Abstract: Der Beitrag analysiert das aktuellste verfügbare statistische Datenmaterial der amtlichen Schulstatistik 2009/10 und früherer Jahrgänge zum Thema „Sonderpädagogische Förderung“. Es zeigt sich insgesamt, dass der Anteil der Schüler/-innen, die eine sonderpädagogische Förderung erhalten, in der Vergangenheit weiter zugenommen hat.
Die Aufbereitung des Datenmaterials erfolgt auf Bundesebene, der Ebene der Bundesländer sowie der Kreise und kreisfreien Städte Deutschlands. Insbesondere die Analysen auf kleinräumigerer Ebene zeigen starke regionale Disparitäten in den Förderschulbesuchsquoten, die sich bei einem Vergleich von deutschen und nichtdeutschen Schüler/-innen noch verstärken.Stichworte: Schulstatistik; Disparitäten; sonderpädagogische Förderung; Statistik, Förderschule; nichtdeutsche Schüler; ausländische Schüler
Ausgabe: 2/2011
InhaltsverzeichnisDie sonderpädagogische Förderung im Schulwesen tritt seit einigen Jahren unter der Perspektive von Bildungsgerechtigkeit, Leistungseffizienz, aber auch ökonomischen Kosten und Nutzen verstärkt in den Blickwinkel des öffentlichen Interesses (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010, S. 69 ff; Schöler & Merz-Atalik & Dorrance 2011; Klemm 2009, 2010). Das Inkrafttreten der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention) im April 2009 in Deutschland führte zu zahlreichen und kontroversen Diskursen von Verbänden, Interessen- sowie Professionsgruppen und politischen Parteien über die zukünftigen Formen sonderpädagogischer (vgl. dazu z.B.: Deutsches Institut für Menschenrechte 2010; Riedel 2010; Wernstedt & Ohnesorg 2010). Die UN-Konvention verpflichtet die Vertragsstaaten dazu, dass Menschen mit Behinderungen ein gleichberechtigter Zugang zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht mit angemessenen Vorkehrungen für ihre individuellen besonderen Bedürfnisse möglich ist. Die Konvention zielt damit auf eine vollständige Integration von Menschen mit Behinderungen in das allgemeine Bildungssystem. Die KMK (Kultusministerkonferenz) hat inzwischen im November 2010 ein Positionspapier zu pädagogischen und rechtlichen Aspekten der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention in der schulischen Bildung verabschiedet (KMK 2010) sowie im Februar 2011 eine ländergemeinsame Empfehlung „Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen“ zur Anhörung für die Fachöffentlichkeit freigeben (KMK 2011).
Auf Grundlage der Schulstatistiken der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder sowie der statistischen Veröffentlichungen der KMK (Kultusministerkonferenz) stellt dieser Beitrag den quantitativen Umfang der sonderpädagogischen Förderung auf Bundes- und Bundesländer, sowie auf kleinräumigerer Ebene (Kreise und kreisfreie Städte) für das Schuljahr 2009/10 und z.T. früherer Jahre dar. Damit liefert der Beitrag einen detaillierten Überblick über Art und Umfang der sonderpädagogischen Förderung bei Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland. Deutlich wird in den Analysen, dass die 16 deutschen Bundesländer bei der Umsetzung der UN-Konvention vor sehr unterschiedlichen Ausgangslagen für die Weiterentwicklung ihres schulischen Angebots zur sonderpädagogischen Förderung gestellt sind.
Insbesondere anhand der Analysen aus der Regionalstatistik wird auf die Notwendigkeit einer Betrachtung des Systems der sonderpädagogischen Förderung auch innerhalb von lokalen Bildungsräumen aufmerksam gemacht. Der Anteil an Schüler/-innen, der eine sonderpädagogische Förderung erhält, unterscheidet sich nicht nur im Vergleich zwischen den 16 Bundesländern stark, sondern variiert auch auf Kreisebene in einem ganz erheblichen Ausmaß. Dies stellt Bildungspolitik und Bildungsverwaltung gerade im Hinblick auf die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vor Herausforderungen, die regional bewertet und gelöst werden müssen.
1. Förderquoten im Schuljahr 2009/10 und Entwicklung seit 1999/2000
Im Schuljahr 2009/10 werden in Deutschland insgesamt 3306 Schulen als eigenständige Förderschulen betrieben. Diese werden gegenwärtig von etwa 390.000 Schüler/-innen besucht. Hinzu kommen noch einmal 94.000 Schüler/-innen, die in unterschiedlichen Lern- und Unterrichtsformen in sonstigen allgemeinbildenden Schulen sonderpädagogisch beschult werden. Diese werden in der Schulstatistik als „Integrationsschüler/-innen“ geführt. Für die Integrationsschüler liefert die Schulstatistik keine Angaben über die Quantität der Förderung eines Schülers pro Woche oder die Gesamtdauer der Fördermaßnahmen. Es liegen auch keine bundesweiten Daten zu Art und Umfang von Maßnahmen wie z.B. der mobilen sonderpädagogischer Dienste oder Angaben zur Ausstattung und Effizienz von Beratungs- und Förderzentren vor. Hinzu kommen teilweise geänderte Zuordnungsverfahren der Integrationsschüler/-innen auf die unterschiedlichen Förderschwerpunkte, sodass eine detaillierte Darstellung des Datenmaterials zu Integrationsschülern nicht fruchtbar erscheint.
Die von mir berechneten Förderquoten (Förderschüler und Integrationsschüler) bzw. Förderschulbesuchsquoten (Schüler auf Föderschulen) errechnen sich bei den Analysen auf Ebene des Bundes sowie der Bundesländer aus dem prozentualen Anteil aller Schüler/-innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf an allen Schülern der 1. bis 10. Klasse in Vollzeitschulpflicht.
