Matthias Rürup: Inklusive Bildung als Reformherausforderung. Zur Perspektive der Educational Governance Forschung

Abstract: Der Beitrag setzt sich vor dem Hintergrund der Analyseperspektive der Educational Governance mit dem politischen Anliegen inklusiver Bildung auseinander. Verdeutlicht wird der grundlegende konzeptuelle Zugang der Educational Governance (die Rekonstruktion von Akteursbeziehungen innerhalb einer sozialen Praxis) und dessen Relevanz für Konfliktpotentiale bei der Abkehr vom traditionellen deutschen Sonderschulwesen. Hervorgehoben wird die Vielfalt der beteiligten Akteure – und die im Vergleich zum Regelschulwesen besondere Bedeutung privater Schulträger und der Eltern. Zentrale Herausforderungen und Konfliktfelder der Reform werden anhand bestehender Praxis der Ressourcenverteilung (sonderpädagogische Mittelzuweisungen), ersatzbedürftiger Mechanismen der Leistungserstellung (Diagnostik) und sich potentiell verändernder Zugriffsrechte (Definition sonderpädagogischen Förderbedarfs durch die Einzelschulen) aufgezeigt. Mit dem theoretischen Konstrukt des eigennutzenorientierten Akteurs wird schließlich auf gesamtsystemisch-politische Regelungsbedarfe hingewiesen, die unerwünschten Nebenfolgen einer taktischen Erschleichung von individuellen Vorteilen vorausschauend zu mindern. Als Anwendungsbeispiel wird der Regelungsbedarf zum Nachteilsausgleich bei Abschlussprüfungen genannt. Der Beitrag schließt mit einer Zusammenfassung bildungspolitikbezogener Implikationen.

Stichworte: Inklusive Bildung, UN-Behindertenrechtskonvention, Bildungsreform, Bildungspolitik, Deutschland, Sonderschule, Förderschule, Educational Governance

Ausgabe: 4/2011

Inhaltsverzeichnis
  1. Inklusive Bildung als konfliktreiches Reformprogramm
  2. Zur Perspektive der Educational Governance
  3. Analyse der Entwicklungen in Österreich und mögliche kritische Punkte der Implementation
  4. Ergänzungen, Zusammenfassung und Ausblick
  5. Literatur

Dass es sich bei der Umsetzung der am 26. März 2009 in Deutschland in Kraft getretenen UN-Behindertenrechtskonvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (kurz: Behindertenrechtskonvention) um ein gesamtgesellschaftliches Reformanliegen mit einem hohen Konfliktpotential handelt, ist eine weitgehend konsensuelle Einschätzung (vgl. Katzenbach/Schroeder 2007, Preuss-Lausitz 2010, Wocken 2010). Insbesondere das im Artikel 24 dieser Konvention verankerte Menschenrecht auf einen diskriminierungsfreien Zugang zur Bildung stellt die deutsche Bildungspolitik vor erhebliche Gestaltungsherausforderungen (vgl. Bielefeld 2009). Allen Kindern, ob mit oder ohne Behinderung, soll die Möglichkeit gewährt werden, gemeinsam (inklusiv) an ortsnahen Regelschulen zu lernen. Politisch verantwortlich sind hierfür die Länder, die im deutschen Bundesstaat die Gestaltungshoheit für das allgemein bildende Schulwesen haben, und – als ihr bundesweites Koordinationsgremium – die deutsche Kultusministerkonferenz (KMK).
An Erklärungen des Konfliktpotentials inklusiver Bildung gibt es prinzipiell keinen Mangel. Eine einleitende Zusammenstellung zentraler Erklärungsansätze wird dies illustrieren (Abschnitt 1) und damit das Anliegen des Beitrages vorbereiten. Die Perspektive der Educational Governance Forschung soll als eine alternative Möglichkeit präsentiert werden, einen systematischeren Überblick über Konfliktkonstellation bei der Einführung inklusiver Bildung zu erhalten (Abschnitt 2 und 3). Der Beitrag schließt mit Hinweisen auf politisch-praktische Folgerungen (Abschnitt 4).

