Abstract: Der folgende Beitrag stellt Ergebnisse der eigenen qualitativen Studie zur Flexiblen Schuleingangsphase in Brandenburg (FLEX) vor (Jeglinsky 2012). Dieses alternative Schuleingangsmodell folgt Ideen einer inklusiven Schulentwicklung, da die Verminderung selektiver Praktiken im Vordergrund steht und dadurch mehr Kinder die Anerkennung als GrundschülerInnen erfahren. Den involvierten Lehrkräften bietet sich hier ein neuartiges Arbeitsfeld, das durch viele Herausforderungen gekennzeichnet ist. Im Mittelpunkt steht die Frage wie dieses Setting Professionalisierungsprozesse ermöglichen kann bzw. an welchen Stellen diese bruchstückhaft bleiben oder verhindert werden.
Stichworte: Grundschulforschung, Schuleingangsphase, inklusive Schulentwicklung, Professionalisierung
Inhaltsverzeichnis
Innerhalb der FLEX wird versucht durch spezifische strukturelle und personelle Bedingungen die Heterogenität der SchülerInnen im Schuleingangsbereich bewusst zu erhöhen und Diskriminierungen zu verhindern. Über eine theoretische Perspektive lässt sich abbilden, dass die veränderten Standards der FLEX zwar umfangreich sind und ein Professionalisierungspotential bieten, gleichsam weisen sie aber eine Vielzahl an Widersprüchen auf, die Professionalisierungsprozesse behindern können. Auf der empirischen Ebene dokumentiert sich einerseits, dass die institutionellen Mechanismen der FLEX als möglichkeitserweiternd betrachtet werden und somit der professionellen Entwicklung dienen. Andererseits lässt sich rekonstruieren, dass die AkteurInnen an alten Mitgliedschaftsbedingungen der Allgemeinen Schule festhalten, was zu traditionellen Grenzziehungen führt. Dies soll anhand von Ausschnitten einer Fallbeschreibung exemplarisch aufgezeigt werden.
Die flexible Schuleingangsphase in Brandenburg möchte der heterogenen Zusammensetzung der Kinder im Schuleingangsbereich gerecht werden. Ziel ist es, diese Heterogenität nicht zu minimieren, sondern ausdrücklich positiv zu nutzen (vgl. Götz 2011). Sie entspricht damit dem allgemeinen bildungspolitischen Anliegen, Unterschiede nicht zu problematisieren, sondern diese in einer achtungsvollen Weise wahrzunehmen und sie über entsprechende strukturelle Regelungen bearbeitbar zu machen (KMK 1997). Dies führt in der Konsequenz zu einer Reduktion der selektiven Mechanismen, so dass Aussonderungsprozesse minimiert werden und mehr Kinder als in der tradierten Form der Schuleingangsphase Anerkennung als GrundschülerInnen erfahren.