Im Schuljahr 2009/10 werden demnach bundesweit insgesamt 5,0% aller Schüler/-innen aller Schüler der 1. bis 10. Klasse in Förderschulen unterrichtet, sowie 1,2% als Integrationsschüler/-innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in sonstigen allgemeinbildenden Schulen (Regelschulen). Der Anteil an Schüler/-innen, der einen diagnostizierten sonderpädagogischen Förderbedarf hat, variiert zwischen den einzelnen Bundesländern erheblich (vgl. Abbildung 1, Tabelle 1). Die Förderquoten aller Förderschwerpunkte zusammen liegen im Schuljahr 2009/10 zwischen 4,4% in Rheinland-Pfalz und 11,9% in Mecklenburg–Vorpommern. Die Differenz der Förderquote in diesen beiden Bundesländern beträgt damit mehr als das 2,7-fache.[1] Der jeweilige Anteil der integrativen sonderpädagogischen Förderung variiert ebenfalls zwischen den Bundesländern und liegt in Berlin, Brandenburg, Bremen, dem Saarland und Schleswig-Holstein bei deutlich über 30% und bei unter 7% in Niedersachsen (Tabelle 1).
Abbildung 1: Sonderpädagogische Förderquoten 2009/10 in den Bundesländern (in %)
Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Schulstatistik 2009/10
Tabelle 1: Förderschulbesuchsquote und Integrationsquote 2009/10 nach Bundesländern (in %)
Bundesland |
Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf |
|||
Förderquote* |
Davon |
Anteil der sonderpädagogischen Förderung in sonstigen allgemeinbildenden Schulen |
||
Besuch einer Förderschule |
Besuch einer sonstigen allgemeinbildende Schule |
|||
in % |
||||
D |
6,2 |
5,0 |
1,2 |
19,5 |
BW |
6,7 |
4,9 |
1,8 |
26,6 |
BY |
5,5 |
4,7 |
0,9 |
15,7 |
BE |
7,5 |
4,4 |
3,1 |
41,3 |
BB |
8,6 |
5,4 |
3,1 |
36,5 |
HB |
7,4 |
4,7 |
2,7 |
36,8 |
HH |
5,8 |
4,9 |
0,9 |
16,1 |
HE |
5,0 |
4,4 |
0,6 |
12,3 |
MV |
11,9 |
8,9 |
3,0 |
25,4 |
NI |
4,7 |
4,4 |
0,3 |
6,6 |
NW |
6,2 |
5,3 |
0,9 |
14,0 |
RP |
4,4 |
3,8 |
0,7 |
15,0 |
SL |
6,2 |
4,3 |
1,9 |
30,6 |
SN |
8,2 |
6,8 |
1,5 |
17,9 |
ST |
9,5 |
8,3 |
1,2 |
12,7 |
SH |
5,3 |
2,9 |
2,4 |
44,9 |
TH |
8,4 |
6,6 |
1,8 |
21,1 |
* Die Förderquote entspricht dem prozentualen Anteil der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf
an den Schülern mit Vollzeitschulpflicht (1. bis 10. Jahrgangsstufe und Förderschulen).
Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Schulstatistik 2009/10, eigene Berechnungen
Die Darstellung der zeitlichen Entwicklung der sonderpädagogischen Förderquoten in Abbildung 2 zeigt, dass der Anteil an Schüler/-innen mit anerkanntem sonderpädagogischem Förderbedarf seit dem Schuljahr 1999/2000 kontinuierlich angestiegen ist. Im Schuljahr 1999/2000 wurden bereits 4,5% aller Schüler/-innen in eigenständigen Förderschulen unterrichtet. Bis 2009/10 hat sich dieser Anteil auf 5,0% erhöht. Im Schuljahr 2009/10 erhalten etwa 12.600 Schüler/-innen mehr eine sonderpädagogischen Förderung als zehn Jahre zuvor [Förderschüler: -27.000, Integrationsschüler: +39.700]. Im selben Zeitraum ist allerdings die Gesamtschülerzahl der 1. bis 10. Klassen aller allgemeinbildenden Schulen aufgrund des demographischen Wandels in Deutschland um 1,4 Millionen Schüler/-innen zurückgegangen.
Der Anteil an Integrationsschülern ist im selben Zeitraum von 0,6% auf zuletzt 1,2% angestiegen. Innerhalb des Gesamtsystems der sonderpädagogischen Förderung kann ein Ausbau von integrativen Maßnahmen seit 1999/2000 von 11,6% auf 19,5% konstatiert werden, wobei der Stand der integrativen Beschulung innerhalb der Bundesländer und dort zwischen den einzelnen Förderschwerpunkten äußerst unterschiedlich ist. Diese Unterscheide weisen eine hohe Permanenz auf (vgl. Zahlen für das Schuljahr 2003/04 bei Schnell 2006). Wichtig erscheint es, darauf hinzuweisen, dass die vermehrte integrative Beschulung von Schüler/-innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf bundesweit nicht dazu beigetragen hat, die Förderschulbesuchsquote zu verringern!
Abbildung 2: Bundesweite sonderpädagogische Förderquoten seit dem Schuljahr 1999/2000 nach Förderort (in %)
Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Schulstatistik 2009/10 und frühere Jahre,
Sekretariat der KMK (2010): Sonderpädagogische Förderung in Schulen 1997 bis 2008, eigene Berechnungen
2. Analyse der einzelnen Förderschwerpunkte
Die Abbildungen 3a und 3b zeigen, das im Schuljahr 2009/10 über 40% aller Schüler/-innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Förderschwerpunkt „Lernen“ unterrichtet werden. Die Förderschwerpunkte „Lernen“, „Sprache“ und „Emotionale und soziale Entwicklung“ umfassen zusammen zwei Drittel aller Schüler/-innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, treten in der schulischen Praxis jedoch auch als Mehrfachdiagnose auf. Während die Anteile beim Förderbedarf „Lernen“ seit einigen Jahren leicht zurückgehen, steigen die Förderquoten insbesondere im Förderbedarf „Emotionale und soziale Entwicklung“ sowie dem Förderschwerpunkt „Sprache“ stark an.