1. Inklusive Bildung als konfliktreiches Reformprogramm

Dass dem politischen Anliegen einer inklusiven Bildung vielfältige politische, pädagogisch-praktische und gesellschaftliche Hürden entgegenstehen, lässt sich auf unterschiedliche Weise erklären. Bei einer Durchsicht einschlägiger Literatur finden sich verschiedene Erklärungsansätze.
Begründet wird die Reformskepsis zum Beispiel damit, dass es sich bei dem Anliegen inklusiver Bildung um einen umfassenden schulstrukturellen Eingriff handelt, der eine etablierte Schulform mit einem landläufig akzeptierten pädagogischen Profil und mit einer erheblichen infrastrukturellen und personellen Ausstattung grundsätzlich hinterfragt. Die Sonder-, Förder- oder Hilfsschulen – die Namen wechseln historisch und zwischen den einzelnen Bundesländern (vgl. Werning/Reiser 2008)[1] – sollen abgeschafft und die an ihnen bisher unterrichteten Kinder und Jugendlichen in das Regelschulsystem eingegliedert werden (vgl. Aichele 2010). Schulstrukturreformen erzeugen nun, so das zentrale Argument dieser Sichtweise, prinzipiell und insbesondere in Deutschland, eine gesamtgesellschaftliche Unruhe, die ein zielgerichtetes und kompromissloses politisches Handeln erschweren (vgl. Corsi 1994). Für Deutschland sind die parteipolitisch und hoch ideologisiert geführten Kämpfe um das dreigliederige Schulsystem beispielhaft. Sie haben die deutsche Bildungspolitik in den 1970er und 1980er Jahren nahezu gelähmt (Hüfner u. a. 1986). Erst angesichts des aktuell bundesweit feststellbaren Geburtenrückgangs ist eine pragmatisch motivierte Veränderung der Diskussion zu beobachten, die eine Zusammenlegung von Haupt- und Realschulen gesellschaftlich und parteiübergreifend durchsetzbar erscheinen lässt (vgl. Fuchs 2009) – allerdings mit einer wesentlichen Grenze. Eine Schulstrukturreform, die die Eigenständigkeit des gymnasialen Bildungsgangs ab der Klasse 4 tangiert, scheint unmöglich oder höchstens mit besonderen politischen Maßnahmen durchsetzbar (vgl. Wiechmann 2010). Offen und politisch problematisch scheint damit – bezogen auf inklusive Bildung – die Frage, in welche Bildungsgänge Kinder und Jugendliche mit Behinderung integriert werden sollen: mit oder ohne Einbezug des gymnasialen Bildungsgang (vgl. Wolf 2010).
Noch grundlegender verweist ein systemtheoretisch fundiertes Argument auf potentielle Reformgrenzen. Die Separierung von bestimmten Kindern und Jugendlichen als nicht-bildungsfähig oder nicht-in-der-normalen-Weise-bildungsfähig sei, so argumentiert beispielsweise Bleidick (1999, S. 58ff.), eine zentrale Voraussetzung der Etablierung des modernen Schulsystems. Sachlich wird vor allem auf die Ausgrenzung von Menschen mit geistigen Behinderungen Bezug genommen, mithin also auf eine Eingangshomogenisierung der Schule, die eine bestimmte kognitive Abstraktions- und Aufnahmefähigkeit für ein zügig fortschreitendes leistungs- und wissenschaftsorientiertes Curriculum gewährleistet. Ähnliche Homogenisierungsmechanismen betrafen und betreffen insbesondere das Sozialverhalten von Kindern und Jugendlichen: also die Sicherung einer basalen Disziplin, Anpassungsfähigkeit und Integrationsbereitschaft – verbunden mit körperlichen Anforderungen zum anhaltenden ruhigen Sitzen, konzentriertem Beobachten oder Schweigen usw.
Eine Rückkehr oder auch erstmalige Aufnahme dieser bisher separierten Kinder in die Regelschule bedeutet somit eine tief greifende schulkulturelle und schulorganisatorische Herausforderung für das Regelschulwesen (vgl. Werning/Löser 2010). Unterrichtspraxen, die eine bestimmte kognitive und soziale Homogenität der Schülerschaft voraussetzen, werden fragwürdig bis hin zur generellen Problematisierung der Legitimation des Schulwesens, Kinder und Jugendliche anhand ihrer gezeigten Leistungen differenzierten Bildungsgängen zuzuweisen. Hinterfragt wird – wie schon oft – der Frontalunterricht als zu selektiv für Kinder und Jugendliche, die Schwierigkeiten haben, langen mündlichen Vorträgen einzelner Personen konzentriert zu folgen. Problematisch scheinen zudem schulische Praxen des Einforderns individueller Leistungen nach überindividuellen Standards oder die inhaltliche und zeitliche Standardisierung der Curricula für in Klassenverbänden zusammengefasste Schülerinnen- und Schülergruppen. Tangiert ist schließlich auch die personelle Gestaltung von Schule. Sicher scheint, dass es eine professionelle Überforderung bedeuten würde, wenn die Lehrkräfte im Unterricht weiterhin weitgehend als Einzelakteure agieren sollen. Angezeigt sind sowohl eine Verkleinerung von Klassengrößen als auch die Erhöhung der pädagogischen Betreuerinnen- und Betreueranzahl z. B. durch Teamteaching. Generell müsse sich Schule und Schultheorie, so wird in der reformbefürwortenden Literatur zusammenfassend vorgeschlagen (vgl. Prengel 2008, Schöler 2009, Thoma/Rehle 2009), nunmehr an der Individualität, Vielfalt, Diversitiy oder Differenz der Schülerinnen und Schüler ausrichten und extern gesetzte, generalistische Standardisierungsansprüche und Normalitätserwartungen zurücknehmen.
Dass Schule und Schulsystem allerdings nur eingeschränkt fähig sind, sich derart umfassend und zielgerichtet zu ändern, ist eine ebenso weitgehend konsensuelle Einschätzung (Altrichter/Wiesinger 2004, Holtappels 1995). Argumentiert wird mit der prinzipiell begrenzten Umlernfähigkeit von Personen und Organisationen als auch mit der Beharrungskraft von Traditionen. Statt kurzfristigen und gravierenden Umgestaltungen scheinen vor diesem organisationstheoretisch-institutionalistischen Hintergrund langfristig ansetzende und inkrementale (anschlussfähig-aufbauende) Reforminitiativen erfolgsversprechend.
Gerade an den verschiedenen – pluralen und letztlich unvereinbaren – Positionen der Eltern, mit ihrem vorrangigen Interesse am Wohl des eigenen Kindes, wird schließlich die pluralistisch-divergene Meinungskonstellation zum Reformanliegen inklusiver Bildung deutlich, die dessen Umsetzbarkeit ebenfalls begrenzt (vgl. Wocken 2010). Selbstverständlich gibt es die Eltern und Elternverbände, die sich schon über Jahrzehnte für eine Integration von Kindern mit Behinderungen in Regelschulen eingesetzt haben und die sich sowohl mit der UN-Behindertenrechtskonvention als auch mit dem erweiterten Diskriminierungsverbot im Grundgesetz normativ bestätigt sehen können (z. B. Preuss-Lausitz 2006). Aber es gibt auch die andere – anteilsmäßig nicht zu unterschätzenden – Anzahl von Eltern, die die Idee inklusiver Bildung mehr oder weniger offen ablehnen. Eine aktuelle bundesweit repräsentative Bürgerbefragung zur Bildungsreform – durchgeführt von der Bertelsmann Stiftung, der BILD-Zeitung und Hürriyet, der größten türkischsprachigen Zeitschrift in Deutschland – stellt z. B. heraus, dass sich weniger als 50 Prozent der Befragten einen gemeinsamen Unterricht mit geistig behinderten oder verhaltensauffälligen Kindern vorstellen könnten (vgl. Roland Berger Strategy Consultants u.a. 2011, S. 11). Diese eher ablehnende Position ist nicht allein auf die Gruppe der „bildungsorientierten“ Eltern zurückzuführen, die durch inklusive Bildung eine Gefährdung des akademischen Leistungsfortschritts ihres Kindes vermuten. Für nicht wenige Eltern von Kindern mit Behinderungen scheint eine gemeinsame Zwangsbeschulung ihres Kindes in der Regelklasse mit erheblichen Befürchtungen verbunden; die schulische Normalwelt könne zu intolerant, zu anonym, zu leistungsorientiert und unflexibel sein, um jene emotionale Umhegung und beständige persönliche Stärkung zu gewährleisten, die ihre Kinder  – im engen Verbund von Förderschule, sozialen Diensten und Familie – bisher erfahren haben (vgl. Wocken 2010, S. 30f.).
Schwerer zu fassen und noch schwerer zu verändern sind schließlich gesellschaftlich und kulturell verankerte Abgrenzungs- und Stigmatisierungsmechanismen gegenüber dem Fremden und Unbekannten (vgl. Dederich 2007). Insbesondere wenn man, wie z. B. Prengel (2008, S. 164ff.), argumentiert, dass der tägliche Umgang mit Menschen mit Behinderung zu einer schmerz- und trauervollen Auseinandersetzung mit ansonsten verdrängten Potentialen des eigenen Außer-der-Norm-Seins zwingt, scheint die erfolgreiche Bewältigung eine solch quasi-kulturtherapeutischen Aufgabe der ersatzlosen Inklusion des Fremden im gesellschaftlichen Ganzen illusorisch.
Vor diesem additiv vorgestellten Problemhintergrund sind die bildungspolitischen Entwicklungen in Deutschland, die sich im Nachgang der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention vor über zwei Jahren zu beobachten sind, überraschend umfangreich. Sowohl in den Ländern, als auch bundesweit, hat sich die Diskussion zur inklusiven Bildung dynamisiert (vgl. KMK 2010a, 2010b), wenn auch kritische Stimmen zur begrenzten Schnelligkeit und Reichweite nicht zu verkennen sind (vgl. Elternverbände für inklusive Bildung 2011).
Es ist nicht Anliegen dieses Beitrages, die vorhandenen politischen Entwicklungen in den Ländern und der KMK zu prüfen und zu diskutieren. Die bisherige Darstellung sollte vielmehr die Aufmerksamkeit dafür öffnen, dass es sich bei dem Reformanliegen – als Konsequenz aus den Forderungen nach inklusiver Bildung – um ein komplexes Unterfangen handelt, dessen Umsetzbarkeit skeptisch gesehen werden kann. Zugleich sollte mit den vorgehenden Beschreibungen ein Interesse dafür geweckt werden, die Konfliktkonstellationen, die mit dem Reformanliegen inklusiver Bildung angesprochen sind, genau und systematisch zu erfassen. Gibt es ein begrifflich-analytisches Instrumentarium, das es erlaubt, das Konfliktpotential inklusiver Bildung viel konkreter und vor allem pragmatischer und lösungsorientierter zu erschließen als dies bisher erfasst worden ist? Im Folgenden soll nun die Educational Governance Perspektive vorgestellt werden – als eine aktuelle Forschungsperspektive, die diesen erweiterten Anspruch vielleicht erfüllen könnte.