Gleichwohl die Einführung der FLEX bei den jeweiligen Schulen auf freiwilliger Basis erfolgt, ist sie an ein umfassendes festgelegtes Set von strukturellen und personellen Veränderungen geknüpft (Faust 2008). Dazu zählt erstens, dass alle Kinder entsprechend der veränderten Stichtagsregelung ohne die Option der Zurückstellung oder Wiederausschulung in die Grundschule aufgenommen werden. Zweitens ist wesentlich, dass die erste und zweite Jahrgangsstufe gemeinsam unterrichtet werden und der Unterricht entsprechend zu großen Teilen in der Jahrgangsmischung stattfindet. Dies ermöglicht den Kindern ein flexibles Durchlaufen der Schuleingangsstufe zwischen ein und drei Jahren, ohne dass es den Status einer Klassenwiederholung hat. Drittens werden Kinder mit möglichen Förderschwerpunkten in den Bereichen Lernen, Sprache sowie emotionale und soziale Entwicklung nicht an die Förderschule überwiesen und auch nicht als Kinder mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf diagnostiziert, sondern lernen ebenso wie alle anderen Kinder in den FLEX-Klassen. Dafür wird förderdiagnostische Lernbeobachtung ohne vorherige Etikettierung im Rahmen der FLEX ermöglicht. Viertens werden die KlassenlehrerInnen der FLEX mit fünf Stunden pro Woche durch zusätzliche GrundschulpädagogInnen unterstützt. Durch die kooperativen Strukturen haben sie die Möglichkeit individualisierte Unterrichtsangebote zu realisieren, indem sie die Lerngruppen teilen oder zu zweit im Unterricht anwesend sind. Fünftens sind Förderschullehrkräfte mit fünf Stunden pro Woche in den FLEX-Klassen zugegen und ergänzen so das Team der FLEX-LehrerInnen. Als wesentlich kann dabei gelten, dass die sonderpädagogischen Ressourcen pauschal dem gesamten System zur Verfügung gestellt und nicht einzelnen Kindern zugeschrieben werden und können somit als „institutionalisierte systembezogene Serviceleistung“ verstanden werden (Reiser 1998, S. 46ff.). Die FörderpädagogInnen haben dadurch Kapazitäten, um auch die GrundschullehrerInnen zu unterstützen, was sich vom klassischen Setting des gemeinsamen Unterrichts insofern unterscheidet, dass nicht einzelne Kinder integriert werden, sondern dass sich die gesamte Lerngemeinschaft insgesamt heterogener zusammensetzt und zusätzliche Ressourcen bereitgestellt werden, um frühzeitige Diskriminierungen im Schuleingangsbereich zu vermeiden und so Exklusionsrisiken zu verhindern.
Selbst wenn sich FLEX durch vielfältige strukturelle Veränderungen auszeichnet, lassen sich gleichsam auch eine Vielzahl widersprüchlicher Bedingungsfaktoren erkennen. Als Grundwiderspruch kann es angesehen werden, dass FLEX nicht alleiniges Modell für die Gestaltung der Schuleingangsphase ist, sondern es auch die Möglichkeit gibt, neben FLEX parallele Regelklassen zu führen. Insbesondere bezogen auf Selektionsprozesse ist dies bedeutsam, da es in den Förderschulen, die für die Lehrkräfte präsent sind, ebenso auch entsprechende Klassen für den Schuleingangsbereich gibt. Innerhalb der Regelklassen gehören sonderpädagogische Feststellungsverfahren zum gängigen Procedere im Alltagshandeln. Die damit verbundene Zuschreibung bestimmter Kinder impliziert ein Festhalten an den Konstrukten Grundschulkind auf der einen Seite und Förderschulkind auf der anderen Seite. An diese Klassifikation ist gekoppelt, dass auch spezifische Zuständigkeitsbereiche zwischen den Professionellen entstehen könnten, indem sie sich als verantwortlich für eine jeweilige Klientel definieren. Dieses rollenförmige Verhalten kann wiederum Auswirkungen auf ihr professionelles Selbstbild bzw. ihre professionelle Entwicklung haben. Die Diskriminierungen, die FLEX im Grunde aufzuheben versucht, können so aufrechterhalten bleiben. Ein weiterer Widerspruch liegt darin, dass die FLEX lediglich für die ersten beiden Jahrgangsstufen eingerichtet ist. Mit Beginn des Übergangs in die dritte Jahrgangsstufe unterliegen alle SchülerInnen wieder den gleichen Anforderungen. Indem die FLEX-LehrerInnen dieses Bedingungsgefüge antizipieren, kann dies ihre Handlungsspielräume einschränken. Zudem können die rechtlichen Rahmenbedingungen, die stark am Vorgehen der Regelklassen orientiert sind, die Akzeptanz sowie den Verbleib und die unbedingte Förderung aller in FLEX eingeschulten SchülerInnen über die Höchstverweildauer von drei Jahren verhindern (Geiling/ Söllner 2011). Schließlich wird es als erschwerend für Professionalisierungsprozesse gewertet, wenn die FörderpädagogInnen nicht nur in der FLEX oder Grundschule tätig sind, sondern auch im Gemeinsamen Unterricht oder im Förderschulsystem, wo ihr Handeln an anderen Kriterien ausgerichtet ist als in FLEX (Geiling/ Simon 2010, Geiling/ Söllner 2008, Geiling et al. 2008).
