Thomas Franzkowiak: Schulische Inklusion im Kreis Olpe – Unsinnig, unmöglich, unbezahlbar? Versuch einer persönlichen Zwischenbilanz

Abstract: Die Umsetzung von Art. 24 der UN-Behindertenrechtskonvention hat gravierende Auswirkungen auf die Schullandschaft auf regionaler Ebene. Der Beitrag befasst sich exemplarisch mit der Entwicklung und aktuellen Situation des Gemeinsamen Unterrichts im Kreis Olpe,  dem kleinsten Kreis in Nordrhein-Westfalen. Aus der Sicht eines Sonderpädagogen mit langjähriger Erfahrung im Unterricht an Grund- und Förderschulen werden Stolpersteine auf dem Weg zur Inklusion beschrieben sowie Möglichkeiten zur Gestaltung von Veränderungsprozessen in der Region aufgezeigt.

Stichworte: Entwicklung gemeinsamen Unterrichts auf regionaler Ebene, Strukturwandel auf dem Weg zur Inklusion, Change Management.

Ausgabe: 4/2011

Inhaltsverzeichnis
  1. Anfänge
  2. Ein Zeitsprung von 1996 bis 2011
  3. Kann ein Leopard seine Flecken ändern?
  4. Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern, die anderen Windmühlen
  5. Konsequenzen für die weiteren Schritte auf dem Weg zur Inklusion
  6. Literatur

Vorbemerkung: Der Kreis Olpe im Sauerland liegt im Südosten von Nordrhein-Westfalen und ist mit knapp 140.000 Einwohnern (Stand: 2010) der kleinste Kreis des Bundeslandes.

1. Anfänge

Olpe, im Frühjahr 1996. An der Schule für Körperbehinderte findet eine besondere Lehrerkonferenz statt. Der Schulrat ist da und berichtet unter dem Stichwort „Integrativer Unterricht“ über neue Entwicklungen in der sonderpädagogischen Förderung. An der ein paar Kilometer entfernten Grundschule in Wenden-Gerlingen sollen erstmals im Kreis Olpe vier Kinder mit sehr unterschiedlichem und umfassendem sonderpädagogischem Förderbedarf auf die Initiative ihrer sehr engagierten Eltern hin eingeschult werden. Eine Grundschullehrerin hat sich bereit erklärt, dieses erste Schuljahr zu übernehmen, aber es wird noch eine sonderpädagogische Lehrkraft gesucht, die mit ihr im Klassenteam arbeitet. Da die Körperbehindertenschule die größte Förderschule im Kreis ist, soll sie ein Mitglied aus dem Kollegium mit halber Stundenzahl an die Grundschule abordnen. Aber wen?
Im Lehrerzimmer herrscht langes Schweigen. Keiner der Kollegen ist für den „GU“ (Gemeinsamen Unterricht) ausgebildet. Niemand weiß genau, wie an einer Grundschule unterrichtet wird. Alle sind Spezialisten für SchülerInnen mit bestimmten Behinderungen bzw. Lernerschwernissen – aber nicht gewöhnt an die Arbeit mit „ganz normalen“ Kindern. Wie würde die Tätigkeit als Sonderpädagoge an einer Grundschule aussehen? Wie ist das, auf einmal keine „eigene“ Klasse mehr zu haben und keine weiteren Sonderpädagogen an der Schule, mit denen man sich austauschen kann?
Trotz der eindringlichen Bitte des Schulrats findet sich angesichts dieser und weiterer offener Fragen keine Kollegin und kein Kollege, die/der zu einer Abordnung an die Grundschule bereit ist. Am nächsten Tag Erleichterung im Kollegium, weil alle LehrerInnen an der Schule bleiben können: Es hat sich doch noch jemand gemeldet – meine Frau Eva, die gerade aus dem Erziehungsurlaub in den Schuldienst zurückgekehrt ist.  