2. Zur Perspektive der Educational Governance

Selbstverständlich ist die Educational Governance Perspektive als ein weiterer Analyseansatz zur Reform Inklusiver Bildung ebenso begrenzt wie andere. Ihr besonderer Vorteil ist allerdings, dass sie sich auf Theorietraditionen und Forschungsansätze beruft, die ursprünglich im Bereich der Politikwissenschaft für genau den Fall entwickelt wurden, der bei der Umsetzung inklusiver Bildung angesprochen ist: die Möglichkeiten eines zielgerichteten politischen Handelns angesichts einer komplexen, politisch nicht völlig kontrollier- und dirigierbaren, gewachsenen sozialen Praxis. Insofern ist die Educational Governance Perspektive zuallererst als Anwendung des übergreifenden sozialwissenschaftlichen Ansatzes der Governance-Forschung auf den Fall des Bildungswesens zu kennzeichnen, mit einer impliziten Betonung von Aspekten der Planung, Steuerung und Koordination im Bildungswesen (vgl. Kussau/Brüsemeister 2007, Schimank 2009). Hintergrund der ursprünglichen politikwissenschaftlichen Begriffsbildungen war die empirische Begleitung groß angelegter, gesamtgesellschaftlicher Reformprogramme in den 1970er-Jahren, die unter dem Leitbegriff der politische Planung implementiert wurden und – kurz gesprochen – ihre Erwartungen nicht erfüllt hatten (vgl. Scharpf/Reissert/Schnabel 1976). Insofern gehört die Feststellung einer begrenzten Steuerungsfähigkeit der Politik bei der Durchsetzung von komplexen Reformanliegen zu den zentralen Ausgangsphänomenen dieses Forschungsansatzes – mit der Konsequenz, den Blick auf weitere indirekte, kontextbezogene, marktförmige oder auch partizipative Formen politischen Handelns zu lenken.
Die empirisch-fallbezogene Orientierung prägt bis heute den Forschungsansatz und ist ausschlaggebend für ein zentrales Charakteristikum. Die Governance-Forschung bezeichnet sich bewusst nur als Forschungsperspektive und somit als offenes, variantenreiches, ergänzbares und ergänzungsbedürftiges Konzept (vgl. Benz 2004). Es handelt sich um eine Theorie mittlerer Reichweite, die „lediglich“ zum Verständnis einer konkreten, zeitlich und räumlich begrenzten Praxis analytisch hilfsreiche Begriffe und Konzepte beizusteuern beansprucht. Dennoch gibt es eine Reihe konsensueller Grundannahmen und Analyseschwerpunkte.
Im Mittelpunkt der empirischen und analytischen Forschungsbemühungen steht jeweils die Rekonstruktion von Akteurskonstellationen; d. h. von bestehenden oder auch fehlenden Kommunikationsbeziehungen, Ressourcenverteilungen und Zugriffsrechten zwischen Personen und/oder Organisationen, die an einer konkret beobachtbaren sozialen Praxis beteiligt sind. Politische Akteure sind innerhalb dieser sozialen Praxen grundsätzlich nur ein Akteur neben anderen, auch wenn ihre Anliegen z. B. im Rahmen einer Programmevaluation politische Maßnahmen besonders fokussiert werden. Daneben ist aber die unhintergehbare Akteursvielfalt und Interessenpluralität in Akteurskonstellationen eine wesentliche Grundannahme der Educational Governance.
Zentral für die Perspektive der Educational Governance ist schließlich der Begriff des Akteurs selbst. Er stellt zunächst eine Beschränkung der Analyseinteressen dar. Personen und Organisationen werden vor allem als in sozialen Kontexten eingebundene, bewusst und zielgerichtet Handelnde beschrieben, mit einer entsprechenden Betonung beobachtbarer rational-zweckorientierter Verhaltensweisen. Der lebendige, individuell erlebte Alltag ist nur Analysegegenstand für die in ihm vorfindbaren regelhaft wiederkehrenden Strukturen und Prozesse oder nahe liegenden Sichtweisen und Positionen. Der Akteursbegriff bedeutet zudem eine Referenz auf die soziologische Rollentheorie: Personen und Organisationen werden als Inhaber von Rollen in sozialen Konstellation gefasst, die weitgehend durch institutionalisierte Regelsysteme und soziale Erwartungen bestimmt sind und dadurch auch die Selbstbeschreibungen und das Selbstverständnis der Akteure formen. Zugleich gehört es aber zur Grundannahme der Educational Governance Perspektive, dass Akteure bei aller sozialen Eingebundenheit prinzipiell zu einem autonomen, selbstbestimmten Handeln fähig sind und bleiben (siehe hierzu ausführlich Mayntz/Scharpf 1995).
Die These der Duplizität von Eingebundenheit und Freiheit der Akteure in Akteurskonstellationen dokumentiert sich im Begriff der Interdependenz, als Bezeichnung einer gegenseitigen Aufeinanderverwiesenheit. Das konkrete Ausmaß der Interdependenz von Akteuren in Akteurskonstellationen ist allerdings immer erst empirisch zu bestimmen. Für die Analyse empfiehlt die Educational Governance Perspektive eine Reihe von Beobachtungskriterien wie Ressourcenverteilungen, Zugriffsrechte sowie Regelungs- und Leistungsstrukturen (Kussau/Brüsemeister 2007; Altrichter/Heinrich 2007). Andererseits werden grundlegende Beziehungstypen zwischen Akteuren differenziert (Beobachtung, Beeinflussung und Verhandlung), die dann unterschiedliche (Misch-)Typen von Akteurkonstellationen konstitutieren, die eher marktförmig, hierarchisch oder gemeinschaftlich-netzwerkartig sein können. Die Verknüpfung all dieser verschiedenen Analyseaspekte zu einer Gesamtbeschreibung erlaubt schließlich die Kennzeichnung von Governance-Regimen als begrifflich-systematische Benennung der Art der gegenseitigen Abhängigkeiten und Verweisungen von Akteuren in Akteurskonstellationen (vgl. Schminank 2007)[2]. Diese Analysenschritte haben noch deskriptiv-analytischen Charakter und gehen evaluativ-konzeptionellen Fragen nach, wie z. B. nach etwaigen Leistungsdefiziten oder Reformmöglichkeiten in Akteurskonstellationen.
Schließlich – und nicht zuletzt – ist für die Akteurskonstelleationen, die in der Educational Governance Perspektive zumeist untersucht werden, der Begriff des Mehrebenensystems[3] als eine bedeutsame Verkomplizierung der Beziehungen der verschiedenen Akteure relevant. Mit dem Begriff Mehrebenensystem wird hervorgehoben, dass Akteurskonstellation mitunter durch interne Differenzierungen bestimmt sind, die abgrenzbare „Räume“ konstituieren, die für sich einen jeweils eigenständigen Erfahrungsraum darstellen. Akteure haben demnach nicht nur rollenspezifisch verschiedene Sichtweisen und Interessen. Sie bewegen darüber hinaus auch in divergenten Handlungskontexten, mit unterschiedlichen situativen und normativen Bezugspunkten, die die Kommunikation und Koordination grundlegend erschweren. Bezogen auf das deutsche Schulsystem lassen sich zwischen drei bzw. vier Systemebenen unterscheiden:
a) die politisch-administrative Makroebene allgemeiner Regelsetzung und Ressourcenzuweisungen,
b) die organisationale Mesoebene der Einzelschule mit ihren situativ angepassten Konkretisierungen, Differenzierungen und Ergänzungen dieser Vorgaben und
c) die interaktionell-persönliche Mikroebene des Unterrichts bzw. der einzelnen Lehrkräfte, in der die bestehenden Vorgaben wiederum eine situative Konkretisierung erfahren (vgl. ausführlich Fend 2008). Zudem ist noch
d) ein weites Feld intermediärer Akteure abzugrenzen, die als Schulaufsicht, als schulbezogene Fortbildungsinstitute oder selbstständige Schulberater wichtige Zwischenpositionen in den Kommunikationen zwischen den Systemebenen besetzen.
Kennzeichnend für die interdependenten Beziehungen von Akteuren bzw. Systemebenen ist dabei gerade in Mehrebenensystemen, dass die einzelnen Akteure zum Vollzug ihres Rollenhandelns auf Leistungen anderer Akteure und anderer Systemebenen angewiesen sind, ohne diese ersatzweise selbst erbringen zu können (vgl. auch die Prinzipal-Agent-Theorie, Pratt/Zeckhauser 1985). Anders gesagt, die vorhandene Verteilung von Ressourcen und Zugriffsrechten erlaubt keinem der Akteure eine absolut dominierende Stellung, auch wenn sehr ungleichgewichtige Einfluss- und Machtverhältnisse wie z. B. zwischen Vorgesetzten und Untergebenen möglich sind. So kann die Bildungspolitik ihre, in Schulgesetzen und Lehrplänen verankerten, Bildungsziele nur umsetzen, wenn die Lehrkräfte in konkreten Unterrichtsituationen ihre Arbeit tun. Die Politik kann nicht selbst unterrichten und muss in ihrem Handeln somit prinzipiell die Notwendigkeit einer Akzeptanz ihrer Vorgaben durch Schulen und Lehrkräfte beachten. Kurz: Vielfältige Checks und Balances beschränken die Durchsetzbarkeit politischer Programme. Für Erfolg versprechendes politisches Handeln sind – bei aller Vorsicht gegenüber normativen Kurzschlüssen – daraus vor allem zusätzliche Anforderungen an Informiertheit, Umsicht und strategischer, der eigenen Begrenzungen bewusster Klugheit abzuleiten.