Auch diejenigen Förderbedarfe, die aufgrund einer Sinnesschädigung oder geistigen Behinderung festgestellt werden, sind in den vergangenen Jahren in ihren Anteilen angestiegen. So ist der Förderbedarf „Geistige Entwicklung“ seit dem Schuljahr 1992/93 von 0,57% auf 0,99% angestiegen, was eine Zunahme um 74% darstellt. Der Förderschwerpunkt „Sehen“ erhöhte sich im betrachteten Zeitraum um 94%, der Schwerpunkt „Körperliche und motorische Entwicklung“ steig um 80% an, der Schwerpunkt „Hören“ um 63%. Als Ursache könnte hier der medizinische und technische Fortschritt oder aber auch ein engmaschigeres Angebot an spezialisierten Förderschulen für diese Förderbedarfe eine Rolle spielen.
Abbildung 3a: Entwicklung der sonderpädagogischen Förderquoten 1992/93 bis 2009/10 nach Förderschwerpunkten (in %)* - Lernen und Sonstige
* Bis 1998 nur Förderschulen, ab 1999 einschließlich Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf an sonstigen allgemeinbildenden Schulen.
Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Schulstatistik 2009/10 und frühere Jahre, Sekretariat der KMK (2010): Sonderpädagogische Förderung in Schulen 1997 bis 2008, eigene Berechnungen
Abbildung 3b: Entwicklung der sonderpädagogischen Förderquoten 1992/93 bis 2009/10 nach Förderschwerpunkten (in %)* - Sonstige nach Schwerpunkt
* Bis 1998 nur Förderschulen, ab 1999 einschließlich Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf an sonstigen allgemeinbildenden Schulen.
Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Schulstatistik 2009/10 und frühere Jahre, Sekretariat der KMK (2010): Sonderpädagogische Förderung in Schulen 1997 bis 2008, eigene Berechnungen
Aus der Tabelle 2 ist zu sehen, dass die einzelnen Förderschwerpunkte in den Bundesländern verschieden stark angeboten bzw. nachgefragt werden (Förderschulen und integrative Förderung). Die Förderquoten für den Schwerpunkt „Lernen“ variieren im Schuljahr 2009/10 zwischen 2,22% in Hessen und 5,38% in Mecklenburg-Vorpommern. Selbst bei objektiv besser feststellbaren Förderbedarfen wie dem Schwerpunkt „Sehen“ gibt es große Differenzen zwischen den Bundesländern. Hier variieren die Anteil zwischen 0,05% in Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein sowie 0,15% in Baden-Württemberg. Als Erklärung für diese bundeslandspezifischen erheblichen Unterschiede kommen differierende Diagnose- und Feststellungspraxen von Förderbedarf sowie unterschiedliche Überweisungspraxen in Förderschulen in Betracht (Kronig & Haeberlin & Eckhart 2000). Die Schulstatistik bestätigt hier die behindertensoziologische Annahme, dass Behinderung nichts Konstantes ist, sondern stattdessen von spezifischen Akteuren und Akteurskonstellationen sozial konstruiert wird (vgl. Cloerkes 2003).
Tabelle 2: Förderquote (Förderschüler und Integrationsschüler) nach Förderschwerpunkten und Bundesländern 2009/10 (in %)*
Land |
Insgesamt |
Davon |
|||||||||
Lernen |
Sehen |
Hören |
Sprache |
Körperliche |
Geistige |
Emotionale |
Förderschwerpunkt |
Keinem |
Kranke |
||
D |
6,16 |
2,62 |
0,09 |
0,19 |
0,66 |
0,40 |
0,99 |
0,75 |
0,16 |
0,15 |
0,13 |
W |
5,72 |
2,39 |
0,09 |
0,18 |
0,59 |
0,39 |
0,92 |
0,66 |
0,19 |
0,18 |
0,13 |
O |
8,68 |
3,95 |
0,11 |
0,24 |
1,07 |
0,50 |
1,43 |
1,28 |
0,02 |
0,01 |
0,13 |
BW |
6,71 |
2,94 |
0,15 |
0,25 |
0,77 |
0,52 |
0,83 |
1,03 |
X |
0,00 |
0,21 |
BY |
5,52 |
1,56 |
0,07 |
0,17 |
0,35 |
0,20 |
0,90 |
0,35 |
0,00 |
0,92 |
0,17 |
BE |
7,52 |
2,83 |
0,14 |
0,19 |
1,45 |
0,63 |
0,95 |
1,03 |
0,09 |
0,02 |
0,19 |
BB |
8,58 |
4,13 |
0,10 |
0,24 |
0,72 |
0,45 |
1,54 |
1,41 |
X |
X |
X |
HB |
7,37 |
2,79 |
0,12 |
0,23 |
0,25 |
0,22 |
1,20 |
0,39 |
2,15 |
0,02 |
X |
HH |
5,80 |
2,46 |
0,12 |
0,21 |
1,04 |
0,78 |
0,89 |
0,20 |
0,10 |
X |
X |
HE |
4,99 |
2,22 |
0,06 |
0,17 |
0,50 |
0,29 |
0,87 |
0,50 |
X |
X |
0,38 |
MV |
11,88 |
5,38 |
0,06 |
0,30 |
1,25 |
0,50 |
1,83 |
2,26 |
X |
X |
0,29 |
NI |
4,74 |
2,40 |
0,05 |
0,16 |
0,47 |
0,33 |
0,88 |
0,45 |
X |
X |
X |
NW |
6,17 |
2,49 |
0,09 |
0,17 |
0,80 |
0,46 |
1,01 |
1,00 |
X |
0,00 |
0,13 |
RP |
4,45 |
2,62 |
0,05 |
0,15 |
0,23 |
0,41 |
0,74 |
0,24 |
X |
X |
X |
SL |
6,25 |
2,92 |
0,12 |
0,23 |
0,68 |
0,46 |
0,86 |
0,33 |
0,44 |
X |
0,21 |
SN |
8,24 |
4,04 |
0,12 |
0,25 |
0,99 |
0,49 |
1,24 |
1,11 |
X |
X |
X |
ST |
9,53 |
5,04 |
0,13 |
0,34 |
0,70 |
0,52 |
1,80 |
1,01 |
0,00 |
X |
X |
SH |
5,34 |
3,00 |
0,05 |
0,14 |
0,44 |
0,30 |
1,16 |
0,19 |
X |
0,06 |
X |
TH |
8,40 |
3,36 |
0,09 |
0,14 |
1,23 |
0,35 |
1,79 |
1,42 |
X |
0,03 |
X |
* Die Förderquote entspricht dem prozentualen Anteil der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf
an den Schülern mit Vollzeitschulpflicht (1. bis 10. Jahrgangsstufe und Förderschulen).
Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Schulstatistik 2009/10, eigene Berechnungen
3. Überweisungszeitpunkte in Förderschulen
Im vorherigen Abschnitt dieses Beitrages wurden die verschieden hohen Anteile der Schüler/-innen mit attestiertem sonderpädagogischem Förderbedarf über alle Jahrgangsstufen hinweg dargestellt. Darüber hinaus scheint die Einweisungspraxis in Förderschulen in den einzelnen Bundesländern völlig verschieden zu sein. Die Abbildung 4 zeigt, dass der Anteil der neu eingeschulten Schüler/-innen, die unmittelbar auf eine Förderschule überwiesen werden, zwischen 1,43% in Schleswig-Holstein und 4,61% in Bayern variiert. Als Erklärungsfaktoren kommen neben den unterschiedlichen Verfahren zur Feststellung eines Förderbedarfs auch institutionelle Eigeninteressen der Förderschulen und eine Entlastungsfunktion der Grundschulen durch die Diagnose eines Förderbedarfs in Frage.
Die amtliche Schulstatistik weist darüber hinaus die Einschulungsquoten in die Förderschule für Schüler/-innen mit einer geistigen Behinderung separat aus. Hier zeigen sich ebenfalls ganz massive Unterschiede. Im Bundesdurchschnitt werden 0,73% der Schüler/-innen mit der Einschulung in Förderschulen für geistig Behinderte eingeschult. Anzunehmen wäre, dass eine geistige Behinderung regional gleichverteilt auftritt.[2] Da im Schuljahr 2008/09 bundesweit 763 Schulen den Förderschwerpunkt „Geistige Entwicklung“ anbieten kann davon ausgegangen werden, dass keine Region in Deutschland mit einer Einrichtung „Förderschule Geistige Entwicklung“ unterversorgt ist. Tatsächlich gibt es jedoch eine unerwartete Varianz der Verteilung von Schüler/-innen mit einer geistigen Behinderung zwischen den Bundesländern. Die Bundesländer Bremen, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen schulen deutlich über 1% der Schulanfänger als geistig behindert ein, Hamburg und Baden-Württemberg nur 0,33% bzw. 0,58%. Die Diagnose „Geistige Behinderung“ stellt trotz der weitreichenden schulischen wie individuellen persönlichen Konsequenzen augenscheinlich keine einheitlich diagnostizierte Erscheinung dar.
Abbildung 4: Förderschuleinweisung mit der Einschulung im Schuljahr 2008/09 in % aller Einschulungen (in Gelb: Förderschule „Geistige Entwicklung“)
Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Schulstatistik 2009/10, eigene Berechnungen
Neben den hohen Anteilen an direkten Einschulungen an Förderschulen liegen in der amtlichen Schulstatistik die Informationen „besuchte Schulform“ und das „Lebensalter“ aller Schüler/-innen kombiniert vor (Abbildung 5).
Der Anteil der 7-jährigen Schüler und Schülerinnen, der auf einer Förderschule unterrichtet wurde, lag im Schuljahr 1995/96 noch bei 2,3%. Dieser Anteil ist bis 2009/10 auf bundesweit 3,6% angestiegen und gibt Hinweise auf eine in den letzten Jahren veränderte Selektionspraxis.
Angesichts der Tatsache, dass es im deutschen Schulsystem wesentlich weniger Wechsel weg von einer Förderschule als auf eine Förderschule gibt, ist der Trend zu immer früheren Überweisungen auf Förderschulen als eindeutig negativ zu bewerten. (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008, S. 257). Weiterhin verlängert sich durch die vermehrte frühere Überweisungspraxis die Dauer des Förderschulbesuchs für den einzelnen Schüler bzw. die einzelne Schülerin.
Bisher ist anhand der Statistik nicht zu erkennen, dass die Angebote zur präventiven Förderung bzw. zur Vermeidung der Einleitung eines Überprüfungsverfahrens auf sonderpädagogischem Förderbedarf die zunehmend frühere Überweisung in eine Förderschule im Bundesdurchschnitt verhindern.
Abbildung 5: Förderschulbesuchsquote von Schülerinnen und Schülern im Alter von 7, 10 und 13 Jahren 1995/96 bis 2009/10 (in %)
Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Schulstatistik 2009/10, eigene Berechnungen
4. Statistische Analysen auf der Ebene der Kreise und kreisfreien Städte[3]
Die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder bieten im Internet auch regionale Daten für die Analyse von Schulbesuchsquoten auf Ebene der Kreise und kreisfreien Städte Deutschlands an.[4] Anhand dieser Daten ist eine Berechnung des prozentualen Schüleranteils, der auf einer Förderschule unterrichtet wird (Förderschulbesuchsquote) möglich.
Für Schüler/-innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die in sonstigen allgemeinbildenden Schulen (als Integrationsschüler) unterrichtet werden, liegen auf Kreisebene keine Daten vor.