Die Entscheidung meiner Frau für den Wechsel von der Förder- in die Regelschule, für die Annahme der Herausforderung Integration behinderter Kinder in der allgemeinen Schule, führte rückblickend auf einen Weg, der uns beide seitdem stark geprägt hat.
Gerade in der Anfangszeit gab es in Gerlingen sehr viel zu tun und zu überlegen. Für alle Beteiligten war der GU neu: für den Schulleiter, für das Kollegium, für die Schulverwaltung, für die Eltern und schließlich auch für die Kinder. Gespräche, Informationsabende, Abstimmungen im Klassenteam und Anschaffungen von Lernmaterialien waren notwendig. Vieles geschah aber nach und nach – der GU ging nicht erst zu einem Zeitpunkt los, an dem alles nahezu perfekt dafür vorbereitet war. Es gab zum Start kein ausgereiftes Konzept für die Organisation des GU, sodass die erste Zeit oft vom Prinzip „Learning by doing“ geprägt war. Bald zeigte sich jedoch: Gemeinsames Leben und Lernen in der Grundschule funktioniert nicht nur in Modellversuchen, sondern auch an einer ganz normalen Schule im Kreis Olpe. Die erste „GU-Klasse“ wurde für alle Kinder, ob mit oder ohne Beeinträchtigungen, zu ihrer Klasse, die sie so, wie sie war, als ganz selbstverständlich empfanden und in der sich rasch ein enges Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelte.

Wichtigster Garant für den Erfolg dieser damals neuartigen Lerngruppe war (und ist heute noch) eigentlich zunächst nur eine Prämisse: Die Beteiligten müssen den GU wollen und bereit zur Kooperation sein!

2. Ein Zeitsprung von 1996 bis 2011

Die damaligen Schüler der ersten GU-Klasse im Kreis Olpe sind ihren Weg gegangen. Mittlerweile sind ihnen viele Kinder ohne und mit besonderem Förderbedarf gefolgt, die zumindest einen Teil ihrer Schulzeit in einem gemeinsamen Klassenraum verbracht haben. In den letzten fünfzehn Jahren hat sich in Europa und in Deutschland einiges getan. Integrative Beschulung ist auch im Kreis Olpe nichts Neues mehr, alle Lehrerinnen und Lehrer kennen das Kürzel „GU“, eine ganze Reihe von ihnen hat bereits selbst Erfahrungen im Gemeinsamen Unterricht sammeln können – und in der jüngsten Zeit sollten alle Pädagogen den Begriff „Inklusion“ und etwas über die damit verbundene aktuelle Diskussion gehört haben. Es gibt inzwischen zahlreiche Forschungsergebnisse, Fachbücher, regelmäßig Fachtagungen mit Fortbildungsangeboten sowie Informationsveranstaltungen und Arbeitskreise zum GU. Über das „Experimentalstadium“ ist das gemeinsame schulische Lernen längst hinaus.

Eines erstaunt mich jedoch immer wieder:
Nach all diesen Jahren ist die Diskussion mit vielen Gesprächspartnern fast unverändert geblieben! Und das, obwohl inzwischen nicht mehr lediglich vier, sondern rund 200 SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf allgemeine Schulen im Kreis Olpe besuchen – Tendenz steigend.

Seit mehr als zehn Jahren biete ich an der Universität Siegen das Seminar „Grundschule – Förderschule – Gemeinsamer Unterricht“ an, an dem bis heute mehr als 800 Lehramtsstudierende teilgenommen haben. In dieser Lehrveranstaltung setzen sich die Teilnehmer mit Grundfragen der Sonderpädagogik, mit der Struktur des Förderschulwesens und verschiedenen Formen sonderpädagogischer Förderung in speziellen und allgemeinen Schulen auseinander. Schon im Seminarskript im Jahr 2000 hatte ich eine kleine Sammlung typischer Argumente gegen Gemeinsamen Unterricht zusammengestellt, denen ich damals als Lehrer in Gesprächen mit Kollegen und Schulleitungen sehr häufig begegnete:

Zehn vielfach geäußerte Vorbehalte gegenüber Gemeinsamem Unterricht:

 

 

 

 

 

Diese und ähnliche Äußerungen höre ich auch heute noch immer wieder, wobei sie manchmal sogar mit noch größerer Vehemenz als damals vorgetragen werden. Es gibt nämlich einen entscheidenden Unterschied: Seit dem Inkrafttreten der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) in Deutschland Anfang 2009 ist klar, dass es auf Dauer nicht mehr nur vereinzelte Klassen oder Schulen mit GU geben wird, wie es im Kreis Olpe vor zehn Jahren noch der Fall war. Heute geht die Diskussion um die inklusive Schule alle Pädagogen an.
Das Konzept der Inklusion ist weitaus umfassender als die ersten Integrationsversuche; auf Schule bezogen bedeutet es u. a. einen freien Zugang für Kinder mit besonderen Förderbedürfnissen zu Regelschulen, wenn sie und ihre Eltern dies wünschen. Dieser Zielvorgabe der Vereinten Nationen haben sich die OECD, die UNESCO, die EU-Kommission, der Deutsche Bundestag, der Bundesrat sowie in NRW der Landtag uneingeschränkt angeschlossen. Die Bundes- und auch die nordrheinwestfälischen Landesparteien haben hierauf reagiert, ebenso die Lehrergewerkschaften GEW und VBE, Behindertenorganisationen wie die Lebenshilfe und Dachverbände wie der Psychologenverband – sie alle und weitere Organisationen haben Positionspapiere erarbeitet, die die Richtung vorgeben: Die gesellschaftliche Teilhabe ist für Menschen mit Behinderungen ein Menschenrecht; sie dürfen nicht von der Gesellschaft ausgeschlossen werden – auch nicht im Bildungsbereich. Das Schulministerium in Düsseldorf erarbeitet momentan im Anschluss an einen parteiübergreifenden Antrag von CDU, SPD, Grünen und Linken vom Dezember 2010 Eckpunkte zur Umsetzung der UN-Konvention auf Landesebene. In diesem Antrag, zu dem es keine Gegenstimmen gab, heißt es u. a.: „Bei der Verwirklichung eines inklusiven Schulsystems darf es nicht zu weiteren Verzögerungen kommen.“

Vor Ort ist die Lage jedoch weniger von einer Aufbruchstimmung geprägt: Die o. g. Entwicklungen werden von zahlreichen Lokalpolitikern und von vielen Lehrerinnen und Lehrern mit Skepsis, z. T. auch als eine Bedrohung, bisher aber erst von wenigen als eine Chance betrachtet.

3. Kann ein Leopard seine Flecken ändern?

Veränderungen in Organisationen vollziehen sich nicht von heute auf morgen, sie unterliegen bekannten Gesetzmäßigkeiten und sind durch unterschiedliche Phasen gekennzeichnet (s. Lungershausen 2010 mit Bezug auf Veränderungsprozesse im Schulbereich). Inklusion ist kein Endprodukt, sondern ein dynamischer, langdauernder Prozess, der ohne Offenheit und Veränderungsbereitschaft auf Seiten aller Beteiligter nicht zu verwirklichen sein wird. An dieser Stelle möchte ich mich auf die Sonderpädagogen und die Lokalpolitiker konzentrieren.