3. Inklusive Bildung aus Sicht der Educational Governance

Was bedeutet nun die Perspektive der Educational Governance für das Verständnis der Reformmöglichkeiten und Grenzen der inklusiven Bildung?
Zuallererst bedeutet Educational Governance eine Betonung der Einordnung dieses Reformanliegens in das Bestehende und Allgemeine: auf die historisch gewachsene Akteurskonstellation des deutschen Bildungswesens, in dem sich die beteiligten Akteure im Wesentlichen und bei allem individuellen Unbehagen und Alternativvorstellungen eingerichtet haben. Neben einer Fülle von Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die den normativen-institutionellen Rahmen des Bildungswesen mit seinen allgemeinen Zielsetzung, Strukturen und Verfahrensweisen dokumentieren, sind es vor allem die bestehenden Gebäude und Einrichtungen, mit dem in ihnen beschäftigtem Personal, die den aktuellen Bestand dieser sozialen Praxis definieren. Akteure des Bildungswesens befinden sich dabei nicht allein als Lehrkräfte in den Einzelschulen, sondern auch in den Kommunalverwaltungen, die als Träger der schulischen Gebäude und Ausstattungen fungieren, sowie in der staatlichen Bildungsverwaltung von den regionalen Schulämtern bis hin zur obersten Schulaufsichtsbehörde, dem Ministerium. Hinzu kommen Einrichtungen und Personen in der Aus-, Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte (bis hin zu entsprechenden universitären Instituten), die aus dem bisherigen Bestand des Bildungswesens ebenfalls die Legitimation und ressourcenmäßige Fundierung ihrer Tätigkeit gezogen haben. Nicht zu vergessen sind Interessenvertreter von Eltern, Schülerinnen und Schülern, Kirchen, Wirtschaftsverbänden und wiederum die Lehrkräften als wichtige, sich selbst organisierende Gruppen, die über vielfache Mitsprache- und Anhörungsmöglichrechte verfügen, sei es aufgrund einer rechtlichen Verfügung oder aufgrund ihres prinzipiellen Einflusses auf öffentlich-mediale, politische, kommunale oder einzelschulische Meinungsbilder.
Mit Blick auf das Reformanliegen inklusiver Bildung erscheint in einem ersten Analyseschritt diese allgemeine Nachzeichnung der Akteursvielfalt im deutschen Bildungswesen ergänzungsbedürftig: Nicht nur, dass die vereinfacht unterstellte Homogenität der Schullandschaft nunmehr schulformbezogen zu differenzieren ist, auch werden schulformbezogene Unterschiede bei der Gewichtung der relevanten Akteure und der Ressoucenausstattung bzw. Ressourcenströme deutlich[4]. Bezogen auf die Landschaft von Förder- und Sonderschulen ist z. B. der größere Stellenwert von privaten – zumeist kirchlichen – Schulträgern zu nennen. Bei einer deutschlandweiten Privatschulquote von 9,2% im allgemein bildenden Schulbereich beträgt der Anteil privater Träger im Förderschulwesen 19,8%, in Bayern sogar 52,9% (vgl. Statistisches Bundesamt, Schuljahr 2009/2010). Eine staatliche Durchsetzung des Anspruchs inklusiver Bildung bedeutet vor diesem Hintergrund nicht nur eine Umgestaltung der staatlichen Schullandschaft – also eine letztlich behördeninterne Maßnahme – sondern einen verfassungsrechtlich legitimierungsbedürftigen Eingriff in ein bestehendes Privatschulsystem, dessen Weiterbetrieb an neue, erhebliche Auflagen gebunden wird – zu Lasten eines vorhandenen und gegenüber staatlichen Eingriffen schutzberechtigten Bestands an Gebäude, Personal und monetärem Umsatz bzw. Gewinn. Eine Aufnahme der Kinder mit Behinderungen von privaten Förderschulen in staatliche Regelschulen bedeutet zudem ein Verschiebung der finanziellen Lasten für den fallbezogenen zusätzlichen Ausstattungsbedarf von der Landesebene (als Mittelzuwender der privaten Schule) auf die Kommune als Träger der örtlichen Schullandschaft (vgl. Bayerischer Landtag 2011, S. 4f.).
Eine wesentlich bedeutsamere Stellung in der Akteurskonstellation des Sonderschulwesens nehmen im Vergleich zu anderen Segmenten des Schulsystems auch die Eltern ein. Dies ist einerseits aus der gewachsenen, intensiveren Kommunikations- und Vertrauensbeziehung zu den Lehrkräften an Sonderschulen zu erklären (Prengel 2008) und andererseits aus dem gegenüber den Eltern anschlussfähigeren sonderschulischen Arbeitsauftrag abzuleiten, bei dem das tägliche Wohlbefinden und ein individuell angemessenes Aufwachsen der Einzelkinder im Vordergrund steht (vgl. Wocken 2010). Inklusion bedeutet vor diesem Hintergrund sowohl eine tendenzielle Begrenzung des Elternkontakts und der elterlichen Mitsprache in der Schule, als auch eine Minderung des bestehenden erzieherischen Konsenses zwischen Elternhaus und Schule. Insbesondere der Positionskonsens unter den Eltern, durch die Schulformtrennung bisher prinzipiell gestützt, wird durch die Aufnahme stärker individuell förder-, schutz- und teilweise nachsichtsbedürftigen Kinder in die Regelschule gefährdet. Dabei haben die Eltern von Kindern mit Behinderungen eine rechtlich komfortablere Position. Bei einer behördlich anerkannten Behinderung können sie entsprechende Förder- und Ausgleichsaktivitäten der Schule einfordern, während Eltern von Kindern ohne eine solche Anerkennung die anonymisierende Gleichbehandlung ihres Kindes angesichts allgemeiner Lehrpläne und Leistungserwartungen letztlich akzeptieren müssen. Noch weitergehend haben die Eltern von Kindern mit Behinderungen die Möglichkeit – gestützt durch Art. 6 Abs. 2 GG – zu hinterfragen und rechtlich prüfen zu lassen, ob die ortsnahe Regelschule eine angemessene Bildung und Erziehung spezifisch ihres Kindes gewährleisten kann. Insbesondere im Kontrast zum bestehenden Sonderschulwesen mit seinem anerkanntermaßen pädagogisch wertvollen Betreuungsmöglichkeiten und angesichts von Kindern mit schwerwiegenden, mehrfachen Behinderungen dürften hier Bedenken der Eltern eine hohe, gerichtlich relevante Plausibilität haben. Faktisch erwächst damit aus dem kindeswohlorientierten elterlichen Bestimmungsrecht über Bildungsort und Bildungsweg ihres Kindes eine Bestandsgarantie für einen Teil der Förderschulen zumindest solange, wie diese eindeutig bessere Bedingungen der individuellen Förderung bieten können als die örtlichen Regelschulen.