Vor dem Hintergrund professionstheoretischer Überlegungen wird davon ausgegangen, dass die FLEX durch ihre besonderen Bedingungen, die sich von der tradierten Form der Schuleingangsphase durchaus unterscheiden, ein Professionalisierungspotential bietet. Grundlegend ist hierfür eine Fallorientierung sowie die damit notwendigerweise verbundene Reflexivität des Denkens und Handelns, die es ermöglicht Prägungen zur Disposition zu stellen und alternative Strategien oder Erklärungen in den Blick zu nehmen (Combe/ Helsper 1996). Eine weitere Maxime besteht darin, dass „Professionalität die subjektive Kompetenz bezeichne, Handlungsungewißheiten zu ertragen, sie immer wieder neu zu reflektieren und trotz aller Unwägbarkeiten die Begründungsverpflichtung und Verantwortung zu übernehmen“ (ebd., S. 41).
Bezug nehmend auf die Standards der FLEX lässt sich hinsichtlich des Professionalisierungspotentials für die Lehrkräfte konstatieren, dass sie in ihrer Arbeit mit FLEX mit neuen Herausforderungen konfrontiert werden, die nicht unbedingt ihrem etablierten Professionsverständnis entsprechen. Die Auseinandersetzungen mit Innovativem bringen es mit sich, Bewährtes in Frage zu stellen und sich auf Neues und Ungewisses einzulassen, ohne dass dessen Ausgang bekannt oder der Erfolg ihrer Bemühungen sichergestellt ist. Ganz bewusst ist die Zusammensetzung der Grundschulklientel in FLEX weiter gefasst und die Konfrontation mit möglicherweise neuartigen Herausforderungen damit nicht vorhersehbar. Hierin können Impulse zu professionellen Entwicklungsprozessen liegen. Denn nicht die Kinder müssen eine Anpassungsleistung erbringen, um als GrundschülerInnen anerkannt zu werden, vielmehr wird von den Professionellen verlangt sich auf die heterogeneren Lerngruppen einzustellen und alle Kinder als Grundschulkinder anzuerkennen. Zudem steht der Verzicht auf Diskriminierungen im Mittelpunkt. Durch die neu zusammengesetzte Grundschulklientel verändern und erweitern sich die traditionellen Zuständigkeitsbereiche der Lehrkräfte, was von diesen verlangt eine besondere Anerkennungskultur zu pflegen, eine individualisierte Unterrichtskultur zu etablieren und kooperative Lernsettings zu stärken. Letztlich ist durch das gemeinsame Tätigkeitsfeld von Grund- und FörderschullehrerInnen nicht nur die Gruppe der SchülerInnen, sondern auch die der LehrerInnen heterogener zusammengesetzt und fordert von ihnen vermehrt im Team zu arbeiten und Offenheit gegenüber anderen Sichtweisen zu pflegen.
Die zugrundeliegende Untersuchung folgt einem qualitativen Forschungsdesign. Hierfür wurden an sieben Schulen, die unterschiedlich lange mit FLEX-Klassen im Schuleingangsbereich arbeiten, Gruppendiskussionen durchgeführt. Dabei variierte sowohl die Anzahl der Teilnehmenden als auch deren professioneller Hintergrund. Die Auswertung erfolgte mittels Dokumentarischer Methode (Bohnsack 2010), weil sie die Rekonstruktion der Begründungszusammenhänge und somit der impliziten handlungsleitenden Wissensbestände erlaubt, die im Folgenden näher in den Blick genommen werden.