4.1 Förderschulbesuchsquoten auf Kreisebene
In der Abbildung 6 ist die Förderschulbesuchsquote (alle Schwerpunkte zusammen) für alle Kreise und kreisfreien Städte in Deutschland dargestellt. Hier vergrößern sich die ohnehin bisher aufgezeigten länderspezifischen Disparitäten noch einmal deutlich. Zum einen gibt es massive Unterschiede bei den Förderschulbesuchsquoten zwischen den Kreisen in Ost- und Westdeutschland. Auf der anderen Seite sind die Förderschulbesuchsquoten zwischen den Kreisen auch innerhalb eines einzelnen Bundeslandes z.T. unterschiedlich hoch. Die Quoten reichen von Kreisen mit unter 2% Förderschüler bis hin zu Kreisen mit einem Anteil von über 12% Förderschülern. Hierbei muss jedoch beachtet werden, dass nicht alle Landkreise alle Förderschulformen anbieten. Nur für die Förderschwerpunkte „Lernen“ und „Geistige Entwicklung“ kann von einem flächendeckenden Schulangebot ausgegangen werden. Da die Schüler/-innen am Schulstandort erfasst werden, führen Kreise und kreisfreie Städte ohne das Angebot von Schulen eines selteneren Förderschwerpunktes zu Verzerrungen der Förderschulbesuchsquote, sodass die Abbildung 6 die Nachfrage möglicherweise etwas verzerrt abbildet.
Abbildung 6: Anteil der Schülerinnen und Schüler auf Förderschulen an allen Schülern an allgemein bildenden Schulen im Schuljahr 2009/010 nach Kreisen (in %)*
* ohne Schülerinnen und Schüler an Vorschulen, Abendschulen und Kollegs
Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Statistik regional, eigene Berechnungen
4.2 Förderschulbesuchsquoten von deutschen und nichtdeutschen Schüler/-innen[5]
Die Regionalstatistik erlaubt weiterhin die Differenzierung zwischen deutschen und nichtdeutschen Schüler/-innen. Die Unterschiede der Förderschulbesuchsquoten von deutschen und nichtdeutschen Schüler/-innen sind stark ausgeprägt. Mit 7,1% liegt der Förderschulanteil nichtdeutscher Schüler/-innen im Bundesdurchschnitt deutlich höher als der Anteil deutscher Schüler/-innen (4,1%) auf Förderschulen.
Abbildung 7a und 7b: Anteil der Schülerinnen und Schüler auf Förderschulen an allen Schülern an allgemein bildenden Schulen im Schuljahr 2009/10 nach Kreisen - deutsche und nichtdeutsche Schüler (in %)*
7a) Deutsche Schüler/- innen Einen besonders hohen Anteil an deutschen |
7b) Nichtdeutsche Schüler/-innen Die Förderschulbesuchsquoten nichtdeut-scher Schüler/-innen liegen in den ostdeutschen Landkreisen meist wesentlich niedriger als die Quoten deutscher Schüler/-innen. In Westdeutschland gibt es (kreisübergreifende) Regionen in denen der Anteil an nichtdeutschen Schüler/-innen auf Förderschulen besonders hoch liegt. In 94 Landkreisen liegt der Anteil von nicht-deutschen Schüler/-innen, die auf einer Förderschule beschult werden bei 9% und mehr, in 8 Landkreisen sogar bei über 15%. |
* in Kreisen mit mindestens 100 nichtdeutschen Schülerinnen und Schülern in allen allgemeinbildenden Schulen (ohne Vorschulen, Abendschulen und Kollegs)
Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Statistik regional 2009/10, eigene Berechnungen
Die Abbildungen 7a und 7b zeigen, dass es regional sehr unterschiedlich hohe Förderschulquoten gibt. Die Berechnung der Korrelation der Förderschulbesuchsquoten von deutschen Schülern/-innen sowie der nichtdeutschen Schüler/- innen zeigt, dass die Förderschulbesuchsquoten der beiden Gruppen in den Kreisen, in denen wenigstens 100 nichtdeutsche Schüler/innen beschult werden (=395 Kreise), nur schwach (r = .26) miteinander in Zusammenhang stehen. Dies widerspricht einer möglichen Erwartung, dass dort, wo ein niedriger/hoher Anteil an deutschen Schülern eine Förderschule besucht auch ein entsprechend (möglicherweise auf einem anderen Niveau angesiedelter) Anteil an nichtdeutschen Schüler/-innen eine Förderschule besuchen müsste.
4.3 Risikoindex für den Besuch einer Förderschule von deutschen und nichtdeutschen Schüler/-innen
Die Förderschulbesuchsquoten bei deutschen bzw. nichtdeutschen Schüler/-innen variieren - wie in den Abbildungen 7a und 7b gezeigt wurde – zwischen den Landkreisen und kreisfreien Städten der Bundesrepublik sehr deutlich. In der Abbildung 8 wird nun die Über- bzw. Unterrepräsentanz der zwei Gruppen auf Ebene der Kreise und kreisfreien Städte dargestellt.
Als Maß hierfür wird im Allgemeinen der sogenannte „Relative Risikoindex“ (RRI) berechnet, mit ihm kann die Überrepräsentation bzw. Unterrepräsentation einzelner Gruppen von Schüler/-innen auf Förderschulen errechnet und dargestellt werden (vgl. Kornmann & Neuhäußler 2001, Kornmann 2003, 2009;Kemper und Weishaupt 2009). Der RRI errechnet sich als Quotient zweier Prozentzahlen (Anteile von nichtdeutschen Förderschüler/-innen geteilt durch den Anteil deutscher Förderschüler/-innen). Werte größer als 1 bedeuten eine Überrepräsentation nichtdeutscher Schüler/-innen, Werte kleiner als 1 bedeuten hingegen eine Unterrepräsentation dieser Schülergruppe. Für Deutschland insgesamt nimmt der RRI im Schuljahr 2009/10 den Wert von 1,7 an. Allerdings ist er regional stark unterschiedlich ausgeprägt (siehe Legende der Abbildung 8).