Traditionell haben private als auch staatliche Förderschulen gegenüber den allgemein bildenden Regelschulen einen erheblichen Ausstattungsvorteil: die Lerngruppen sind deutlich kleiner, die räumlichen Möglichkeiten flexibler und das pädagogische Personal spezifisch geschult. Gestützt wird insbesondere die bessere Personalausstattung durch höhere Mittelzuweisungen, die sich nicht nur – wie in Regelschulen – an der bloßen Anzahl der Schülerinnen und Schüler, sondern zusätzlich an dem diagnostisch individuell ermittelten Betreuungsbedarf orientieren. Die Finanzierung von pädagogischen Sonderbedarfen an Regelschulen erfolgt im Gegensatz zur individuellen Bedarfszumessung an Förderschulen traditionell über Pauschalen, die anhand allgemeiner statistisch abbildbarer Kennwerte zugesprochen werden (s. illustrierend Abgeordnetenhaus Berlin 2011). Ein herausforderungsreicheres soziales Umfeld der Schule, gemessen z. B. als Anteil von Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, führte so üblicherweise „nur“ zu einem prozentuellen Anwachsen des in der Schule verteilbaren Pools an Deputatsstunden für die Lehrkräfte. Wie z. B. das Umsetzungskonzept inklusiver Bildung im Bundesland Berlin (ebd. S. 56f.) andeutet, könnte nun im Rahmen fortschreitender inklusiver Bildung auch die Mittelzuweisung für den sonderpädagogischen Förderbedarf stärker pauschalisiert und damit vom Einzelfall und dem konkret vorhandenen Betreuungsbedarf an einer Schule abstrahiert werden. Im Konzept des Landes Berlin geht die Schulbehörde – bei einem Erhalt von einzelnen Förderschulstandorten – davon aus, dass durch diese Umstellung der Finanzierung sonderpädagogischer Förderung auf pauschale Mittelzuweisungen an Regelschulen, Finanzmittel in einem erheblichen Umfang eingespart werden können, die die Reform insgesamt zu refinanzieren vermögen (ebd. 79f.). Der zentrale Ausgabeposten, der sich dabei sparen lässt, sind die erhöhten Gehälter für Sonderschullehrkräfte, mit denen ihre besondere persönliche Belastung ausgeglichen werden sollte (ebd., S. 82). Diese bisher entgoltene Sonderbelastung wird durch die Maßnahmen der inklusiven Bildung somit in das normale Arbeitsplatzprofil aller Lehrkräfte integriert und verallgemeinert.
Das inklusionspädagogische Argument, dass sonderpädagogische Mittelzuweisungen in einer Pädagogik der Vielfalt an Berechtigung verlieren, da sie kriterienorientiert bestimmte Kinder von anderen unterscheiden, ist konzeptionell verständlich, akteurstheoretisch gesehen neigt es dazu, die Konfliktpotentiale des Umstellungsprozesses im Sinne des Reformanliegens zu wenig zu berücksichtigen. Aus Sicht gewerkschaftlicher Interessenvertretungen dürfte eine Pauschalisierung von bedarfsbezogenen Mittelzuweisungen, die mit einer Aufhebung gehaltsbezogener Anerkennungsleistungen von Sonderbelastungen der Lehrkräfte einhergeht, zu Widerstand führen. Vorliegende Modellprogramme und Umstellungskonzepte der Bundesländer, die mit sonderpädagogischen Mittelpauschalen oder Abminderungsstunden den gemeinsamen bzw. integrierten Unterricht befördern, dokumentieren in goverancetheoretischer Lesart eher ein politisches Bemühen um Minderung von Konfliktpotentialen als ein Unverständnis gegenüber den Ansprüchen von Inklusion.
Ein ähnlich zögerliches, anhand der bestehenden sonderpädagogischen Aufgaben und Ressourcenverteilung ansetzendes Vorgehen zeigt sich auch bei den politischen Planungen der fortgesetzten Gewährleistung einer angemessenen Förderdiagnostik insbesondere bei der  verbindlichen Festsetzung eines individuellen Förder- und Ausgleichsbedarfs und dessen Umsetzung in individuellen Förderplänen. Solche neben pädagogischen oft auch medizinische Fachkenntnisse voraussetzenden Kind-Umwelt-Diagnosen können, so der Tenor in den entsprechenden Länderkonzepten, kaum von den „normalen“ Lehrkräften allein übernommen werden. Bisher wurden sie koordiniert und zentralisiert über die Sonderschulen in Kooperation mit Fachärzten durchgeführt. Eine vergleichbare Qualität und Intensität der diagnostischen Betreuung mit dem vorhandenen Personal der örtlichen Regelschulen (und Arztpraxen) gewährleisten zu wollen, scheint – und angesichts der Vielfalt bisher diagnostisch fein unterschiedener Behinderungen – flächendeckend unrealistisch.
Analytisch betrachtet bedeutet dies, dass die Reform zur inklusiven Bildung sowohl bestehende Kompetenzerwartungen als auch Zugriffsrechte und Ressourcenverteilungen einer bestehenden Konstellationen von sonderpädagogisch-medizinischer Förderdiagnostik grundlegend in Frage stellt. Die Bundesländer verzichten allerdings – wie bisherige Umsetzungspläne inklusiver Bildung aufzeigen – auf eine ersatzlose Streichung (vgl. stellvertretend für andere Abgeordnetenhaus Berlin 2011). Sie planen vielmehr, die diagnostischen Aufgaben sogar weiterhin zentralisiert zu belassen, indem sie bisherige Förderschulstandorte zu Förderzentren umwandeln, von denen aus qualifizierte Diagnostiker und Beratungslehrkräfte die Regelschulen einer bestimmten Region betreuen. Ein wesentlicher Anteil der bisherigen einrichtungsgebundenen Stellenprofile von Sonderschullehrkräften wird sich damit zu einer örtlich flexiblen, bedarfsbezogen, zwischen Einzelschulen hin und her wechselnden Tätigkeit wandeln. Unberücksichtigt bleibt bei diesem Umstellungsprozess wiederum, dass dem Ansatz der Inklusion eigentlich eine Dekategorisierungsbemühung entspricht, demnach die besondere medizinische und sonderpädagogische Diagnosekompetenz in eine allgemeine für alle Lehrkräfte zu fordernde Kompetenz zur Planung eines individualisierten Unterrichts und zur Erstellung von individuellen Förderplänen für alle Schülerinnen und Schüler aufgehen müsste. Mit der politisch-administrativen Gewährleistung eines Beratungs- und Unterstützungssystems für spezifische Förderdiagnosen, für die sich Lehrkräfte womöglich nicht qualifiziert fühlen (wie z. B. Rheumatikern und Autisten), kann voraussehbaren gewerkschaftlichen aber auch elterlichen Bedenken argumentativ begegnet werden.
Aus governancetheoretischer Sicht können schließlich auch – gesamtsystemisch dysfunktionale – Folgewirkungen dieser konfliktscheu-kompromisshaften Reformbemühungen prognostiziert werden. Grundlegend ist die governancetheoretischen Annahme, dass sich die in Akteurskonstellationen handelnden Akteure vorwiegend am eigenen Nutzen orientierten, d. h. die bestehenden politischen Rahmensetzungen in ihrem eigenen Sinne interpretieren und zu ihrem eigenen Vorteil nutzen. Die Praxis pauschalisierter sonderpädagogischer Mittelzuweisung dürfte so im Hinblick auf strategische Verhaltensweisen der einzelnen Regelschulen zu einem scheinbar im Schulsystem beständig wachsenden Diagnose- und Förderbedarf führen, der insbesondere im Kontext von Lernschwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten, das Thema eines begabungsdifferenzierten Unterrichts politisch aktuell halten dürfte. Strategisch dürfte  es nämlich für die Einzelschulen vorteilhaft sein, wenn sie die Betreuung von Kindern mit Behinderungen sowieso übernehmen müssen und fallanzahlbezogene Mittelpauschalen erhalten,  die schulstatistisch anzugebende Anzahl