Dass FLEX durch die Etablierung der unterschiedlichen strukturellen Veränderungen ein mögliches Professionalisierungspotential bietet, wurde bereits aufgezeigt. Im Interesse steht nun jedoch die Frage, ob sich tatsächlich auch professionelle Entwicklungsprozesse bei den AkteurInnen, die in FLEX involviert sind, beobachten lassen und wenn ja in welchen Bereichen sich entsprechende Neuorientierungen finden lassen. Im Folgenden sollen pointiert und entsprechend der Fragestellung Forschungsergebnisse dargestellt werden. Dabei lässt sich zweierlei bemerken.
Zum einen gibt es eine Domäne, die von den Professionellen angenommen und zumeist begrüßt wird. Dies betrifft den jahrgangsübergreifenden Unterricht. Die Altersmischung der SchülerInnen, die sich auch aus der Maxime der flexiblen Verweildauer ergibt, ist zwar spezifisch für FLEX, jedoch bedarf diese Form der Neuerung keiner langwierigen Gewöhnung und ruft nur bei einer der befragten Gruppen ein bedingtes Maß an Abneigung hervor. Die anderen sechs Gruppen stehen dieser Form der Klassenzusammensetzung ausgesprochen positiv gegenüber und schätzen sie über die Maßen. Die Heterogenität der SchülerInnen, basierend auf deren unterschiedlichen Altersstufen und dementsprechend auch Entwicklungsständen, kann von den Lehrkräften nicht nur gut bearbeitet werden, vielmehr sehen sie darin einen besonderen Wert, den sie gegenüber der Alterstrennung hervorheben. Vielfach betont wird in diesem Zusammenhang der Vorteil für die soziale Entwicklung der SchülerInnen, da diese stärker zusammenarbeiten und dabei kooperative Arbeitsformen zum Tragen kommen. „SP: … denn die Kinder untereinander (.) fördern sich ja auch schon selbst indem jeder – 'n Partner hat (.) sich (.) mit äh einem beschäftigt der – vielleicht nicht ganz so gut – lesen rechnen und schreiben kann oder wo auch 'n andrer dann sagt du halt mal du musst'n bisschen ruhiger werden – ich setz mich mal jetzt hierher komm wir arbeiten beide gemeinsam im Verhaltensbereich“ (Gruppe Fluss, Z. 370-374). Als wesentlich wird dabei von den AkteurInnen erachtet, dass die Dominanz ihrer eigenen Vermittlungsrolle abnimmt und die Vermittlungsfähigkeiten der Kinder gestärkt werden. „KL1: … und wenn man sich dann noch so als Lehrer son bisschen zurückhalten kann und (.) die Kinder dann machen lässt wenn's (.) läuft (.) dann (.) is dit eigentlich die beste Sache die lernen voneinander dann manchmal mehr als wenn de da vorne stehst und sabbelst“ (Gruppe Stadt, Z. 526-259). Dies kann als wesentlicher Schritt professioneller Entwicklung gewertet werden. Zudem werten sie das gemeinsame Lernen von SchülerInnen auf unterschiedlichen Alters- und Entwicklungsstufen nicht als hinderlich, sondern sehen darin einen Möglichkeitsraum, der sich positiv auf deren Lernen und die Aneignung weiter reichender Kompetenzen auswirkt. Vorteile werden nicht nur auf der kognitiven Ebene gesehen, sondern auch im sozialen Bereich. Diesem wird gleichsam ein hoher Wert beigemessen. Eine mögliche Erklärung für die umfassende Akzeptanz dieser Entwicklungsaufgabe liegt darin, dass die Altersheterogenität auch in regulären Grundschulklassen zu finden ist und es somit eine eher grundschulnahe Herausforderung darstellt, deren Bearbeitung zudem durch die zusätzlichen grundschulpädagogischen Ressourcen gestützt wird.