Dies resultiert einerseits aus den Kreisen in Ostdeutschland, in denen die nichtdeutschen Schüler/-innen wesentlich niedrigere Förderschulbesuchsquoten aufweisen als die deutschen Schüler/-innen. Andererseits gibt es in vielen Westdeutschen Landkreisen insbesondere in Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zusammenhängende Kreise, in denen das Risiko eines Förderschulbesuchs für nichtdeutsche Schüler/-innen mehr als zweimal so hoch ist wie für deutsche Schüler/-innen. Dann gibt es noch 23 Landkreise (z.T. auch kreisübergreifend wie im Münsterland und dem Südosten Baden-Württembergs), in denen die Förderschulbesuchsquote nichtdeutscher Schüler/-innen sogar mehr als dreimal so hoch liegt wie die der deutschen Schüler/-innen. Die Überrepräsentanz nichtdeutscher Schüler stellt sich dabei als ein dauerhafter Zustand dar, der sich in den vergangenen Jahren verfestigt hat (vgl. dazu: Wagner & Powell 2003).
Abbildung 8: Relativer-Risiko-Index von deutschen und nichtdeutschen Schülerinnen und Schülern
für den Besuch einer Förderschule im Schuljahr 2009/10*
* (ohne Vorschulen, Abendschulen und Kollegs)
Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Statistik regional 2009/10, eigene Berechnungen
4.4 Förderschulbesuchsquote im Förderschwerpunkt „Lernen“
Fast die Hälfte aller Schüler/-innen auf Förderschulen wird im Förderschwerpunkt „Lernen“ unterrichtet. Im Rahmen einer schriftlichen Anfrage an die Bundesländern lagen dem Autor für das Schuljahr 2008/09 die absolute Fallzahl an Schüler/-innen vor, die in jedem Landkreis auf einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt „Lernen“ beschult wurden. Im Schuljahr 2008/09 haben 1413 Förderschulen diesen Förderschwerpunkt angeboten. Somit ist für diesen Förderschwerpunkt von einem flächendeckend ausgebauten Schulangebot auszugehen. Daher erscheint ein regionaler Vergleich der Förderschulbesuchsquoten zulässig. Einschränkend muss vorweg geschickt werden, dass die sozialstrukturelle Zusammensetzung der Wohnbevölkerung einen Einfluss auf die jeweiligen kreisspezifischen Förderschulbesuchsquoten „Lernen“ haben kann. Die soziale Lage von Familien mit schulpflichtigen Kindern mit dem Förderschwerpunkt „Lernen“ zeigt darüber hinaus starke Unterschiede zur Durchschnittsbevölkerung auf (vgl. Koch 2004, Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010, S. 72, S. 253).
Die Förderschulbesuchsquote „Lernen“ lag deutschlandweit im Schuljahr 2008/09 bei 2,07%. Auf Kreisebene variierten diese Anteile jedoch noch stärker als bei Betrachtung der Gesamtförderschulquote. Die Förderschulbesuchsquoten im Förderscherpunkt „Lernen“ lag zwischen 0,26% in der kreisfreien Stadt Bremen (ohne Bremerhaven) und 0,52% im Landkreis Eichstätt auf der einen sowie 6,63% im Landkreis Uecker-Randow auf der anderen Seite. (vgl. Abbildung 9). Insbesondere im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern und Teilen Sachsen-Anhalts lag die Förderschulbesuchsquote „Lernen“ in vielen Landkreisen bei 4% und mehr. Sehr deutlich ist zu sehen, dass der Anteil von Schülern mit dem Förderschwerpunkt „Lernen“ auf Förderschulen in einer Mehrzahl der östlichen Bundesländern höher liegt als in den westlichen Bundesländern, allerdings gab es auch innerhalb der Kreise eines Bundeslandes große Unterschiede.
Abbildung 9: Anteil der Schülerinnen und Schülern an Schulen mit dem Förderschwerpunkt „Lernen“ an allen Schülern an allgemein bildenden Schulen im Schuljahr 2008/09 nach Kreisen (in %)*
* ohne Vorschulen, Abendschulen und Kollegs
Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Statistik regional 2008/09, eigene Berechnungen
4.5 Risikoindex für den Besuch einer Schule „Lernen“ von deutschen und nichtdeutschen Schüler/-innen
Das Risiko einer nichtdeutschen Schülerin bzw. eines nichtdeutschen Schülers für den Besuch einer Schule mit dem Förderschwerpunkt „Lernen“ lag im Schuljahr 2008/09 für Gesamtdeutschland 2,2mal so hoch wie für deutsche Schüler/-innen. Dieser Wert ist an sich schon beträchtlich, doch zeigen die Berechnungen auf Kreisebene (vgl. Abbildung 10), dass es wie bei der Förderschulbesuchsquote (insgesamt) sehr große Variation zwischen den Kreisen und kreisfreien Städten gab. Die Anteile von deutschen bzw. nichtdeutschen Schüler/-innen auf einer Förderschule „Lernen“ korrelieren nur schwach miteinander (r = .22). In den Kreisen, in denen es wenigstens 100 nichtdeutsche Schüler/-innen auf allen allgemeinbildenden Schulen gibt, variiert der RRI zwischen 0,6 in Straubing als erster westdeutscher Landkreis (Anteil der Schüler auf einer Förderschule „Lernen“: deutsch 1,16%; nichtdeutsch 0,69%) und dem Landkreis Coesfeld mit einem RRI von 8,32 (Anteil der Schüler auf einer Förderschule „Lernen“: deutsch 0,93%; nichtdeutsch 7,73%). Es gibt zusammenhängende Kreise in Nordrhein-Westfalen, dem Südwesten Baden-Württembergs sowie den Stadtkreisen Heidelberg, Freiburg im Breisgau und Münster und den sie umgebenden Landkreisen, in denen von einer beträchtlichen regionalen institutionellen Diskriminierung nichtdeutscher Schüler/-innen gesprochen werden muss. In diesen Landkreisen sind nichtdeutsche Schüler/-innen in einem wesentlich höheren Maß als deutsche Schüler/-innen dem Risiko ausgesetzt, auf eine Förderschule mit dem Schwerpunkt „Lernen“ überwiesen zu werden.