der von ihnen betreuten Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf generell zu erhöhen. Insbesondere wenn auch die diagnostischen Aufgaben auf die Einzelschulen delegiert werden, ist damit die Tendenz nahe gelegt, dass mehr Schülerinnen und Schüler als förderbedürftig eingestuft werden –  vor allem  in dem medizinisch weniger standardisierten, weniger schwierigeren bzw. pädagogisch nahe liegenderen Förderbereichen der emotionalen und sozialen Entwicklung sowie des Lernens[5]. Hilfreich für eine solche statistische Ausweitung des sonderpädagogischen Förderbedarfs ist auch die bildungspolitisch getragene Konzeption eines individualisierten Unterrichts, die diagnostische Feststellungen veralltäglicht und ihnen tendenziell ihre stigmatisierende Schärfe nimmt[6]. Die so ansteigenden Pauschalsätze verteilen sich – aus Sicht der Schulen – dann günstiger zwischen anspruchsvollen und weniger anspruchsvollen Betreuungsaufgaben. Aus Sicht der finanzierenden Schulverwaltung dürften anfängliche Minderungen in den sonderpädagogischen Ausgaben allerdings mittelfristig in einen flächendeckend steigenden Förderbedarf umschlagen und neue ausgleichende Regelungen herausfordern.
Goverancetheoretisch ist der Mehrebenencharakter der schulsystemischen Akteurskonstellation der bestimmende Faktor für diesen – voraussagbaren – fortgesetzten sonderpädagogischen Finanzierungs- und Regulierungsbedarf. Kurz gesagt geht es darum, dass allgemeine rechtliche Regelungen der politisch-administrativen Makroebene erst auf der Mikroebene der einzelnen Schule oder der einzelnen Schülerinnen und Schüler angewendet werden. Aus dieser Abtrennung von Regelungs- und Anwendungssituation ergeben sich systematisch Interpretationsspielräume, die in den separiert-situierten Anwendungskontexten zu einem taktisch-individuell vorteilhaften Verhalten von Einzelnen zum impliziten Nachteil der Gesamtheit genutzt werden können. Relevant hierfür sind insbesondere Regelungen, bei denen der Staat die individuelle Berechtigung zu lukrativen Ressourcenzuweisungen oder Zugriffsrechten mit dem Vorliegen bestimmter einzelfallbezogener Bedingungen verbindet. Im Bildungssystem sind z.B. die schulisch vergebenen Zeugnisse und Berechtigungen eine solche auf der Makroebene geregelte und auf Mikroebene vergebene einzelfallbezogene staatliche Leistung, mit einer individuell hoch relevanten und lebenslang wegweisenden Wirkung. Dem Anspruch nach stellen diese Zertifikate eine objektive und vergleichbare Dokumentation individueller Leistungen und Fähigkeiten dar, die weiterführenden Bildungsinstitutionen oder auch Arbeitgebern eine verlässliche Orientierung zur individuellen Gewährung weiterer Entwicklungsmöglichkeiten bieten.
Für die politisch-administrative Ebene ergibt sich der stetige Regulierungsbedarf für Zugangserleichterungen zu solchen Leistungen nicht nur aus der Abwägung zwischen öffentlichen Finanzierungsmöglichkeiten und fallbezogenem Unterstützungswillen, sondern vor allem im Bestreben der Verhinderung von Missbrauch, d. h. der taktischen Erschleichung der Leistungen ohne ausreichende fallbezogene Berechtigung. Im Fall inklusiver Bildung sei hier vor allem der so genannte Nachteilsausgleich angesprochen, der Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen im Unterricht und bei Prüfungssituationen zu gewähren ist.
Während solche Ausgleichsregelungen im Unterricht weitgehend unproblematisch sind bzw. „nur“ einen pädagogisch-didaktischen Handlungs- und Koordinationsauftrag an die einzelnen Lehrerkollegien darstellen, ist der Regelungsbedarf im Fall von Abschlussprüfungen deutlich höher und komplizierter. Da mit schulischen Abschlüssen langfristige individuelle Vorteile verbunden sind, muss der individuell rationalen Möglichkeit begegnet werden, sich durch die „Erschleichung“ eines Anspruchs auf einen Nachteilsausgleich in Prüfungssituationen einen Vorteil zu verschaffen.
Der Anfang 2011 öffentlich vorgelegte KMK-Entwurf für Empfehlungen zur „Inklusiven Bildung“ dokumentiert diese Befürchtung. Aus dem allgemeinen Gebot einer Gleichbehandlung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Abschlussprüfungen resultiert für die KMK eine deutliche Begrenzung des schulisch zu gewährenden Nachteilsausgleichs in Prüfungssituationen. Nur wenn durch eine Behinderung eine „technische Umsetzung durchaus vorhandener Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse […] erschwert ist und wenn die Beeinträchtigung durch Hilfsmittel ausgeglichen werden kann“, so formuliert es der KMK-Entwurf (2010b, S. 13, Hervorhebungen M.R.), sei ein Nachteilsausgleich allgemein zulässig. Ausgeschlossen sind damit vor allem Ausgleichsmöglichkeiten für Menschen mit geistigen Behinderungen, die ansonsten z. B. einen Anspruch auf Aufgabenstellungen in einfacher Sprache geltend machen könnten[7].
Während inklusive Bildung somit beansprucht, die geistige und soziale Eingangshomogenisierung der Schule zurückzunehmen, bleibt auf der anderen Seite das Prinzip selektierender Leistungsbewertung auf Basis allgemeiner Standards konstant. Implizit gestützt und fortgeschrieben ist so das strikt akademisch orientierte, auf die Vermittlung allgemeiner Studienreife zielende Selbstverständnis des gymnasialen Bildungsgangs. Voraussagbar ist so, dass sich die öffentliche und parteipolitische Debatte um die Notwendigkeit begabungsdifferenzierender Bildungsangebote fortsetzen wird. Die Positionen und Argumente, dass insbesondere der Zugang zum Gymnasium weiterhin an bestimmte homogenisierende kognitive und emotional-soziale Voraussetzungen zu knüpfen sei, werden im Zuge der Umsetzung der Reform eher zunehmen. Inwieweit sie im Konzept und unter der Leitformel eines individualisierten und zieldifferenten Unterrichts eine kompromisshafte Beruhigung finden können, wird zu beobachten sein.
Mit dem Analyseinstrumentarium der Educational Governance Perspektive ließe sich weiterführend herausarbeiten, dass die offensichtlich widersprüchliche und inkonsequente Umsetzung des Anspruchs inklusiver Bildung, auf dem traditionell gewachsenen Gewicht und dem Einflussreichtum mit dem Gymnasium ideell verbundenen Akteuren beruht, die über gut organisierte Interessenverbände, exzellente Kontakte in politische Parteien, zu Medien, Wirtschaft oder auch zu Hochschulen fähig sind, politische Aktivitäten, die die Leitinstitution des deutschen Bildungswesens gefährden, nachhaltig zu blockieren. Dieser mit umfassenden Vetomöglichkeiten versehene Akteurszusammenhang ist unabhängig von der Frage inklusiver Bildung gut dokumentiert (vgl. Fluck 2003), hat aber auch im Feld der inklusiven Bildung seine Bedeutung.