Demgegenüber gibt es einen Bereich, den die AkteurInnen als schwierig werten und womit sie sich wenig bis gar nicht identifizieren können. Dies betrifft den Standard der Aussetzung sonderpädagogischer Feststellungsverfahren und damit zusammenhängender Überweisungen an die Förderschule. Die Professionellen argumentieren hier auf unterschiedliche Weise. Als grundlegend kann es gewertet werden, dass sie an einer Funktionsteilung zwischen Allgemeiner Schule und Förderschule festhalten, was bedeutet, dass sie den beiden Schulformen unterschiedliche Aufgaben und Zuständigkeitsbereiche zuschreiben. Damit verbunden ist auch die Annahme einer ungenügenden Förderung im Rahmen der FLEX und gleichzeitig einer besseren Förderung im Rahmen des Förderschulsystems. „SP: Wir haben […] im (.) Halbjahr ein Kind an die Förderschule gesetzt (.) weil ähm es bei FLEX nicht mehr gefördert werden konnte […] weil es einfach nicht ging das Kind (.) war ein reiner (.) Förderschüler auch – vom IQ her und allem und ähm ihm – wäre psychisch das Ganze wirklich auf die Füße gefallen […] und wo wir jesacht ham ähm FLEX hin FLEX her (.) hier ist das Kind wichtig und ham (.) den auch durchgekriegt und an die Förderschule – also in solchen Fällen wo wir der Meinung sind ähm (.) hier kann FLEX nicht helfen holn wir uns auf jeden Fall Hilfe indem wir'n – Förderausschuss beantragen“ (Gruppe Wald, Z. 610-629). Um SchülerInnen als Förderschulkinder zu deklarieren berufen sich die Gruppen auf die Eindeutigkeit von Diagnostikergebnissen. Wie sie dies begründen und auf welche Gruppen sie dabei fokussieren ist je fallspezifisch. Ein tragendes Argument für die Notwendigkeit sonderpädagogischer Feststellungsverfahren bzw. von Überweisungen an die Förderschule ist zudem das sogenannte Schonraumkonstrukt. Die Professionellen führen diesbezüglich an, dass sich kleine und in ihren Augen leistungsmäßig homogene Lerngruppen, wo ein niedriges Anforderungsniveau herrscht positiv auf die (Lern‑)Entwicklung der betreffenden SchülerInnen auswirken. „KL2: … sicherlich auch wenn wir ne kleine Gruppe haben könnte sie da drin bleiben (.) würde es möglich sein (.) aber ich glaube es würde sich wohler fühln (.) wenn alle andern neben ihr auch so sind wie sie und (.) und die kleine Gruppe is da, (.) ich kann mir ich finde (.) warum wird das so negativ gemacht, (.) das versteh ich nicht“ (Gruppe Stadt, Z. 434-437). Diesbezüglich lässt sich somit konstatieren, dass die Professionellen diese neue, mit der Etablierung von FLEX verbundene Herausforderung, ablehnen bzw. nicht gutheißen. Irritationen in diesem Bereich lassen sich zwar finden, sind aber marginal. Dominant bleibt eine tradierte Haltung, die an den konventionellen Zuschreibungen und Zuständigkeiten festhält. Eine mögliche Begründung könnte es sein, dass die Erweiterung ihrer Aufgaben in die Förderschuldomäne als grundschulfern bezeichnet werden kann und eine sehr weit reichende Herausforderung darstellt. Zudem werden die Lehrkräfte mit divergierenden Systemanforderungen (bezogen auf Regelklassen und FLEX-Klassen) konfrontiert, was die Etablierung neuer Denk- und Handlungsmuster erschwert.
Abschließend lässt sich Folgendes resümieren. Durch die besonderen Standards der FLEX sowie die damit verbundenen erweiterten Möglichkeitsräume für die Professionellen ist durchaus ein Professionalisierungspotential gegeben. Dennoch lässt sich rekonstruieren, dass dieses nur bedingt genutzt wird. Spezifische Domänen bleiben in tradierten Formen verhaftet.