Blicken wir zunächst auf die Sonderpädagogik und ihre Aufgaben. Andreas Fröhlich, einer der angesehensten deutschen Sonderpädagogen, schrieb bereits 1997: „Als übergeordnetes Ziel einer jeden sonderpädagogischen Bemühung gilt das Ziel einer ,Selbstverwirklichung in sozialer Integration‘.“ In diesem Sinne müsste das Streben nach einer inklusiven Schule für alle Kinder eigentlich ein ureigenes Anliegen aller Sonderpädagogen sein. Aufbau und Studieninhalte des Sonderpädagogikstudiums waren allerdings für die meisten sonderpädagogisch ausgebildeten Lehrkräfte primär an spezifischen Beeinträchtigungen und an der Tätigkeit in entsprechenden Förderschulen ausgerichtet. Mit diesen Einrichtungen sind sie gut vertraut; hier fühlen sie sich sicher und kollegial gut eingebunden. Gemeinsames Lernen aller Kinder in allgemeinen Schulen hingegen ist für viele Sonderpädagogen nach wie vor noch kaum vorstellbar. Ohne die Bereitschaft, die eigenen Haltungen und Einstellungen zu überdenken, dürfte sich wenig hieran ändern.

Alle Sonderpädagogen sollten sich daher selbstkritisch mit diesen Fragen auseinandersetzen:

 

Verfolgt man die bisherige Diskussion mit LokalpolitikerInnen im Kreis Olpe in Ausschusssitzungen, bei Informationsveranstaltungen wie auch bei Gesprächen im kleineren Kreis, so fällt auf:

Die letzten vier genannten Punkte treffen in vergleichbarer Form auch auf viele Lehrerinnen und Lehrer an Förder- und an Regelschulen zu.
Ist unter den geschilderten Umständen überhaupt damit zu rechnen, dass Befürworter, Gegner und Abwartende in den nächsten Jahren Lösungsansätze für die Inklusionsfrage finden können?
Entsprechend dem chinesischen Sprichwort möchte ich leicht optimistisch formulieren:

4. Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern, die anderen Windmühlen

Lungershausen (2010) beschreibt genau, in welchen Phasen sich Veränderungsprozesse vollziehen und durch welches „Change Management“ sie begünstigend beeinflusst werden können. Auf den gegenwärtigen Inklusionsdiskurs im Kreis Olpe lässt sich Vieles davon übertragen.


Abb. 1: Wertequadrat zu Veränderung und Widerstand
(Lungershausen 2010, S. 81)

Die Triebfedern der Inklusion in den letzten Jahren waren vor allem der Wunsch von Eltern nach gemeinsamem Unterricht für ihre behinderten Kinder in Regelschulen sowie das Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention – nicht das Anliegen einer großen Mehrheit der Lehrerinnen und Lehrer. Abbildung 1, übertragen auf die Inklusionsdiskussion im Kreis Olpe, bedeutet: Eine Gruppe (u. a. die Vereinten Nationen, der Landtag in NRW, Schulaufsichtsbehörden, Elterninitiativen) fordert die flächendeckende Umsetzung der UN-Konvention in absehbarer Zeit, während eine andere Gruppe (Teile der Lokalpolitik, ein Teil der Lehrerschaft und der Schulleitungen) verunsichert, zögerlich oder massiv ablehnend reagiert. Diese Positionen rund um das „Konfliktfeld Inklusion“ sind grundsätzlich nicht überraschend und auch nachvollziehbar. Hierzu stellt Lungershausen (2010, S. 84) fest: „Viele Widerstände gegen Veränderungen beruhen auf der Tatsache, dass zu viele Veränderungen in zu kurzer Zeit erfolgen sollen. Jeder Mensch hat neben dem Wunsch, etwas Neues zu erleben, auch das Bedürfnis nach Kontinuität. Gerade wenn es die eigene Arbeit betrifft, freut man sich über Beständigkeit, weil man über längere Zeit die erworbenen Denk- und Verhaltensmuster sowie die angefertigten Materialien und Unterlagen anwenden kann. Veränderungen werden deshalb zu Recht als belastend empfunden.“

Wie auch bei anderen gesellschaftlichen und bildungspolitischen Veränderungsprozessen ist es selbstverständlich, dass die Beteiligten an Debatten über Sinn und Unsinn des Reformvorhabens und über mögliche Schritte zu seiner Verwirklichung unterschiedliche, biografiebedingte Einstellungen mitbringen, die sich erfahrungsgemäß nicht leicht ändern. Es ist wichtig, dass sich alle Mitwirkenden dieser Tatsache bewusst sind – auch wenn je nach Thematik und Diskussionsstand der Anteil der in Abbildung 2 genannten Rollenverteilungen schwanken kann.