4. Ergänzungen, Zusammenfassung und Ausblick

Die Kennzeichnung der Akteurskonstellation bei der Reform inklusiver Bildung verbleibt mit den bisherigen Beispielen auf der Ebene der begrifflich-analytischen Rekonstruktion einer bestehenden Praxis – mit kleinen Ausblicken auf konzeptuelle Überlegungen in einzelnen Bundesländern oder der KMK und auf aus governancetheoretischen Grundannahmen abzuleitenden Hypothesen. Die Darstellungen könnten einerseits noch gut um weitere Akteure und Aspekte ergänzt werden; zu nennen wären die auf soziale Dienste für Menschen mit Behinderungen spezialisierten Organisationen (z. B. die Lebenshilfe), insbesondere mit ihren Fahrdiensten, die sich im Zuge der Reform zu inklusiver Bildung ebenfalls umzustellen haben. Mit Blick auf die politische Entscheidungsebene und politische Kompetenzverteilungen im deutschen Bundesstaat wären Koordinationsbedarfe zwischen den Ländern aber auch verschiedenen Politikfeldern und Ministerien hervorzuheben – insbesondere zwischen der Sozial- und Bildungspolitik. Neben politischen Programmkoordinationen geht es hierbei auch um Haushaltsmittel, vor allem bei den anstehenden umfassenden Umbauarbeiten an Regelschulen, um die Barrierefreiheit vor allem für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen zu gewährleisten. Zudem dürfte der Bedarf an flexibleren und individualisierten Lehr- und Lernmaterialien wachsen, womit die privatwirtschaftlich agierenden Schulbuchverlage, die staatlichen Unterstützungssysteme der Lehrerfort- und -weiterbildung, als auch die Universitäten angesprochen sind, die hier entweder zusätzliche Kosten oder zusätzliche Tätigkeitsfelder entdecken können. Andererseits – und dies wäre eine weitergehende Stufe der Governance-Analyse – könnte die so umrissene Akteurskonstellation als Geflecht unterschiedlicher Beziehungstypen (beobachten, beeinflussen, verhandeln) rekonstruiert werden, um so die vorhandenen Interdependenzstrukturen generalisierender zu kennzeichnen. Soziale Beziehungen, die auf gegenseitigen Beobachtungen beruhen, erscheinen dabei grundsätzlich weniger abhängig von beziehungskonformen Verhaltensweisen des Gegenübers und damit flexibler – als z. B. Beeinflussungsstrukturen (der andere muss sich beeinflussen lassen) oder Verhandlungen (der andere muss sich aktiv in die Verhandlungen einbringen und an einer gemeinsamen Verhandlungslösung interessiert sein).
Eine solche analytisch rekonstruierende Gesamtanalyse der Akteurskonstellation inklusiver Bildung kann hier nicht vorgenommen werden und muss Gegenstand eines weiterführenden Beitrages sein. Der Anspruch der vorliegenden Studie war lediglich in Kontrast zu bestehenden Erklärungsansätzen des Konfliktpotentials inklusiver Bildung auf die Perspektive der Educational Governance als eine weitere Möglichkeit zu verweisen. Verdeutlicht werden sollte so vor allem der grundlegende konzeptuelle Zugang (die Rekonstruktion von Akteursbeziehungen innerhalb einer sozialen Praxis), dessen Anwendbarkeit auf das Reformanliegen inklusiver Bildung illustrierend aufgezeigt werden sollte. Neben dem Aufzeigen dieser Analysepotentiale diente die Darstellung des Ansatzes der Educational Governance Perspektive auch dazu, von vornherein bestimmte bewusste Eingrenzungen der Analysen sichtbar zu machen. Mit dem vorrangig empirisch-fallorientierten Forschungsansatz geht ein strategischer Verzicht auf die Universalität der Aussagesysteme einher. Mit den Beobachtungsphänomenen des Akteurs und der Akteurskonstellation verbindet sich eine prinzipielle Formalisierung lebensweltlicher Alltagserfahrungen und psychologisch-emotionaler Komplexität der einzelnen Personen mit einem Interesse des Aufdeckens von Regelmäßigkeiten und Mechanismen.
Die bewusst vorgenommenen konzeptionellen Einschränkungen und Festlegungen der Educational Governance Perspektive rechtfertigen mit ihrer heuristischen Ergiebigkeit: sie sollen es erlauben, eine konkreten Phänomenzusammenhang vereinfachend im Sinne bestimmter Erkenntnisinteressen und Handlungsorientierungen zu erschließen. Ergiebigkeit beanspruchen Governanceanalysen dabei vor allem für Fragen des Entstehens und der Reproduktion sozialer Ordnung und der Gestaltbarkeit sozialer Ordnungen. Kurz gesagt und auf das Bildungswesen angewendet, geht es um Praxen der bildungspolitischen Steuerung und der planvollen Bildungsreform. Diese sollen insbesondere hinsichtlich ihrer Machbarkeit und Wirksamkeit vorausschauend besser analysiert werden können.
Was erlaubt die Perspektive der Educational Governance nun an weiterführenden Orientierungen konkret für den Fall inklusiver Bildung? Dazu abschließend und aufbauend auf den Beispielen im Abschnitt III des Beitrages einige kurze Anmerkungen:
1.       Sichtbar werden politische Begrenzungen der Steuerungsfähigkeit gegenüber einem bestehenden, komplexen sozialen System: z. B. angesichts der herausgehobenen Rolle privater Schulträger oder der verfassungsrechtlich geschützten Rolle der Eltern.
2.       Politische Herausforderungen der funktional bzw. qualitativ äquivalenten Ersetzung sonderpädagogischer Leistungserstellung können markiert werden, z. B. bei der sonderpädagogisch angemessenen Gestaltung schulischer Betreuungssituationen als auch bei der Sicherung schulbezogener diagnostischer Kompetenz.
3.       Vorliegende Entwurfspapiere der KMK und einzelner Bundesländer lassen sich als Kompromiss zwischen verschiedenen Akteuren bzw. Akteurspositionen im Bildungswesen rekonstruieren. Auch die Notwendigkeit solcher Kompromisse bzw. restringierender gesamtsystemischer Regelungen wird angesichts begrenzter politischer Steuerungsfähigkeiten deutlich. Als Beispiele sind hier vor allem die forcierte Anerkennung des Elternwahlrechts und die restringierte Zuerkennung eines Anspruchs auf Nachteilsausgleich in Abschlussprüfung zu nennen (vgl. KMK 2010b).
4.       Auch generelle Reformbarrieren lassen sich aufzeigen. Das sichtbarste Beispiel ist immer wieder die Unantastbarkeit des Gymnasiums als Leitinstitution im deutschen Bildungswesen (vgl. Tenorth 2008). Reformmaßnahmen, die die Schulform, die curriculare Ausrichtung und den Leistungsanspruch des Gymnasiums direkt und umfassend tangieren, sind gesellschaftlich kaum durchsetzbar. Dies hat Folgewirkungen auch auf Reformmöglichkeiten in anderen Bildungsgängen, in denen eine prinzipielle Anschlussfähigkeit an den gymnasialen Lehrgang gewahrt werden muss, um Schulformwechsel bzw. einen aufbauenden Erwerb der allgemeinen Hochschulreife vorzubereiten.
5.       Schließlich lassen sich aber auch politische Handlungsoptionen bestimmen und damit auch eine kritische Analyseposition gegenüber der aktuellen Politik bestimmen, inwieweit sie diese Reformpotentiale wahrnimmt und ausschöpft: Interessant sind hier insbesondere die Chancen zu einem schulkulturellen Wandel, die in einer Zusammenlegung von Haupt- und Realschulen liegen. Als geeigneter strategischer Zwischenschritt kann auch das Bemühen um ein Bottom-Up-Anwachsen guter Beispiele für Inklusive Bildung (vgl. Jakob-Muth-Preis) oder einer schrittweisen Umwandlung von Förderschulen in Förderzentren mit einer regionalen Strahlwirkung hervorgehoben werden.

