und Grundfragen der Erziehungswissenschaft. Opladen: Leske + Budrich, S. 15-32
Helsper, Werner/Hummrich, Merle (2008): Arbeitsbündnis, Schulkultur und Milieu. Reflexionen zu den Grundlagen schulischer Bildungsprozesse. In: Breidenstein, Georg & Schütze, Fritz (Hrsg.), Paradoxien in der Reform der Schule. Wiesbaden: VS-Verlag, S. 43-72
Herbart, Johann-Friedrich (1808): Allgemeine Pädagogik aus dem Zweck der Erziehung abgeleitet. (Hrsg. von Holstein, H.; Bochum: Kamp)
Hinz, Andreas (2002): Von der Integration zur Inklusion - terminologisches Spiel oder konzeptionelle Weiterentwicklung? In: Zeitschrift für Heilpädagogik, 53, S. 354-361
Hummrich, Merle (2009, 2. Aufl.): Bildungserfolg und Migration, Wiesbaden: VS-Verlag
Hummrich, Merle (2011): Jugend und Raum. Exklusive Zugehörigkeitsordnungen in Familie und Schule, Wiesbaden: VS-Verlag
Hummrich, Merle (2012): Interkulturelle Verklärungen – Kulturvergleich trifft Migrationsforschung. In: Hummrich, Merle & Rademacher, Sandra (Hrsg.), Kulturvergleich in der qualitativen Erziehungswissenschaft. Wiesbaden: VS-Verlag (im Erscheinen)
Jullien, Francois (2007): Das Universelle, das Einförmige, das Gemeinsame und der Dialog zwischen den Kulturen, Berlin: Merve
Katzenbach, Dieter/Schroeder, Joachim (2007): „Ohne Angst verschieden sein können.“ Über Inklusion und ihre Machbarkeit. In: Zeitschrift für Inklusion, 2007(1).
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Meister, Ulrike (2007): Heterogenität – ein weiter Begriff für vielfältige Ansichten? In: Katzenbach, Dieter (Hrsg.), Vielfalt braucht Struktur. Frankfurt am Main: Johann Wolfgang Goethe – Universität, S. 15-32
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Prengel, Annedore (1993): Pädagogik der Vielfalt, Opladen: Leske + Budrich
Prengel, Annedore (1999): Vielfalt durch gute Ordnung, Opladen: Leske + Budrich
Walgenbach, Katharina/Dietze, Gabriele/Hornscheidt, Antje/Palm, Kerstin (Hrsg.) (2007): Gender als interdependente Kategorie, Opladen: Barbara Budrich