Abb. 2: Einstellungen zu Neuerungen
(Lungershausen 2010, S. 82)

 

Eines zeigen die bildungspolitischen Entwicklungen und die Elternwünsche der vergangenen Monate: Der Weg hin zur schulischen Inklusion ist unumkehrbar – auch im Kreis Olpe. Daher sollten weitere Gespräche, Veranstaltungen und Inklusionspläne für den Kreis und seine Kommunen der vielfach zitierten Feststellung des früheren Politikers Kurt Schumacher folgen: „Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit.“  
Diese Realität wahrzunehmen und zu akzeptieren ist ein wesentlicher Schritt bei allen Veränderungen – sie rein rational zu sehen ist dagegen kaum möglich. Stähle (2002) hält die Emotionen, die mit einem zur Diskussion stehenden Konfliktfeld verbunden sind, für ganz entscheidend. Dabei beschreibt er vier Phasen des Wandels:

 

 

 

 

Wie bedeutsam in allen Phasen des Wandels die Gefühle der Beteiligten sind, ist häufig in einem „Eisbergmodell“ dargestellt worden:


Abb. 3: Das Eisberg-Modell
(Quelle: http://www.concepton.de/concepton/images/eisbergmodell.gif; online am 11.1.2012)

Auch die bisherige Inklusionsdebatte im Kreis Olpe verdeutlicht: Es wäre falsch, sich auf die „hard facts“ zu beschränken, also auf die logisch-rationale, bewusste Sachebene. Ein Großteil des „Eisbergs“ (in der Literatur liegen die Schätzungen meist zwischen 60–90%) befindet sich „unter Wasser“, also eher im Verborgenen, bezieht sich auf die „soft facts“ und ist mit Emotionen, z. T. mit Unbewusstem verbunden. Wer über Veränderungen der Schullandschaft miteinander ins Gespräch kommen möchte, sollte – so lässt sich aus dem Eisbergprinzip folgern – sehr viel Wert auf die Beziehungsebene legen, Störungen in der Kommunikation vermeiden oder abbauen, um dann auf der inhaltlichen Ebene gemeinsame Wege einschlagen zu können.


Abb. 4: Die Change-Management-Spirale
(Lungershausen 2010, S. 84)

Wie wesentliche Akteure Veränderungsprozesse positiv beeinflussen können, fasst Abbildung 4 zusammen. Sie verdeutlicht, dass man Inklusion nicht von heute auf morgen erreichen kann. Die Situation im Kreis Olpe lässt sich aus meiner Sicht momentan am ehesten Phase 2 zuordnen, wobei die erste Phase noch nicht abgeschlossen ist, es aber auch Anzeichen für den Beginn der Phasen 3 und 4 gibt.

5. Konsequenzen für die weiteren Schritte auf dem Weg zur Inklusion

In den kommenden Monaten und Jahren wird es darauf ankommen, dass möglichst viele am Bemühen um Inklusion Beteiligte im Kreis Olpe sich auf die Thematik einlassen und selbst aktiv gestaltend eingreifen. Hierfür gibt es eine Reihe von Voraussetzungen, die den Erfolg begünstigen können:

In einer Zeit sinkender SchülerInnenzahlen, in der über Veränderungen der Schullandschaft bundes- und landesweit nachgedacht wird und auch im Kreis Olpe erste Auswirkungen deutlich spürbar sind, bieten sich gerade im Hinblick auf die Verwirklichung einer schulischen Inklusion besondere Chancen. Die Äußerungen des nordrheinwestfälischen Arbeits- und Sozialministers Schneider zu den Gelegenheiten zum sozialen Kompetenzerwerb für nichtbehinderte Mitschüler im GU decken sich mit einem Appell von Prof. Jutta Schöler, die auf einer Fachtagung im Oktober 2010 in Siegen auf einen Aspekt hinwies, der in der Diskussion oft vergessen wird:

„Die Trennung von Kindern mit und ohne Behinderung ist auch eine Benachteiligung für Heranwachsende ohne besonderen Förderbedarf. Sie erhalten nicht die Chance, angstfrei und ohne Vorurteile das gemeinsame Leben von sehr verschiedenen Menschen zu erfahren.“[2]

Viele Gründe sprechen für Inklusion – sie ist, um zum Titel dieses Beitrags zurückzukommen, alles andere als unsinnig. Ihre Realisierung ist auch nicht unmöglich, wobei es allerdings wichtig bleiben wird, sich immer wieder über Zielvorstellungen und durchdachte, an der Schulrealität vor Ort orientierte Formen der Umsetzung auszutauschen. Schließlich darf Inklusion auch nicht unbezahlbar sein. Fundierte Vorschläge zur Finanzierung eines inklusiven Bildungssystems haben kürzlich Preuss-Lausitz und Klemm (2011) im Auftrag des nordrheinwestfälischen Schulministeriums erarbeitet.

Mitte Juli 2011 hat der Kreistag in Olpe als Reaktion auf einen Bürgerantrag von zehn Vereinen und Organisationen mit überwältigender Mehrheit beschlossen, einen kommunalen Inklusionsplan zu erstellen und die Öffentlichkeit aktiv und gezielt zu informieren.[3] Es bleibt zu hoffen, dass sich der Kreis Olpe zu einer Region entwickeln wird, deren Schulen sich durch die Anerkennung von Vielfalt, durch Toleranz und Teilhabemöglichkeiten für alle SchülerInnen auszeichnen. Die ersten Schritte sind getan – der weitere Weg in Richtung Inklusion kann nur ein gemeinsamer aller Beteiligter sein.


6. Literatur

Fröhlich, Andreas (1997): Sonderpädagogik. In: Hansen, Gerd / Stein, Roland (Hrsg.): Sonderpädagogik konkret. Bad Heilbrunn: Klinkhardt

Lungershausen, Helmut (2010): Change Management – Schlagwort oder Zauberformel? Wie Schulleitungen Veränderungsprozesse erfolgreich gestalten können. In: Schulverwaltung NRW, 3/2010, 81-84

Preuss-Lausitz, Ulf / Klemm, Klaus (2011): Auf dem Weg zur schulischen Inklusion in Nordrhein-Westfalen.
Empfehlungen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Bereich der allgemeinen Schulen. Gutachten im Auftrag des Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen.
Essen und Berlin, Juni 2011. Online im Internet (Stand: 11.1.2012) unter: www.schulministerium.nrw.de/BP/Inklusion_Gemeinsames_Lernen/Gutachten__Auf_dem_Weg_zur_Inklusion_/NRW_Inklusionskonzept_2011__-_neue_Version_08_07_11.pdf

Stähle, Manfred (2002): Erfolg oder Schiffbruch – die Emotionen entscheiden. Online im Internet (Stand: 11.1.2012) unter: www.staehle.ch/erfolgstipps/changemanagement.pdf

Wocken, Hans (2011): Sonderpädagogen in der Inklusion. Was sie schon können, was sie noch lernen und was sie wieder verlernen müssen. In: Wocken, Hans: Das Haus der inklusiven Schule. Baustellen – Baupläne – Bausteine. Hamburg: Feldhaus Edition, Hamburger Buchwerkstatt, S. 199-242


Vgl. Westfälische Rundschau, 25.6.2011: Integration behinderter Menschen wird Schwerpunkt.

S. http://www.uni-siegen.de/zpe/projekte/p2i/fachtagung.html (Online am 11.1.2012; Hervorhebung im Original).

Nähere Informationen unter http://www.inklusion-olpe.de.