Dass auch diese Anmerkungen letztlich kursorisch bleiben, ist nicht allein den textlichen Begrenzungen des Artikelformats geschuldet. Die Perspektive der Educational Governance ist alles in allem doch sehr jung und muss sich gegenstandsbezogen noch differenzierter entfalten. Der Beitrag dient so nicht zuletzt dazu, zur Mitwirkung an diesem Forschungsprogramm einzuladen.

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[1]     Im folgenden Beitrag werden die Begriffe Förder- und Sonderschule synonym und abwechselnd gebraucht.

[2]     Mit dem Begriff des Regimes ebenso wie mit der Bezeichnung Governance selbst ist oft der fälschliche Eindruck nahe gelegt, eine wesentliche Referenz des Ansatzes wäre Michel Foucault mit seiner Theorie der Gouvernementalität. Abgesehen davon, dass sich beide Ansätze auf ähnliche soziale Phänomene beziehen – die moderne Gesellschaft und die Rolle von Macht und (staatlicher) Regierung in ihr –, sind die Perspektiven aber denkbar unvereinbar. Während die Governance-Perspektive versucht, soziale Zusammenhänge mit einer Konzentration auf beobachtbare Positionen und Handlungen konkreter Akteure zu rekonstruieren, geht Foucault von hintergründig-unbewusst wirkenden diskursiven Vorstellungen aus, die alle Gesellschaftsmitglieder zu einem historischen Zeitpunkt gleichermaßen prägen und somit nur in historischer Abgrenzung beobachtet bzw. als spekulativ-abstrahierende Thesen am Einzelfall illustriert werden können. 

[3]     Der Systembegriff der Educational Governance Perspektive ist nicht systemtheoretisch im Sinne Luhmanns fundiert, sondern bezieht sich „nur“ auf das empirisch beobachtbare Faktum, dass eine Menge von Einheiten (hier Akteure) eine plausibel abgrenzbare Gesamtheit darstellt (das System), dass für die Beziehungen der Akteure untereinander einen spezifischen und eigenständigen – sinnhaften – Rahmen setzt (das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile).

[4]     Auf die notwendige Differenzierung von Förderschwerpunkten und entsprechend spezialisierten Schulen wird im vorliegenden Beitrag verzichtet. Dieser wichtige Aspekt würde die Darstellung erheblich komplizieren.

[5]     Insofern ist das bildungsplanerische Gutachten für das Land Nordrhein-Westfalen von Preuss-Lausitz/Klemm 2011 konsequent, wenn es für die Förderbereiche Lernen, Soziale und Emotionale Entwicklung sowie Sprache (LES) einen sofortigen Aufnahmestopp in die bis 2020 nicht mehr ökonomisch betreibbaren Schulen fordert und zugleich eine Beendigung einer individuellen Förderdiagnostik für diese Förderbereiche vorschlägt. Die so „frei“ werdenden Mittel der betroffenen Förderschulen sollen anhand sozioökonomischer Indikatoren der Zusammensetzung ihrer Schülerschaft den einzelnen Schulen zugewiesen werden.

{6]     Der Widerstand der Eltern gegen solche Diagnosen dürfte im gleichen Maße schwinden, wie erwartbare Folgewirkungen für die Schullaufbahn gemindert sind. Die Auflösung der Sonderschulen hebt vorerst aber nur die Gefahr einer Zwangsverweisung auf, die in einzelnen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen durchaus gegeben war. Nachteilsbefürchtungen für die Übergangschancen in die weiterführenden Schularten bleiben aber angesichts eines gegliederten Schulwesens sicherlich bestehen.

[7]     Dass die Länderpositionen in der KMK bezogen auf den Umfang zu gewährender Nachteilsausgleiche durchaus heterogen sind, zeigt eine nachfolgende Spezifizierung im KMK-Entwurf. Sollte ein Land über die genannten Eingrenzung des Nachteilsausgleichs in Prüfungssituationen hinausgehen wollen und in Anpassung an eine bestehende Behinderung auch eine Zurücknahme von Leistungsanforderungen in Prüfungen ermöglichen, so sind solche Abweichungen von „den allgemeinen Grundsätzen der Leistungsbewertung im Abschlusszeugnis zu vermerken“ (ebd. S. 14).