Abbildung 10: Relativer-Risiko-Index von deutschen und nicht-deutschen Schülerinnen und Schülern
für den Besuch einer Schule mit dem Förderschwerpunkt „Lernen“ im Schuljahr 2008/09*
* in Kreisen mit mindestens 100 nichtdeutschen Schülerinnen und Schülern in allen allgemeinbildenden Schulen (ohne Vorschulen, Abendschulen und Kollegs)
Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Statistik regional 2008/09, eigene Berechnungen
5. Resümee
Der Beitrag hat auf Bundesebene, auf der Ebene der Bundesländer und auf kleinräumiger Ebene der Kreise und kreisfreien Städte die quantitative Entwicklung der Sonderpädagogischen Förderung bis zum Schuljahr 2009/10 dargestellt. Bundesweit ist bisher kein Rückgang der sonderpädagogischen Förderquoten eingetreten. Stattdessen steigt der relative Anteil an Schüler/-innen im System der sonderpädagogische Förderung seit Jahren weiterhin kontinuierlich an. Daneben sind vor allem vier zentrale Ergebnisse festzuhalten:
Die statistischen Analysen auf Landes- und Kreisebene zum Förderschulbesuch deutscher und nichtdeutscher Schüler/-innen verweisen auf eine ausgeprägte institutionelle Diskriminierung. Die Bildungschancen für Schüler/-innen sind über die Landreise und kreisfreien Städte hinweg nicht unabhängig vom Wohnort verteilt. Ursächlich hierfür sind sowohl schulrechtliche Bestimmungen der Länder für eine Förderschulüberweisung als wohl auch spezifische Begründungs- und Entscheidungsmuster der beteiligten Akteure bei einer möglichen Förderschulzuweisung (vgl. Gomolla & Radtke 2002).
Unter der Perspektive der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen erscheinen für die zukünftige Strukturentwicklung der sonderpädagogischen Förderung zwei wesentliche Akteure entscheidend:
Ein weiterer Gesichtspunkt, unter dem eine fortgesetzte separierende sonderpädagogische Förderung kritisch zu sehen ist, ist die Tatsache, dass im Schuljahr 2009/10 allein 33.225 Förderschüler das allgemeinbildende Schulwesen ohne einen Hauptschulabschluss verlassen haben und nur 9.451 der Abgänger (22%) von Förderschulen einen Hauptschulabschluss erworben haben. Unter den Abgängern ohne Hauptschulabschluss machen ehemalige Förderschüler mit 60% der Schüler den allergrößten Anteil aus. Neben der verherrenden Bedeutung für die individuellen Bildungsbiographien rücken zunehmend auch die gesamtgesellschaftlichen Folgekosten zunehmend in den Blick der Öffentlichkeit (Wößmann & Piopiunik 2009).
6. Literatur
Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2008): Bildung in Deutschland 2008. Bielefeld.
Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2010): Bildung in Deutschland 2010. Bielefeld.
Cloerkes, Günther (Hrsg.) (2003): Wie man behindert wird. Heidelberg.
Deutsches Institut für Menschenrechte (2010): Stellungnahme der Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention zur Stellung der UN-Behindertenrechtskonvention innerhalb der deutschen Rechtsordnung und ihre Bedeutung für behördliche Verfahren und deren gerichtliche Überprüfung, insbesondere ihre Anforderungen im Bereich des Rechts auf inklusive Bildung nach Artikel 24 UN-Behindertenrechtskonvention.
Gleichzeitig eine Kritik an dem Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. November 2009 (7 B 2763/09).
Online unter:
http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Stellungnahmen/stellungnahme_der_monitoring_stelle_z_un_behindertenrechtskonvention_zur_stellung_der_behindertenrechtskonvention_innerhalb_der_dt_rechtsordnung.pdf
(Stand: 09.03.2011).
Gomolla, Mechthild & Radtke, Frank-Olaf (2002): Institutionelle Diskriminierung: die Herstellung ethischer Differenz in der Schule. Opladen.
Klemm, Klaus (2009): Sonderweg Förderschulen: Hoher Einsatz, wenig Perspektiven. Eine Studie zu den Ausgaben und zur Wirksamkeit von Förderschulen in Deutschland. Gütersloh.
Klemm, Klaus (2010): Gemeinsam lernen. Inklusion leben. Status Quo und Herausforderungen inklusiver Bildung in Deutschland. Gütersloh.
KMK (2010): Pädagogische und rechtliche Aspekte der Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention - VN-BRK) in der schulischen Bildung. (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18.11.2010).
Online unter http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2010/2010_11_18-Behindertenrechtkonvention.pdf (Stand: 09.03.2011)
KMK (2011): Entwurf zur schriftlichen Anhörung durch die Fachöffentlichkeit
"Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen".
http://www.kmk.org/fileadmin/pdf/Bildung/AllgBildung/Anhoerungstext-Entwurf-2010-12-03-205-AK.pdf (Stand: 09.03.2011).
Koch, Katja (2004): Die soziale Lage der Familien von Förderschülern. In: Sonderpädagogische Förderung. Heft 2, S. 181-411 sowie Heft 4, S. 411-428.
Kornmann, Reimer (2003): Erneuter Anstieg der Überrepräsentation ausländischer Kinder in Schulen für Lernbehinderte. In: Zeitschrift für Heilpädagogik, 54 (2003) 7, S. 286-289.