Die bewusste Erhöhung der Heterogenität in FLEX über die Altersmischung wird von den Professionellen zwar als Herausforderung beschrieben, trifft aber auf Akzeptanz. Dies liegt darin begründet, dass sie einerseits Bewältigungsstrategien für einen gelingenden Umgang gefunden haben (z.B. differenzierte Unterrichtsangebote), andererseits nehmen sie neuartige Ziele in den Blick, die für den Erfolg ihrer Arbeit maßgeblich sind. Die zugrunde liegende Neuorientierung lässt sich somit folgendermaßen beschreiben: Die Jahrgangsmischung ist für die AkteurInnen zwar nicht unbedingt die einfachere Art des Unterrichtens, dies rückt jedoch in den Hintergrund zugunsten einer stärkeren Kindorientierung, die den Erfolg der eigenen Arbeit am Erfolg bei den Kindern misst. Eine neue Maxime ist somit für ihre Handlungspraxis maßgeblich.
Hingegen verbleiben sie in Bezug auf ihre Aussonderungspraxis häufig in ihrem tradierten Handeln. Diesem vorausgehende Irritationen oder Neuorientierungen lassen sich nicht in gleichem Maße finden und deuten auf einen nur bruchstückhaft stattfindenden Professionalisierungsprozess, da sie sowohl die Konfrontation mit der entsprechenden Klientel als auch mit den damit zusammenhängenden Aufgabenbereichen problematisieren oder ablehnen. Die Trennung zwischen Grundschulkind und Förderschulkind ist divergierend und diffus, gleichzeitig aber auch dominant, so dass sich selektive Mechanismen weiterhin durchsetzen. Aussonderungspraktiken lassen sich somit nicht vollständig zurückdrängen .
Eine weitere mögliche Erklärung für die unterschiedlichen Professionalisierungstendenzen könnte es sein, dass die vor allen Dingen organisationsbedingten Widersprüche zu großen Teilen informell bleiben und sich nur entsprechend schwer reflexiv bearbeiten lassen. Den AkteurInnen obliegt es, die paradoxen Situationsbedingungen, die ihr Handeln und diese zugrunde liegende Entscheidungsmuster bestimmen, zu explizieren, zu hinterfragen und mögliche alternative Umgangs- und Deutungsformen hierfür zu finden. Als notwendig hierfür wird es jedoch erachtet, dass dies keine individuelle Leistung verbleibt, sondern sich auf kollektiver Ebene durchsetzt (Combe/ Helsper 1996, 21f.). Weiterhin wäre es von Vorteil, wenn sich auf gesamtschulischer Ebene umfassendere Neustrukturierungen etablieren, die dem Anliegen der FLEX, nämlich Selektionsprozesse tatsächlich zu vermeiden, Rechnung tragen. Möglicherweise könnten sich dann Professionalisierungsprozesse in weiteren Bereichen finden lassen. Da die strukturellen Bedingungen, die diesbezüglich maßgeblich sind, jedoch auf einer formalen Ebene bleiben und z.B. Förderschulen weiterhin erhalten bleiben, setzen sich nur bedingt neue Orientierungen durch.
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http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/1997/1997_10_24-Empfehlung-Schulanfang_01.pdf [Eingesehen am: 16.04.2012]
[1] Gleichzeitig zeigen andere, quantitativ angelegte Untersuchungen auf, dass innerhalb der FLEX ein Rückgang an Überweisungen verzeichnet werden kann. Gegenüber 2,2% im Schuleingangsbereich der Regelklassen beträgt die Quote in FLEX lediglich 1% (vgl. Liebers 2008: 95). Dies ist ein Indiz dafür, dass sich die Aussonderungspraktiken der Lehrpersonen in FLEX sehr wohl verändern, vordergründig reflektiert werden jedoch jene Fälle, bei denen die Prävention und Kompensation von Schwierigkeiten nicht gelingt.