Kormann, Reimer (2009): Die Überrepräsentation ausländischer Kinder und Jugendlicher
in Sonderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen. In: Auernheimer, Georg (Hrsg.): Schieflagen im Bildungssystem. Die Benachteiligung der Migrantenkinder. 3. Aufl. S. 71-86.
Kornmann, Reimer & Neuhäusler, Eva (2001): Zum Schulversagen bei ausländischen Kindern und Jugendlichen in den Jahren 1998 und 1999. In: Die neue Sonderschule, 46
(2001) 5, S. 337-349.
Preuss-Lausitz, Ulf (2007): Demografie und Gemeinsame Erziehung. Zum Zusammenhang der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland mit dem Ausbau der gemeinsamen Erziehung. In: Demmer-Dieckmann, Irene & Textor, Annette (Hrsg.): Integrationsforschung und Bildungspolitik im Dialog. Bad Heilbrunn, S. 61-70.
Kronig, Winfried & Haeberlin, Urs & Eckhart, Michael (2000): Immigrantenkinder und schulische Selektion. Pädagogische Visionen, theoretische Erklärungen und empirische Untersuchungen zur Wirkung integrierender und separierender Schulformen in den Grundschuljahren. Bern.
Riedel, Eibe (2010): Gutachten zur Wirkung der internationalen Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung und ihres Fakultativprotokolls auf das deutsche Schulsystem.
(erstattet der Landesarbeitsgemeinschaft „Gemeinsam Leben“ Nordrhein-Westfalen).
Online unter:
http://www.lag-bw.de/index.php?menuid=20&downloadid=48&reporeid=75 bzw. http://www.sovd.de/fileadmin/downloads/pdf/positionspapiere/Kurzfassung_Riedel-Gutachten.pdf (Stand: 09.03.2011)
Schnell, Irmtraud (2006): An den Kindern kann‘s nicht liegen… Zum aktuellen Stand gemeinsamen Lernens von Mädchen und Jungen mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf in der Bundesrepublik Deutschland. In: gemeinsam leben. Zeitschrift für integrative Erziehung 14 (2006) 4, S. 195-213.
Schöler, Jutta & Merz-Atalik, Kerstin & Dorrance, Carmen (2011): Auf dem Weg zur Schule für alle? Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Bildungsbereich: Vergleich ausgewählter europäischer Länder und Empfehlungen für die inklusive Bildung in Bayern.
Online unter:
http://library.fes.de/pdf-files/akademie/bayern/07824.pdf (Stand: 10.03.2011)
Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2010): Schulstatistik 2009/10 und frühere Jahre
Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2011): Regionalstatistik 2009/10 und 2008/09 https://www.regionalstatistik.de/
UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen 2009.
Online unter:
http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/de/menschenrechtsinstrumente/vereinte-nationen/menschenrechtsabkommen/behindertenrechtskonvention-crpd.html
(Stand: 08.03.2011)
Wagner, Sandra J. & Powell, Justin J. W (2003): Ethnisch-kulturelle Ungleichheit im deutschen Bildungssystem. Zur Überrepräsentanz von Migrantenjugendlichen an Sonderschulen. In: Cloerkes, Günther (Hrsg.): Wie man behindert wird.
Heidelberg. S. 183-208.
Weishaupt, Horst & Kemper, Thomas (2009): Zur nationalitätenspezifischen und regionalen Bildungsbenachteiligung ausländischer Schüler unter besonderer Berücksichtigung des Förderschulbesuchs. In: Sylvester, Ina/ Sieh, Isabelle/ Menz, Margaret/ Fuchs, Hans-Werner/ Behrendt, Jan (Hrsg.): Bildung, Recht, Chancen. Münster u.a. (2009) S. 97-111.
Wernstedt, Rolf & John-Ohnesorg, Marei (2010): Inklusive Bildung. Die UN-Konvention und ihre Folgen. Friedrich-Ebert-Stiftung.
Online unter:
http://library.fes.de/pdf-files/studienfoerderung/07621.pdf (Stand: 10.03.2011)
Weishaupt, Horst (2010): Am Ende des Sonderwegs. In: DJI-Bulletin, (2010) 90, S. 20-22.
Wößmann, Ludger & Piopiunik, Marc (2009): Was unzureichende Bildung kostet. Eine Berechnung der Folgekosten durch entgangenes Wirtschaftswachstum. Gütersloh.
Fussnoten:
[1] Betrachtet man lediglich die (vermutlich zuverlässiger dokumentierten) Zahlen der Anteile von Schüler/-innenn auf Förderschulen, so beträgt der Faktor 3,0 zwischen den Ländern Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern.
[2] Bei einer kleinräumigen Analyseebene sollten hingegen noch die Gesundheitsdaten der Wohnbevölkerung berücksichtigt werden.
[3]Hierbei greife ich auf Darstellungskonzepte und Landkartenentwürfe zurück, die von Thomas Kemper und Horst Weishaupt für den Bericht "Bildung in Deutschland 2010" (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010) entworfen wurden.
[4]Die Regionalstatistik enthält lediglich die absolute Anzahl der Schüler in der besuchten Schulform. Der Prozentanteil errechnet sich als Anteil von Förderschüler geteilt durch die Gesamtzahl aller Schüler im jeweiligen Landkreis (im Gegensatz zur Bundesstatistik allerdings inklusive der Sekundarstufe II der Schulformen – jedoch ohne Abendschule/ Kollegs sowie ohne Vorschule).
[5] Unter„ Nichtdeutsche Schüler/-innen“ werden in der Schulstatistik diejenigen Schüler zusammengefasst, die keine deutsche Staatsbürgerschaft haben. Spätaussiedler gelten als Deutsche. Die Schulstatistik enthält im Moment noch keine Kategorie „Migrationshintergrund“, obwohl diese Daten eine wesentliche bessere Differenzierung erlauben würden.
Dieser Artikel ist ebenfalls bei Pedocs und der Deutschen Nationalbibliothek verlinkt: